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FORTBILDUNG
Erhöhtes TSH bei Älteren nicht immer behandlungsbedürftig
Diagnostik und Therapie der Hypothyreose bei Patienten im fortgeschrittenen Alter
Eine offensichtliche oder subklinische Hypothyreose ist eine in der älteren Bevölkerung sehr häufige Diagnose. Nicht immer allerdings liegt dem tatsächlich eine Erkrankung der Schilddrüse selbst zugrunde, denn eine hohe Serumkonzentration von thyreoideastimulierendem Hormon (TSH), allgemein ein Indiz einer Schilddrüsenunterfunktion, kann auch rein altersbedingt sein. In einem Review hat eine italienisch-britische Arbeitsgruppe die derzeitigen Empfehlungen für eine adäquate Diagnostik und Therapie älterer Patienten mit erhöhten TSH-Werten zusammengetragen.
Frontiers in Endocrinology
Die Sekretion von Schilddrüsenhormonen bei jungen Erwachsenen unterliegt einem Feedback-Mechanismus und wird kontrolliert durch die Konzentration des zirkulierenden TSH im Serum. Letztere ist deshalb ein sensitiver Marker der Schilddrüsenfunktion. So weist das Vorliegen abnormaler TSH-Werte bei einem Individuum darauf hin, dass die Serumkonzentrationen der Schilddrüsenhormone fT3 (freies Trijodthyronin) und fT4 (freies Thyroxin) möglicherweise nicht in Ordnung sind. Erhöhte TSH-Werte sprechen dabei für eine Schilddrüsenunter-, niedrige für eine -überfunktion.
MERKSÄTZE
� Hypothyreose ist gekennzeichnet durch erhöhte TSH-Werte und gleichzeitig verminderte Konzentrationen an freien Schilddrüsenhormonen. Bei subklinischer Hypothyreose sind zwar die Serum-TSH-Spiegel ebenfalls erhöht, die Schilddrüsenhormone allerdings im normalen Bereich.
� Unabhängig vom Vorliegen einer tatsächlichen Schilddrüsenerkrankung steigt die Konzentration an zirkulierendem TSH auch altersbedingt an. Bei älteren und hochbetagten Pesonen ist deshalb eine situationsgerechte diagnostische Abklärung anhand des klinischen Bildes einschliesslich Komorbiditäten sowie mittels geeigneter Laboruntersuchungen und bildgebender Technik erforderlich.
� Therapie der Wahl bei Hypothyreose ist der Hormonersatz mit Levothyroxin. Dieser sollte unter Berücksichtigung von Faktoren wie Polypharmazie und Gebrechlichkeit individuell angepasst erfolgen. Eine sorgfältige Nachbeobachtung und Therapiekontrolle sind wichtig, um die Risiken einer Überbehandlung zu minimieren.
Altersbedingte Veränderungen an der Hypophysen-Schilddrüsen-Achse
Bei älteren Menschen kann, abgesehen von spezifischen Schilddrüsenerkrankungen, auch der Alterungsprozess selbst zu einer Reihe von funktionellen und metabolischen Veränderungen entlang der Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse führen, welche in einer veminderten Hormonproduktion resultieren. Zur Beziehung zwischen TSH-Werten und dem Alterungsprozess bestehen allerdings widersprüchliche Daten. Während ältere Untersuchungen, überwiegend Fall-Kontroll-Studien, bei Menschen ab einem Alter von über 75 bis 80 Jahren bis zur Altersgruppe der Hundertjährigen einen Trend zu niedrigeren Konzentrationen an freiem TSH zeigten, wurden in jüngeren Studien dagegen eher mit dem Alter zunehmende TSH-Spiegel beobachtet. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass sich der Alterungsprozess für ein Individuum in ähnlicher Weise auswirkt wie eine Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose, HT), nämlich resultierend in einer Herabsetzung des Grundstoffwechsels. Allerdings ist bis anhin unklar, ob die im Alter beobachteten Veränderungen der Wechselwirkungen entlang der Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse ein Resultat dieses reduzierten Stoffwechsels oder aber einen Schutzmechanismus gegenüber den extremen katabolischen Prozessen darstellen, durch die der Alterungsprozess gekennzeichnet ist. Es gibt darüber hinaus Hinweise, dass die erwähnten altersbedingten Veränderungen an der Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse einen Einfluss auf die Lebensdauer haben könnten. So wurde 2009 über die extreme Langlebigkeit einer Population gesunder aschkenasischer Juden berichtet, in welcher die Hundertjährigen im Vergleich zu den Kontrollgruppen höhere TSH-Spiegel aufwiesen. Andere Untersuchungen konnten belegen, dass zwischen einer hohen Lebenserwartung und den Konzentrationen an freien Schilddrüsenhormonen auch unabhängig von den jeweiligen TSHSpiegeln eine inverse Assoziation besteht.
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FORTBILDUNG
Hypothyreose: Epidemiologie und klinische Auswirkungen
Eine HT ist definiert als das Vorliegen erhöhter TSH-Werte bei gleichzeitig verminderten Konzentrationen an fT3 und fT4, während man bei zwar erhöhten TSH-Spiegeln, aber fT3- und fT4-Werten im Normalbereich von subklinischer Hypothyreose (sHT) spricht. Die Prävalenz der Schilddrüsenunterfunktion in der europäischen Allgemeinbevölkerung bewegt sich zwischen 0,2 und 5,3 Prozent (USA: 0,3–3,7%), wobei die Schwankungen möglicherweise mit der in den einzelnen Regionen unterschiedlichen Zufuhr von Jod über die Nahrung im Zusammenhang stehen. Weltweit liegt die HT-Prävalenzrate gemäss dem National Health and Nutrition Survey (NHANES) III bei 4,6 Prozent (offensichtliche Form: 0,3%; sHT: 4,3%), und die Schilddrüsenunterfunktion, von der überwiegend Frauen betroffen sind, ist damit die bei Älteren häufigste endokrine Erkrankung, Im Vergleich zur Situation von vor 10 Jahren sind die Prävalenzraten in einigen Regionen mittlerweile deutlich gesunken, was auf verbesserte Screeningkampagnen und Aufklärung, aber auch auf ein inzwischen frühzeitigeres therapeutisches Eingreifen zurückgeführt wird. Tatsächlich weist das Medicine Utilization Center das Hormonersatzpräparat Levothyroxin (LT4) als eines der 10 meistverschriebenen Medikamente in Italien (zweitälteste Bevölkerung der Welt: 6,7% > 80 Jahre, 22% > 65 Jahre) aus. Diese Zahlen stehen im Einklang mit Hochrechnungen für andere Länder. Da die HT sowohl mit einer erhöhten Sterblichkeit als auch mit einem vermehrten Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse sowie kognitivem und funktionellem Abbau einhergeht, wird eine Hormonersatztherapie mit LT4 empfohlen, welche einen positiven Effekt auf die Mortalität bei älteren Personen in Studien zum Teil bereits unter Beweis stellen konnte. Dennoch sind zur eindeutigen Beurteilung des Einflusses von HT und LT4-Substitution auf die kardiovaskuläre und die allgemeine Sterblichkeit von älteren Menschen weitere grosse randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) erforderlich. Was das diagnostische und therapeutische Vorgehen bei sHT angeht, ist hingegen Vorsicht geboten, vor allem bei Hochbetagten. Hier wird, auf der Basis verschiedener Studien und Metaanalysen sowie gemäss den Leitlinien der European Thyroid Association (ETA) von 2013, in Abhängigkeit von den Konzentrationen an freiem TSH die Population in zwei Gruppen (4–10 mIU/l bzw. > 10 mIU/l) unterteilt. Angesichts der Tatsache, dass sich die Schilddrüsenfunktion mit zunehmendem Alter verändert und die TSH-Werte tendenziell steigen, ist es wichtig, die altersbedingten Veränderungen von einer tatsächlichen Schilddrüsendysfunktion zu unterscheiden. Der bei Älteren häufigste der sHT zugrunde liegende Pathomechanismus ist die Hashimoto-Thyreoiditis, bei der in 90 Prozent der Fälle positive Titer von Autoantikörpern gegen die thyreoidale Peroxidase (TPO-AK) und gegen Thyreoglobulin (Tg-AK) vorliegen. Der Schaden am Schilddrüsengewebe wird allerdings vermutlich eher durch CD+-Lymphozyten anstatt durch die Autoantikörper selbst verursacht. Andere mögliche Ursachen für sHT bei Älteren sind iatrogen. In diesem Zusammenhang sind zum Beispiel Medikamente zu nennen, welche mit der Absorption von LT4 wechselwirken, oder Substanzen, die möglicherweise das Schilddrüsengewebe schädigen, wie Betablocker, Interferon α, Interleukin
2, Lithium, Ethionamid, Tyrosinkinaseinhibitoren oder Thyreostatika. Anders als bei jüngeren ist bei älteren Patienten der Einfluss von sHT und einer LT4-Substitution auf das kardiovaskuläre System nicht eindeutig geklärt. Allerdings wurde in dieser Altersgruppe eine Assoziation zwischen TSH-Werten > 10 mIU/l und einem vermehrten Auftreten von prävalentem metabolischen Syndrom wie auch von Herzinsuffizienz beobachtet. Schilddrüsenhormone spielen auch eine Rolle bei verschiedenen metabolischen Prozessen wie Thermoregulation, Sauerstoffbedarf, Glukoseaufnahme, kontrainsulärer Aktivität, Cholesterinmobilisation oder LDL-Rezeptor-Expression (LDL = low-density lipoprotein) in der Leber. Gesichert ist zudem der Einfluss einer Schilddrüsenhomöostase auf die kognitive Entwicklung, nicht jedoch der Zusammenhang zwischen einer Schilddrüsenfehlfunktion, sei diese offenkundig oder subklinisch, bei Älteren und einer kognitiven Beeinträchtigung. Deshalb wären auch diesbezüglich künftig Langzeitstudien wünschenswert, die die ältere Bevölkerung und hier insbesondere auch Hochbetagte einschliessen.
Wann und wie behandeln?
Die Therapie der Wahl bei Schilddrüsenschwäche ist die Hormonersatztherapie, die bei HT und auch bei älteren Patienten bevorzugt mit LT4 erfolgen sollte. Die adäquate Behandlung führt hier zu einer Befreiung von Symptomen wie Fatigue, Obstipation, erhöhter Kälteempfindlichkeit, Muskelschwäche und Übergewicht. Auch hinsichtlich kognitiver und kardiovaskulärer Funktionen konnten unter LT4-Substitution Verbesserungen beobachtet werden. Grössere Vorsicht ist dagegen bei der Hormonbehandlung von älteren Patienten mit sHT geboten. Hier sollte eine Therapie erst bei TSHSpiegeln > 10 mIU/l (gemäss Leitlinien doppelt gemessen und bestätigt über 3 bis 6 Monate) erfolgen. Dieser Wert gilt als Schwelle, oberhalb derer das Gesundheitsrisiko durch die Schilddrüsenunterfunktion deutlich ansteigt. Allerdings sollte die Therapieentscheidung stets individuell erfolgen und sich an der zum Teil unspezifischen klinischen Symptomatik sowie am Vorliegen von weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren, von Gebrechlichkeit und anderen Komorbiditäten orientieren. Empfohlen wird zudem ein umfangreiches geriatrisches Assessment inklusive Labortests (fT3, fT4, TPO-AK, Tg-AK) und Ultraschallbildgebung sowie ausführlicher Medikamentenanamnese. Die Autoren des hier referierten Reviews schlagen das folgende therapeutische Vorgehen bei sHT vor: s Fitte ältere Patienten (65–75 Jahre) sollten bei TSH-Wer-
ten > 10 mIU/l eine Hormontherapie mit LT4 erhalten. Fitte Hochbetagte (75–85 Jahre) sollten bei Vorliegen eindeutiger Anzeichen und Symptome einer Schilddrüsenerkrankung nach sorgfältiger Evaluation kardiovaskulärer und kognitiver Komorbiditäten ebenfalls hormonbehandelt und anderenfalls zunächst beobachtet werden. s Für gebrechliche Patienten mit TSH-Werten > 10 mIU/l wird zunächst eine Wait-and-See-Strategie empfohlen. 65bis 75-Jährige mit tatsächlicher Schilddrüsenerkrankung, HT-Symptomen und/oder Komorbiditäten, welche sich durch leichte Schilddrüsendysfunktion verschlechtern können (z. B. Herzinsuffizienz), sollten hormonbehandelt werden.
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FORTBILDUNG
s Bei Serum-TSH-Werten zwischen 6 und 10 mIU/l sollte bei fitten Patienten mit Risikofaktoren für eine Krankheitsprogression (Schilddrüsenautoantikörper, Erkrankungszeichen im Ultraschall, weibliches Geschlecht) eine LT4-Therapie erfolgen; in Abwesenheit von Risikofaktoren wird eine Beobachtung unter 3- bis 6-monatlicher Kontrolle der Schilddrüsenfunktion empfohlen (Therapiebeginn bei TSH-Werten > 10 mIU/l).
s Für gebrechliche Patienten mit Serum-TSH-Werten zwischen 6 und 10 mIU/l ist zunächst ebenfalls die Strategie des Beobachtens das Vorgehen der Wahl. Bei Personen unter 75 Jahren sollte eine LT4-Substitution vermieden werden, solange im Laufe des Follow-up bei gleichzeitigem Vorliegen von möglicherweise durch leichte Schilddrüsendysfunktion negativ beeinflussten Komorbiditäten oder Vorliegen von positiven Schilddrüsenautoantikörpertitern die TSH-Werte nicht > 10 mIU/l steigen.
s Bei fitten unter 75-jährigen Patienten mit positiven Schilddrüsenautoantikörpertitern, HT-Symptomen und/oder möglicherweise durch leichte Schilddrüsendysfunktion negativ beeinflussten Komorbiditäten sollte ein Therapieversuch mit LT4-Substitution in Erwägung gezogen werden.
s Bei allen Patienten, die eine Hormonersatztherapie erhalten, sollte LT4, beginnend bei 0,3 bis 0,4 µg/kg/Tag, in 10- bis 15-Prozent-Schritten nach jeweils 6 bis 8 Wochen, wenn nötig, auftitriert werden (optimaler Zielwert gemäss internationalen Leitlinien: 2,5–3,5 mIU/l).
s Empfohlen wird, insbesondere bei Hochbetagten, ein regelmässiges Monitoring und Follow-up der Schilddrüsenfunktion, um die bekannten negativen Auswirkungen einer Überbehandlung auf das Herz-Kreislauf- wie auf das muskuloskelettale System zu vermeiden.
Für die Hormontherapie stehen verschiedene Formulierun-
gen von LT4 zur Verfügung, wobei die orale Darreichungs-
form als Tablette die meistverwendete darstellt und in Ab-
wesenheit von Schluckstörungen präferenziell zum Einsatz
kommen sollte. Unter Umständen sind im Sinne einer unge-
hinderten LT4-Absorption bestimmte Vorgaben hinsichtlich
bestimmter Nahrungsbestandteile und der gleichzeitigen Ein-
nahme anderer Medikamente zu beachten.
Eine kombinierte LT3/LT4-Therapie scheint laut Studien
keine Vorteile zu bringen und sollte gemäss der ETA-Guide-
line von 2012 nur bei Beschwerden, die trotz normaler TSH-
Werte unter Monotherapie anhalten, zum Einsatz kommen.
Bei älteren HT-Patienten indes, und speziell bei Hochbetag-
ten, wird die Kombinationstherapie aufgrund ihrer mögli-
chen Nachteile überhaupt nicht empfohlen.
s
Ralf Behrens
Quelle: Calsolaro V et al.: Overt and subclinical hypothyroidism in the elderly: when to treat? Front Endocrinol 2019; 10: 177.
Interessenlage: Die Autoren des referierten Originalreviews deklarieren keinerlei Interessenkonflikte.