Transkript
FORTBILDUNG
Vorhofflimmern – eine Übersicht
Neue Antithrombotika, neue Optionen zur Rhythmuskontrolle
Die Behandlung des Vorhofflimmerns hat sich in den vergangenen Jahren erheblich weiterentwickelt. Neue orale Antikoagulanzien stellen die breite Anwendung einer effektiven Thromboembolieprophylaxe in Aussicht. Mittels einer sorgfältigen Einschätzung des Schlaganfallrisikos können Patienten selektiert werden, die keiner antithrombotischen Therapie bedürfen. Und nicht zuletzt stehen neue medikamentöse und nicht medikamentöse Optionen zur Behandlung des Vorhofflimmerns zur Verfügung.
LANCET
Vorhofflimmern ist die häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung, und ihre Inzidenz und Prävalenz nehmen weiter zu. Die britische SAFE-Studie (Screening for Atrial Fibrillation in the Elderly) ergab eine Ausgangsprävalenz des Vorhofflimmerns von 7,2 Prozent bei Menschen ab 65 Jahren, wobei Männer (7,8%) und Menschen ab 75 Jahren (10,3%) häufiger betroffen waren. Die jährliche Inzidenz eines neu aufgetretenen Vorhofflimmerns lag bei 1,6 Prozent.
Merksätze
❖ Neue Substanzen ermöglichen einen breiteren Einsatz der oralen Antikoagulation. Dies dürfte die Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern verbessern.
❖ Eine umfassende Beurteilung von Risikofaktoren erlaubt es, diejenigen Patienten mit Vorhofflimmern zu identifizieren, die ein sehr geringes Schlaganfallrisiko haben (CHA2DS2-VAScScore = 0) und keine antithrombotische Therapie benötigen.
❖ Patienten mit einem oder mehreren Risikofaktoren (CHA2DS2VASc-Score ≥ 1) können mit oralen Antikoagulanzien behandelt werden.
❖ Neue Antiarrhythmika bieten zusätzliche Möglichkeiten der Rhythmuskontrolle bei Vorhofflimmern. Für Patienten, die eine Pharmakotherapie nicht vertragen, stehen nicht medikamentöse Optionen zur Therapie des Vorhofflimmerns zur Verfügung.
Viele Patienten sind asymptomatisch (stummes Vorhofflimmern). Manchmal wird die Herzrhythmusstörung erst diagnostiziert, wenn bereits eine Komplikation (z.B. ein Schlaganfall) eingetreten ist. Es konnte gezeigt werden, dass ein «opportunistisches Screening» auf Vorhofflimmern (Pulstasten durch den Hausarzt, um einen eventuell vorliegenden unregelmässigen Herzrhythmus zu erfassen) kostengünstiger ist als eine systematische Screeningstrategie.
Risikofaktoren Oft liegen bei Vorhofflimmern (AF, «atrial fibrillation») kardiovaskuläre Risikofaktoren vor, die ihrerseits das Risiko für AF-Komplikationen erhöhen. Zu den Risikofaktoren für Vorhofflimmern zählen kardiovaskuläre Faktoren wie Bluthochdruck, Herzinsuffizienz, Herzklappenerkrankungen, Diabetes mellitus und Gefässerkrankungen sowie nicht kardiovaskuläre Faktoren wie Thoraxerkrankungen und Infektionen. Die ARIC-Studie (Atherosclerosis Risk in Communities) ergab, dass ein neu aufgetretenes Vorhofflimmern zu 56,5 Prozent auf häufige kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Hypertonie, Adipositas, Diabetes mellitus und Rauchen zurückzuführen war. Zwar sind die genauen Mechanismen, die Vorhofflimmern auslösen, nicht bekannt, doch nimmt man an, dass verschiedene Faktoren dazu beitragen, beispielsweise die Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems, eine hämodynamische Belastung und strukturelle Veränderung der Vorhöfe, fokale Trigger, die ein paroxysmales Vorhofflimmern auslösen, sowie eine Vorhoffibrose, die Reentry-Störungen in persistierendes Vorhofflimmern übergehen lässt.
Initiale diagnostische Überlegungen Die Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) definieren das Vorhofflimmern als Herzrhythmusstörung mit folgenden Merkmalen: Das Oberflächen-EKG zeigt absolut unregelmässige RR-Intervalle, P-Wellen fehlen; die atriale Zykluslänge (das Intervall zwischen zwei Vorhofaktivierungen) ist, falls sichtbar, meist variabel und kürzer als 200 ms (> 300 Schläge pro Minute). Persistierendes Vorhofflimmern kann meist in einem 12Kanal-Standard-EKG nachgewiesen werden. Ein 24-Stunden-Holter-Monitoring kann bei Patienten mit paroxysmalem AF verwendet werden, und bei Patienten mit seltenen AF-Episoden ist ein Event-Loop-Recorder hilfreich. Bei AF liegen häufig weitere kardiale und nicht kardiale Begleiterkrankungen vor. Dies sollte je nach Anamnese und klinischer Untersuchung abgeklärt werden (bei Verdacht auf
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Tabelle 1:
CHA2DS2-VASc-Score
Merkmal
Punktzahl
Congestive heart failure/LV dysfunction (Herzinsuffizienz, LV-Dysfunktion)
1
Hypertension (Hypertonie)
1
Aged ≥ 75 years (Alter ≥ 75 Jahre)
2
Diabetes mellitus (Diabetes)
1
Stroke/TIA/Embolism (Schlaganfall/TIA/Thromboembolie)
2
Vascular disease (Gefässerkrankung: früherer Herzinfarkt, pAVK, aortale Plaques) Aged 65–74 years (Alter 65–74 Jahre)
1 1
Sex category (female) (weibliches Geschlecht)
1
Maximum Score
9
Schilddrüsenerkrankungen: laborchemische Untersuchung; strukturelle Herzerkrankung: Echokardiografie; intrathorakale Pathologie: Röntgen-Thorax). Die meisten Kardiologen führen bei neu aufgetretenem Vorhofflimmern eine transthorakale Echokardiografie durch.
Management Die Einteilung des Vorhofflimmerns in verschiedene klinische Subtypen kann helfen, Behandlungsziele zu definieren: ❖ Paroxysmales AF: Spontane Terminierung, meist inner-
halb von 48 Stunden. ❖ Persistierendes AF: Dauert entweder länger als 7 Tage oder
erfordert eine Kardioversion. ❖ Langanhaltendes persistierendes AF: Dauert länger als ein
Jahr, und es wird eine Methode der Rhythmuskontrolle angewandt. ❖ Permanentes AF: Die Rhythmusstörung wurde vom Patienten (und vom Arzt) akzeptiert, die Kardioversion war nicht erfolgreich oder erschien ungeeignet.
Das Management von Patienten mit Vorhofflimmern sollte sich stark an der Symptomatik, am Vorliegen oder Fehlen hämodynamischer Einschränkungen sowie an assoziierten Begleiterkrankungen orientieren.
Schlaganfallprävention Vorhofflimmern ist ein unabhängiger Risikofaktor für Schlaganfall und Thromboembolien. Obwohl Vorhofflimmern das Schlaganfallrisiko fünffach erhöht, ist dieses Risiko nicht homogen und ändert sich kumulativ, wenn Schlaganfallrisikofaktoren vorliegen. Diese Risikofaktoren waren Grundlage für die Entwicklung verschiedener Risikostratifikationssysteme. Üblicherweise wurden Patienten trotz des Risikokontinuums in Gruppen mit niedrigem, mässigem oder hohem Risiko eingeteilt. Im Allgemeinen empfehlen Therapieleitlinien für Patienten mit hohem Risiko eine orale Antikoagulation, für Patienten mit moderatem Risiko eine orale Antikoagulation oder ASS (Azetylsalizylsäure) und für Patienten mit niedrigem Risiko ASS. Der zur oralen Antikoagulation bisher in bestimmten Ländern eingesetzte Vitamin-K-Antagonist Warfarin weist eine
ausgeprägte Variabilität der wirksamen Dosis auf, mit der ein enger therapeutischer Bereich zu erreichen ist (International Normalised Ratio, INR: 2–3), deshalb sind regelmässige Kontrollen der Gerinnungswerte erforderlich. Angesichts neuer oraler Antikoagulanzien, mit denen sich die Limitationen von Warfarin überwinden lassen, und angesichts neuer Erkenntnisse über Schlaganfallrisikofaktoren ist man dazu übergegangen, AF-Patienten mit wirklich niedrigem Risiko («truly low-risk patient with atrial fibrillation») zu identifizieren, die möglicherweise keine antithrombotische Therapie benötigen. Ein CHA2DS2-VASc-Score (Tabelle 1) von 0 bedeutet, dass ein «wirklich niedriges» Schlaganfallrisiko vorliegt und auf eine antithrombotische Therapie verzichtet werden kann. Patienten mit einem oder mehreren Risikofaktoren (CHA2DS2-VASc-Score ≥ 1) könnten eine orale Antikoagulation erhalten, entweder mit gut kontrolliertem Warfarin (therapeutische INR-Werte) oder mit einem neuen oralen Antikoagulans. Doch muss bei der Therapieentscheidung auch das Blutungsrisiko des Patienten berücksichtigt werden. Zur Einschätzung des Blutungsrisikos vor Beginn einer Antikoagulation kann der HAS-BLED-Score herangezogen werden, der folgende Faktoren berücksichtigt: ❖ unkontrollierte Hypertonie ❖ abnorme Nieren-/Leberfunktion ❖ Schlaganfall ❖ Blutungsneigung/stattgehabte Blutung ❖ instabiler INR-Wert ❖ Alter > 65 Jahre ❖ Drogen- oder Alkoholkonsum.
Thromboembolieprophylaxe bei Vorhofflimmern In einer Studie senkte die angepasste Warfarindosis im Vergleich zu Plazebo das Schlaganfallrisiko um 64 Prozent (95%-Konfidenzintervall [KI] 49–74) und die Gesamtmortalität um 26 Prozent (95%-KI 3–43). In einer Kohorte von Medicare-Patienten nahm der Einsatz von Warfarin in den Jahren von 1992 bis 2002 zu, was die Inzidenz ischämischer Schlaganfälle in diesem Zeitraum erheblich senkte, nicht jedoch die Rate an hämorrhagischen Schlaganfällen. Im Gegensatz dazu wird der Nutzen der ASS-Gabe bei Vorhofflimmern kontrovers diskutiert. In einer Metaanalyse führten Plättchenhemmer im Vergleich zur Kontrolle zu einer Reduktion von Schlaganfällen um 22 Prozent. Wurden in der Analyse nur Studien mit ASS berücksichtigt, ergab sich eine um 19 Prozent (nicht signifikant) verminderte Schlaganfallinzidenz. Bei den neuen oralen Antikoagulanzien handelt es sich um orale direkte Thrombininhibitoren und um orale Faktor-XaInhibitoren. In einem direkten Vergleich des oralen direkten Thrombininhibitors Dabigatran (150 mg oder 110 mg zweimal täglich) mit Warfarin reduzierte Dabigatran in der 150-mg-Dosis die Schlaganfallrate effektiver als Warfarin, wobei das Blutungsrisiko ähnlich war. Die 110-mg-Dosis war Warfarin hinsichtlich der Wirksamkeit nicht unterlegen, ging aber mit einem signifikant geringeren Blutungsrisiko einher. Hirnblutungen waren unter beiden Dabigatrandosen signifikant seltener als unter Warfarin. In einer Studie erhielten Patienten, die nicht mit Warfarin behandelt werden konnten oder wollten, entweder den oralen Faktor-Xa-Inhibitor Apixaban oder ASS (81–325 mg). Diese
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Tabelle 2:
Frequenzkontrolle oder Rhythmuskontrolle, je nach Patientenmerkmalen
Frequenzkontrolle ❖ Alter > 65 Jahre ❖ keine Herzinsuffizienz ❖ Versagen von oder Kontraindikationen gegenüber Antiarrhythmika ❖ Hypertonie ❖ Patientenpräferenz ❖ koronare Herzkrankheit ❖ für Kardioversion ungeeignet
Rhythmuskontrolle ❖ symptomatische Patienten ❖ Alter < 65 Jahre ❖ neu diagnostiziertes, idiopathisches Vorhofflimmern ❖ keine Hypertonie ❖ durch Vorhofflimmern getriggerte Herzinsuffizienz ❖ kein früheres Versagen von Antiarrhythmika ❖ Patientenpräferenz ❖ sekundäres Vorhofflimmern, auf der Basis einer behandelten/
korrigierten Störung
Studie wurde vorzeitig abgebrochen, weil Apixaban hinsichtlich der Schlaganfallprävention überlegen war und sich die Raten für grössere Blutungen (einschliesslich Hirnblutungen) in den beiden Behandlungsgruppen nicht signifikant unterschieden. Darüber hinaus wurde ASS signifikant schlechter vertragen, was sich auf die Rate an Therapieabbrüchen niederschlug. Der orale Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban war in einer Doppelblindstudie dem Warfarin hinsichtlich Wirksamkeit (Reduktion von Schlaganfällen und systemischen Embolien) nicht unterlegen und führte zu signifikant weniger Hirnblutungen als Warfarin.
Frequenz- und Rhythmuskontrolle Initialbehandlung bei Vorhofflimmern Bei Patienten mit neu diagnostiziertem AF besteht das kurzfristige Behandlungsziel darin, ihre Symptome mit einer Frequenz- oder Rhythmuskontrolle zu behandeln. Wenn es die klinische Situation erlaubt, sollte zunächst untersucht werden, welche Ursachen dem Vorhofflimmern zugrunde liegen. Anschliessend sollte die Ventrikelfrequenz kontrolliert werden, um den hämodynamischen Status und die Symptomatik zu verbessern. Welche Medikamente zur Kontrolle der Kammerfrequenz eingesetzt werden, hängt davon ab, ob eine Präexzitation besteht (z.B. bei Wolff-Parkinson-White-Syndrom [WPW] oder Herzinsuffizienz), ob der Patient ausgeprägte Symptome oder Komorbiditäten aufweist und ob die Hämodynamik beeinträchtigt ist. AF-Patienten mit Präexzitation aufgrund eines WPW sollten initial ein Antiarrhythmikum der Klasse I wie Procainamid oder Flecainid oder aber das Klasse-IIIAntiarrhythmikum Ibutilid erhalten. Bei Patienten mit
dekompensierter Herzinsuffizienz eignet sich Digoxin besser als ein Betablocker oder ein Non-Dihydropyridin-Kalziumkanalblocker, weil dadurch eine weitere Verschlechterung der Hämodynamik vermieden werden kann. Amiodaron intravenös ist bei schwerkranken Patienten mit ausgeprägter Herzinsuffizienz oder Hypotonie eine sichere und effektive Alternative, wenn andere Medikamente zur Kontrolle der Kammerfrequenz unwirksam oder kontraindiziert sind. Bei Patienten mit stabilem Vorhofflimmern und schneller Ventrikelfrequenz sollte als initiales Ziel eine Ruheherzfrequenz von weniger als 100 Schlägen pro Minute mit der Gabe von Verapamil und Diltiazem, Betablockern und Digoxin (intravenös oder oral appliziert) erreicht werden.
Kardioversion des Vorhofflimmerns Bei bis zu 50 Prozent der Patienten mit neu aufgetretenem Vorhofflimmern stellt sich spontan wieder ein Sinusrhythmus ein. Ist dies nicht der Fall, kann eine pharmakologische oder elektrische Kardioversion in Betracht gezogen werden, vor allem, wenn der Patient trotz Kontrolle der Kammerfrequenz symptomatisch bleibt. Die elektrische Kardioversion ist oft schneller und effektiver als die pharmakologische Kardioversion, doch ist für die Intervention eine Sedierung oder Anästhesie erforderlich, und es kann zu Hautverbrennungen kommen. Besteht das Vorhofflimmern seit weniger als sieben Tagen, kann die orale oder intravenöse Gabe von Antiarrhythmika der Klassen Ic (Flecainid oder Propafenon) oder III (Amiodaron, Ibutilid, Dofetilid) oder die vorhofselektive Substanz Vernakalant bei 34 bis 95 Prozent der Patienten innerhalb von 24 Stunden einen Sinusrhythmus wiederherstellen. Wenn das Vorhofflimmern bereits länger als sieben Tage andauert, sprechen nur 15 bis 40 Prozent der Patienten auf eine alleinige medikamentöse Kardioversion an. Bei dieser Patientengruppe ist daher eher eine elektrische Kardioversion notwendig. Bei Patienten mit struktureller Herzerkrankung wie koronare Herzkrankheit oder beeinträchtigte linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) sind Antiarrhythmika der Klasse I (einschliesslich Flecainid und Propafenon) kontraindiziert, weil sie proarrhythmogen wirken können. Bei selektierten Patienten ohne strukturelle Herzerkrankung, aber mit seltenen Episoden eines symptomatischen, hämodynamisch stabilen Vorhofflimmerns ist das sogenannte «Pill-in-thepocket»-Vorgehen eine sichere und effektive Methode der Selbstkonversion in einen Sinusrhythmus (orale Gabe von Flecainid oder Propafenon). Gleichzeitig sollten AV-blockierende Substanzen gegeben werden, denn Flecainid oder Propafenon können Vorhofflimmern in Vorhofflattern mit schnellen Kammerfrequenzen konvertieren. Vernakalant ist ein Vertreter einer neuen Antiarrhythmikaklasse. Vernakalant blockiert unter anderem Kaliumkanäle, die vor allem in den Vorhöfen exprimiert werden. Seine Wirksamkeit hinsichtlich einer Konversion von Vorhofflattern und von Vorhofflimmern, das länger als sieben Tage besteht, ist jedoch eingeschränkt. In einer Studie, in der Vernakalant beziehungsweise Amiodaron bei Vorhofflimmern intravenös verabreicht wurde, erwies sich Vernakalant hinsichtlich einer raschen Kardioversion gegenüber Amiodaron als überlegen. Doch sind bei Vernakalant
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diverse Kontraindikationen wie Hypotonie, schwere Herzinsuffizienz, signfikante Herzklappenerkrankungen, verlängertes QT-Intervall und Bradykardie zu beachten. Sind bei AF-Patienten unter einer Frequenzkontrolle andere Ergebnisse zu erwarten als unter einer Rhythmuskontrolle? In randomisierten Studien konnten keine Unterschiede der Gesamt- und kardiovaskulären Mortalität sowie der Schlaganfallrate gezeigt werden, auch nicht bei Patienten mit Herzinsuffizienz und einer LVEF unter 35 Prozent. Die Teilnehmer dieser Studien waren in der Regel ältere Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen und nur wenigen Symptomen. Auf der Basis dieser Befunde empfehlen Leitlinien, dass bei bestimmten Patientensubgruppen initial eine Frequenzkontrolle angestrebt werden soll, während eine Rhythmuskontrolle für Patienten geeignet ist, bei denen die Aufrechterhaltung eines Sinusrhythmus Erfolg verspricht (Tabelle 2).
Aufrechterhalten des Sinusrhythmus Klinische Leitlinien empfehlen bei Patienten mit idiopathischem Vorhofflimmern oder minimaler struktureller Herzkrankheit Flecainid, Propafenon oder Sotalol als Mittel erster Wahl. Amiodaron bleibt Patienten mit Herzinsuffizienz oder signifikanter linksventrikulärer Hypertrophie vorbehalten. Als Medikament zweiter Wahl kann Amiodaron bei Patienten eingesetzt werden, die auf andere Antiarrhythmika nicht angesprochen haben. Amiodaron kann zu ernsten extrakardialen Nebenwirkungen führen. Das Antiarrhythmikum Dronedaron ist ein Amiodarinderivat, das bei AFPatienten mit und ohne Herzerkrankungen eingesetzt werden kann. Bei schwerer Nierenfunktionsstörung sollte Dronedaron nicht verordnet werden. Unter der Behandlung mit Dronedaron sollten die Leberwerte regelmässig kontrolliert werden.
Nicht medikamentöse Behandlungsoptionen bei Vorhofflimmern Versorgung mit einem Herzschrittmacher Wenn AF-Patienten auf AV-blockierende Substanzen zur Kontrolle der Kammerfrequenz nicht ansprechen, kann eine Ablation des AV-Knotens mit Implantation eines permanenten Schrittmachers die Symptome des Patienten und seine Lebensqualität bessern. Nach AV-Knoten-Ablation kann eine biventrikuläre Schrittmacherversorgung speziell bei Patienten mit beeinträchtigter LVEF besser sein als eine Schrittmacherversorgung des rechten Ventrikels, um einer Verschlechterung der Herzfunktion vorzubeugen.
klinischen Erfolgen. Bei persistierendem Vorhofflimmern sind die Erfolgsraten der Katheterablation selbst mit aufwendigeren Methoden nicht so hoch (22–56%). Verschiedene Studien haben ergeben, dass die Katheterablation effektiver ist als die medikamentöse Behandlung mit Antiarrhythmika, wenn es darum geht, einen Sinusrhythmus aufrechtzuerhalten – insbesondere bei Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern, die auf eine initiale Behandlung mit Antiarrhythmika nicht ansprachen. Darüber hinaus war eine erfolgreiche Katheterablation des Vorhofflimmerns mit aufrechterhaltenem Sinusrhythmus mit einer verbesserten Symptomatik und Lebensqualität assoziiert. Allerdings ist die Katheterablation eine komplexe Intervention, die entsprechend erfahrene Operateure und eine gute technologische Ausstattung verlangt.
Verschluss des linken Herzohrs
Bei vielen Patienten mit Vorhofflimmern bilden sich Throm-
ben im linken Herzohr. Dieses «Anhängsel» des linken
Vorhofs kann operativ durch Exzision, Ligatur, Naht oder
Klammerung vom systemischen Kreislauf ausgeschlossen
werden. Leitlinien stützen die Ligatur des linken Herzohrs als
zusätzliche Massnahme im Rahmen eines operativen Ein-
griffs an der Mitralklappe. In einer randomisierten Studie mit
AF-Patienten wurde der perkutane Verschluss des linken
Herzohrs mit der Warfarintherapie verglichen. Dabei konnte
die Nichtunterlegenheit des Herzohrverschlusses nachgewie-
sen werden; allerdings kam es nach der Intervention bei
5 Prozent der Patienten zu einem behandlungsbedürftigen
Perikarderguss.
❖
Andrea Wülker
Gregory YH Lip et al.: Atrial fibrillation. Lancet 2012; 379: 648–661.
Interessenlage: Die Autoren geben an, für verschiedene pharmazeutische Unternehmen als Berater oder Referent tätig zu sein bzw. von bestimmten Pharmaunternehmen Forschungsstipendien erhalten zu haben. Zwei der Autoren waren an der Erstellung von Leitlinien zum Vorhofflimmern beteiligt.
Katheterablation Ziel der Katheterablation bei Vorhofflimmern ist es, die auslösenden Faktoren beziehungsweise die Grundlage der Störung auszuschalten, um einen Sinusrhythmus aufrechtzuerhalten. Bei Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern waren die meisten Trigger in oder um die Pulmonalvenen und nur in etwa zehn Prozent an der Hinterwand des linken Vorhofs oder an anderen Stellen lokalisiert. Deshalb wird bei paroxysmalem Vorhofflimmern im Rahmen der Katheterablation in erster Linie eine elektrische Isolation der Pulmonalvenen mit Hilfe verschiedener Energiequellen durchgeführt. Bei 64 bis 71 Prozent der Patienten führt dies zu
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