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Genderspezifische Nachwuchsförderung in der Medizin: eine «Roadmap»
Seit einiger Zeit spricht man von einer «Feminisierung» der Medizin: Mehr Frauen als Männer studieren Medizin, und der Frauenanteil an der Gesamtzahl berufstätiger Ärzte und Ärztinnen ist von 1 Prozent im Jahr 1960 auf heute 32 Prozent gestiegen. Die Frauen verteilen sich aber ganz unterschiedlich auf die verschiedenen Fachdisziplinen, und sie erreichen offensichtlich nach wie vor seltener Leitungspositionen in einer Klinik oder Universität.
Anita Riecher1, Anne von Gunten2 und Regine Landmann3
Die Förderung von Frauen auf dem Weg zur Chefärztin oder Professorin am Beispiel der Universitätskliniken Basel
1868 immatrikulierte sich die erste Schweizerin, Marie Vögtlin, in Zürich für ein Medizinstudium. Nur wenige Jahre zuvor hatte sich Europas erste Frau in Paris für Medizin eingeschrieben.
«Feminisierung der Medizin»? Inzwischen liegt der Anteil der weiblichen Medizinstudenten in der Schweiz höher als jener der männlichen (Abbildung 1): Von 1980 bis 2006 nahm er von 30 Prozent auf 57 Prozent zu, bei gleichbleibender Gesamtzahl an Medizinstudenten. Bezüglich der Anzahl berufstätiger Ärztinnen liegen Zahlen seit 1960 vor: Hier zeigt sich bei einer gleichzeitig starken Zunahme der Gesamtzahl berufstätiger Ärzte eine Steigerung des Frauenanteils von 1 Prozent im Jahr 1960 auf 32 Prozent im Jahre 2007 (Abbildung 2). Zum Teil wird die Angst geäussert, durch die «Feminisierung» werde die Medizin an Status, Macht und Einkommen verlieren. Tatsächlich wurde in verschiedenen Ländern gezeigt, dass der Frauenanteil eines Berufsstandes mit Status und Einkommen umgekehrt korreliert. Allerdings wurde die Kausalität des Zusammenhangs bisher nicht richtig untersucht: Ziehen sich
1 Anita Riecher ist Ordinaria für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Basel und Chefärztin der Psychiatrischen Poliklinik des Universitätsspitals Basel. Sie ist Präsidentin der interdisziplinären Gesellschaft für die psychische Gesundheit von Frauen und Genderfragen (gpgf) und der Section of Women's Mental Health der European Psychiatric Association (EPA).
2 Anne von Gunten ist Forschungsassistentin und Doktorandin an der Pädagogischen Hochschule Bern; ausserdem ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und Koordinatorin des Mentoring-Programmes FRAME PLUS am Departement für Lehre und Forschung der Universitätskliniken Basel.
3 Regine Landmann ist Titularprofessorin für Experimentelle Medizin, leitet die Forschungsgruppe Infektionsbiologie am Departement Biomedizin des Universitätsspitals Basel und ist Präsidentin der Gleichstellungskommission der Medizinischen Fakultät.
Die Gleichstellungskommission der Medizinischen Fakultät der Universität Basel verfolgt auf drei Ebenen Massnahmen zur Förderung von Frauen bezüglich ihrer medizinischen und akademischen Karriere:
1. Seit 2004 läuft an den Universitätskliniken Basel ein One-to-one-Mentoringprogramm für Nachwuchsmedizinerinnen, die eine Professur oder Chefärztinnen-Funktion anstreben. Inzwischen durchliefen 65 Mentees, wovon 29 Oberärztinnen, das Programm, 9 unter ihnen habilitierten. Die Ergebnisse der 1. Runde sind in der «Schweizerischen Ärztezeitung» publiziert (2006; Nr. 44: 1901 f.). Sowohl MentorInnen als auch Mentees sprachen sich positiv über die Wirkung des Mentorings aus. Die Mentees konnten karriere- und fachspezifisch unterstützt werden.
2. Die Gleichstellungskommission arbeitet darauf hin, durch Flexibilisierung der Anstellungsverhältnisse auf Oberarztstufe eine Erhöhung des Frauenanteils in Kaderpositionen an den Universitätskliniken zu erreichen. Diese Qualifikationsstufe hat sich für Frauen als heikle Phase herausgestellt, in der sie sich, falls sie Kinder haben, häufig gegen eine weiterführende Karriere entscheiden, weil sie zur Zeit der Kleinkinderbetreuung kein Vollzeitpensum im Spital schaffen. Dabei soll von den institutionellen Voraussetzungen im Spital mit der Forderung nach einer optimalen Patientenbetreuung ausgegangen werden. Einzellösungen sind nicht erstrebenswert. Betroffene Nachwuchskräfte sollen keine «Einzelkämpferinnen» bleiben, und im Interesse der Spitäler darf nicht wiederholt Energie für das Aushandeln von «Sonderlösungen» verloren gehen.
3. Informationsveranstaltungen für Studierende: Wiederholt wurde — finanziert durch das Bundesprogramm Chancengleichheit — eine Vorlesung zum Thema «Karriereplanung für Frauen im Medizinstudium» angeboten. 2004 wurde diese Veranstaltung abgelöst durch einen Laufbahnworkshop, an welchem sich Studierende im 6. Jahr über die genderspezifischen Herausforderungen einer Medizinkarriere und über Fragen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie aktiv informieren können. Insbesondere stehen den Studierenden «Rollenmodelle» aus verschiedenen Fachbereichen für Fragen zur Verfügung.
Männer aus Berufen zurück, wenn diese weniger gut bezahlt werden (Einkommensverluste der Ärzte), oder werden Berufe weniger gut bezahlt, wenn sie einen höheren Frauenanteil haben? Die «Feminisierung der Medizin» ist jedoch nicht für alle Fächer gleichermassen feststellbar. Zwar ist inzwischen (2007) der Anteil der Schweizer Pädiaterinnen auf 47 Prozent gestiegen (41% in einer Praxis, 52% im Spital), der Anteil der Chirurginnen ist jedoch mit 9 Prozent nach wie vor sehr niedrig (2007: 5% in einer Praxis, 14% im Spital). Auch tritt diese «Feminisierung» nicht auf allen Karrierestufen ein. Leitende Positionen und universitäre Positionen werden nach wie vor hauptsächlich an Männer vergeben. So sind etwa an den Basler Universitätsspitälern im Jahr 2008 55 Prozent der Assistenzärzte weiblich, aber nur 38 Prozent der Oberärzte und 17 Prozent der Leitenden Ärzte. Ende 2007 waren an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel weib-
lich: 16 Prozent aller Privatdozenten, 14 Prozent aller Titular- und Assistenzprofessoren, 10 Prozent aller Extraordinariate und 6 Prozent (2 von 35) aller Ordinariate. Zurzeit (10/08) gibt es nur noch 1 von einer Frau besetztes Ordinariat. Im Vergleich dazu liegt der Frauenanteil derzeit bei den Professuren der gesamten Basler Universität bei 15 Prozent. Ähnlich sieht die Verteilung in anderen Ländern aus. In Deutschland etwa waren im Jahr 2006 63 Prozent aller Medizinstudienanfänger weiblich und 40 Prozent aller berufstätigen Ärzte, aber nur 11 beziehungsweise 12 Prozent aller Leitenden Ärzte und Professoren. Warum gibt es diesen «Glass-Ceiling»-(«gläserne Decke»)-Effekt?
Karrierewünsche und -pläne von Medizinstudienabgängerinnen Verschiedene Untersuchungen, unter anderem von Buddeberg-Fischer et al. aus der Schweiz, zeigen, dass es bei Medizinstudenten zwar keine
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Frauen
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Abbildung 1: Anzahl Studierende der Humanmedizin 1980—2006
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Abbildung 2: Anzahl berufstätige Ärztinnen und Ärzte 1960—2007
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Geschlechtsunterschiede bezüglich Karrierewünschen gibt, dass sich aber schon kurz vor Studienabschluss die Vorstellungen über die berufliche Laufbahn deutlich unterscheiden. Zwar wünscht sich die Mehrzahl aller Studienabgänger — Männer wie Frauen — eine gute Vereinbarkeit des Berufes mit der Familie; während Frauen jedoch die Familie priorisieren, lassen sich Männer dadurch in ihrer Karriereplanung weniger behindern. Frauen geben signifikant häufiger an, Wert auf eine kurze Ausbildungsdauer und auf die Überschaubarkeit des Fachgebiets zu legen. Während für Männer bei der Wahl des Fachgebiets die Möglichkeit der Forschungstätigkeit, hohes Einkommen und hohes Ansehen sowie eine technisch-apparative Tätigkeit wichtig sind, legen Frauen signifikant mehr Wert auf intensiven Patientenkontakt, auf die Vereinbarkeit mit der Familie und signifikant weniger Wert auf berufliche Aufstiegsmöglichkeiten. Auch zeigen die männlichen Studienabgänger ein signifikant höheres Selbstwertgefühl als die weiblichen und beschreiben sich als handlungsorientierter, während die weiblichen Studienabgängerinnen sich eher als gefühlsorientiert beschreiben. Entsprechend wählen die angehenden Ärztinnen dann auch Fachgebiete, in denen beziehungsorientierte Aspekte der ärztlichen Tätigkeit eine grössere Rolle spielen, während angehende Ärzte eher handlungsorientierte Disziplinen bevorzugen.
Traditionelles Geschlechtsrollenverhalten und Geschlechtsrollenzuschreibung Eines der Karrierehindernisse für Frauen scheinen also die Wünsche beziehungsweise die Planungen der Frauen selbst zu sein beziehungsweise ihr traditionelles Geschlechtsrollenverhalten. Frauen definieren sich immer noch als hauptsächlich zuständig für Kinder, Familie und Haushalt, während Männer ihre Karriere an die erste Stelle setzen. Hier handelt es sich offensichtlich um tief verankerte Denk- und Verhaltensmuster mit vielfältigen, nicht zuletzt auch gesellschaftlichen Wurzeln. Noch immer gilt
Karriereorientiertheit als männlich, das heisst, sie wertet einen Mann auf, während Frauen bei karriereorientiertem Verhalten eher ambivalent bis kritisch betrachtet werden. Nicht nur die Frauen selbst, sondern auch ihr Umfeld und nicht zuletzt ihre (potenziellen) Vorgesetzten schreiben Frauen oft andere Rollen zu als Männern. So zeigen soziologische Untersuchungen, dass es in unserer Gesellschaft nach wie vor gewisse Bilder von und Erwartungen an Frauen gibt, sogenannte Stereotype. Danach werden Frauen als eher abhängig, anlehnungsbedürftig, emotional verständnisvoll, sanft, warmherzig, fürsorglich, gesprächig und expressiv gesehen, Männer dagegen als eher unabhängig, dominant, selbstsicher, ehrgeizig, zielstrebig, rational, willensstark, überlegen und «instrumentell» orientiert. Männern werden also genau diese Eigenschaften zugeschrieben, die allgemein auch von Führungspersönlichkeiten erwartet werden. Frauen kommen dadurch beruflich teilweise in eine Double-Bind-Situation: Verhalten sie sich entsprechend dem weiblichen Stereotyp, werden sie als schwach und führungsunfähig abgewertet, verhalten sie sich entsprechend dein männlichen Stereotyp, so werden sie als hart und unweiblich kritisiert, was ihnen nicht nur bezüglich ihrer Karriere zum Nachteil ausgelegt werden kann.
«Kosten» der Karriere Frauen mussten bisher tatsächlich auch mit hohen persönlichen «Kosten» rechnen, wenn sie eine Karriere anstrebten. So zeigte eine Schweizer Untersuchung von 2001, dass 50 Prozent aller weiblichen Angehörigen der Professorenschaft und des oberen Mittelbaus an Medizinischen Fakultäten unverheiratet waren, während dies bei Männern nur 10 Prozent waren. 25 Prozent der Frauen, dagegen nur 10 Prozent der entsprechenden Männer, lebten allein. Die meisten Frauen hatten keine Kinder oder höchstens eines. Die berufliche Karriere von Frauen läuft häufig nicht ohne Unterbrechungen durch Schwanger-
schaft und Kinderbetreuung und mit längeren Zeiten in Teilzeitstellen. Auch wenn Mütter wieder voll arbeiten, sind sie häufig durch die gleichzeitige Verantwortung für Kinder, Familie, Haushalt und so weiter deutlich stärker mehrfach belastet als Väter. Im Jahr 2001 beispielsweise haben in der Bundesrepublik Deutschland, wo auch Männer bezahlte Erziehungszeiten bekommen können, nur 9 Ärzte von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, im Vergleich zu 950 Ärztinnen. Frauen In der Familienphase sind aufgrund der oben genannten Problematik zum Teil nicht so flexibel einsetzbar wie Männer und auch nicht «150-prozentig», wie das an unseren Universitäten immer noch erforderlich ist, wenn man neben der Klinik auch noch forschen und sich habilitieren will. Hinzu kommt, dass sie — wie Untersuchungen zeigen — tatsächlich mehr Zeit mit Patientenbetreuung verbringen als ihre männlichen Kollegen. Sowohl für Frauen als auch für Männer in der Familienphase, das heisst (angehende) Mütter und Väter, gibt es auch starke strukturelle Hindernisse, wenn sie Karriere mit Familie vereinbaren wollen. Allen voran sind dies fehlende Teilzeitstellen, sowohl für Frauen als auch für Männer, und zwar auf allen hierarchischen Ebenen in Klinik und Forschung. Gefragt wären flexible Kinderbetreuungsmöglichkeiten sowie eine frühe Beratung über die praktischen Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Kind(ern) und Karriere. Nicht zuletzt fehlen diesbezüglich auch Rollenvorbilder. Als strukturelles Hindernis wirkt möglicherweise auch die Untervertretung von Frauen in Gremien. So sind unter anderem Forschungsgremien, die über Drittmittelvergaben entscheiden, überwiegend mit Männern besetzt. Welchen Einfluss diese Geschlechterzusammensetzung auf die Beurteilung von Anträgen und Publikationen hat, ist noch nicht untersucht worden. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass Frauen signifikant besser und mehr publizieren müssen, um gute Einschätzungen und Stipendien zu erhalten (Nature, 1997).
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Bisherige Frauenförderung — eine kritische Würdigung An Schweizer Universitäten und auch an Medizinischen Fakultäten gibt es zahlreiche Initiativen zur Frauenförderung und zur Gleichstellung der Geschlechter. So wurde 2006 das Chancengleichheitsanliegen als Merkmal in die Qualitätssicherungsrichtlinien der Schweizerischen Universitätskonferenz aufgenommen und eine Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten an Schweizer Universitäten etabliert. Der Schweizerische Nationalfonds hat die Umsetzung der Gleichstellung der Geschlechter nicht nur als eine zentrale Aufgabe definiert, sondern auch eine Studie zur Überprüfung der konkreten Umsetzung in Auftrag gegeben. Er hat verschiedene Förderprogramme speziell für Frauen aufgelegt, etwa das Marie-Heim-Vögtlin-Programm, und er hat bei Förderprogrammen die Altersgrenzen für Frauen aufgehoben. Insbesondere betont der Nationalfonds die Bedeutung der Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Karriere beziehungsweise Beruf und Familie für Frauen und Männer und regt Modelle wie Möglichkeit zu Heimarbeit, Teilzeitstellen auf allen Hierarchiestufen, flexible Arbeitszeiten, Jobsharing und so weiter an. In der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften stieg der Frauenanteil im Senat zwischen 1988 und 2008 von 0 Prozent auf 16 Prozent. An verschiedenen Medizinischen Fakultäten existieren Mentoringprogramme für Assistierende ebenso wie Teilzeitarbeitsprojekte. Auch während des Studiums wird zum Teil schon für die Thematik sensibilisiert. Als Beispiel zeigt der Kasten Massnahmen zur Förderung von Frauen auf dem Weg zur Chefärztin oder Professorin an den Universitätskliniken Basel.
Anregungen zur genderspezifischen Nachwuchsförderung Massnahmen sollten früh einsetzen, und sie dürfen nicht nur die strukturellen Hindernisse umfassen, sondern auch einen breiten Diskurs aller anderen oben genannten potenziellen Einflussfaktoren. Folgende Massnahmen sollten initiiert oder ausgebaut werden: 1. Frühe Informationsveranstaltungen zu gen-
derspezifischen Problemen in der Medizinerkarriere sind wichtig. Viele Medizinerinnen nehmen Ungleichheiten im Berufsleben erst wahr, wenn sie sich um Kaderstellen bewerben und hier an die «gläserne Decke» stossen. Eine frühe Auseinandersetzung mit der Thematik erlaubt eine zielgerichtete, bewusste Planung der eigenen Karriere unter Berücksichtigung der persönlichen Wünsche. 2. Um die Vereinbarkeit von Familie und Karriere zu verbessern, sollten Teilzeitstellen für Männer und Frauen auf allen Hierarchieebenen angeboten und die Arbeitszeiten flexibilisiert werden. Neben Mutterschafts- sollte auch Vaterschaftsurlaub unterstützt werden mit Förderung eines frühzeitigen Wiedereinstiegs.
Auch die Flexibilität des Arbeitsplatzes mit teilweiser Erledigung von schriftlichen Arbeiten zu Hause sollte bei jungen Müttern und Vätern kein Tabuthema sein. 3. In Universitäts- und grösseren Spitälern sollten institutionseigene Kinderkrippen und Angebote für Kindergartenschüler und Schüler zur «Nachschulzeit»-Betreuung geschaffen werden. Öffnungszeiten sollten sich nach den Arbeitsabläufen in Spitälern richten. Wochenweise Arbeit oder unvorhersehbare Verlängerungen der Arbeitszeit durch Notfälle müssten institutionell aufgefangen werden können. 4. Altersgrenzen bei der Vergabe von Stipendien, bei Habilitationen, Berufungen und so weiter sollten hinterfragt werden — nicht nur für Mütter, sondern auch für Väter. 5. Gleichstellungskommissionen werden in naher Zukunft für die Weiterentwicklung von genderspezifischen Nachwuchsförderungsprogrammen und institutionellen Umstrukturierungen wichtig bleiben. In solchen Gremien sollten Vertreter und Vetreterinnen der obersten Hierarchiestufen Einsitz haben, damit die Entscheidungen und Aktivitäten Gewicht erhalten. Massnahmen im Zusammenhang mit Gleichstellungsanliegen sollten nicht über einen längeren Zeitraum an eine bestimmte Person, sondern breit an verschiedene Vertreter und Vertreterinnen der Fakultät und der Spitäler delegiert werden. Gleichstellungsanliegen sollten von Personen vertreten werden, welche fachlich anerkannt sind und sich nur «nebenamtlich» für Gleichstellungsanliegen einsetzen. Hierfür bieten sich Rotationsverfahren an. Diese lassen die Öffentlichkeit Gleichstellungsanliegen immer wieder mit anderen, möglichst etablierten Medizinern und Medizinerinnen in Verbindung bringen und verhindern, dass die fachliche Kompetenz des jeweiligen Kommissionsmitglieds von Gleichstellungsanliegen «überlagert» wird. 6. Parallel zu den Aktivitäten in speziellen Gremien sollten wichtige Vorgaben zur gendergerechten Nachwuchsförderung in Leitlinien, Statuten und so weiter verbindlich verankert werden. So kann Geschlechterparität in wichtigen Ausschüssen wie Habilitations- und Berufungskommissionen reglementarisch festgelegt werden. 7. In den Medizinischen Fakultäten sollte über die funktionelle Aufteilung grosser klinischer Professuren in klinische und Forschungs- beziehungsweise Lehrprofessuren diskutiert werden. Während die Klinikleitung im Dienstleistungs- und klinischen Forschungsbereich liegen würde, könnten Lehre und biomedizinische Forschungspositionen als rein universitäre Funktionen besetzt und als eigenständige Professuren vergeben werden. Solche Massnahmen würden einerseits die Qualifizierung entsprechender Führungspersonen zielgerichteter ermöglichen und andererseits
jungen Medizinern, die wegen ihrer Familie nicht eine strukturelle Professur nach altem Muster anstreben, den Weg zu einer Professur öffnen. 8. Strukturierte Mentoringprogramme sollten professionell und institutionalisiert in die Abläufe von Fakultät und Spital eingebunden werden, mit langfristigem Follow-up der Absolventen. Zur Verbesserung des Angebots können europäische Netzwerke für Mentoring in der Medizin und deren Richtlinien benutzt werden (www.eument-net.eu). Selbstverständlich sollten längerfristig diese Angebote für beide Geschlechter, unter Berücksichtigung der jeweiligen Rahmenbedingungen, angeboten werden.
Die Förderung von Frauen auf dem Weg zur Pro-
fessorin oder Chefärztin lässt sich mit vielen
Argumenten begründen. Insbesondere entspre-
chen die Geschlechterverhältnisse auf Ebene
der Professuren nicht dem in der Schweiz demo-
kratisch und verfassungsmässig festgelegten
Grundsatz der Gleichstellung. Neben ethischen
beziehungsweise demokratischen Argumenten
greifen aber auch ökonomische Überlegungen:
Der Schweiz gehen wichtige «human resources»
verloren, wenn das vorhandene Potenzial unter
den Nachwuchswissenschaftlerinnen nicht für
die Konkurrenzfähigkeit der Schweiz im euro-
päischen und interkontinentalen Kontext ge-
nutzt wird. Auch werden wir dem sich abzeich-
nenden Ärztemangel nur begegnen können,
wenn wir mehr Anreize für Frauen schaffen, in
der Medizin tätig zu bleiben. Schliesslich könnte
die Medizin auch inhaltlich von einer stärkeren
Einflussnahme der Frauen profitieren, wenn
diese tatsächlich bestimmte Aspekte, wie Inten-
sivierung des Patientenkontakts, stärker ein-
brächten.
Die Herausforderungen der gendergerechten
Nachwuchsförderung liegen gleichermassen
auf struktureller und psychosozialer Ebene —
entsprechende Massnahmen müssen parallel
auf beiden Ebenen ansetzen, da sie in enger
Wechselbeziehung stehen. Konkrete institutio-
nelle Umstrukturierungen sollten von Sensibili-
sierungsmassnahmen begleitet werden. Sensi-
bilisierte Führungspersonen sind eher bereit,
konkrete Massnahmen zu ergreifen, als vorge-
setzte Personen, welche sich der speziellen
Herausforderungen im Hinblick auf eine gender-
gerechte Nachwuchsförderung nicht bewusst
sind. Ähnliche Zusammenhänge gelten für die
zu fördernden Nachwuchskräfte selbst.
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Prof. Anita Riecher lic. phil. Anne von Gunten Prof. Regine Landmann, Universität Basel
Diese Arbeit erschien zuerst im «SAMW-Bulletin» 4/2008. Die hier leicht gekürzte Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorinnen.
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