Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Medizinische Informationen im Internet
Eltern verunsichert im Umgang mit Dr. Google
Bei einem Kratzen im Hals, einer geröteten Stelle am Oberarm oder einem Zwicken im Rücken ist er nur einen Handgriff entfernt: Doktor Google. Zahllose Internetseiten, Foren, Apps und soziale Netzwerke bieten auch Rat für Eltern, die sich über die Gesundheit und Entwicklung ihres Kindes informieren wollen. Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat nun rund 750 deutschsprachige Elternpaare von Kindern im Alter zwischen 0 und 24 Monaten online befragt sowie Fokusgruppeninterviews mit einer Auswahl der befragten Eltern sowie Ärzten durchgeführt. Die von der Käthe-Zingg-SchwichtenbergStiftung/SAMW finanzierte ZHAW-Studie zeigt: Über 90 Prozent der Eltern informieren sich über digitale Medien zur Gesundheit und Entwicklung ihres Kindes. Primäre Quellen sind dabei Suchmaschinen und spezifische Eltern-Websites (47%). Soziale Medien (6%) und Apps (8%) werden dagegen eher wenig genutzt. «In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Ergebnisse von anderen Ländern, in denen Apps und soziale Medien eine viel grössere Rolle spielen», sagt Studienleiterin Julia Dratva vom ZHAW-Departement Gesundheit. Obwohl sie rege genutzt werden, haben digitale Medien die «klassischen» Informationskanäle bis jetzt nicht verdrängt: So weisen Printmedien eine ähnlich hohe Nutzung auf – wobei Eltern vor allem auf Bücher zurückgreifen. Rund 31 Prozent der Nutzer von digitalen Medien konsultieren auch Bücher. Wie die Studie zeigt, sind soziale Kontakte jedoch nach wie vor die häufigste Informationsquelle. So tauschten sich alle Teilnehmenden der Befragung mit mindestens einer Person zu Themen der Kindergesundheit und -entwicklung aus. Dieser Austausch kann informell mit Familie, Freunden oder Bekannten sowie formell mit Kinderärzten stattfinden. Auch bei den «digital natives» stellt der persönliche Austausch die erste Wahl zur Informationsgewinnung dar. Rund 50 Prozent
konsultieren Freunde und Bekannte, und rund 60 Prozent fragen die Familie um Rat. Online informieren sich Eltern hauptsächlich zu allgemeinen Gesundheitsthemen. Digitale Medien dienen zudem als erste Orientierung, wenn etwas überhaupt nicht eingeordnet werden kann. In Bagatellfällen werden zudem «Grossmutterrezepte» recherchiert. «Im Falle einer akuten Erkrankung des Kindes werden digitale Informationskanäle dagegen deutlich weniger konsultiert», so Dratva. Das dürfte auch mit dem mangelnden Vertrauen in die digitalen Medien zusammenhängen. So glauben 90 Prozent der Eltern, dass die Informationen im Internet «nur manchmal» der Wahrheit entsprechen. Zwei Drittel versuchen ausserdem, die Vertrauenswürdigkeit der Quelle zu prüfen. Lediglich etwa die Hälfte gab an, die Informationen aus dem Internet zu verstehen und einschätzen zu können. «Die Unsicherheit im Umgang mit digitalen Medien beseitigen die Eltern, in dem sie letztlich trotzdem eine Fachperson kontaktieren», so die ZHAW-Forscherin. Vor einem Kinderarztbesuch konsultiert ungefähr die Hälfte der Eltern digitale Medien. Dabei informieren sie sich über generelle Gesundheitsthemen, alternative und medizinische Behandlungsoptionen. Über ein Viertel nutzt Onlineratgeber nach einem Arztbesuch, wobei auch dort der Austausch mit an-
deren Eltern und persönliche Erfah-
rungsberichte im Fokus stehen. Ein Teil
konsultiert das Netz aber auch, weil sie
beim Hausarzt zu wenig oder wider-
sprüchliche Informationen erhalten
oder um alternative Therapieoptionen
zu finden. Obwohl digitale Ratgeber
quasi für eine Zweitmeinung genutzt
werden, haben sie keinen signifikanten
Einfluss auf die Interaktion zwischen
Eltern und Ärzteschaft. «Der ärztliche
Rat wird zwar mit digitalen Informatio-
nen ergänzt oder überprüft, hat aber
nach wie vor mehr Gewicht in gesund-
heitlichen Entscheidungen», erläutert
Dratva. Zudem wünschen sich die El-
tern aufgrund ihrer Unsicherheit mehr
Orientierungshilfe im Umgang mit digi-
talen Medien.
«Das Potenzial der digitalen Infor-
mationsgewinnung könnte noch besser
ausgeschöpft werden», so die ZHAW-
Forscherin. Das setze jedoch eine ver-
besserte digitale Medien- und Gesund-
heitskompetenz sowie verständliche,
qualitativ hochwertige und wissen-
schaftlich abgestützte digitale Informa-
tionen zur Kindergesundheit voraus.
«Wenn den Eltern so eine aktivere Rolle
in der Entscheidungsfindung ermög-
licht wird, würde dies letztlich auch
das Gesundheitswesen entlasten», ist
Dratva überzeugt.
ZHAW/RABE s
Medienmitteilung der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften vom 26. August 2019.
Foto: IStockPhoto: AJ_Watt
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ARS MEDICI 18 | 2019
E-Zigaretten
Todesfall wegen Vaping?
Rückspiegel
Die Wirkungsweise von Nikotin und Tabakverbrennungsprodukten in Zigaretten ist hinlänglich erforscht. Doch die Zusammensetzung der Liquids in E-Zigaretten ist weder transparent noch standardisiert. In den USA wurden nun schwere Lungenschäden und sogar ein Todesfall im Zusammenhang mit Vaping gemeldet. Das amerikanische Center of Disease Control (CDC) untersucht derzeit 193 Fälle. Die Erkrankten hatten vor ihrer Einlieferung ins Spital unterschiedliche Liquids mit und ohne Nikotin oder Tetrahydrocannabinol per E-Zigaretten-Dampf inhaliert. Die 17- bis 38-jährigen Patienten berichteten von zunehmenden Symptomen wie Atemschwierigkeiten und Kurzatmigkeit, bevor sie hospitalisiert wurden. Manche hatten auch gastrointestinale Beschwerden. Eine Infektion konnte bei nahezu allen ausgeschlossen werden. Einem bestimmten Inhalts-
stoff konnten die Symptome bislang noch
nicht zugeschrieben werden. Das CDC rief die
amerikanischen Kollegen auf, «unerklärliche»
vapingassoziierte Lungenerkrankungen den
Gesundheitsbehörden zu melden.
vh s
Medienmitteilung des Center of Disease Control (CDC).
Vor 10 Jahren
Streit um HPV-Impfung
In verschiedenen deutschen Zeitungen und Zeitschriften erscheint ein Inserat, in der Harald zur Hausen, der Entdecker von HPV als Auslöser von Zervixkarzinomen, die Entwicklung der HPV-Impfung als erste gezielte Impfung gegen Krebs lobt. Er wird dafür heftig kritisiert: Diese Aussage könne Mädchen und Frauen glauben lassen, nach der Impfung nicht mehr zur Krebsvorsorge gehen zu müssen, schreibt beispielsweise der Präsident der Berliner Ärztekammer. Zur Hausen kritisiert seinerseits, dass durch ungerechtfertigte Kritik an der HPV-Impfung Mädchen und Frauen davon abgehalten würden, sich impfen zu lassen, und darum viele Frauen im späteren Leben unnötigerweise erkranken würden.
Foto: CanStockPhoto: Tibanna79
Weiterer Beweis
Impfen birgt kein höheres MS-Risiko
Jetzt gibt es noch mehr Evidenz. Die von Impfskeptikern bewirtschaftete Angst, wonach Personen, die sich impfen lassen, später häufiger an Multipler Sklerose (MS) erkranken sollen, hat nun eine grosse deutsche Fall-Kontroll-Studie weiter entkräftet. Die Krankenkassendaten von mehr als 220 000 Versicherten aus Bayern wurden retrospektiv auf das Impfverhalten mit der Frage analysiert, ob die Patienten in den folgenden fünf Jahren nach einer Impfung häufiger an MS erkrankten. Im analysierten Zeitraum zwischen 2005 und 2017 erkrankten 12 262 Patienten an MS. Als Kontrollgruppe dienten neu diagnostizierte Patienten mit Morbus Crohn (n = 19 296), Psoriasis (n = 111 292) sowie ohne Autoimmunerkrankungen (n = 79 185).
Im Beobachtungszeitraum war die Häufig-
keit von MS-Erkrankungen bei Patienten mit
angegebener Impfung signifikant tiefer als bei
Patienten ohne Immunerkrankung (Odds
Ratio [OR]: 0,87) oder mit M. Crohn (OR:
0,919) beziehungsweise mit Psoriasis (OR:
0,973). Am tiefsten war die Rate bei Patien-
ten, die sich gegen Frühsommer-Meningoen-
zephalitis (FSME) oder Influenza impfen lies-
sen. Die Resultate zeigen gemäss den Autoren
keine Erhöhung des MS-Risikos nach einer
Impfung – im Gegenteil. Ob es sich dabei
jedoch um einen protektiven Effekt handelt,
müssen weitere Studien belegen.
vh s
Hapfelmeier A et al.: A large case-control study on vaccination as risk factor for multiple sclerosis. Neurology 2019 Jul 30; pii: 10.1212/WNL.0000000000008012.
Vor 50 Jahren
Astromedizin
Im Jahr der ersten Mondlandung ist die Weltraummedizin in aller Munde. So geht es an der Jahrestagung der deutschen HNO-Ärzte in einem der Hauptvorträge um die Probleme des Vestibularsystems bei Raumflügen: Was geschieht bei der starken linearen Beschleunigung beim Starten und Landen? Wie reagiert das Gleichgewichtsorgan auf die Schwerelosigkeit? Und wie verhält es sich bei einem längeren Aufenthalt auf einer Raumstation?
Vor 100 Jahren
Varizellen und Herpes zoster
Varizellen und Herpes zoster scheinen denselben Erreger zu haben, berichtet ARS MEDICI im September 1919. Verschiedenen Ärzten an unterschiedlichen Orten der Welt ist aufgefallen, dass innerhalb von Familien oder in Spitälern zuerst epidemisch Herpes zoster und dann Varizellen auftraten. Die Schlussfolgerung: «Die Infektion mit demselben Erreger scheint bei Herpes zoster eine örtliche, bei den Varizellen eine allgemeine zu sein.»
RBO s
ARS MEDICI 18 | 2019