Transkript
HIGHLIGHTS AUS DER LITERATUR
Impfgegnertypen
Zweifler, Sicherheitsfanatiker, Alternative und Verschwörungstheoretiker
Impfgegner sind enervierend und frustrierend. Sie können aber auch Gegenstand der Forschung sein. Amerikanische Medienwissenschaftler haben jetzt Posts von Impfgegnern in den sozialen Medien analysiert. Dabei konnten sie vier verschiedene Typen ausmachen: den Sicherheitsfanatiker, den Misstrauischen, den Alternativen und den Verschwörungstheoretiker.
Impfgegner doch noch vom Nutzen der Vakzinierung zu überzeugen, ist meist ein zeit- und nervenraubendes Geschäft – und es verläuft sehr oft erfolglos. Dabei sind Impfungen zweifelsohne eine der grössten Errungenschaften der Medizin. Dennoch nimmt die Zahl der Impfkritiker immer mehr zu. Unter dem Stichwort «Impfen» bekommt man im Internet mehr Einträge von Impfgegnern als von Impfbefürwortern – zum Teil mit abstrusen Argumenten. Dies vergrössert das diffuse Misstrauen gegen Impfungen. Und das macht sich wiederum bei den Impfraten bemerkbar: Immer wieder kommt es zu Erkrankungs- und sogar Todesfällen aufgrund von durch Impfung vermeidbaren Infektionen. Allein bei Masern wurden 2018 in Europa über 40 000 Fälle gemeldet. In den USA haben nur etwa 70 Prozent der Kinder bis 35 Monate alle empfohlenen Impfungen erhalten. Impfmüdigkeit wurde jüngst von der Weltgesundheits-
organisation (WHO) als eine der zehn wichtigsten Bedrohungen der globalen Gesundheit bezeichnet (1).
Aufklärungsvideo ruft Impfgegner auf den Plan
Warum nimmt die Impfmüdigkeit also zu? Ein Grund könnten die sozialen Medien sein. Damit lassen sich Bedenken und Gesundheitsmythen schnell und weit verbreiten, ohne dass man dafür einen Beweis antreten zu müsste. Die Zahl der Anti-Impf-Posts steigt in den sozialen Medien immer dann an, wenn eine Informationskampagne pro Impfen angelaufen ist. So geschehen in Pittsburgh (Pennsylvania/USA): 2017 hatte die Kinderklinik Kids Plus Pediatrics ein Informationsvideo über die HPV-Impfung bei Facebook eingestellt. Etwa einen Monat später geriet dieses Video in den Blick mehrerer Impfgegnergruppen. Innerhalb von acht Tagen wurden Tausende Anti-Impf-Kommentare bei Facebook gepostet, die die Aufklärungskampagne torpedierten.
Negativkommentare als Forschungsgegenstand
Die Kinderärzte von Kids Plus Pediatrics waren von dieser Wirkung ihres Videos sehr enttäuscht, machten aber aus der Not eine Tugend: Zusammen mit Wissenschaftlern der medizinischen Universität Pittsburgh aus den Bereichen Innere Medizin, Public Health und Medien untersuchten sie die negativen Facebook-Einträge. Zunächst wurde die Menge eingeschränkt (2). Aus der Flut der Negativ-Posts wurden randomisiert die Profile von 197 Kommentatoren erstellt und analysiert. Neben allgemeinen Aussagen – 89 Prozent der Kommentare stammten von Frauen, überwiegend Müttern – kristallisierten sich vor allem vier Haupttypen heraus, die sich allerdings auch überschneiden (siehe Abbildung).
Abbildung: Die Analyse der Facebook-Posts von Impfgegnern haben gezeigt, dass es vier Subgruppen gibt, die sich in der dominierenden Argumentation unterscheiden: Die Zweifler (violett), die Alternativen (orange), die Sicherheitsfanatiker (grün) und die Verschwörungstheoretiker (türkis).
Abbildung: mit freundl. Genehmigung von Elsevier
Vier Impfgegnertypen
L Zweifler («Trust»): Dieses Kommentatorenprofil zeichnet sich vor allem durch ein Misstrauen gegenüber der Wissenschaft im Allgemeinen und
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HIGHLIGHTS AUS DER LITERATUR
Medizinern im Speziellen aus. Zudem sieht diese Gruppe eine Gefahr für ihre persönliche Freiheit. L Alternative («Alternatives»): Die Personen dieses Typs halten alternative, vermeintlich natürliche Heilmethoden für das einzig Wahre. So posten sie beispielsweise, dass Joghurt eine HPV-Infektion heilen könne oder dass Homöopathie eine Alternative zum Impfen sei. Ausserdem gehen sie davon aus, dass Erkrankungen, die jemand durchgemacht hat, insgesamt die Widerstandskräfte und damit die Gesundheit stärken. L Sicherheitsfanatiker («Safety»): In der Gruppe der Sicherheitsbedenkenträger herrscht die Meinung vor, dass die Risiken einer Impfung grösser seien als deren Nutzen. Hier werden besonders gern spezifische Datenpunkte aus der Gesamtheit der vorhandenen Datenmenge herausgepickt – etwa dass Impfen Autismus verursache. Dieser Gruppe haben die Medienwissenschaftler auch die Posts zugeordnet, die moralische Einwände haben. Beispielsweise Aussagen wie «In der Bibel wird Impfen nicht empfohlen». L Verschwörungstheoretiker («Conspiracy»): Die Personen dieser Gruppe hegen Verschwörungstheorien, wobei diese Grundhaltung auch auf die drei anderen übergreift. Die Verschwörungstheoretiker sind beispielsweise davon überzeugt, dass Regierungen oder die Pharmaindustrie der Bevölkerung wichtige Gesundheitsinformationen vorenthalten. Beispielsweise, dass das Polio-Virus gar nicht existiere oder dass die Pharmaindustrie Impfungen nur erfunden habe, um sich die Taschen zu füllen. Oder: In Impfstoffen seien Spermizide, um das Bevölkerungswachstum zu kontrollieren.
Grundlage für bessere Kommunikationsstrategien
Die Wissenschaftler hoffen, dass ihre Ergebnisse ein erster Schritt sind, neue Kommunikationsstrategien
in der Diskussion mit Impfgegnern zu entwickeln. Im
nächsten Schritt sollen Ärzte ganz konkret Hilfestel-
lung bekommen, wie sie den oft abstrusen Argumen-
ten des jeweiligen Typs begegnen können und wie
sie skeptische Patienten beziehungsweise deren
Eltern vom Nutzen der Impfung überzeugen.
Dazu gibt es bereits erste Ansätze. So sollte ein Arzt
nur auf die konkret geäusserten Bedenken eingehen
und diese mit kurzen, verständlichen Erläuterungen
ausräumen, das heisst: keine langen, detaillierten
Ausführungen, denn diese verunsichern nur.
Auf keinen Fall sollte man ohne Not vermeintliche
Bedenken ansprechen. Wie auch die Untersuchung
der Pittsburgher Medienwissenschaftler gezeigt hat,
kursieren im Internet viele Mythen in Bezug auf Imp-
fungen. Diese Mythen zu korrigieren, ist jedoch eine
grosse Herausforderung, denn blosses Widerspre-
chen kann dazu führen, dass der (falsche) Glaube
daran noch verstärkt wird (3).
Beispiel: «Die Impfung gegen Masern-Mumps-Röteln
verursacht keinen Autismus.» Äussert dies der Arzt,
macht er den Skeptiker erst auf dieses unwahrschein-
liche Problem aufmerksam und treibt ihn quasi in die
Arme der Impfgegner.
Berichtet ein Patient hingegen selbst von seinen
durch eine Studie geweckten Befürchtungen, könnte
man darauf hinweisen, dass die überwältigende
Mehrzahl der Studien keinen Zusammenhang zwi-
schen der MMR-Impfung und Autismus belegen
konnte.
L
Angelika Ramm-Fischer
Referenzen: 1. World Health Organization: Ten threats to global health in 2019.
https:// www.who.int/emergencies/ten-threats-to-global-health-in-2019 (abgerufen am 6. März 2019). 2. Hoffman B et al.: It’s not all about autism: The emerging landscape of antivaccination sentiment on Facebook, Vaccine 2019 (im Druck). https://doi.org/10.1016/j.vaccine.2019.03.003 3. Nyhan B et al.: Effective messages in vaccine promotion: a randomized trial. Pediatrics 2014; 133(4): e835–e842
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