Transkript
STUDIE REFERIERT
COPD bei Opiatabhängigkeit
Alle OAT-Patienten spirometrisch untersuchen
Die meisten opiatabhängigen Patienten unter Opioidagonistentherapie (OAT) sind oder waren starke Raucher und haben häufig über längere Zeit auch Rauschdrogen inhaliert, was sie für die Entwicklung von Atemwegssymptomen prädestiniert. Die Arbeitsgruppe um Philipp Bruggmann am Arud-Zentrum für Suchtmedizin in Zürich hat das Auftreten von chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) am eigenen Patientenkollektiv näher untersucht.
Addiction
Bedingt durch Fortschritte im Management von Opiatabhängigkeit und in der Behandlung möglicher lebensbedrohlicher Komorbiditäten (z.B. HIV [humanes Immundefizienzvirus] oder Hepatitis-C-Infektionen) hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung von Suchtkranken unter OAT inzwischen deutlich erhöht. Der Fokus der medizinischen Betreuung dieser Patienten erweitert sich daher vermehrt auch auf die Therapie chronischer kardiovaskulärer, maligner oder respiratorischer Erkrankungen, welche gewöhnlich erst im mittleren oder höheren Alter eine Rolle spielen. Insbesondere für Atemwegssymptome besteht in dieser Patientengruppe, bedingt durch die hier häufige Anamnese von Tabakrauchen oder inhalativem Konsum von Substanzen wie Cannabis, Kokain oder Heroin, allerdings eine besondere Disposition. Ziel der hier vorgestellten Studie war es, an einer repräsentativen Stichprobe der im eigenen Haus ambulant betreuten opioidabhängigen Personen unter OAT die altersbedingte Verteilung von Atemwegsobstruktionen sowie die Prävalenz von COPD und damit assoziierter Risikofaktoren im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung abzuschätzen. Ausserdem sollte die Bereitschaft der Patienten ermittelt werden, sich im Falle einer bestehenden oder drohenden COPD auf Lebensstiländerungen (insbesondere Rauchstopp) oder therapeutische Angebote einzulassen. Von den insgesamt 312 im Zeitraum zwischen November 2016 und April 2017 per Zufallsgenerator für die Studie ausgewählten erwachsenen Patienten unter OAT (Methadon, Buprenorphin, langsam freisetzendes orales Morphin, Diacetylmorphin) konnten letztlich 125 Personen (76% männlich, mittleres Alter: 45 Jahre),
welche verfügbar, bereit und zum jeweils anberaumten einmaligen Untersuchungstermin erschienen waren, in die Analyse einbezogen werden. Von den Teilnehmern waren 92 Prozent gegenwärtige und 8 Prozent ehemalige Raucher, nur 2 Prozent hatten nie geraucht; fast alle hatten Erfahrung mit Cannabisrauchen, und mehr als zwei Drittel hatten Kokain und/oder Heroin inhaliert.
COPD unter OAT: eher, aber meist milder
Die Datenerhebung erfolgte über in persönlichen Interviews oder anhand medizinischer Akten komplettierte standardisierte Fragebögen zu Substanzgebrauch, Rauchverhalten und medizinischer Anamnese sowie in Form eines Spirometrietests ohne oder, je nach Resultat, mit vorausgehender Bronchodilatation (200 µg Salbutamol). Bei 30,3 Prozent (95%-Konfidenzintervall [KI]: 22,6–39,0%) der 119 Probanden, für die valide Spirometriedaten erhoben werden konnten, zeigte sich nach Broinchodilatation eine Atemwegsobstruktion in einem Ausmass, welches nach den derzeit gültigen GOLD-Kriterien (GOLD: Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease) die Diagnose einer COPD rechtfertigt. In annähernd der Hälfte der Fälle handelte es sich dabei jedoch um eine lediglich leicht ausgeprägte Symptomatik. Unter den 30 bis 59 Jahre alten männlichen Teilnehmern war die altersangepasste Prävalenz einer zumindest moderaten Atemstromlimitierung (GOLD-Stadium ≥ 2) 2,4-mal so hoch wie in der gleichaltrigen Schweizer Allgemeinbevölkerung mit Raucheranamnese. Bezüglich Lebensstiländerungen zeigten nur etwa 20 Prozent der 115 gegenwärtigen Rau-
cher der Studienpopulation Interesse an einem Rauchverzicht. Bei der jeweils vor der Spirometrie abgefragten Einstellung zu Verhaltensänderungen und therapeutischen Angeboten im Falle einer tatsächlichen oder möglichen COPDDiagnose bekundete ebenfalls nur eine Minderheit der Teilnehmer die Bereitschaft, ihren Substanzgebrauch zu überdenken, jedoch waren jeweils rund zwei Drittel für eine Teilnahme an COPDManagement-Kursen und für vermehrte körperliche Aktivität zu gewinnen, und jeweils etwa drei Viertel waren interessiert an Ernährungsumstellung und medikamentöser COPD-Therapie.
Chancen zur frühen Intervention
Die Studienautoren schlussfolgern aus
ihren Resultaten, dass bei nahezu sämt-
lichen Patienten unter OAT eine beste-
hende COPD in Erwägung gezogen und
entsprechende Spirometrietests durch-
geführt werden sollten. Eine zeitnahe
COPD-Diagnose ermöglicht eine recht-
zeitige Behandlung. Im Vergleich zur
Allgemeinbevölkerung scheinen OAT-
Patienten die – bei ihnen zumeist relativ
milden – COPD-Symptome durch-
schnittlich deutlich früher zu entwi-
ckeln. Gleichzeitig sind sie aber vielfach
bestimmten Lebensstilmassnahmen und
anderen Ansätzen des COPD-Manage-
ments nicht abgeneigt, woraus sich ins-
gesamt substanzielle therapeutische
Chancen ergeben, welche nicht verpasst
werden sollten.
RABE s
Grischott T et al.: Chronic obstructive pulmonary disease (COPD) among opioid-dependent patients in agonist treatment. A diagnostic study. Addiction 2019, Jan 24; doi: 10.1111/add.14559 [Epub ahead of print].
Interessenlage: Die Autoren der referierten Studie haben keinerlei Interessenkonflikte deklariert.
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ARS MEDICI 10 | 2019