Transkript
Arzt und Ärztin sollen, entsprechend ihrer langen Ausbildungszeit und ihrem Können, ein gerechtes Einkommen haben. Wie aber ist dieses zu gestalten, zu berechnen? Hier gibt es viele Möglichkeiten. Kosten entstehen auch, weil fehlgeleitete Einkommensoptimierungen nicht vermeidbar scheinen. Der Autor dieser Zeilen, Arzt im Ruhestand und ehemaliger Chefarzt einer Rehabilitationsklinik, greift hier Erlebtes auf und kommentiert es. Seine Betrachtungen sind persönlicher Natur – und sollen zum Nachdenken anregen.
Dies erlebt ...
... und das gedacht
Der «goldene Handschlag» oder: Wie soll ärztliche Arbeit honoriert werden?
von Hanswerner Iff
Betreuung von
Privatpatienten Krankenvisiten bei privat versicherten Patienten wurden bereits vor Jahrzehnten zusätzlich honoriert. Bei Abwesenheit des Chefarztes wurden diese Visiten stellvertretend, meistens von Oberärzten, durchgeführt. Diese erhielten dann einen Zustupf zu ihrem Lohn, früher meistens nach Gutdünken des Chefarztes. In Einzelfällen waren diese Visiten aus medizinischer Sicht unnötig, sodass wir, damals als etwas aufmüpfige und idealistische Jungärzte, uns fragten, ob solche Besuche nur des Geldes wegen gemacht werden. Für die Begrüssung des Patienten am Bett prägten wir den Begriff des «goldenen Handschlages» für eine lukrative Tätigkeit, auf die aber, medizinisch betrachtet, das eine oder andere Mal auch hätte verzichtet werden können. Später, als ich selbst Chefarzt war, musste ich dieses Problem für mich, meine Mitarbeitenden und natürlich auch für meine Patienten lösen. Ich beschloss, angesichts des grosszügig bemessenen Grundlohns, auf mögliche Zusatzeinkommen zu verzichten, die nichts mit dem Patientenwohl zu tun hatten. Wenn mir, meinen Mitarbeitern und Fachfrauen ein Besuch zusätzlich zur üb-
lichen Visite nötig erschien, besuchte ich diese Patienten auch. Wenn sich jemand grundsätzlich nicht mit dieser Art der Patientenbetreuung anfreunden konnte, so waren dies Ökonomen der kantonalen Verwaltung. Der Staat verdiente an den Visiten bei Privatpatienten mit. Ein Anteil von 40 Prozent ging dem Kanton pro vermiedenen Handschlag verloren, bei mir waren es 60 Prozent. Damit entlastete ich die Krankenversicherung und die Gesundheitskosten im Allgemeinen.
Ökonomische Zwänge hinterfragen Dieses Erlebnis zeigt beispielhaft die Schwierigkeiten, befriedigende ökonomische Modelle zu finden, wie medizinische Arbeit zu entlöhnen ist. (Zu) viele Players, wie heute die an einem ökonomischen Prozess Beteiligten genannt werden, befinden sich in einer komplizierten Abhängigkeit. Zweifellos stehen aber der Patient und seine Behandlung im Mittelpunkt. Durch den Versicherungsstatus wie auch die Einbindung einer Institution – hier der Kanton – entstehen ökonomische Zwänge, die hinterfragt werden müssen. Unsinniges Wettbewerbsgebahren wird unter anderem gefördert, wenn alle möglichen Versicherungsleistungen umgesetzt werden,
um damit weitere Players zu befriedigen. Aktuell erleben wir die Einführung von zwei neuen ökonomischen Modellen der Honorierung medizinischer Arbeit: die Fallpauschalen, politisch seit Jahren angenommen, aber mit einer verschlafenen und durch den Kantönligeist komplizierten Einführung. Das andere Modell ist die integrierte Medizin (Managed-Care-Vorlage), die nächstens dem Stimmbürger zur Stellungnahme vorgelegt wird. Ob diese Modelle ihre Versprechen halten, ist schwer zu beurteilen. Ganz klar ist, dass das Geschäft mit der Heilung und der Betreuung Kranker immer komplex bleibt. Ist es überhaupt möglich, unersetzliche Werte, wie im Extremfall das eigene Leben, mit Geld aufzuwägen? Die aktuellen Finanzkrisen zeigen, dass die herrschende Ökonomie versagt, grösstenteils weil sie die Moral untergräbt, wenn nicht gar abschafft. Menschliche Gier trickst gängige Moralvorstellungen aus. Um dies bei der Honorierung medizinischer Arbeit zu vermeiden, sollten sich Arzt und Ärztin bei ihrem Tun immer auch die Frage stellen: «Mache ich etwas zum Wohl meines Patienten und sind meine Massnahmen vernünftig und nötig?» Fehlt das Ja bei dieser Frage, sollte darauf verzichtet werden.
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