Transkript
LANDARZTGLOSSE
Unsere Abwehrspeziali-
sten
A temwegsinfektionen sind der häufigste Grund für einen Arztbesuch. Die entscheidende Frage für den Arzt lautet deshalb: Sind Viren oder Bakterien der Grund für die Infektion? Der Patient hustet gleichermassen und
spuckt Schleim in der Ge-
gend herum, verteilt ihn fein und diffus beim Niessen, wobei die Hand vor dem Mund wie eine Güllenwagenverteilklappe funktioniert. Sind es Viren, dann heisst das Ganze Schnupfen, Grippe oder Schnuderi und ist ohne Arzt in einer Woche und mit Arzt in sieben Tagen vorbei. Unsere Aufgabe ist also nur die Beratung und Beruhigung des Patienten und die Behandlung der Beschwerden. Der Mensch figuriert als Wirt für die Viren, er gibt ihnen die Möglichkeit zu überleben, sich zu ernähren. Die Viren sind so durchtrieben, dass sie unsere Körperzellen sogar zur Fortpflanzung benutzen. Das heisst, sie missbrauchen die Angestellten des Wirts zur Vermehrung. Sie führen sich dann auf wie wilde Pferde, galoppieren im ganzen Körper herum und machen überall Beschwerden. Vorerst können sie von unseren Abwehrspezialisten,
von Dr. med. Kurt Hausammann*
den weissen Blutkörperchen, nicht angegriffen werden. Der befallene Körper muss erst eine Spezialwaffe gegen genau diese Viren, die ihn krank machen, herstellen. Dann aber geht es ganz schnell, die Viren werden abgeschossen, gefressen und verdaut. Gemein ist es natürlich, wenn Viren und Bakterien zusammenspannen. Die Viren starten zuerst einen Ablenkungsangriff, und wenn unsere Abwehr im Endkampf mit den Viren steht und abgelenkt ist, erfolgt der Hauptangriff durch die Bakterien. So wird unsere Abwehr völlig übertölpelt, etwa bei eitrigen Nasennebenhöhlenentzündungen nach einer viralen Infektion der oberen Atemwege. Bei den Bakterien sind wir zwar auch Wirt, doch können sich diese ohne unsere Hilfe fortpflanzen und das verdammt schnell. Zwar können die weissen Blut-
körperchen, unsere Abwehrspezialisten, ein Bakterium im Zweikampf überwältigen, töten und zerlegen. Dafür opfern sie ihr Leben. Aber eben, die Bakterien pflanzen sich viel schneller fort als unsere Abwehrspezialisten. Weil pro gefressenem Bakterium unzählige neue nachrücken, können die weissen Blutkörperchen häufig nicht gewinnen. Deshalb müssen wir Ärzte bei den Bakterien gelegentlich, vor allem,
wenn diese in die Lungen eingedrungen sind, ein Antibiotikum einsetzen. So kann zumindest verhindert werden, dass sich die Bakterien weiter vermehren, und wenn wir Glück haben, fallen die Bakterien gleich tot um. Dann haben unsere Ab-
wehrspezialisten wieder eine Chance. Dies aber nicht ohne Anstrengung, denn sie müssen weiterhin jedes Bakterium packen und fressen. Diese sind jetzt in
der Unterzahl und so haben die Abwehrspezialisten erst eine Chance, den anfänglich ungleichen Kampf zu gewinnen. Sowohl Viren wie Bakterien suchen sich feuchte, warme und geschützte Höhlen, um sich gemütlich fortzupflanzen. Sie wollen schliesslich die Welt erobern und uns verdrängen oder mindestens beherrschen. So kommen wir Menschen in den Genuss ihres Besuches, einfach, weil wir
im falschen Moment am falschen Ort waren. Es gibt aber auch Menschen, die mit lautem, karchelndem Husten den Bakterien zurufen: hier hat es feuchten und warmen Schleim, hier könnt ihr super überleben und euch vermehren. Gestört werdet ihr nur durch Niko-
tinrauchschwaden im Wachzustand, beim Schlafen aber seid ihr ungestört.
*Kurt Hausammann ist Hausarzt mit einer Praxis in Ermatingen (TG).
ILLUSTRATION: WA-DESIGN
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