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KARDIOLOGIE/ANGIOLOGIE
Antikoagulation bei Vorhofflimmern
So finden Sie das individuell am besten geeignete Präparat
Am 22. Herz-Kreislauf-Tag besprach PD Dr. med. Jan Steffel, Koleiter Rhythmologie, Universitäres Herzzentrum, Universitätsspital Zürich, den heutigen Stellenwert der direkten oralen Antikoagulanzien in der Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern.
Vor der Einführung der direkt wirkenden oralen Antikoagulanzien (DOAC) standen zur Prävention von Schlaganfällen bei Vorhofflimmern die Vitamin-K-Antagonisten (VKA) zur Verfügung, für die in einer Metaanalyse an weniger als 3000 Patienten eine Reduktion des Strokerisikos um zwei Drittel dokumentiert worden war. Bei Acetylsalicylsäure (ASS) war die Reduktion mit 20 Prozent deutlich geringer, und im Gegensatz zu den VKA liess sich keine Mortalitätssenkung nachweisen.
DOAC = Mittel der Wahl
Inzwischen konnte in grossen Studien für alle heute verfügbaren DOAC – Apixaban (Eliquis®), Edoxaban (Lixiana®), Dabigatran (Pradaxa®) und Rivaroxaban (Xarelto®) – gezeigt werden, dass sie den VKA mindestens ebenbürtig und in aller Regel mit weniger Blutungsrisiken assoziiert sind. «Damit sind sie Mittel der Wahl», stellte Jan Steffel fest. Basierend auf dem sehr umfangreichen Datenmaterial der Behandlungsstudien mit DOAC, empfehlen die aktuellen europäischen Guidelines deshalb, bei der Einleitung einer Antikoagulation wegen Vorhofflimmerns mit der höchsten Evidenzstufe IA die DOAC den Vitamin-K-Antagonisten vorzuziehen. Einzige Ausnahme sind Patienten mit mechanischen Herzklappen und mittelschwerer bis schwerer Mitralstenose. «ASS soll zur Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern
KURZ & BÜNDIG
Heute sind die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAC) die Standardtherapie zur Prävention von Schlaganfällen bei Vorhofflimmern.
Der HAS-BLED-Score sollte für sich allein nicht zum Ausschluss von Patienten von einer oralen Antikoagulation verwendet werden.
Die Langzeit- und die Registerdaten bestärken die Ergebnisse aus den grossen randomisierten Behandlungsstudien über DOAC.
Jede Antikoagulationsbehandlung muss individualisiert erfolgen, es gibt kein «One-size-fits-all»-DOAC.
definitiv nicht mehr eingesetzt werden», betonte Steffel, «wir haben deren Wirkung über lange Zeit überschätzt und die Risiken unterschätzt.» Gemäss den aktuellen Guidelines soll zur Abschätzung des Schlaganfallrisikos der CHA2DS2-VASc-Score eingesetzt werden. Bezüglich des Blutungsrisikos ist hingegen der HASBLED-Score aus den Guidelines gefallen. Der HAS-BLADScore differenziert nicht gut genug zwischen Patienten, die ein hohes Blutungsrisiko haben und deswegen nicht antikoaguliert werden sollten, und solchen, die eine Blutverdünnung erhalten sollen. Es gibt auch Daten, die zeigen, dass gewisse Patienten mit hohem HAS-BLAD-Score von einer Antikoagulation besonders profitieren, da sie parallel dazu auch ein hohes Schlaganfallrisiko aufweisen. Wichtig ist es, bei jedem einzelnen Patienten die modifizierbaren Blutungsrisikofaktoren zu suchen. Dazu gehören Hypertonie, labile INR (International Normalized Ratio) unter VKA, Medikationen, die zu Blutungen prädisponieren, wie Plättchenhemmer und nicht steroidale Antirheumatika, sowie exzessiver Alkoholkonsum. Potenziell modifizierbare Risikofaktoren sind überdies Anämie, eingeschränkte Nieren- und Leberfunktion sowie tiefe Thrombozytenzahl oder -funktion.
DOAC auch bei Niereninsuffizienz
Nach Einführung der Schlaganfallprävention mit DOAC richtete man schnell viel Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Niereninsuffizienz. Dies lag daran, dass viele und vor allem viele alte Patienten mit Dabigatran behandelt wurden, das zu 80 Prozent renal ausgeschieden wird und bei eingeschränkter Nierenfunktion rasch akkumulieren und so schwere Blutungen auslösen kann. Inzwischen ist aber klar, dass sich in dieser Hinsicht nicht alle DOAC gleich verhalten. Als Beispiel nannte Steffel Apixaban, das in der ARISTOTLE-Studie mit Warfarin verglichen wurde. Dabei zeigte sich, dass Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion hinsichtlich des Blutungsrisikos von der Apixabanprophylaxe signifikant mehr profitierten als von einem VKA. Ähnliche, wenn auch weniger eindrückliche Daten liegen auch für Edoxaban vor. Dies hat auch eine praktische Bedeutung: Tritt unter einem sicheren DOAC eine Verschlechterung der Nierenfunktion ein, sollte nicht reflexmässig zu einem VKA zurückgewechselt werden. Denn damit würde der Patient primär nur einem höheren Blutungsrisiko ausgesetzt.
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Auch die aktuellen Guidelines haben dem Rechnung getragen. Die schwere Niereninsuffizienz (eGFR [geschätzte glomeruläre Filtrationsrate] < 30 ml/min) ist kein Ausschlusskriterium für eine DOAC-Therapie. «Allerdings wissen wir bei einer Clearance unter 30 nicht, was wir machen sollen, denn dort haben wir weder für DOAC noch für VKA ausreichende Daten», räumte Steffel ein. 80 Prozent eine INR < 3,0, lagen also im therapeutischen Bereich. Dies gilt nach einer neuen Analyse auch für die anderen klinischen Ereignisse unter VKA wie ischämischen Hirninfarkt, systemische Embolie, schwere Blutungen und gastrointestinale Blutungen. Die INR bietet also nur eine relative, aber keine absolute Sicherheit hinsichtlich der Therapieauswirkungen. Im hohen Alter mehr Erfahrungen mit DOAC als mit Vitamin-K-Antagonisten Ein oft geäusserter Einwand ist, dass in den grossen DOACStudien vorwiegend jüngere Patienten eingeschlossen wurden und die in der Praxis meist vorkommenden Patienten mit Vorhofflimmern im fortgeschrittenen Alter gar nicht oder völlig unterrepräsentiert waren. «Dies ist zum Beispiel für Edoxaban nicht ganz zutreffend, denn in der ENGAGEStudie waren über 3000 Patienten über 80 Jahre vertreten – also mehr als in sämtlichen VKA-Studien aller Altersgruppen zusammen», so Steffel. Auch der wichtige Aspekt der in der Praxis oft zahlreichen Komedikationen wurde untersucht. In der ARISTOTLE-Studie war die relative Risikoreduktion für Schlaganfall oder systemische Embolien bei Patienten, die 0 bis 5 Begleitmedikamente, 6 bis 8 Komedikationen oder 9 und mehr weitere Präparate anwendeten, gleich gross. Auch Patienten mit vielen Begleitmedikationen profitieren also im Vergleich mit Warfarin von Apixaban, und dies trifft auch auf die Beeinflussung der Gesamtmortalität zu. Bei den VKA besteht die Möglichkeit, die Therapieeinstellung anhand der INR zu überwachen. Dies vermittelt aber nur eine relative Effizienz und eine relative Sicherheit. So hatten in der ARISTOTLE-Studie unter den Patienten in der Warfaringruppe, die eine intrakranielle Blutung erlitten, Wichtig: individuell angepasste Antikoagulation Zusammenfassend stellte der Referent vier Punkte heraus: Heute sind die DOAC die Standardtherapie zur Schlaganfall- prävention bei Vorhofflimmern. Mit dieser Behandlung kann man einen relevanten Einfluss auf die Prognose und die Mor- bidität nehmen. Der HAS-BLED-Score sollte nicht mehr für sich allein zum Ausschluss von Patienten von einer oralen Antikoagulation verwendet werden. Auch gefährdete Patienten profitieren. In den Langzeitdaten, etwa in den Phase-IV-Studien nach den grossen Zulassungsstudien oder in Registerstudien, gibt es keine Hinweise darauf, dass sie die falsche Richtung gehen, also mehr Schlaganfälle oder mehr Blutungen hervorrufen: «Dies sind sehr gute Neuigkeiten», meinte Steffel. Es lohnt sich, die Therapie zu invidualisieren. Es gibt kein DOAC, das für alle Patienten und Situationen geeignet ist (also kein «one size fits all»). Die Antikoagulation ist ein sehr komplexes Gebiet. Es empfiehlt sich, genau hinzusehen und für die einzelnen Präparate die Ausscheidungswege und die Interaktionen zu berücksichtigen. Denn dies hat grosse Aus- wirkungen auf die Wirkung der Behandlung. L Halid Bas Quelle: 22. Zürcher Herz-Kreislauf-Tag, am 30. November 2017 in Zürich. ARS MEDICI DOSSIER V | 2018 21