Transkript
INTERVIEW
Periphere arterielle Verschlusskrankheit
Auch bei asymptomatischen Patienten sollte eine Arterienerkrankung aktiv gesucht werden
Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) ist häufig und in der Hausarztpraxis relativ leicht zu diagnostizieren. Trotzdem scheint die Erkrankung oft über lange Zeit unerkannt zu bleiben. In einem Interview erläutert Dr. med. Ernst Gröchenig, Chefarzt Angiologie, Kantonsspital Aarau, die wichtigsten Punkte zu Diagnose und Therapie.
ARS MEDICI: Herr Dr. Gröchenig, offenbar hat jeder fünfte Patient über 65 Jahre, meist ohne es zu wissen, eine periphere arterielle Verschlusskrankheit. Wird eine PAVK in der Praxis häufig übersehen? Dr. med. Ernst Gröchenig: Ja, eine PAVK wird leider häufig übersehen. Das ist auch nicht verwunderlich, da nur ein Drittel der betroffenen Patienten Symptome hat. Zwei Drittel aller Patienten mit PAVK sind asymptomatisch. Dadurch wird weder der Patient noch der Arzt auf das Problem aufmerksam. Das Risiko einer generalisierten Atherosklerose ist gleich, unabhängig ob Symptome einer PAVK vorliegen oder nicht. 50 Prozent der Patienten mit PAVK haben eine asymptomatische, behandlungsbedürftige Karotisstenose und sind somit potenzielle Schlaganfallkandidaten. Je nach Untersuchungsmethode haben 75 bis 90 Prozent der Patienten mit PAVK
«Die Messung des ABI ist eine Grundvoraussetzung, aber es gibt eine Reihe von
Fehlerquellen, die beachtet werden müssen.»
Stenosen der Koronararterien und somit ein hohes Herzinfarktrisiko. Und zwischen 5 und 10 Prozent der Patienten mit PAVK haben ein Aortenaneurysma.
ARS MEDICI: Muss eine asymptomatische PAVK bei allen älteren Patienten aktiv gesucht werden? Gröchenig: Auch bei asymptomatischen Patienten sollte eine Arterienerkrankung aktiv gesucht werden, da die meisten PAVK-Patienten nicht über Beschwerden klagen und weil das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko bei ihnen sehr hoch ist.
Zur Person Dr. med. Ernst Gröchenig ist Chefarzt Angiologie am Kantonsspital Aarau
und einer der Beiräte von ARS MEDICI
ARS MEDICI: Bei welchen Patienten sollte man am ehesten an eine PAVK denken und diagnostisch aktiv werden? Gröchenig: An eine PAVK sollte man natürlich bei allen denken, die belastungsabhängige Schmerzen in den Beinen haben, die nach Beendigung der Belastung wieder verschwinden. Aber auch bei Patienten mit klassischen Risikofaktoren sollte nach einer PAVK gesucht werden. So findet sich bei jedem zweiten Diabetiker eine PAVK.
ARS MEDICI: Wie geht man dabei in der hausärztlichen Praxis am besten vor und welche Untersuchungen beziehungsweise Labortests sind neben den Blutdruckmessungen an Armen und Beinen nötig? Gröchenig: In der hausärztlichen Praxis spielt sicher die Anamnese eine grosse Rolle: Besteht eine belastungsabhängige Claudicatio intermittens, liegen klassische Risikofaktoren vor, besteht eine familiäre Belastung? Anschliessend sollen im Rahmen der körperlichen Untersuchung die Pulspalpation und die Auskultation entlang der arteriellen Hauptstrombahn erfolgen. Optimal wäre dann eine Messung des AnkleBrachial-Index (ABI).
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INTERVIEW
PAVK ist häufig und in der Hausarztpraxis relativ leicht zu diagnostizieren
In der getABI-Studie (German epidemiological trial on Ankle Brachial Index) wurde bei 6880 älteren Patienten (42% Männer, 58% Frauen; Mittelwerte: 72,5 Jahre, BMI 27, Blutdruck 143,7/81,3 mmHg) in 344 Hausarztpraxen mithilfe eines Doppler-Ultraschall-Geräts der Arteriendruck am Knöchel und am Arm gemessen und der Quotient aus den beiden Werten errechnet (ABI). Normalerweise entspricht der Druck in den Beinarterien beim liegenden Patienten etwa dem in den Armarterien, dies ergibt also einen Quotienten von 1. Beträgt der Druck in den Beinen weniger als 90 Prozent des Drucks in den Armen (ABI < 0,9), gilt dies als starker Hinweis für eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK). Die getABI-Studie ergab, dass fast 20 Prozent der Patienten einen ABI < 0,9 und damit ein erhöhtes Schlaganfall- oder Herzinfarktrisiko aufwiesen. Die Mortalität dieser Patienten (alle Ursachen) war nach drei Jahren Follow-up im Vergleich zu den Patienten ohne PAVK massiv erhöht: 10,9 Prozent versus 4,2 Prozent. Die KHK-bedingte Mortalität betrug 4,5 Prozent versus 1,1 Prozent, diejenige von Schlaganfall 1,2 Prozent versus 0,4 Prozent. Auch die Zahl der nicht tödlichen Ereignisse waren bei PAVK-Patienten deutlich erhöht. Eine PAVK verkürzt die Lebenserwartung älterer Menschen stärker als Diabetes: In den ersten fünf Jahren der getABI-Nachbeobachtung starben 12,9 Prozent der Patienten mit Diabetes und 17,5 Prozent der Patienten mit PAVK. Lagen beide Krankheiten vor, betrug die Sterberate 28,2 Prozent. Die deutsche Gesellschaft für Innere Medizin fordert darum ABI-Reihenuntersuchungen für ältere Menschen. Für die Verlässlichkeit der ABI-Bestimmung ist es notwendig, dass der Patient vor der Messung zehn Minuten liegt, damit er sich bei Beginn der Messung nicht mehr in der Abklingphase eines situativ erhöhten Blutdrucks befindet. Anderenfalls kann allein schon die zeitliche Differenz zwischen Oberarm- und Knöchelmessung eine Überschätzung des zuerst gemessenen Werts bedingen. Auf der Website des getABI-Studienleiters informiert ein Video über die korrekte Bestimmung des ABI: http://www.curt-diehm.de/getABIfortbildung-movie.html. Möglicherweise braucht es aber gar keinen Doppler-Ultraschall für das Screening nach PAVK. Ein italienisches Team führte bei 240 Patienten simultane Messungen des Blutdrucks mithilfe der Dopplersonde oder durch Ertasten des Pulsschlags durch und errechnete jeweils den ABI. Die Sensitivität der Palpationsmethode lag bei 88 Prozent (95%-KI: 65—100%), die Spezifität bei 82 Prozent. Der positive prädiktive Wert betrug 18 Prozent und der negative prädiktive Wert 99 Prozent. Das heisst, dass bei einem negativen Befund eine PAVK so gut wie ausgeschlossen werden kann. Die Palpationsmethode bei der Blutdruckmessung zur Bestimmung des ABI sei darum als einfache und kostengünstige Screeningmethode geeignet, viele DopplerUntersuchungen könnten dadurch eingespart werden. Diehm C. et al.: High prevalence of peripheral arterial disease and co-morbidity in 6880 primary care patients: cross-sectional study. Atherosclerosis 2004; 172(1): 95—105. Migliacci R. et al.: Ankle-brachial index measured by palpation for the diagnosis of peripheral arterial disease. Family Practice 2008; 25: 228—232. ARS MEDICI: Ist eine Messung des ABI, die ja ein Dopplergerät voraussetzt, unumgänglich, wie die Richtlinien aus Spezialistenhand verlangen? Im letzten Jahr erschien eine italienische Studie (Kasten), wonach es für ein Screening genauso gut wäre, beim Entlasten der Druckmanschette nur zu ertasten, ab wann der Puls wieder zu spüren ist. Was halten Sie davon? Gröchenig: Die Messung des ABI ist eine Grundvoraussetzung, aber es gibt eine Reihe von Fehlerquellen, die beachtet werden müssen. Die häufigsten sind die fehlende Ruhephase vor der Messung, das verfälscht das Ergebnis zum Teil erheblich. Weitere Fehlerquellen sind falsch angelegte Manschetten «Die Prognose der PAVK ist vergleichbar mit derjenigen beim Kolonkarzinom.» oder die Messung an einer falschen Stelle, das heisst, nicht die A. dorsalis pedis, tibialis posterior oder fibularis, sondern eine Fussrückenarterie wird gemessen. Dann darf man nicht vergessen, dass auch eine derart einfache Untersuchung wie die ABI-Messung entsprechendes Training braucht. Bei der Messung mit Pulspalpation bin ich sehr skeptisch. Allein die Interuntersuchervariabilität beim Pulsstatus ist sehr hoch. Wenn man dazu die durch das Aufpumpen und Wiederablassen der Blutdruckmanschette entstehende Bewegungsunruhe mit einbezieht, verstärkt sich meine Skepsis. Bei schwach tastbaren Pulsen dürfte das Ganze noch aggraviert werden. ARS MEDICI: Welches sind die wichtigsten Punkte zur PAVKTherapie in den noch nicht weit fortgeschrittenen Stadien I und II? Gröchenig: Man muss sich bewusst sein, dass die PAVK eine schwerwiegende Manifestation der Atherosklerose ist, welche häufig andere Gefässbezirke, vor allem die herz- und hirnversorgenden Arterien betrifft. Die Prognose der PAVK ist vergleichbar mit derjenigen beim Kolonkarzinom! Unabhängig davon, ob die PAVK symptomatisch oder asymptomatisch ist, benötigt ein solcher Patient unbedingt eine Sekundärprophylaxe, das heisst einen Thrombozytenfunktionshemmer wie Aspirin oder Clopidogrel (Plavix®), ein Statin mit einem LDLZielwert < 2,6 mmol/l und einen ACE-Hemmer. ARS MEDICI: Gibt es Situationen, in denen das teurere Clopidogrel gegenüber anderen Thrombozytenaggregationshemmern eindeutige Vorteile bietet? Gröchenig: Solche Situationen gibt es: Bei Diabetikern konnte eine Subgruppenanalyse der CAPRIE-Studie zeigen, ARS MEDICI 7 ■ 2009 271 INTERVIEW dass Clopidogrel gegenüber Aspirin einen Vorteil bringt. Bei Beteiligten wünschen: Ein Kolonkarzinom wird ganz anders Zustand nach kritischer Ischämie, bei Mehrgefässbefall und wahrgenommen als eine PAVK. Man sucht aktiv nach Meta- vor allem bei multisegmentalen Unterschenkelarterienproble- stasen, operiert den Patienten, macht eine Chemotherapie men soll Clopidogrel besser wirken als Aspirin. und hält ihn jahrelang unter strenger Kontrolle. Die PAVK hingegen wird häufig einfach zur Kenntnis genommen. Auch ARS MEDICI: Welche Rolle spielen vasoaktive Substanzen hier muss man aktiv nach «Metastasen», das heisst nach einer und Prostanoide in der PAVK-Therapie? Manifestation der Atherosklerose an anderer Stelle, suchen. Gröchenig: Vasoaktive Substanzen spielen eine relativ Auch hier muss eine «Chemotherapie» im Sinne einer Sekun- bescheidene Rolle, können aber additiv zur Unterstützung därprophylaxe durchgeführt werden. Und dieser sollte eine entsprechende Aufmerksamkeit gewidmet werden: Der Einsatz «Der Einsatz eines Thrombozytenfunktionshemmers ist eines Thrombozytenfunktionshem- Grundbedingung, das Erreichen des LDL-Zielwerts muss überprüft und die Dosis des Statins angepasst werden, Risikofaktoren mers ist Grundbedingung, das Erreichen des LDL-Zielwerts muss überprüft und die Dosis des Sta- müssen aggressiv eliminiert werden.» tins angepasst werden, Risikofak- toren müssen aggressiv eliminiert werden. Den Patienten noch zu des Gehtrainings durchaus gegeben werden. Die Studienlage einer entsprechenden Lebensstiländerung zu motivieren und ist hier leider etwas veraltet. Andere Daten gibt es zu dem in ihn auf diesem Weg zu begleiten, ist dann sicher die grösste der Schweiz allerdings nicht zugelassenen Cilostazol, das in Herausforderung an den behandelnden Arzt. Regelmässige den USA eine grosse Rolle bei der Behandlung der PAVK spielt. Kontrollen des «Primärtumors» PAVK und eventueller «Meta- Prostanoide sind nur im Stadium III und IV sinnvoll, dort aber stasen» (koronare, zerebrale Beteiligung) sind ebenfalls not- durch gute randomisierte Studien abgesichert. wendig. Die Erkrankung schreitet chronisch voran und kann durch die Sekundärprophylaxe nur in ihrer Geschwindigkeit ARS MEDICI: Wo sehen Sie aus Ihrer Sicht als Gefässspezia- gebremst werden. ■ list noch weiteren Verbesserungsbedarf im Umgang mit der PAVK? Interessenkonflikte: keine Gröchenig: Ich würde mir mehr Aufmerksamkeit und Auf- geschlossenheit gegenüber dem Problem der PAVK von allen Die Fragen stellten Renate Bonifer und Halid Bas. BEKANNTMACHUNG Innere Medizin: Update — Refresher 20. bis 24. Mai 2009 im Technopark Zürich Diese intensive Fortbildung bietet Internisten, Allgemeinmedizinern und Assistenzärzten in über 40 Stunden: ■ umfassende Updates in den neuesten diagnostischen und therapeutischen Leitlinien in den wichtigsten Bereichen der Inneren ■ Medizin ■ umfassende Themenreview für Assistenzärzte als Vorbereitung auf die Fachprüfung Für diesen Kurs werden 42,5 Credits SGIM / SGAM vergeben. Programmübersicht Mi., 20. Mai 2009 Kardiologie, Neurologie Do, 21. Mai 2009 Rheumatologie, Pneumologie, Versicherungsmedizin Fr., 22. Mai 2009 Gastroenterologie, Nephrologie Sa., 23. Mai 2009 Infektiologie, Endokrinologie, Pharmakologie So., 24. Mai 2009 Hämato-Onkologie, Geriatrie, Angiologie Veranstaltungsort Technopark Zürich Technoparkstrasse 1, 8005 Zürich Teilnahmegebühren Fachärzte: 980 Fr., Assistenzärzte: 870 Fr. Einzeltage: 220 Fr./Tag (Fach- und Assistenzärzte) 272 ARS MEDICI 7 ■ 2009