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Rheumatoide Arthritis im Spiegel der Guidelines
Messen, wie die Behandlung wirkt, und dies kommunizieren
Verschiedene Fachgesellschaften haben aktualisierte Empfehlungen zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis herausgegeben, die in grossen Zügen übereinstimmen, in vielen Details aber Unterschiede aufweisen, wie Prof. Rüdiger Müller aus St. Gallen darlegte.
SCQM online:
https://www.scqm.ch
In der Kohorte des Swiss Clinical Quality Management (SCQM) mit 7850 Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) lassen sich viele Verläufe über lange Zeiträume beobachten. Dabei zeigt sich, dass der Krankheitsaktivitätsscore DAS-28 in den ersten Jahren nach der Diagnose rasch abnimmt und dann während Jahrzehnten auf einem Niveau niedriger Krankheitsaktivität verharrt, ohne wieder deutlich anzusteigen. Dies kann als Erfolgszeichen der heutigen Therapie gewertet werden. Allerdings nimmt in denselben Zeiträumen der Score für die radiologische Progression deutlich zu, und dasselbe gilt für die Scores im Health Assessment Questionnaire (HAQ). «Das heisst, je länger die Erkrankung dauert, desto mehr geht kaputt, auch heute noch in den Zeiten der Biologika, und desto mehr Probleme haben die Patienten mit dem Verrichten der alltäglichen Tätigkeiten», betonte Müller.
Unterschiedliche Guidelines in Europa, Amerika und Asien
Heute haben die Guidelines verschiedener Fachgesellschaften (European League Against Rheumatism [EULAR], American College of Rheumatology [ACR], Asia Pacific League of Associations for Rheumatology [APLAR]) viel Gewicht und werden oft diskutiert (1–3). Die aktuellen EULAR-Guidelines nennen vier übergreifende Prinzipien und geben zehn Empfehlungen. Die ACR-Guidelines bezeichnen sechs Grundbedingungen und Prinzipien und führen sieben Empfehlungen zur frühen RA sowie 15 Empfehlungen zur etablierten RA an, ausserdem berücksichtigen sie Begleiterkrankungen. Die APLARGuidelines geben sogar 40 Empfehlungen genereller Art einerseits, zur medikamentösen Therapie mit nicht steroidalen Antirheumatika und Glukokortikoiden sowie zu den verschiedenen Klassen krankheitsmodifizierender Medikamente (DMARD) andererseits.
Verlaufskontrolle durch Arzt und Patient
Alle drei Fachgesellschaften erklären, dass die Auswirkungen der Therapie gemessen werden und dass aus diesen Messungen Ziele für die Therapie definiert werden sollen. Dies muss mit den Patienten besprochen werden und zu gemeinsamen Therapieentscheidungen führen. Von verschiedenen Beurteilungsinstrumenten wird am häufigsten der Krankheitsaktivitätsscore DAS-28 inklusive globaler Beurteilung durch Patient und Arzt zusammen mit Entzündungsparametern (BSR, CRP) eingesetzt. «Instrumente wie der DAS-28 schaffen eine Kommunika-
tionsebene. Sie erlauben Vergleiche zwischen aktuellen und früheren Befunden, die auch mit dem Patienten besprochen werden können», gab sich Müller überzeugt. Fachgesellschaften empfehlen eine Überwachung der Therapie mit Kontrollen alle 1 bis 3 Monate. Wie ein einfaches Rechenbeispiel für die Schweiz zeigt, wäre ein solches Kontrollpensum durch die in der Schweiz aktiven Rheumatologen gar nicht zu leisten. Heute bieten aber Selbstbeurteilungsinstrumente wie die Apps «Com PassII» (wöchentlich) und «iDialog» (monatlich), die im SCQM abrufbar sind, eine Möglichkeit zur zeitsparenden Verlaufskontrolle durch die Patienten. Aus dem SCQM-Register ist auch bekannt, dass bei Patienten mit 40-jähriger Krankheitsdauer Rheumaknoten bei mehr als der Hälfte und selbst bei Erkrankungsdauer unter 5 Jahren auch schon bei 7 Prozent nachweisbar sind. In den ersten Erkrankungsjahren treten extraartikuläre Manifestationen schon in den ersten 5 Jahren bei fast 50 Prozent auf und steigen im Verlauf auf 80 bis 90 Prozent zu. Dies überrasche nicht bei einer Systemerkrankung wie der RA, man müsse aber nach Symptomen an Auge, Lunge und so weiter fragen.
Methotrexat s.c. bevorzugen
Hinsichtlich der medikamentösen Therapie geben die aktuellen Guidelines unterschiedliche Empfehlungen. Grundsätzlich befürwortet die EULAR eine Monotherapie mit Methotrexat (MTX) als Basistherapie, allenfalls ergänzt durch Glukokortikosteroide in niedriger Dosierung (< 7,5 mg/Tag), und durch weitere Therapieschritte wie die Kombination mit anderen DMARD, Biologika oder «small molecules». Bei RA-Patienten des SCQM hat sich gezeigt, dass 20 bis 30 Prozent langfristig ein Glukokortikoid benötigen (4). Dies sind in aller Regel diejenigen Patienten mit schon initial schwererer Erkrankung, was den Steroideinsatz rechtfertigt. «Sehr gut wirksam sind auch Gelenkinfiltrationen mit Glukokortikosteroiden», erinnerte Müller. Schon aufgrund früherer Publikationen ist subkutanes MTX der oralen Verabreichung vorzuziehen, da es die Krankheitsaktivität (ACR20- und ACR70-Scores) besser beeinflusst und bei Steigerung der Dosis auch zuverlässiger zu einer Zunahme der Plasmakonzentrationen führt. Eine neue Studie hat auch gezeigt, dass im Vergleich zu oralem MTX mehr mit subkutanem MTX behandelte Patienten bei der Therapie bleiben (5).
8 • CongressSelection Rheumatologie • November 2017
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Viele RA-Patienten benötigen im Verlauf ein Biologikum
Schon vor Beginn der Therapie sollen Blutbild, Leberund Nierenfunktion, Hepatitisscreening und Thoraxröntgenbild inklusive Quantiferontest dokumentiert werden. Da im Verlauf ein beträchtlicher Prozentsatz der Patienten ein Biologikum benötigen wird, ist die Beurteilung des Quantiferontests vor Einsetzen der Immunsuppression wesentlich einfacher. «Persönlich beginne ich eine Monotherapie mit MTX s.c. Da wir in der Schweiz nach 3 Monaten die Möglichkeit haben, ein Biologikum einzusetzen, verzichte ich auf den Einsatz einer Kombinationstherapie mit konventionellen synthetischen DMARD (csDMARD), da sonst zu viele Substanzen im Spiel sind», erwähnte Müller. Bei inadäquatem Ansprechen auf die DMARD-Therapie (DMARD-IR) und ungünstigen prognostischen Faktoren (mittlere bis schwere Krankheitsaktivität, viele geschwollene Gelenke, frühe Erosionen, hohe AkutphasenEntzündungsmarker, positiver Rheumafaktor und/oder Antikörper gegen citrullinierte Peptide [ACPA]) empfiehlt die EULAR die Kombination mit einem Biologikum (Tumornekrosefaktor-[TNF-]Hemmer oder andere). «Ich kann keine Hinweise geben, in welcher Sequenz wir Biologika und ‹small molecules› nacheinander schalten sollen. Es gibt für jedes in jedem Stadium gute Evidenz, dass es gut funktioniert», sagte Müller. Er plädierte auch dafür, wenn möglich beim Wechsel zu Tofacitinib (Xeljanz®) oder Tocilizumab (Actemra®) das MTX beizubehalten, da es bei einem allfälligen Versagen dieser Therapien in einem späteren Schritt ohnehin wieder benötigt wird. Dieses Vorgehen sei sinnvoll, obwohl diese Medikamente auch in Monotherapie ihre Wirksamkeit bewiesen hätten. Zudem ist für Tocilizumab belegt, dass die Remission in Kombination mit MTX rascher eintritt.
Wie die Therapie reduzieren?
Bei gutem Therapieansprechen kann die Behandlung reduziert oder ausgeschlichen werden. Hierfür gibt es keine genauen Vorschriften. Oft wird empfohlen, zuerst das Glukokortikoid auszuschleichen, sofern es Bestandteil der Therapie war. «Bei gutem Ansprechen auf die Kombinationsbehandlung DMARD plus Biologikum tendiere ich dazu, das DMARD herauszunehmen. Dies aus der Überlegung, dass es den Grund gab, seinerzeit das Biologikum einzusetzen, weil das DMARD allein nicht ausreichte», so der Hinweis von Müller. Die Guidelines lassen diese Frage offen, betonen aber, dass nicht alle Komponenten der Therapie früh völlig ab-
Take Home Messa es
® Je länger die rheumatoide Arthritis besteht, desto mehr Schäden entstehen – auch
heute noch in den Zeiten der Biologika.
® Instrumente wie der DAS-28 schaffen eine Kommunikationsebene und erlauben Ver-
gleiche zwischen aktuellen und früheren Befunden.
® Selbstbeurteilungsinstrumente wie die Apps «ComPassII» und «iDialog» sind eine
Möglichkeit zur zeitsparenden Verlaufskontrolle.
® Subkutan injiziertes Methotrexat ist der oralen Verabreichung vorzuziehen.
® In welcher Sequenz Biologika und «small molecules» nacheinander geschaltet werden
sollen, bleibt zurzeit offen.
® Biosimilars können genau gleich eingesetzt werden wie das Biooriginal, sofern die
Zulassung die gegebene Indikation umfasst.
gesetzt werden sollen. Wenn keine Zweifel bestehen, dass es sich um eine RA handelt, wenn Erosionen vorliegen und der Rheumafaktor positiv ist, ist grösste Zurückhaltung beim gänzlichen Aussetzen der Medikamente angezeigt, auch wenn der Patient Druck macht.
Infektionen als Problem
Bei Patienten mit positivem Quantiferontest kann Abatacept (Orencia®) Vorteile bieten, da es gemäss den verfügbaren Daten damit nicht zu Tuberkulosereaktivierungen kommt. In dieser Situation ist es jeweils besser, keinen TNF-Hemmer einzusetzen. Mit den verschiedenen medikamentösen Optionen (csDMARD in Mono- oder Kombinationstherapie, TNFHemmer, andere Biologika) können Pneumokokken-, Influenza-, Hepatitis-B- und HPV-Impfungen problemlos kombiniert werden. Eine Ausnahme ist die Impfung gegen Herpes zoster, die bei TNF-Hemmern und anderen Biologika nur vor Therapiebeginn durchgeführt werden kann. Unter Biologika ist das Ansprechen auf die Hepatitis-B-Impfung verringert, sie sollte deshalb nur bei Risikopersonen (z.B. medizinischem Personal) vorgenommen werden, wenn möglich während einer heruntergefahrenen, das Immunsystem kompromittierenden entzündungshemmenden Therapie.
Viel spricht für Biosimilars
Soeben sind evidenzbasierte Konsensempfehlungen publiziert worden, die den Einsatz von Biosimilars bei RA energisch befürworten (6). Wenn die Zulassungsbehörden ein Biosimilar zugelassen haben, ist davon auszugehen, dass der Nachweis erbracht wurde, dass es hinsichtlich Wirksamkeit weder besser noch schlechter ist als das Originalbiologikum und dass es hinsichtlich Sicherheit nicht unterlegen ist. Ausserdem müssten die Kosten gesenkt werden, um den Zugang zu optimalen Therapien zu verbessern. Praktisch bedeutsam ist, dass ein Biosimilar genau gleich eingesetzt werden kann wie das Biooriginal, sofern die Zulassung die gegebene Indikation beinhaltet. Der einzelne Wechsel von einem Originalbiologikum zu einem Biosimilar ist aufgrund der verfügbaren Daten sicher und effektiv. Der Patient muss jedoch immer über den Wechsel informiert werden.
Halid Bas
Referenzen: 1. Smolen JS et al.: EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheumatic drugs: 2016 update. Ann Rheum Dis 2017; 76(6): 960–977. 2. Singh JA et al.: 2015 American College of Rheumatology guideline for the treatment of rheumatoid arthritis. Arthritis Rheumatol 2016; 68(1): 1–26. 3. Lau CS et al.: APLAR rheumatoid arthritis treatment recommendations. Int J Rheum Dis 2015; 18(7): 685–713. 4. Mueller RB et al.: Does addition of glucocorticoids to the initial therapy influence the later course of the disease in patients with early RA? Results from the Swiss prospective observational registry (SCQM). Clin Rheumatol 2017; 36(1): 59–66. 5. Hazlewood GS et al.: The comparative effectiveness of oral versus subcutaneous methotrexate for the treatment of early rheumatoid arthritis. Ann Rheum Dis 2016; 75(6): 1003–1008. 6. Kay J et al.: Consensus-based recommendations for the use of biosimilars to treat rheumatological diseases. Ann Rheum Dis 2017 Sep 2. pii: annrheumdis-2017-211937.
Quelle: Meet the Expert Session XVI: «Rheumatoide Arthritis». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie, 8. September 2017 in Interlaken.
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