Transkript
FORTBILDUNG
Guidelines zur atopischen Dermatitis
Was Allergologen und Dermatologen empfehlen
Die atopische Dermatitis (AD) ist eine häufige Hauterkran-
kung, mit der viele Ärzte der Primärversorgung sowie Der-
matologen und Allergologen konfrontiert werden. Um das
AD-Management aus unterschiedlichen Perspektiven zu
beleuchten, wertete ein Autorenteam die amerikanischen
AD-Leitlinien von allergologischen und dermatologischen
Fachgesellschaften aus.
Journal of Allergy and Clinical Immunology
Die AD ist eine chronische, in Schüben verlaufende entzündliche Dermatitis, die oft von Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen behandelt wird. Da die Pathogenese der AD komplex und multifaktoriell ist, gibt es zahlreiche Behandlungsansätze. Aktuelle AD-Therapie-Leitlinien bilden ein breites Spektrum an Interventionen ab – von der Behandlung akuter Schübe bis hin zu Modifikationen der Umgebung des Patienten. Allergologen und Dermatologen haben sowohl gemeinsame als auch unterschiedliche Ansätze für das AD-Management, die in den Leitlinien der jeweiligen Fachgesellschaften dargestellt werden. Eine aktuelle Arbeit vergleicht die Leitlinie Joint Task Force (JTF) 2012 AD Practice Parameter der American Academy of Allergy, Asthma & Immunology (AAAAI) und des American College of Allergy, Asthma & Immunology (ACAAI) mit der AD-Leitlinie der American Academy of Dermatology (AAD) aus dem Jahr 2014. Beide Guidelines definieren die AD als chronische, juckende, inflammatorische Erkrankung, die sich häufig in der Kindheit manifestiert, aber auch Erwachsene betreffen und familiär gehäuft auftreten kann. Die AAD-Leitlinie weist darauf hin, dass die AD mit weiteren Typ-I-Allergien – allergische Rhinitis und Asthma – assoziiert ist. Beide Guidelines stim-
MERKSÄTZE
O Die atopische Dermatitis (AD) ist eine häufige chronische Hauterkrankung, an deren Management verschiedene Fachgruppen beteiligt sind.
O Vorgestellt werden Therapieempfehlungen aus den AD-Leitlinien US-amerikanischer Fachgesellschaften für Dermatologie beziehungsweise Allergologie.
men darin überein, dass die AD klinisch diagnostiziert wird, nämlich auf der Basis von Anamnese, typischen klinischen Befunden und Ausschluss anderer Dermatosen. Die AADLeitlinie enthält standardisierte Diagnostikkriterien auf der Basis des Diagnoseschemas von Hanifin und Rajika (Kasten 1).
Nicht medikamentöse Interventionen
Beide Guidelines empfehlen warme Bäder und danach feuchtigkeitsspendende Externa (Moisturizer). Austrocknende, hautreizende Seifen mit alkalischem pH sollen vermieden werden. Beide Leitlinien raten zum sparsamen Einsatz von hypoallergenen Seifen mit neutralem pH und ohne Duftstoffe beziehungsweise zu seifenfreien Hautreinigungsmitteln. Topische Therapien sind der Grundpfeiler der AD-Therapie. Beide Guidelines stimmen darin überein, dass Moisturizer die Funktion der Hautbarriere verbessern, den transdermalen Wasserverlust reduzieren und dadurch die Hauthydratation verbessern. Feuchtigkeitsspender wurden als Primärtherapie bei milder AD und als Zusatztherapie bei mässiger bis schwerer AD bezeichnet. Klinisch reduzieren Moisturizer die AD-typischen Veränderungen wie Erytheme, Fissuren und Juckreiz, und sie senken die Menge an verschreibungspflichtigen topischen Substanzen, die für eine adäquate ADKontrolle benötigt werden. Da sich kein Moisturizer als überlegen erwiesen hat, kann die Auswahl je nach Vorliebe von Patient und Arzt getroffen werden.
Topische Pharmakotherapie
Kortikosteroide Topische Kortikosteroide (TCS) werden als effektive ADTherapie befürwortet. Sie sind indiziert, wenn nicht medikamentöse Massnahmen versagt haben. TCS sind sowohl bei aktiver Inflammation effektiv als auch zur Prophylaxe. Doch gibt es keine Daten, die den Einsatz einer bestimmten Substanz aus den sieben TCS-Klassen empfehlen. Gemäss beiden Leitlinien werden niedrig potente TCS im Allgemeinen für die Erhaltungstherapie empfohlen, während TCS von moderater bis hoher Potenz für die AD-Akuttherapie empfohlen werden. Es gibt nur wenige Daten zur optimalen Dosierung und Behandlungsfrequenz von TCS. In der Therapie der akuten AD wird häufig die zweimal tägliche Applikation empfohlen, was auf den Zulassungsstudien der meisten TCS basiert, die für die zweimal tägliche Applikation zugelassen wurden. Doch es gibt auch Studien, die diskutieren, dass die einmal tägliche Gabe von TCS so effektiv sein soll wie die zweimal tägliche Applikation.
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FORTBILDUNG
Kasten 1:
Diagnostik von AD-Patienten: Merkmale, auf die zu achten ist
Essenzielle Kriterien
Folgende Merkmale müssen vorliegen: O Pruritus und Ekzem (akut, subakut oder chronisch) O typische Morphologie und altersspezifische Muster O chronischer oder schubweiser Verlauf.
Wichtige Kriterien
Diese Merkmale werden bei der Mehrheit der Patienten beobachtet und stützen die Diagnose: O frühes Manifestationsalter, Atopie, positive persönliche und/oder
Familienanamnese, IgE-Reaktivität, Xerosis.
Assoziierte Kriterien
Diese Kriterien lassen an die Diagnose denken, sind aber unspezifisch:
O atypische Gefässreaktionen O Keratosis pilaris, Pityriasis alba, ausgeprägte Furchen der Hand-
innenflächen, Ichthyosis, okuläre/periokuläre Veränderungen O andere regionale Befunde (periorale Veränderungen, periauri-
kuläre Läsionen O perifollikuläre Akzentuierung, Lichenifikation, Kratzspuren.
Beide Leitlinien raten zum vorsichtigen Einsatz von TCS auf bestimmten Arealen mit dünner Haut wie Gesicht, Hals und Hautfalten, da unerwünschte Wirkungen direkt korrelieren mit der Oberfläche der betroffenen Haut, der Hautdicke und dem Einsatz von Okklusivverbänden sowie der Potenz und der Dauer der TCS-Applikation. Zu den unerwünschten lokalen TCS-Wirkungen zählen unter anderem akne- oder rosazeaartige Eruptionen, fokale Hypertrichose, Hautatrophie, Striae und Teleangiektasien. Systemische Nebenwirkungen sind selten, jedoch besteht ein gewisses Risiko für eine Suppression der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse und des Wachstums. Dennoch warnt die AAD-Leitlinie dezidiert vor einer Untertherapie aufgrund einer Steroidphobie.
Calcineurininhibitoren Die topischen Calcineurininhibitoren (TCI) Tacrolimus und Pimecrolimus sind eine separate Klasse steroidsparender, antiinflammatorischer Substanzen, deren Wirksamkeit sowohl bei akuten Schüben als auch in der AD-Erhaltungstherapie bei Erwachsenen und bei Kindern ab sechs Jahren nachgewiesen wurde. Die zweimal tägliche Applikation von Tacrolimussalbe oder Pimecrolimuscreme ist wirksam in der Therapie entzündeter AD-Läsionen und gegen den Juckreiz. Im Gegensatz dazu wurde gezeigt, dass die proaktive oder ADErhaltungstherapie, die eine intermittierende Applikation von TCI zweimal täglich oder zwei- bis dreimal wöchentlich auf Stellen mit rezidivierender Beteiligung umfasst, Rückfälle reduziert. Die häufigsten Nebenwirkungen von TCI sind lokale Reaktionen einschliesslich Brennen, Stechen und Juckreiz, die häufig in der ersten Behandlungswoche auftreten. Darüber müs-
sen die Patienten aufgeklärt werden, um einen vorzeitigen Therapieabbruch zu vermeiden. Die AAD-Guideline weist darauf hin, dass TCS initial zur Kontrolle eines akuten Schubs eingesetzt werden können, während TCI als Erhaltungstherapie dienen können, um Rezidive zu verhindern. Doch ist die Evidenz für dieses Vorgehen nicht konsistent.
Systemische Therapie
Fototherapie Beide Leitlinien empfehlen die Fototherapie für Patienten, die auf topische Therapien nicht angesprochen haben. Während die AAD-Guideline die verschiedenen Formen der Lichttherapie zwar darstellt, aber keine definitive Empfehlung für eine bestimmte Therapieform abgibt, betrachtet die JTF-Guideline die UV-B-Therapie mit schmalem Spektrum als effektivste Option der Fototherapie, da sie ein Low-risk-Profil aufweist, wirksam und breit verfügbar sowie leicht anzuwenden ist. Zudem empfiehlt die JTF-Leitlinie UV-A1 für akute Exazerbationen und verschiedene UV-B-Modalitäten bei chronischer AD sowie eine Fotochemotherapie mit Psoralen und UV-A nur für Patienten mit schwerer, ausgedehnter AD. Die AAD-Guideline stellt fest, dass die Fototherapie als Erhaltungstherapie bei Patienten mit chronischer Erkrankung eingesetzt werden kann.
Immunsuppression Beide Guidelines empfehlen Immunmodulatoren für die Untergruppe von Patienten mit schwerer AD, die auf topische Therapien und Fototherapie nicht angesprochen haben oder wenn die Lebensqualität stark eingeschränkt ist. Zwar stimmen beide Leitlinien darin überein, dass es kaum Daten gibt, die Angaben zur relativen Wirksamkeit machen. Doch weist die AAD-Guideline darauf hin, dass Cyclosporin, Methotrexat, Mycophenolat-Mofetil und Azathioprin breit eingesetzt werden und wirksamer in der AD-Behandlung sind als IFN-gamma und orale Calcineurininhibitoren. Aufgrund insuffizienter Daten kann keine definitive Empfehlung zur optimalen Dosierung und Therapiedauer oder zu Überwachungsprotokollen für diese Medikamente gegeben werden.
Kortikosteroide Die beiden Leitlinien geben unterschiedliche Empfehlungen zum Einsatz systemischer Kortikosteroide. Obwohl die JTFGuideline deren kurzfristigen Einsatz bei Patienten mit akuter Erkrankung stützt, rät sie stark von einer langfristigen Gabe und von einem Einsatz bei Kindern ab. Im Gegensatz dazu empfiehlt die AAD-Leitlinie die Vermeidung systemischer Kortikosteroide in der Behandlung der AD, wenn das möglich ist. Diese Therapie sollte ausschliesslich akuten, schweren Exazerbationen vorbehalten bleiben beziehungsweise zur Überbrückung hin zu einer anderen systemischen, steroidsparenden Therapie eingesetzt werden.
Antihistaminika Die AAD rät von einem allgemeinen Einsatz systemischer sedierender und nicht sedierender Antihistaminika ab. Doch schlagen beide Leitlinien sedierende Antihistaminika für den kurzfristigen, sporadischen Einsatz bei Patienten vor, deren Nachtschlaf durch Juckreiz gestört ist.
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FORTBILDUNG
Kasten 2:
Wann überweisen?
Die JTF-Guideline empfiehlt die Überweisung des AD-Patienten an einen Spezialisten, wenn: O der Patient eine schwere Erkrankung und als Folge davon ver-
schiedene Komorbiditäten aufweist O allergische Trigger identifiziert werden sollen O die Diagnose einer AD fraglich ist O Empfehlungen für eine Therapieumstellung benötigt werden.
Vitamin D In der AAD-Guideline wird Vitamin D nicht diskutiert. Die JTF-Leitlinie schlägt eine Vitamin-D-Supplementierung für AD-Patienten vor, insbesondere wenn bei ihnen niedrige Vitamin-D-Spiegel vorliegen oder wenn sie eine geringe Vitamin-D-Zufuhr aufweisen.
Umweltfaktoren Beide Guidelines erkennen die potenzielle Rolle von Irritanzien, Aeroallergenen und Nahrungsmitteln in der ADSymptomatologie an. Die Vermeidung patientenspezifischer Allergene und Irritanzien kann die Schwere der Erkrankung mildern und zu einer Besserung der Symptome führen. Angesichts der niedrigeren Schwelle für Hautreizungen bei AD-Patienten empfehlen beide Fachgruppen die Vermeidung
häufiger Triggerfaktoren (d.h. Säuren, Bleichmittel, Duftstoffe, Lösungsmittel und Wolle). Die JTF-Leitlinie befürwortet zusätzliche Umweltmodifikationen, nämlich eine Kontrolle von Umgebungstemperatur und -feuchtigkeit, Vermeidung von Kontaktsportarten und extremem Schwitzen sowie den bevorzugten Einsatz von nicht reizenden Sonnenschutzmitteln.
Allergien
Obwohl der Zusammenhang zwischen allergischer Sensibili-
sierung und AD weithin anerkannt ist, bleibt die Rolle von
Nahrungsmittel- und Umgebungsallergien bei der Erkran-
kung zu diskutieren. Beide Fachgruppen erkennen eine er-
höhte Frequenz von Nahrungsmittelallergien bei AD-Patien-
ten an, insbesondere bei Kindern unter fünf Jahren mit mäs-
siger bis schwerer Erkrankung. Beide Leitlinien fordern dazu
auf, aktiv nach klinischen Zeichen einer Nahrungsmittelal-
lergie zu suchen, wenn sich AD-Patienten in der Praxis vor-
stellen.
O
Andrea Wülker
Quelle: Eichenfield LF et al.: Current guidelines for the evaluation and management of atopic dermatitis: a comparison of the Joint Task Force Practice Parameter and American Academy of Dermatology guidelines. J Allergy Clin Immunol 2017; 130: S47–S49.
Interessenlage: Ein Teil der Autoren der referierten Originalarbeit hat Honorare von Pharmaunternehmen erhalten.
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