Transkript
STUDIE REFERIERT
Vorhofflimmern: Wie sieht die Therapie in der Praxis aus?
Ergebnisse des 2-Jahres-Follow-ups der EORP-AF-Studie liegen vor
Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung bei Erwachsenen und wird häufig mit einem hohen Risiko für Hirnschlag, Thromboembolien und Mortalität assoziiert. Mit dem steigenden Durchschnittsalter der Bevölkerung in Europa sind Prävalenz und Inzidenz von Vorhofflimmern vor allem bei älteren Männern gestiegen. In einem 2-Jahres-Follow-up der EORP-AF-Studie wurden nun die Ergebnisse des 1-Jahres-Follow-ups überprüft.
Europace
In Europa waren 2010 rund 8,8 Millionen Menschen über 55 Jahre von Vorhofflimmern (VHF) betroffen. Bis 2050 wird die Zahl auf schätzungsweise 17,9 Millionen ansteigen. VHF ist mit einem hohen Risiko für kardiovaskuläre und nicht kardiovaskuläre Komplikationen verbunden. So ist zum Beispiel das Risiko für Hirnschlag und Thromboembolien bei Betroffenen fünfmal höher als bei Menschen ohne VHF. An der Studie EORP-AF (EURObservational Research Programme – Atrial Fibrillation) nahmen Patienten teil, die entweder im Spital oder ambulant durch einen Kardiologen behandelt wurden. Die Teilnehmenden stammten aus neun Ländern (Belgien, Dänemark, Niederlande, Norwegen, Polen, Rumä-
MERKSÄTZE
O Durch ein breiter angelegtes Screening könnte Vorhofflimmern (VHF) häufiger entdeckt werden.
O Die Mortalitätsrate bei VHF war im 1-Jahres- und 2-Jahres-Follow-up hoch und lag bei 5,0 Prozent.
O Die risikogerechte Verschreibung von geeigneten oralen Antikoagulanzien ist für die Reduktion von Thromboembolien und Mortalität bei Patienten mit VHF von zentraler Bedeutung.
O Immer mehr Studiendaten bestätigen die Wirksamkeit und Sicherheit von NOAK.
nien, Griechenland, Italien und Portugal). Bei ihnen wurde VHF 12 Monate vor Studienbeginn als primäre oder sekundäre Diagnose gestellt. Das Risiko für Thromboembolien wurde gemäss den Leitlinien (CHA2DS2-VASc-Score) der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) definiert. Das Blutungsrisiko wurde anhand des HAS-BLEDScores beurteilt. An der ursprünglichen Studie, die zwischen 2012 und 2013 durchgeführt wurde, nahmen 3109 Patienten mit VHF teil. Beim 1-Jahres-Follow-up waren 167 (5,4%) der Patienten verstorben, 467 (15,0%) der Patienten standen für ein Follow-up nicht mehr zur Verfügung. Am 2-Jahres-Follow-up war von 1900 (64%) Patienten ein klinischer Status vorhanden. Davon verstarben 101 (5,1%), und 1889 konsultierten ihren Kardiologen mindestens einmal während des 2-Jahres-Followups. Die mittlere Bobachtungszeit für die gesamte Kohorte lag bei 742,3 Tagen.
Ergebnisse des
1-Jahres-Follow-ups bestätigt
Ähnlich wie bei der 1-Jahres-Followup-Studie waren die Patienten, die an permanentem VHF litten, älter als bei anderen VHF-Formen. Geschlechterspezifische Unterschiede wurden bei den verschiedenen VHF-Formen nicht gefunden. Patienten mit hohem Hirnschlagrisiko gehörten vor allem zur Teilnehmergruppe, die seit längerer Zeit an persistierendem und permanentem VHF litt und deren Blutungsrisiko hoch war.
Wie bereits in der 1-Jahres-Follow-upStudie war nur ein kleiner Teil (24,9%) der Patienten mit VHF symptomatisch. Die meisten Patienten wurden während der gesamten Beobachtungszeit mit den gleichen oralen Antikoagulanzien (OA) behandelt. 80,3 Prozent erhielten Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und 82,4 Prozent neue orale Antikoagulanzien (NOAK). Eine relativ grosse Zahl von Patienten, die zu Studienbeginn mit Thrombozytenaggregationshemmern (TAH) behandelt wurden, erhielt nach 2 Jahren VKA (27,2%), NOAK (17%) oder zusätzlich OA zu TAH (20,7%). Patienten mit permanentem VHF wurden häufiger mit OA therapiert als Patienten mit anderen VHF-Formen. Patienten mit permanentem VHF wurde progressiv häufiger VKA verschrieben als Patienten bei der Diagnose der Erkrankung. Patienten, die seit längerer Zeit an persistierendem VHF litten, wurden vor der Konsultation häufiger mit TAH behandelt (p = 0,0097) als nach der Konsultation (p = 0,0479). Patienten mit einem hohen Thromboembolierisiko wurden häufiger mit OA (79%) behandelt als mit TAH. Je höher das Risiko, desto eher wurden VKA verschrieben. NOAK erhielten signifikant mehr Patienten mit moderatem Risiko. Hochrisikopatienten erhielten häufiger TAH.
Symptomfreiheit nicht
mit tieferem Thromboembolie-
risiko gleichzusetzen
Die Resultate der 2-Jahres-Follow-upStudie decken sich mit den Ergebnissen des 1-Jahres-Follow-ups. Die grosse Mehrheit der Patienten mit VHF blieb symptomfrei. OA wurden immer noch häufig (79,5%) eingesetzt. Die Verschreibungen von NOAK nahmen zu. Die neue Follow-up-Studie kommt zum Schluss, dass die Mortalitätsrate infolge von kardiovaskulären Ursachen bei Patienten mit VHF trotz breitem Einsatz von Antikoagulanzien auf hohem Niveau stagniert. Die Mortalitätsrate lag unverändert bei 5,0 Prozent. In mehr als der Hälfte der Fälle (61,8%) waren kardiovaskuläre Ursachen dafür verantwortlich. Hospitalisierungen aufgrund von Herzrhythmusstörungen oder Herzversagen waren häufig, nahmen aber im Vergleich zum 1-Jahres-Follow-up leicht ab. Traten weitere kardiovaskuläre Probleme zum
924
ARS MEDICI 20 I 2017
STUDIE REFERIERT
VHF auf, stieg die Mortalitätsrate im 2-Jahres-Follow-up signifikant an. Bei bis zu 40 Prozent der Patienten verlief das VHF asymptomatisch. Wichtig ist hier die Tatsache, dass Symptomfreiheit nicht mit einem tieferen Risiko für Thromboembolien gleichzusetzen ist. Im Gegenteil: Ein Schlaganfall tritt häufiger bei asymptomatischem VHF auf. Die Leitlinien der ESC empfehlen immer noch ein opportunistisches Screening auf VHF bei allen Patienten, die 65 Jahre oder älter sind. Aufgrund der steigenden Evidenz empfehlen die Studienverantwortlichen, ausgedehntere systematische Screenings in Erwägung zu ziehen. Dank neuer technologischer Möglichkeiten wären breiter angelegte Screenings kosteneffektiv und einfach realisierbar. Dies würde dazu führen, dass viele «neue» Patienten mit VHF früher entdeckt würden. Auch im 2-Jahres-Follow-up war der Einsatz von OA immer noch stark verbreitet. Fast 80 Prozent der Patienten wurden damit behandelt, 85 Prozent davon hatten ein hohes Thromboembolierisiko. Im 2-Jahres-Follow-up konnte zwar eine zunehmende Verschreibung von NOAK verzeichnet werden, aber immer noch über die Hälfte der Patienten erhielt VKA. Hier besteht ein grosser Unterschied zur GLORIA-AF-Studie, bei der 47,7 Prozent der Patienten mit NOAK behandelt wurden. Die Autoren des 2-JahresFollow-ups erklären sich diesen Unterschied mit der Tatsache, dass NOAK bei Studienbeginn gerade erst eingeführt wurden. Viele Patienten, die mit VKA gut eingestellt waren, wollten nicht automatisch auf NOAK umstei-
gen. Zudem ist der Einsatz von NOAK in einigen Ländern, die an der Studie teilgenommen haben, aufgrund der höheren Kosten limitiert. Heute belegen immer mehr randomisierte klinische Studien die Wirksamkeit und Sicherheit von NOAK in der Praxis. Die Autoren gehen davon aus, dass sich NOAK weiter durchsetzen werden.
Komorbiditäten und medikamen-
töse Versorgung als Prädiktoren
einer erhöhten Mortalität
Die Behandlung mit OA, speziell mit NOAK, ist für die Prävention von Thromboembolien wichtig. Auch die Verschreibung von geeigneten OA unter Berücksichtigung des thromboembolischen Risikos ist für die Reduktion von Thromboembolien und Mortalität bei Patienten mit VHF von zentraler Bedeutung. Die Verschreibung ungeeigneter OA ist hingegen assoziiert mit einem höheren Risiko für Thromboembolien und Tod. Ähnlich wie die 1-Jahres-Follow-upStudie und andere vorangegangene Untersuchungen bestätigt das 2-JahresFollow-up ein hohes Risiko für Mortalität und Hospitalisierung für Patienten mit VHF. Im Unterschied zum 1-JahresFollow-up stellten die Autoren im 2-Jahres-Follow-up aber fest, dass VHF per se nicht die Hauptursache für den Tod war. Die Autoren gehen davon aus, dass die medikamentöse Versorgung der Patienten und verschiedene Komorbiditäten wichtigere Prädiktoren für eine erhöhte Mortalitätsrate sind. So besteht ein Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Kalziumkanalblockern, ACE-(«angiotensin-converting enzyme»-)
Hemmern und Statinen sowie einer tie-
feren Mortalitätsrate. Die Autoren ver-
muten, dass ein gesamter klinischer
Status und geeignete Therapien das
Mortalitätsrisiko von Patienten mit
VHF wesentlich beeinflussen könnten,
vielleicht sogar noch mehr als die Ein-
schätzung des Hirnschlagrisikos und
die Therapie mit OA. Weitere Studien
sind notwendig, um zu verstehen, ob
eine umfassendere klinische Abklärung
und eine angepasste medizinische Be-
handlung von Patienten mit VHF und
anderen Komorbiditäten die Mortali-
tätsrate weiter senken könnten. Auf-
grund der enormen klinischen Bedeu-
tung und der hohen Gesundheitskos-
ten, die durch VHF verursacht werden,
soll die Sammlung prospektiver Daten
von Kohorten aus der Praxis dazu bei-
tragen, Best-practice-Standards zu eta-
blieren und weitere Optionen zur Re-
duktion der Morbidität und Mortalität
zu prüfen.
O
Susanna Steimer Miller
Quelle: Proietti M et al.: «Real-world» atrial fibrillation management in Europe: observations from the 2-year follow-up of the EURObservational Research ProgrammeAtrial Fibrillation General Registry Pilot Phase. Europace 2017; 19: 722–733.
Interessenlage: Das EORP wird von diversen Pharmaunternehmen unterstützt: Abbott Vascular Int. (2011–2014), Amgen (2012–2015), AstraZeneca (2014–2017), Bayer (2013–2018), Boehringer Ingelheim, (2013–2016), Boston Scientific (2010–2012), The Bristol Myers Squibb and Pfizer Alliance (2014–2016), The Alliance Daiichi Sankyo Europe GmbH and Eli Lilly and Company (2014–2017), Gedeon Richter Plc. (2014–2017), Menarini Int. Op. (2010–2012), MSD-Merck & Co. (2011–2014), Novartis Pharma AG (2014–2017), ResMed (2014–2016), Sanofi (2010–2011) und Servier (2012–2015).
ARS MEDICI 20 I 2017
925