Transkript
Interview
Ovarialkarzinom
Behandlungsziel: personalisierteTherapie
Erstmals seit Langem kommt wieder Bewegung in die Therapie des Ovarialkarzinoms, vor allem für Patientinnen mit BRCA1/2-Mutationen. Umstritten sei derzeit allerdings das optimale Vorgehen bei der entsprechenden genetischen Untersuchung, sagt Prof. Dr. med. Nicoletta Colombo, Leiterin der Abteilung für Gynäkologische Onkologie am Europäischen Institut für Onkologie in Mailand im Interview.
Prof. Dr. med. Nicoletta Colombo
ONKOLOGIE: Frau Professor Colombo, was sind derzeit die grössten Herausforderungen im Management des Ovarialkarzinoms? Prof. Nicoletta Colombo: Als Erstes ist zu erwähnen, dass keine Möglichkeit für eine Frühdiagnose – also für eine Entdeckung im Stadium 1 – verfügbar ist. Daher wird die Mehrheit der Patientinnen, rund 70 bis 75%, erst im sehr fortgeschrittenen Stadium III oder IV diagnostiziert. Diese Patientinnen werden mittels primärer zytoreduktiver Chirurgie und nachfolgender Chemotherapie behandelt, worauf etwa 8 von 9 Frauen ansprechen. Das ist zwar grundsätzlich gut, doch das nächste Problem ist: Die meisten, nämlich 70 bis 80%, rezidivieren. Die Herausforderung ist daher, die Kontrolle der Krankheit für eine lange oder zumindest eine längere Zeit zu erhalten. Denn ein Rezidiv ist immer eine sehr schlechte
«Die Herausforderung ist daher, die Kontrolle der
Krankheit für eine lange oder zumindest eine längere
Zeit zu erhalten.»
Situation, sowohl von körperlicher als auch von psychologischer Seite her: eine neuerliche Chemotherapie anfangen, nochmals die Nebenwirkungen ertragen, und die seelische Belastung ist natürlich enorm. Denn ein Rezidiv heisst, die Patientin wird sterben – nicht sofort, aber langfristig.
Die Herausforderungen lauten also Frühdiagnose und Erhalt des Ansprechens? Nicoletta Colombo: Ja. Und hier haben wir in den letzten Jahren eindeutige Fortschritte zu verbuchen: Vor 2 Jahren zeigten Studien in den USA und Europa eine
Verbesserung von Ansprechrate und krankheitsfreiem Überleben bei zusätzlicher Verabreichung des antiangiogenen Wirkstoffs Bevacizumab in der Frontline; das heisst, die Patientinnen rezidivieren zwar immer noch, aber eben später. Im ICON7-Trial wurde ausserdem gezeigt, dass bei Hochrisikopatientinnen, die nicht operabel oder im Stadium IV sind, nicht nur das progressionsfreie Überleben, das PFS, sondern auch das Gesamtüberleben verbessert wird (1). In einer Subgruppenanalyse zeigte sich sogar bei Patientinnen ohne Residualtumor ein Vorteil des PFS.
Ab wann gelten Patientinnen als geheilt? Nicoletta Colombo: Nach einer Zeitspanne von 5 Jahren ohne Rezidiv ist die deutliche Mehrheit wahrscheinlich geheilt, Rezidive sind nach 5 Jahren wirklich selten. Die Ausnahmen sind Patientinnen mit BRCA-Mutation, vor allem mit BRCA2 – sie haben eine sehr gute Prognose und ein sehr langes Überleben, doch bei manchen kann auch sehr spät ein Rezidiv auftreten.
Welche Bedeutung hat der genetische Status? Nicoletta Colombo: Vor allem aufgrund der Zulassung des PARP-Inhibitors Olaparib zur Therapie von Patientinnen mit Ovarialkarzinom und BRCA-Mutation wird diese Testung immer wichtiger, und je mehr wir testen, desto mehr wissen wir. Beispielsweise treten BRCA-Mutationen bei hochgradigen serösen Tumoren bei bis zu 25% auf, mit wichtigen Implikationen: Erstens ist die Prognose besser, zweitens ist die Sensitivität auf platinhaltige Wirkstoffe höher, daher leben diese Patientinnen auch länger. Allerdings gibt es auch einen höheren Prozentsatz von
Myelotoxizität und mehr Hypersensibilitätsreaktionen gegen platinhaltige Wirkstoffe. Am wichtigsten ist jedoch, dass die BRCA-mutierten Patientinnen für die Therapie mit PARP-Inhibitoren geeignet sind. Zudem haben wir jetzt vom ESMO Daten zum PARP-Inhibitor Niraparib, der nach Chemotherapie versus Plazebo eingesetzt wurde. Demnach haben auch Patientinnen ohne BRCA-Mutationen einen statistisch signifikanten Nutzen, nämlich ein PFS von 6,9 versus 3,8 Monate; bei Patientinnen mit Mutation war der Unterschied wirklich gross, nämlich 21 Monate PFS versus 5,5 Monate. Derzeit können also Patientinnen mit Mutation Olaparib erhalten, und wo Niraparib eingesetzt werden wird, müssen die Arzneimittelbehörden noch entscheiden.
Wo sollen die Mutationen getestet werden, in der Keimbahn oder im Tumorgewebe? Nicoletta Colombo: Die Mehrheit sagt: zuerst die Keimbahn testen, bei negativem Befund das Tumorgewebe. Persönlich würde ich sagen, man sollte mit dem Tumorgewebe beginnen – dort findet man alle Mutationen, also sowohl die somatischen als auch die Keimbahnmutationen – und dann nur bei positivem Befund die Keimbahn testen, um Familienmitglieder informieren zu können. Damit wären auch weniger Tests erforderlich, denn bei Beginn mit der Keimbahn findet man maximal bei 25% der Patientinnen Mutationen, danach muss man also 75% auf somatische Mutationen untersuchen. Das heisst: Bei 100% der Patientinnen werden die Keimbahnmutationen untersucht und dann bei 75% nochmals die somatischen Mutationen! Umgekehrt untersucht man 100% auf somati-
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sche Mutationen und dann nur noch 25% auf Keimbahnmutationen.
Und wann sollte untersucht werden? Nicoletta Colombo: Die Tumorcharakterisierung sollte zum Zeitpunkt der Diagnose erfolgen. Sie hat ja nicht nur prognostische Implikationen für die Patientin selbst, sondern auch einen Kaskaden-
«Die Tumorcharakterisierung sollte zum Zeitpunkt
der Diagnose erfolgen. Sie hat ja nicht nur
prognostische Implikationen für die Patientin selbst, sondern auch einen Kaskadeneffekt für Familienmitglieder.»
effekt für Familienmitglieder: Wenn man hier nämlich Risikopatientinnen erkennt, kann man die einzige Präventionsmassnahme einsetzen, nämlich die prophylaktische Chirurgie, um die Inzidenz dieser furchtbaren Krankheit zu verringern. Wir befürworten übrigens eine prophylaktische Operation erst nach Abschluss der Familienplanung, das ist bei uns in Italien meist nach dem 40. Lebensjahr; in den USA wird das Vorgehen bereits nach dem 35. Lebensjahr empfohlen, also für BRCA1-Mutationen, für BRCA2 etwas später. Wir sind hier wirklich sehr aktiv, denn unserer Meinung nach ist das derzeit der einzige Weg, um die Mortalität und die Inzidenz zu senken. Die ESMOGuidelines vom September empfehlen übrigens für die genetisch belasteten Patientinnen zusätzlich die prophylaktische Mastektomie (2).
Welche weiteren Implikationen der Testung gibt es? Nicoletta Colombo: Natürlich hat die genetische Testung auch therapeutische Implikationen: Phase-III-Studien untersuchen den PARP-Inhibitor Olaparib bei Ovarialkarzinompatientinnen mit BRCA1/2Mutationen (3, 4). Dann läuft derzeit die PAOLA-1-Studie, bei der Patientinnen in
der Erstlinienbehandlung Carboplatin, Paclitaxel und Bevacizumab erhalten und am Ende der Chemo weiterhin Bevacizumab oder Bevacizumab + Olaparib (5). Und auch zu Niraparib in der Erstlinientherapie gibt es jede Menge Studien. Auch die Checkpoint-Inhibitoren werden untersucht, obwohl – und das ist etwas seltsam – die Phase-II-Ansprechraten nicht überragend waren, sie lagen bei rund 10%. Aber wir wissen, dass die Ansprechraten vielleicht nicht ideal für die Beurteilung der Effektivität geeignet sind, und auch ohne gute Ansprechraten kann das Gesamtüberleben beeinflusst werden. Eine Studie untersucht Bevacizumab + Chemotherapie ± Atezolizumab, die andere untersucht Avelumab mit Chemotherapie ohne Bevacizumab.
Sind diese Kombinationstherapien mit einem Risiko für die Patientinnen verbunden? Nicoletta Colombo: Aus derzeitiger Sicht scheinen Checkpoint-Inhibitoren laut Datenlage gut verträglich zu sein, und man kann sie ebenso wie Bevacizumab gut mit verfügbaren Wirkstoffen kombinieren.
Welche Entwicklungen erwarten uns in den nächsten 5 bis 10 Jahren? Nicoletta Colombo: Es wird sicher eine sehr spannende Zeit. Zuerst hatten wir nur die Chemotherapie, dann die Antiangiogenese-Wirkstoffe, dann die PARPInhibitoren und jetzt die Checkpoint-Inhibitoren. Wir müssen noch lernen, das alles zu implementieren. Wenn wir derzeit vom Ovarialkarzinom reden, scheint es eine sehr homogene Erkrankung zu sein, wir behandeln alle Tumore gleich, unabhängig davon, ob es sich um seröse, muzinöse oder Klarzelltumoren handelt – dabei sind sie völlig verschieden, mit einer je ganz unterschiedlichen molekularen Struktur. Heute haben wir die technologischen Möglichkeiten, Merkmale besser zu charakterisieren, ich hoffe daher auf eine verstärkt personalisierte Me-
dizin laut Molekularprofil und histologischem Typ. Klarzelltumore sprechen beispielsweise sehr schlecht auf die Chemotherapie an, wir brauchen hier bessere Optionen für die Patientinnen; derzeit wird der PI3K/ Akt/mTOR-Pfad untersucht, mit hoffentlich besseren Ergebnissen. Muzinöse Tumore zeigen ebenfalls typische Mutationen, da sollte sich die Therapie am Molekularprofil orientieren. Hochgradige seröse Tumore haben leider eine sehr hohe genomische Instabilität, ohne dass klare Driver oder Mutationen ersichtlich wären, es ist daher schwieriger, spezifische therapeutische Zielstrukturen zu finden. Die sogenannte homologe Rekombinationsdefizienz ist wahrscheinlich bei rund der Hälfte der Patientinnen mit hochgradigem serösem Tumor präsent, für diese Gruppe sind PARP-Inhibitoren
«Wir brauchen einfach insgesamt weitere
Zielstrukturen, im Vergleich zu anderen onkologischen
Krankheiten hinken wir beim Ovarialkarzinom ein wenig hinterher.»
sehr wichtig. Aber wir brauchen einfach
insgesamt weitere Zielstrukturen, im Ver-
gleich zu anderen onkologischen Krank-
heiten hinken wir beim Ovarialkarzinom
ein wenig hinterher.
L
Interview: Christine Mücke
Referenzen: 1. Perren TJ et al.: A phase 3 trial of bevacizumab in
ovarian cancer. N Engl J Med 2011; 365: 2484–2496. 2. Paluch-Shimon S et al.: Prevention and screening in
BRCA mutation carriers and other breast/ovarian hereditary cancer syndromes: ESMO Clinical Practice Guidelines for cancer prevention and screening. Annals of Oncology 2016; 27 (Supplement 5): v103–v110.2. 3. ClinicalTrials. gov Identifier: NCT01844986; https:// www.rosenfluh.ch/qr/solo1 4. ClinicalTrials. gov Identifier: NCT01874353; https:// www.rosenfluh.ch/qr/solo2 5. ClinicalTrials. gov Identifier: NCT02477644; https:// www.rosenfluh.ch/qr/paola1
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