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SCHWERPUNKT
Normale und abnormale kolposkopische Befunde
Klassifikation und Bedeutung: Welche Befunde sind «gefährlich»?
Durch die Erkenntnisse der Zusammenhänge zwischen HPV-Infektion und Dysplasie ist das ideale Management in der gynäkologischen Krebsvorsorge zunehmend herausfordernd. Der Artikel erklärt die Bedeutung kolposkopischer Befunde für einen eventuellen Therapieentscheid und erläutert dabei die neuere Klassifikation.
CORNELIA BETSCHART, GIAN-PIERO GHISU, BAEGE ASTRID, DANIEL FINK
Seit den Achtzigerjahren ist als virale Ursache des Zervixkarzinoms das humane Papillomavirus (HPV) bekannt, welches im PCR-Test mit einer hohen Sensitivität detektiert werden kann. HPV-Tests lassen aber keine Rückschlüsse darüber zu, ob Dysplasien oder ein Zervixkarzinom vorliegen, da der positive Vorhersagewert diesbezüglich niedrig ist (1, 2). Der alleinige HPV-Nachweis sagt auch nichts darüber aus, ob das Immunsystem der betroffenen Patientin das Virus eliminieren wird oder ob es zu einer höhergradigen Dysplasie infolge der Infektion kommen wird. Das Wissen, dass meist eine jahrelange HPV-Persistenz zur Entwicklung eines Zervixkarzinomes notwendig ist, ist der Ansatzpunkt zur zytologischen wie auch kolposkopischen Zervixkarzinomvorsorge.
Merkpunkte
I Die Kolposkopie erhöht den positiven prädiktiven Wert der alleinigen zytologischen Dysplasiediagnostik in der Früherkennung von Dysplasien und des Zervixkarzinoms.
I Kolposkopisch abnorme Befunde umfassen das essigpositive Mosaik, die Punktierung, prominente Drüsenausführungsgänge, scharfe Grenzen des essigweissen Epithels, «ridge sign» und «inner border sign».
I Die Keratose, Erosion und Lugolsche Probe sind nicht spezifische Zeichen, welche kontrolliert und bei Persistenz biopsiert werden sollen.
I Atypische Gefässe sind kolposkopisch nicht einfach zu diagnostizieren. Sie gelten in der neuen Nomenklatur aber per se als verdächtig auf eine Invasion und sollen knipsbioptisch abgeklärt werden.
I Mit der Kolposkopie kann die optimale Behandlung von Dysplasien festgelegt sowie, im Fall von konservativer Therapie, deren Verlauf überwacht werden.
I Die zytologischen und histologischen Diagnosen erfahren zunehmend eine
I Kongruenz in der Nomenklatur in LSIL und HSIL, woraus sich Therapien ableiten lassen. Die Empfehlungen sind konservativ zuwartend bei LSIL und chirurgisch intervenierend bei HSIL.
Geschichte und Technik der Kolposkopie
Vater der Kolposkopie ist der deutsche Arzt Hans Hinselmann. Er war bestrebt, das Zervixkarzinom frühzeitiger als durch Palpation oder von blossem Auge möglich zu erkennen. So entwickelte er eine Optik mit einer 6- bis 12-fachen Vergrösserung, die er 1925 in der «Münchner Wochenzeitschrift» vorstellte. Dies war die Geburtsstunde der Kolposkopie, dank welcher normale von abnormen Befunden unterschieden werden können (3). Die Kolposkopie erlaubt, bei einem verdächtigen zytologischen Abstrich oder positiven HPV-Test, die am suspektesten erscheinende Stelle gezielt zu biopsieren und mögliche weitere anogenitale Dysplasien in der Umgebung aufzufinden, zum Beispiel eine vaginale intraepitheliale Neoplasie (VAIN) (Abbildung 1a). Dank der Kolposkopie wird die Treffsicherheit der histologischen Diagnose verbessert, wie sich in einer Studie zeigte, in der die Rate von korrekt positiven Diagnosen aus der Zytologie (61%) dank der Kolposkopie auf 85% erhöht werden konnte (4). Aus die-
Abkürzungen: AGC Atypical Glandular Cells AIN Anal Intraepithelial Neoplasia AIS Adenocarcinoma in situ AK Antikoagulation ASC-US Atypical Squamous Cells of Undetermined
Significance CIN Cervical Intraepithelial Neoplasia HPV Human Papilloma Virus HSIL High grade Squamous Intraepithelial Lesion IFCPC International Federation of Cervical Pathology
and Colposcopy LAST Lower Anogenital Squamous Terminology LSIL Low grade Squamous Intraepithelial Lesion PEIN Penile Intraepithelial Neoplasia VAIN Vaginal Intraepithelial Neoplasia VIN Vulvar Intraepithelial Neoplasia VEGF Vascular Endothelial Growth Factor
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SCHWERPUNKT
sem Grund sollten Konisationen basierend auf einem alleinigen zytologischen Befund vermieden werden. Die Kolposkopie findet nach Abnahme der Zytologie (PAP-Abstrich) statt, da die zur Kolposkopie aufgetupften Lösungen Veränderungen am Epithel hervorrufen können. Der erste Schritt umfasst die Nativkolposkopie: Allfällige Veränderungen, beispielsweise Leukoplakien, fallen bereits in diesem Teil der Untersuchung auf. Auch die Beurteilung der Gefässe erfolgt anlässlich der Nativkolposkopie oder zusätzlich im Grünfilter, der die Gefässe stärker hervortreten lässt. Zur Visualisierung dysplastischer Befunde werden die Zervix und zur vollständigen Diagnostik die gesamte anogenitale Region mit 3- bis 5%iger Essigsäure sorgfältig betupft, womit sich nach Schleimfällung dysplastische Läsionen als weisse, essigpositive Veränderung zeigen. Höhergradige Läsionen («major changes») verfärben sich rasch und intensiv essigweiss. Die zweite Massnahme ist das Betupfen mit Schiller-Jod oder Kaliumjodidlösung, welche dysplastische Areale jodnegativ erscheinen lässt (Abbildung 1a). Die Jodprobe hat in der Kolposkopie des äusseren Genitales keinen Stellenwert.
Normale Befunde
Die Portio konstituiert sich aus Plattenepithel und glandulärem Epithel. Die Transformationszone ist die Zone, wo Plattenepithel der Ektozervix auf glanduläres Epithel der Endozervix stösst. Durch hormonelle Einflüsse können Reservezellen im Zylinderepithel angeregt werden, sich im Verlauf in metaplastisches Epithel zu transformieren (Abbildung 2). Diese noch unreifen, metaplastischen Zellen verfärben sich fein essigpositiv und nehmen fleckförmig Jod auf, was ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal gegenüber der intraepithelialen Neoplasie ist, welche kein Jod aufnimmt. Im Verlauf des Umbauprozesses wird die unreife Metaplasie zur reifen Metaplasie, welche essigpositiv bleibt, jedoch noch deutlicher Jod aufnimmt. Auch narbige Veränderungen (z.B. nach einer Konisation) zeigen sich als weisse Zonen, die aber als neu formiertes Plattenepithel, im Gegensatz zur Dysplasie, Jod aufnehmen (Abbildung 1b). Verbleiben einzelne Zylinderepithelzellen aktiv in der Schleimproduktion, obwohl sie von der zunehmenden Metaplasie überdeckt werden, so kommt es aufgrund des fehlenden Schleimabflusses zur Ausbildung von Ovula Nabothi. Sie schimmern als runde, kugelige, hellgelbe Gebilde durch die Metaplasie. Die Papillomatosis vestibularis ist der vielleicht am schwierigsten zu interpretierende gutartige Befund und führt häufig zu einer Zuweisung für eine Lasertherapie, da sie als Kondylome missinterpretiert wird und auf Aldara®-Therapie nicht anspricht. Dabei handelt es sich um faden- oder kugelartige Veränderungen des Plattenepithels an der Vulva, auf der
VAIN III
a
b
cd
Abbildung 1: a) Jodfärbung: Dysplasien der Portio (CIN II) und der Vagina (VAIN III) zeigen sich jodnegativ. b) Narbe nach Konsiation: in der Nativuntersuchung feine weisse zirkumferenzielle Zone, welche in der Jodfärbung Jod aufnimmt. c) Papillomatosis vestibularis am Labium minus links, Innenseite. Stippchenartige, physiologische, separierbare Veränderungen. d) Atrophie mit sehr dünnem, fragilem Epithel und Mikroblutungen.
Zervix oder der Vagina, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Kondylomen aufweisen, aber im Unterschied zu Letzteren bis auf die Basis separierbar sind (Abbildung 1c). Die Atrophie ist ein typischer Befund der Postmenopause. Das Epithel erscheint zart durchschimmernd mit sichtbaren Gefässen und Mikrotraumata der oberflächlichen, subkutanen Gefässe, welche postmenopausale Blutungen verursachen können (Abbildung 1d). Ebenfalls als Normalbefund gilt die Dezidualisierung von Zylinderepithelzellen im Rahmen einer Schwangerschaft: Die Abgrenzung dieser träubchenförmigen Ausweitung des Zylinderepithels von einem Adenocarcinoma in situ (AIS) ist eine kolposkopische Herausforderung. Die Dezidualisierung kann fein essigpositiv sein und ist in der Transformationszone lokalisiert.
Abnorme Befunde
In der Transformationszone, in der Platten- und Zylinderepithel aufeinandertreffen, bilden sich die meisten durch HPV verursachten pathologischen Befunde. Pathologische Befunde sind essigweisses Epithel, Punktierung, Mosaik (Felderung), Gefässatypien wie Kalibersprünge oder abrupte Richtungsänderungen sowie prominente Drüsenausführungsgänge und das «ridge sign» und «rag sign», welche im Folgenden erklärt werden. Nicht HPV-assoziierte unspezifische
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SCHWERPUNKT
Tabelle 1:
Vorgehen bei abnormen kolposkopischen Befunden – allgemeine und spezielle Situationen aus der Praxis der Kolposkopiesprechstunde am Universitätsspital Zürich (USZ)
Pathologische Befunde «Minor changes» «Major changes»
Verdacht auf Invasion
Stenose
Transformationszone nicht einsehbar (TZ 3) Nicht spezifische Zeichen
Schwangerschaft
Orale Antikoagulation Thrombozytenaggregationshemmung Immunsuppression (HIV/Transplantation/ zystische Fibrose) Endokarditisprophylaxe
Wann und wie biopsieren? Kolposkopische Präsentation Feines essigweisses Epithel Feine Punktierung Feines Mosaik Intensiv essigweisses Epithel Grobe Punktierung Grobes Mosaik Prominente Drüsenausführungsgänge Scharfe Grenzen «ridge sign», «rag sign», «inner border sign» Rasche Essigsäurewirkung Atypische Gefässe Auf Berührung blutende Gefässe, unregelmässige Oberfläche, exophytische Läsion, Nekrose, Ulkus, Tumor Kolposkopie nicht aussagekräftig
Kolposkopie nicht aussagekräftig
Leukoplakie Erosion Lugolsche Probe V.a. Endometriose Zyste
Polyp endo-/ektozervikal
Kondylome
Dunkle Nävi, V.a. Melanom
«Major changes»
«Major changes»
Massnahme Kontrolle in 6 Monaten, sofern PAP ≤ LSIL, sonst direkt Biopsie
Biopsie (auch bei LSIL oder normalem PAP)
Sofortige Biopsie, unabhängig vom Pap-Resultat
Falls Atrophie: lokale Östrogenisierung und Kontrolle; falls Überhäutung/Epithelialisierung: Versuch der Eröffnung mit Schnittscher Klemme oder Knopfsonde oder Dilatation in Narkose bei V.a. höhergradige Läsion oder St.n. HPV-high-risk-Nachweis Endozervikaler Zytobrush, endozervikale Kürettage bei auffälligem PAP Wenn indiziert: Infektbehandlung, ggf. Behandlung der Autoimmunerkrankung bei Persistenz: Biopsie Biopsie Sofern Ovula Nabothi: nihil; kolposkopische Dokumentation Unklare Zyste: Biopsie Entfernung in toto; in postmenopausaler Situation: HSK und frakt. Kürettage Lokale Behandlung; bei Persistenz: Biopsie und Laserevaporation Exzision in toto zur Stadiumbestimmung; Biopsie nur, wo Exzision in toto nicht möglich, z.B. klitoral Biopsie, falls zytologisch oder kolposkopisch V.a. Invasion; falls höhergradige Dysplasie: Kontrollen alle 8 Wochen; Konisation in Schwangerschaft nur bei Invasionsverdacht (Elektroschlinge, keine Messerkonisation, keine CK-Kürettage); Kontrolle 6 Wochen post partum in Kolposkopie-Sprechstunde Knipsbiopsie unter AK möglich; bei ausgedehnten Befunden Umstellung auf niedermolekulares Heparin
«Major changes»
Biopsie; keine Antibiose notwendig
«Major changes»
Biopsie ohne Antibiose; Endokarditisprophylaxe nur bei aktiver Infektion: – Standard parenteral: Amoxicillin/Clavulansäure 2,2 g i.v. – bei Penicillinallergie: Vancomycin 1 g i.v. plus Ciprofloxacin
400 mg oder plus Metronidazol 500 mg i.v.
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SCHWERPUNKT
lation ist in Tabelle 1 zusammengefasst (5). Generell lässt sich sagen, dass kolposkopisch abnorme Befunde der Ektozervix durch eine Knipsbiopsie, intrazervikale Befunde (TZ 3) mit einer endozervikalen Kürettage und tiefem Zytobrush abgeklärt werden sollen. Auch in der Nachsorge von behandelten Dysplasien, insbesondere bei nicht im Gesunden entfernten Befunden, ist die Kolposkopie ein wichtiges diagnostisches Instrument. Im Folgenden werden die einzelnen pathologischen Befunde charakterisiert.
ab
Abbildung 2: a) Metaplasie (M) in 5% Essigfärbung, zart essigpositiv. In der kolposkopischen Skizze ist die Metaplasie in der Essigprobe blau, in der Jodprobe rot. Schwarze Punkte entsprechen Drüsenausführgängen. b) Jodfärbung: Die unreife Metaplasie (M) färbt sich leicht jodfarbig an, das reife Plattenepithel mit einem hohen Glykogengehalt färbt sich dunkelbraun an.
Punktierung und Mosaik Durch die dysplastische Zellzunahme über der Basalmembran werden die Reteleisten schmaler und elongierter, und der venöse Mikrorückfluss erfolgt verzögert. Diese Vaskularisierung kommt als Punktierung zur Darstellung. Stehen die zarten Pünktchen dicht nebeneinander, spricht man von einer zarten Punktierung. Kommt es zu einem stärkeren Hervortreten der Punkte, und wird die Distanz zwischen den Punkten durch dysplastische Zellvermehrung grösser, so spricht man von einer groben Punktierung (Abbildung 3a). Ähnliches lässt sich zum Mosaik sagen, wo das Hauptaugenmerk auf der Hautbildvergröberung liegt. Mosaik und Punktierung sind essigpositiv und färben sich in der Jodprobe nicht an. Liegt das Mosaik oder die Punktierung innerhalb der Transformationszone, ist ihre Dignität ungünstiger zu beurteilen, als wenn die Läsion ausserhalb der Transformationszone liegt (6, 7).
ab
cd
Abbildung 3: Pfeil = pathologischer Befund. a) grobes Mosaik an der vorderen Muttermundslippe (HSIL, CIN III). b) Nativ-Portio mit HSIL in der Zytologie. c) Portio von b) in der Essigprobe und 12-facher Vergrösserung mit «inner border sign». Zweite scharfe essigpositive Grenze innerhalb der Transformationszone (histologisch HSIL, CIN III). d) Keratose ausserhalb der Transformationszone (keine CIN in der Knipsbiopsie, Zeichen eines HPV-Infektes).
Veränderungen sind Keratosen und Hyperkeratosen (auch Leukoplakien genannt), Erosionen, Ektopien und Lugolsche Probe (Schiller-Test). Das Vorgehen bei abnormen kolposkopischen Befunden sowie deren Abklärung in speziellen Situationen wie Schwangerschaft, Immunsuppression oder unter Antikoagu-
«Ridge sign», «inner border sign» und «rag sign» Diese Zeichen sind innerhalb der letzten 10 Jahre erstmals beschrieben worden und sind mit höhergradigen Dysplasien assoziiert (6, 8). Ridge heisst übersetzt Bergrücken. Es handelt sich dabei um eine essigweisse, dichte Erhebung innerhalb der Transformationszone. Das «inner border sign» ist eine scharfe, essigweisse, zweite Grenze innerhalb einer essigpositiven Transformationszone (Abbildung 3b/c). Durch eine Fehlverhornung im Rahmen einer Dysplasie kann sich dysplastisches Epithel vom darunter liegenden Stroma mit Leichtigkeit lösen. Kolposkopisch werden partiell abgelöste Fetzen als «rag sign» bezeichnet und sind häufig mit einer höhergradigen Dysplasie assoziiert.
Prominente Drüsenausführungsgänge Prominente Drüsenausführungsgänge sind verdächtig auf eine Dysplasie im Epithel der Drüsen. Die Drüsenmündung färbt sich hier dicht essigweiss an, im Aspekt etwas erhaben – im Gegensatz zum essigweissen, blassen Epithel der Metaplasie.
Gefässatypien Ein beginnender neoplastischer Prozess führt zu venöser Okklusion feiner Gefässe und verursacht
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SCHWERPUNKT
Tabelle 2:
Zytologische und histologische Terminologie der plattenepithelialen Präkanzerosen der Zervix und deren kolposkopische Entsprechung
LAST = Lower Anogenital Squamous Terminology IFCPC = International Federation of Cervical Pathology and Colposcopy
Bethesda-Klassifikation 2014 CIN-Nomenklatur 2006 LAST 2013
Kolposkopische Nomenklatur (IFCPC) 2011
Zytologie (20) Histologie (17, 21) Histologie (12)
LSIL HSIL
CIN 1
CIN 2
CIN 3
LSIL (entspricht CIN 1 und HSIL (entspricht p16-
p16-negativer CIN 2)
positiver CIN 2 und CIN 3)
Geringgradige Hochgradige
Veränderungen Veränderungen
(«minor changes») («major changes»)
G Feine Punktierung G Grobe Punktierung
G Feines Mosaik G Grobes Mosaik
G Prominente Drüsenaus-
führungsgänge
G «ridge sign», «rag sign»,
«inner border sign»
G Atypische Gefässe
eine Dilatation der kaliberstärkeren Gefässe. Im neoplastischen Prozess werden die Gefässe an die Oberfläche gepresst, und das Vorhandensein von vascular endothelial growth factor (VEGF) führt zur Vermehrung von Gefässen (9). Gefässatypien lassen sich in der normalen Kolposkopie mit Kaliberschwankungen und abrupten Gefässabbrüchen finden. Je nachdem kann es auch auf Kontakt zu einer Blutung kommen. Im Grünfilter treten das Epithel oder die Metaplasie in den Hintergrund, und die Gefässe lassen sich besonders gut verfolgen. Atypische Gefässe suggerieren das Vorliegen einer Invasion, sind immer als «major change» einzustufen und bedürfen obligat einer histologischen Abklärung.
Erosion und Ulkus Bei diesen Befunden handelt es sich um Epitheldefekte. Ist der Epitheldefekt oberflächlich, dann spricht man von einer Erosion. Geht der Epitheldefekt tiefer (d.h. bis ins Stroma), spricht man von einem Ulkus. Häufig sind diese Befunde auf Infekte, autoimmune Erkrankungen oder kontaktbedingte Läsionen zurückzuführen, welche einer entsprechenden Behandlung bedürfen. Spricht eine Erosion auf Therapie nicht an, ist nach 6 Wochen eine Biopsie – vorzugsweise am Rand – zu entnehmen (Tabelle 1). Wird ein Ulkus festgestellt, ist zum Ausschluss einer Invasion eine Biopsie obligat.
Keratose Für die Keratose, ebenfalls eine unspezifische kolposkopische Veränderung, wird häufig auch der Begriff Leukoplakie verwendet. Diese zeigt sich schon vor Essigapplikation als feine, weisse Zone. Sie liegt meist ausserhalb der Transformationszone, bleibt nach Jodapplikation jodnegativ und ist nur in 40%
HPV-assoziiert (7). Die Arbeitsgruppe von Hammes und Kollegen zeigte, dass der kolposkopische Voraussagewert, ob eine Keratose eine höhergradige Dysplasie oder invasive Neoplasie enthält, nur bei 25% liegt. Um darunterliegende höhergradige Dysplasien nicht zu verpassen, sollen feine Keratosen grosszügig und dichte Keratosen in jedem Fall biopsiert werden (10) (Abbildung 3d).
Kolposkopische Nomenklatur
Die aktuelle Nomenklatur wurde auf dem IFCPCKongress in Rio de Janeiro 2011 beschlossen (11). In Übereinstimmung mit den histologischen Einteilungen unterscheidet die kolposkopische Nomenklatur zwischen: I geringgradigen kolposkopischen Veränderun-
gen, die einem HPV-Infekt mit leichten Veränderungen entsprechen (sog. «minor changes») und in bis zu 50% spontan regredieren sowie I hochgradigen kolposkopischen Veränderungen, die verdächtig auf das Vorliegen einer behandlungswürdigen Krebsvorstufe sind (sog. «major changes»). Zu erwähnen ist, dass diese Unterscheidung untersuchungsabhängigen Spielraum offenlässt und das Auge sich erst mit der Erfahrung und in kontinuierlicher Selbstkontrolle mit den Resultaten der Histologie schult. Die mit dem Kolposkop erhobenen Befunde sollen dokumentiert werden, was sich sowohl mittels kolposkopischer Fotografie als auch mit einer Skizze umsetzen lässt. Blau ist die Farbe für die essigpositiven, rot jene für die jodnegativen Befunde (Abbildung 2). Weiter soll die Grösse der Läsion mittels Angabe der Anzahl der betroffenen Quadranten bestimmt wer-
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den (11). Ebenfalls von Relevanz ist die Angabe, ob sich die Läsion innerhalb oder ausserhalb der Transformationszone befindet. Auch gilt es gemäss der IFCPC-Nomenklatur zu erfassen, ob es sich um eine adäquate oder inadäquate Kolposkopie handelt. Handelt es sich um eine inadäquate Kolposkopie, so sollte der Grund genannt werden (11): Dabei kann es sich um eine Blutung, Infektion oder um prolabierende Vaginalwände handeln. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Zuverlässigkeit der Kolposkopie ist die Einsehbarkeit der Transformationszone, welche in Typ 1 bis 3 eingeteilt wird. Beim Typ 1 ist die Transformationszone (TZ) auf der Ektozervix gelegen, beim Typ 2 partiell auf der Ektozervix und beim Typ 3 in der Endozervix. Der TZ-Typ 3 ist kolposkopisch schwer bis nicht zu beurteilen. Zervixspreizer oder mit Wattestäbchen aufgetragene Essigsäure können gegebenenfalls in der endozervikalen Diagnostik hilfreich sein.
Zytologie und Histologie
Seit 1988 werden anogenitale Dysplasien in der Bethesda-Nomenklatur klassifiziert (12). Damit konnte die verwirrende Vielzahl von Nomenklatursystemen vereinheitlicht werden (Tabelle 2).
Zytologische Einteilung Die in der Zytologie geltende Nomenklatur von 2014 unterscheidet zwei Hauptdiagnosen: I die LSIL (Low grade Squamous Intraepithelial Le-
sion) und I die HSIL (High grade Squamous Intraepithelial Le-
sion). Eine intermediäre Kategorie (analog CIN II) ist nicht mehr vorgesehen (12). Atypische Zellen werden entweder als ASC-US (Atypical Squamous Cells of Undetermined Significance) oder als ASC-H (Atypical Squamous Cells with high-grade atypia) bezeichnet. ASC-H-Zytologien umfassen LSIL-Zellen mit einigen höhergradigen Veränderungen. In retrospektiven Untersuchungen wurde bei Frauen mit einem ASC-H-Anteil kolposkopisch und bioptisch deutlich häufiger eine höhergradige Läsion diagnostiziert, nämlich in 30%. Frauen mit alleiniger LSIL wiesen dagegen «nur» in bis zu 15% eine höhergradige Läsion auf (13–15). Atypische glanduläre Zellen (AGC) finden sich in glandulären Präkanzerosen, welche aus dem drüsigen Epithel der Endozervix oder dem Endometrium stammen (16). Im Vergleich zu den plattenepithelialen Läsionen sind sie etwas weniger häufig HPV-assoziiert (15) und treten insgesamt deutlich seltener auf. Suggeriert die Zytologie das Vorliegen einer HPV-Infektion, liegt häufiger ein Adenocarcinoma in situ (AIS) der Zervix zugrunde. Diese Fälle bedürfen zur Abklärung einer endozervikalen Kürettage und/
oder eines tief endozervikal entnommenen Zytobrush-Abstrichs. Falls die atypisch glandulären Zellen in der HPV-Typisierung negativ sind, dann handelt es sich gerade bei älteren Frauen nicht selten um Zellen eines aus dem Uteruskavum abgesiedelten Endometrium- oder Tuboovarialkarzinoms.
Histologische Einteilung Die histologische Einteilung der zervikalen Dysplasien erfolgte über die letzten Jahrzehnte nach der Einteilung in Cervical Intraepithelial Neoplasien (CIN) I bis III. Die CIN-I entspricht einer leichtgradigen, die CIN-II einer mittelgradigen und die CIN-III einer hochgradigen Dysplasie (17, 18). Diese Nomenklatur ist gerade im europäischen Raum nach wie vor verbreitet, wurde jedoch 2013 von der histologischen Einteilung der WHO nach LAST (Lower Anogenital Squamous Terminology) abgelöst, wo in Analogie zum Bethesda-System die Nomenklatur LSIL und HSIL verwendet wird (12). Diese gilt für Zervix, Vagina, Vulva, Anus und Penis. Dieses System bietet einige Vorteile, denn es passt sich an biologische Konzepte an, ist reproduzierbar, und es lassen sich evidenzbasierte therapeutische Empfehlungen daraus ableiten. In Fällen, welche einer CIN II entsprachen, gibt die immunhistochemische Bestimmung des p16-Proteins Klarheit, ob der Befund einer LSIL (p16-negativ) oder einer HSIL (p16-positiv) zuzuordnen ist. In der Nomenklatur von glandulären Krebsvorstufen hat man sich auf den amerikanischen Begriff «Adenocarcinoma in situ» (AIS) geeinigt.
Abschliessendes
Es ist zu sagen, dass die alleinige zytologische Krebs-
vorsorge (PAP-Abstrich) ihre Unzulänglichkeiten hat
mit einer relativ geringen falschnegativen, jedoch
einer nicht unerheblichen falschpositiven Rate vor al-
lem für die niedriggradigen Läsionen (ASCUS/LSIL)
(19). Jede auffällige Zytologie bedarf deshalb einer
kolposkopischen Untersuchung, gegebenenfalls mit
einer Biopsieentnahme zur Bestätigung der Dia-
gnose, bevor eine operative Therapie vorgenommen
wird.
I
Dr. med. Cornelia Betschart (Erstautorin; Korrespondenzadresse) E-Mail: cornelia.betschart@usz.ch
Dr. med. Gian-Piero Ghisu Dr. med. Astrid Baege Prof. Dr. med. Daniel Fink Klinik für Gynäkologie Universitätsspital Zürich 8091 Zürich
Interessenkonflikte: keine.
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SCHWERPUNKT
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