Transkript
EDITORIAL
K.-o.-Tropfen – nicht o.k.!
Nicht erst seit dem unsäglichen, auf dem Boulevard breitgetretenen und dort so genannten Zuger Sex-Skandal um die Kantonsräte Jolanda Spiess-Hegglin und Markus Hürlimann ist hierzulande weithin bekannt, was K.-o.-Tropfen sind und zu welchem Zweck sie in offensichtlich zunehmendem Mass in krimineller Weise eingesetzt werden. Insbesondere Partygänger – und hier nicht nur weibliche – laufen Gefahr, Opfer von Rauboder Sexualdelikten zu werden, nachdem ihnen im unbeobachteten Moment geringe Mengen narkotisierender Substanzen, in vielen Fällen die in noch geringerer Dosierung auch als Rauschdroge («Liquid Ecstasy») eingesetzte ␥-Hydroxybuttersäure (GHB) oder deren Vorläuferstoff ␥-Butyrolacton (GBL), in den offenen Drink geschüttet worden sind – ihnen also ein «Mickey» serviert wurde, wie es im angelsächsischen Sprachraum heisst, Bezug nehmend auf einen Chicagoer Barbetreiber namens Michael Finn, der diesen alles andere als uneigennützigen «Service» bereits Anfang des vorigen Jahrhunderts ausgewählten Gästen angedeihen liess. Was sich seinerzeit in den zuoberst erwähnten Politikerkreisen genau abgespielt hat, wird die Öffentlichkeit wohl nie erfahren. Dies mag in jenem Fall vielleicht sogar entbehrlich sein. Ebenso vage und unbelegt jedoch bleiben auch die Schätzungen, wie häufig es überhaupt zur klandestinen Fremdverabreichung von K.-o.-Tropfen kommt und wie viele Fälle sexueller Übergriffe oder von Diebstahl damit in direktem Zusammenhang stehen. Denn abgesehen davon, dass sich etwa GHB oder GBL schon nach 2 bis 4 Stunden nicht mehr per Blut- oder Urinanalyse nachweisen lassen, das entsprechende Zeitfenster sich also bereits schliesst, wenn der Betroffene meist noch unter dem Einfluss der Droge steht, kommt auch die Eigenschaft dieser Substanzen, eine anterograde Amnesie auszulösen, den Tätern zugute: Die Opfer können sich im Nachhinein an
das während der Wirkdauer der Stoffe Geschehene nicht mehr erinnern, erleiden also einen klassischen «Filmriss». Unter zusätzlicher Berücksichtigung dessen, dass vielfach gleichzeitig auch nicht unerhebliche Mengen Alkohols oder andere Drogen konsumiert wurden, lässt sich unschwer nachvollziehen, warum viele Opfer den Weg zur Polizei und die sich daran anschliessenden Fragen und Tests scheuen. Dies hat, obwohl Übergriffe, bei denen K.-o.-Tropfen mutmasslich eine Rolle gespielt haben, immer häufiger Anlass zu medialer Berichterstattung und behördlichen oder institutionellen Warnungen geben, inzwischen dazu geführt, dass deren tatsächliche Relevanz durch Teile der Öffentlichkeit als eher gering eingeschätzt und entsprechenden Vermutungen kaum noch Glauben geschenkt wird. Es gibt sogar wissenschaftliche Studien an Verdachtsfällen, die mangels entsprechender Evidenz einerseits und angesichts der häufigen Verquickung mit Alkoholkonsum andererseits eine weite Verbreitung von K.-o.-Tropfen-Delikten tendenziell geradezu in den Bereich der Fabel verweisen. Dabei dürfte aus den oben genannten Gründen der begrenzten Nachweisbarkeit sowie der Schwellenangst bei den Opfern die Zahl Letzterer deutlich höher sein, als es Statistiken suggerieren. Doch wie hoch auch immer die Zahl tatsächlicher Übergriffe mittels K.-o.-Tropfen sein mag: Jeder einzelne ist einer zu viel. Und ganz gleich, welche selbst zu verantwortenden Begleitumstände auch immer bei rasch eines eher ruchlosen Lebenswandels bezichtigten Personen im Einzelfall ihr Übriges dazu getan haben mögen: Zur allgemeinen Verharmlosung dieses Problems besteht ganz und gar kein Grund. Dies umso mehr, als der Gesetzgeber – mehr noch anderswo als in der Schweiz – dem kriminellen Handeln kaum Einhalt gebietet: Als essenzieller Grundstoff der chemisch-pharmazeutischen Industrie unterliegt GBL, das im Körper direkt zu GHB verstoffwechselt wird, nicht dem Betäubungsmittelgesetz, sondern nur einer freiwilligen Selbstkontrolle von Herstellern und Händlern. Wie weit man im Internetzeitalter mit so etwas kommt, mag der Interessierte per Klick auf einschlägige Websites aus Polen oder Litauen wie www.gbl-shop.com (ohne Bindestrich gehts übrigens auch) oder gbl-europe.com selbst überprüfen … Was dieses Problem nun aber mit Ihnen, den Hausärzten, zu tun hat? Versuchen Sie, entsprechend gefährdete Patienten zu erkennen und ihr Vertrauen zu gewinnen, erklären Sie ihnen die Vorzüge der Schweigepflicht, machen Sie sie schon vorab stark und unterstützen Sie sie dabei, gegebenenfalls auch dem geringsten Verdacht auf dem Rechtsweg nachzugehen!
Ralf Behrens
ARS MEDICI 17 I 2016
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