Transkript
Im Fokus: Targeted & ImmunoTherapies
Nebenwirkungen von Checkpoint-Inhibitoren
Spektrum und ärztliches Management
Immun-Checkpoint-Inhibitoren wie Ipilimumab, Pembrolizumab und Nivolumab werden immer häufiger bei fortgeschrittenen Tumoren eingesetzt. Trotz allgemein guter Verträglichkeit können sie immunvermittelte Nebenwirkungen (irAE) nach sich ziehen, von denen einige im individuellen Fall sogar lebensbedrohlich sein können. Im Folgenden wird das Spektrum beschrieben; dazu werden aktuelle Empfehlungen zum ärztlichen Management zusammengefasst.
OLIVER GAUTSCHI
SZO 2016; 2: 6–8.
Oliver Gautschi
Der Begriff «Immuntherapie» wird seit Längerem für verschiedene Therapieformen verwendet; Erfahrungen mit potenten Immunmodulatoren wie Interleukin-2 beschränkten sich bisher aber auf wenige onkologische Zentren. Das änderte sich mit der kürzlichen Zulassung von Ipilimumab, Pembrolizumab und Nivolumab für die Behandlung von Patienten mit Haut- und Lungenkrebs. Der Wirkungsmechanismus dieser Immun-Checkpoint-Inhibitoren beruht auf der Hemmung von CTLA4 respektive PD(L)-1, was nicht nur eine bessere Erkennung von Tumoren durch das Immunsystem, sondern auch immunvermittelte Nebenwirkungen, sogenannte «immune-related adverse effects» (irAE), nach sich ziehen kann. Neuere Antikörper wie Atezolizumab, Durvalumab und Tremelimumab werden in Studien erprobt. Die Teilnahme an Studien ermöglichte vielen Mitarbeitern an unserem Zentrum eine fundierte Ausbildung bezüglich Risiken und Nebenwirkungen. Der vorliegende Artikel soll nun einen breiteren Kreis von Ärz-
ABSTRACT
Immunotherapy in oncology: management of immune-related adverse effects (irAE)
Immune checkpoint inhibitors such as ipilimumab, pembrolizumab and nivolumab are increasingly prescribed to patients with advanced tumors. Although these immunotherapies are relatively well tolerated, they can cause in individual patients immune-related adverse effects (irAE), some of which are lifethreatening. The spectrum of irAEs includes autoimmune dermatitis, pneumonitis, colitis, hepatitis, hypophysitis and other endocrine disorders. The diagnosis and management of irAE can be challenging, and requires specialists with experience in autoimmune disorders. This article summarizes the general aspects, and current recommendations for the management of irAE in oncology.
Keywords: Immune checkpoint inhibitors, immune-related adverse effects (irAE), management.
ten und Pflegenden für die speziellen Nebenwirkungen von Immuntherapien sensibilisieren. Er kann nicht die Fachinformationen der Medikamente ersetzen. Weitere nützliche Informationen finden sich zudem in der Literatur (1–3).
Allgemeine und endokrinologische Nebenwirkungen
Müdigkeit, Fieber, Inappetenz, Gewichtsverlust, Schlafstörungen und andere Allgemeinsymptome sind häufig. Sie können entweder Folge der Therapie oder der zugrunde liegenden Tumorerkrankung sein. Zeitlicher Bezug und Bildgebung helfen bei der Differenzialdiagnose. Bei subakuten oder chronischen Allgemeinsymptomen muss eine hormonelle Ursache ausgeschlossen werden. Es ist bekannt, dass Immuntherapien zu Störungen der Hypophysen-, Schilddrüsen- und Nebennierenfunktion führen können. Wir messen bei allen Patienten vor und unter einer Immuntherapie die Elektrolyte und Schilddrüsenparameter. Bei entsprechendem Verdacht führen wir ein MRI der Hypophyse durch (Abbildung 1). Alle Patienten mit endokrinologischen irAE besprechen wir mit unseren Fachärzten, die ihre Erfahrungen kürzlich publiziert haben (2). Patienten unter Substitution (z.B. mit Prednisolon oder Levothyroxin) benötigen auch über das Ende der Immuntherapie hinaus Kontrollen, da endokrine Ausfälle irreversibel sein können.
Vorgehen bei perakuten Symptomen Perakute Symptome während der Infusion wie Schüttelfrost, Schwindel, Nausea, Angstgefühl, Blutdruckabfall, Atemnot oder Urtikaria deuten auf eine Infusionsreaktion hin. In diesen Fällen sollen die Infusion gestoppt und Massnahmen getroffen werden, wie
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sie auch bei Sofortreaktionen auf andere Antikörpertherapien angewendet werden. Eine Wiederaufnahme der Infusion ist erst ratsam nach vollständigem Abklingen der Symptome sowie nach vorgängiger Prämedikation (z.B mit Methylprednisolon, Clemastin und Ranitindin).
Dermatitis
Hautveränderungen gehören zu den häufigsten Nebenwirkungen der Immuntherapie. Meist handelt es sich um leichtgradige Exantheme an Stamm und Extremitäten – mit oder ohne Pruritus (Abbildung 2). Die üblichen Lokaltherapien können Linderung bringen. Bei grossflächigen oder exfoliativen Hautveränderungen ist eine dermatologische Beurteilung unumgänglich. Bei toxisch epidermaler Nekrolyse (TEN resp. Lyell-Syndrom) droht eine Sepsis, und neben anderen Massnahmen sollte eine Therapie mit intravenösem Immunglobulin erwogen werden.
AB
Abbildung 1: A) Hypophysitis unter Ipiliumab bei Patientin mit malignem Melanom, mit kugeliger Schwellung und homogener Kontrastmittelanreicherung der Hypophyse im MRI. B) Zum Vergleich: Metastatischer Befall von Hypophyse und Hypothalamus bei Patientin mit Kolonkarzinom.
Pneumonitis
Neu aufgetretene pulmonale Symptome wie Husten, Dyspnö, Fieber und Thoraxschmerzen bedürfen einer raschen Abklärung mittels Bildgebung. Falls die Tumorerkrankung nicht eindeutig als Auslöser feststeht, sollten eine arterielle Blutgasanalyse und eine Lungenfunktionsprüfung durchgeführt werden. Letztere dient auch als Verlaufsuntersuchung bei nachgewiesener Pneumonitis. Radiologisch imponieren unspezifische Infiltrate, wobei wir die hochauflösende Thorax-CT der konventionellen Röntgenaufnahme vorziehen. Bei Patienten mit Lungenkrebs kann die Abgrenzung zur Lymphangiosis carcinomatosa schwierig sein. Grundsätzlich ist immer eine pneumologische Beurteilung sinnvoll. Falls eine Bronchoskopie indiziert ist, wird erst im Anschluss daran eine Therapie mit Sauerstoff, hoch dosierten Kortikosteroiden und Breitspektrumantibiotika eingeleitet.
Kolitis und Hepatitis
Kolitiden sind vor allem unter CTLA4-Antikörpern recht häufig und treten in der Regel früh auf, das heisst einige Tage bis Wochen nach Therapiebeginn. Patienten unter Immuntherapie sollten bei jeder Konsultation nach dünnem Stuhlgang oder Bauchschmerzen befragt werden. Leichte Kolitiden können oft mit Kortikosteroiden zur Abheilung gebracht werden. Eine rein symptomatische Therapie (z.B. mit Loperamid oder Analgetika) ist nicht empfehlenswert, weil sie das Fortschreiten der Kolitis maskieren und im schlimmsten Fall zu einem toxischen Megakolon und einer Darmperforation führen kann. Patienten mit schwerer Kolitis bedürfen einer gastroenterologischen Beurteilung und gegebenenfalls einer intensiveren Immunsuppression mit Infliximab.
Abbildung 2: Stammbetontes, makulopapulöses Exanthem im Sinne einer leichtgradigen Dermatitis unter Ipilimumab bei Patient mit malignem Melanom.
Eine Hepatitis kündigt sich durch entsprechende Laborveränderungen an, weshalb zumindest die Messung der Transaminasenwerte vor und unter einer Immuntherapie obligat ist. Die Beurteilung und Behandlung einer Hepatitis obliegt dem Facharzt. Potenziell hepatotoxische Immunsuppressiva wie Infliximab müssen vermieden werden. Mit Mycophenolat-Mofetil wurden gute Erfahrungen bei der Behandlung der Autoimmunhepatitis gemacht.
Zusammenfassung und Ausblick
Da die genannten Immuntherapien heute vorwiegend in der Palliation, also bei der Behandlung weit fortgeschrittener Tumorerkrankungen, zum Einsatz kommen, ist doppelte Vorsicht geboten. Patienten mit bekannten Autoimmunerkrankungen raten wir von Immuntherapien ab, und bei relevanten irAE stoppen wir die Therapie. Grundsätzlich ist die Verträglichkeit der PD(L)1-Antikörper deutlich besser als die der CTLA4-Antikörper.
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In den USA wurde nun aber eine Kombinationsthera-
pie bestehend aus Ipilimumab und Nivolumab zuge-
lassen. Die Toxizität dieser Kombination ist grösser
als die der Einzelsubstanzen.
Ob sich Kombinationstherapien auch in der Schweiz
durchsetzen, hängt unter anderem von den Kosten
ab. Die «finanziellen Nebenwirkungen» von Im-
muntherapien sorgen auch hierzulande bereits für
Gesprächsstoff (4).
L
PD Dr. med. Oliver Gautschi Medizinische Onkologie Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern E-Mail: oliver.gautschi@luks.ch
Merkpunkte
L Bei Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkran-
kungen kommt die moderne Immuntherapie zunehmend zum Einsatz.
L Das Nebenwirkungsspektrum unterscheidet sich
von der Chemotherapie und umfasst zahlreiche Autoimmunphänomene.
L Die Behandlung dieser Nebenwirkungen umfasst
oft eine Immunsuppression.
L Die Anwendung der Immuntherapie bedingt ein
interdisziplinäres Netzwerk aus erfahrenen Organspezialisten.
Ich danke Frau Dr. Zeidler und Dr. Treumann für die Abbildungen sowie Prof. Dr. Aebi, Prof. Dr. Brand, Dr. Criblez, Dr. Fischli und Dr. Schwizer für Ergänzungen und Kommentare.
Angabe potenzieller Interessenkonflikte: Es bestehen keine persönlichen Interessenkonflikte im Zusammenhang mit Herstellerfirmen der genannten Medikamente.
Quellen: 1. Kähler KC, Hauschild A.: Treatment and side effect management of CTLA-4 antibody therapy in metastatic melanoma. J Dtsch Dermatol Ges. 2011; 9(4): 277–286. 2. Fischli S, Allelein S, Zander T, Henzen C.: Endocrinologic side effects of oncologic treatment with anti-CTLA-4-antibodies. Dtsch Med Wochenschr. 2014; 139(19): 996–1000. 3. Naidoo J, Page DB, Li BT, Connell LC, Schindler K, Lacouture ME, Postow MA, Wolchok JD.: Toxicities of the anti-PD-1 and antiPD-L1 immune checkpoint antibodies. Ann Oncol. 2015; 26(12): 2375–2391. 4. Peters S, von Moos R, Thurlimann B.: Is prescription of a therapy costing 150,000 CHF reasonable? Rev Med Suisse. 2015; 11(491): 1967–1972.
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