Transkript
FORTBILDUNG
Ulcus cruris: Gut behandelbar und nicht zu vernachlässigen
Möglichkeiten und Nutzen der Kompressionstherapie noch nicht hinreichend ausgeschöpft
Das Ulcus cruris ist eine häufige chronische Wunde, die im Gegensatz zum diabetischen Fusssyndrom (DFS) und zum Dekubitus von den Patienten und Ärzten eher als weniger gefährliche chronische Alterserscheinung wahrgenommen wird. Dabei lässt sich das Ulcus cruris durchaus gut behandeln, wenn man einige einfache Grundsätze beherzigt. Sowohl was die Kompressionstherapie als auch was die Wundauflage angeht, sollte man sich an der Wundphase orientieren. Häufige Fehler sind eine zu trockene wie auch eine zu feuchte Therapie.
Knut Kröger
Das Ulcus cruris venosum ist Folge einer chronisch venösen Insuffizienz (CVI). Die Diagnose der CVI ist häufig eine Blickdiagnose und basiert auf sichtbaren Hautveränderungen (Hämosiderose, Atrophie blanche, Abbildung 1) und einem Ödem. Wichtig ist die Abklärung der häufig zusätzlich vorliegenden peripheren arteriellen Durchblutungsstörungen (Ulcus cruris mixtum), da dies für die weitere Behandlung von Bedeutung ist. Darüber hinaus gibt es viele Ulzera am Unterschenkel anderer Genese (Vaskulitis, Livedovaskulopathie oder Pyoderma), deren Diagnose man ohne eine weitere spezifische Diagnostik einschliesslich der histologischen
MERKSÄTZE
O Bei der lokalen Therapie des Ulcus cruris venosum steht das Exsudatmanagement im Vordergrund: Es gilt, den Zellen ein optimales feuchtes Milieu zu bieten und gleichzeitig die Wundumgebung vor dem autoaggressiven Exsudat zu schützen.
O Die Grundlage einer erfolgreichen Behandlung des Ulcus cruris venosum ist eine adäquate Kompressionstherapie, die sich an der jeweiligen Wundsituation orientieren muss.
O Bei einem floriden Ulcus cruris stellen Verbandsstrümpfe, bestehend aus einem Unterziehstrumpf, der den Wundverband fixiert, und einem klassischen Kompressionsstrumpf, der den Druck aufbringt, eine sinnvolle und kostengünstige Übergangslösung dar.
Untersuchung nicht stellen kann. Alle Ulzera am Unterschenkel ohne die typischen Hautveränderungen der CVI, die nicht primär am medialen distalen Unterschenkel auftreten, multiple Ulzera oder nekrotisch veränderte Ulzera sollten an diese seltenen Ursachen denken lassen. Auch eine fehlende Verbesserung der Wundsituation in den ersten drei bis vier Wochen unter einer adäquaten Wundversorgung und Kompression sollte zur weiteren Abklärung seltener Ursachen führen.
Lokale Therapie
Die Grundsätze der phasengerechten feuchten Wundversorgung gelten auch für die lokale Therapie des Ulcus cruris venosum. Dabei steht bei dieser Wunde das Exsudatmanagement ganz im Vordergrund. Hierbei gilt es, den Zellen ein optimales feuchtes Milieu zu bieten, das sie zum Wachstum brauchen, und gleichzeitig die Wundumgebung vor dem autoaggressiven Exsudat zu schützen. Die Mazeration der Ulkusumgebung durch austretendes Exsudat ist die wichtigste Ursache für eine schleichende Zunahme der Ulkusgrösse. Diese Aufgabe können Alginate, Schaumverbände, hydrofaser- und superabsorberhaltige Wundauflagen übernehmen. Wichtig ist dabei die Erfahrung der Pflege und des Arztes. Bei jedem Verbandwechsel muss die Wundsituation bezüglich des Exsudatmanagements beurteilt werden. Ein Ulcus cruris, das zu trocken ist, heilt ebenso wenig wie ein Ulcus cruris, das zu feucht ist (Abbildungen 2 und 3).
Kompressionstherapie
Die Grundlage einer erfolgreichen Behandlung des Ulcus cruris venosum ist eine adäquate Kompressionstherapie. Durch den konsequenten Druck auf die Venen wird der Durchmesser der epifaszialen Gefässe verengt und dadurch die Fliessgeschwindigkeit des Blutes gesteigert. Des Weiteren bildet die Kompression ein stabiles Widerlager, sodass bei Aktivierung der Beinmuskulatur der venöse Rückfluss in die tieferen Gefässe gesteigert wird. Durch diesen verbesserten Abfluss werden Ödeme reduziert und ausgetretene Makromoleküle wieder aus dem Interstitium abtransportiert. Bei richtiger Anwendung führt die Kompression kurzfristig zu einer besseren Gewebeversorgung und langfristig zur Vermeidung des trophischen Gewebeumbaus beziehungsweise zur Abheilung von venösen Ulzerationen. Im deutschsprachigen Raum hat bei floridem Ulcus cruris venosum die Kompressionstherapie mit Kurzzugbandagen eine lange Tradition. In den letzten Jahren haben sich die Möglichkeiten der Kompression durch Mehrkomponentenverbände, Ulkusstrümpfe oder sogenannte Wrap-Bandagen-Systeme,
ARS MEDICI 7 I 2016
343
FORTBILDUNG
Abbildung 1: Varikosis, Hämosiderose und Atrophie blanche als typisch sichtbare Stigmata einer chronisch vernösen Herzinsuffizienz
Abbildung 2: Ulcus cruris venosum, welches eher zu trocken therapiert wurde, mit festen Fibrinbelägen
die auch bei einem längerfristigen Einsatz wesentlich besser steuerbare Kompressionsdruckwerte erzielen, deutlich verbessert. Als weitere unterstützende Massnahme kann zudem auch oft eine intermittierende pneumatische Kompressionstherapie (IPK) mit ein- oder mehrkammerigen Manschetten und einem Steuergerät genutzt werden.
Optimale Therapie des Ulcus cruris venosum
Nationale und internationale Studien zeigen, dass die Anwendung der Kompression bei der Therapie des Ulcus cruris stark vernachlässigt wird und dass der Nutzen der hydroaktiven Wundverbände nicht allen betroffenen Patienten zugute kommt. Die Gründe dafür sind sicher vielfältig und reichen von Unkenntnis aufseiten der Ärzteschaft über die Budgetangst bis zu individuellen Erfahrungen, die einzelne Ärzte in ihrem Patientengut gemacht haben. Bei Patienten mit
einem Ulcus cruris venosum ist es wichtig, dass sich die Kompressionstherapie an der jeweiligen Wundsituation orientiert (Grafik). Die Stärke der anzulegenden Kompressionstherapie muss dem Behandlungsziel entsprechen und dem Behandlungsstadium angepasst sein. So unterscheidet man die Therapiephase der Behandlung mit Diagnostik der chronisch venösen Insuffizienz, Ödemreduktion und Ulkusheilung von der Erhaltungsphase mit Ödemprävention und Ulkusheilung sowie Vermeidung eines Ulkusrezidivs. In der Therapiephase müssen Kompressionsverbände häufiger angelegt werden als in der Erhaltungsphase. Bei ausgeprägten Ödemen und zügiger Entstauung kann der Verband rutschen und muss im Einzelfall auch mehrfach täglich erneuert werden. In der Erhaltungsphase sollte das Ödem beseitigt sein. Bei fehlendem Ödem kann das Gewebe dem Verband weniger nachgeben,
Kompressionstherapie
Entstauungsphase
O Diagnostik O Kompressionsverbände O Débridement O Exsudatmanagement O Auflage: Gaze,
Saugkompresse
Übergangsphase
O Verbandsstrümpfe O Kompressionsverbände O Exsudatmanagement O sinnvolle Nutzung
moderner Wundauflagen
Erhaltungsphase
O medizinische Kompressionsstrümpfe (alle drei Monate neu)
O Verbandsstrümpfe O einfache Wundauflagen
Reinigungsphase
Granulationsphase
Epithelisierungsphase
Wundversorgung
Grafik: Bei der Therapie des Ulcus cruris müssen die Kompressionstherapie und die Wundversorgung Hand in Hand greifen und an den Erfordernissen der Wunde (Ausmass des Ödems und der Exsudation) ausgerichtet werden.
344
ARS MEDICI 7 I 2016
FORTBILDUNG
fixiert, und einem klassischen Kompressionsstrumpf, der
den Druck aufbringt, für viele Patienten eine sinnvolle und
kostengünstige Übergangslösung dar. Sie haben auch den
Vorteil, dass die Kompression nicht mit der Erfahrung des
betreuenden Arztes beziehungsweise der Pflegekraft jeden
Tag schwankt, sondern gleichmässiger wirken kann.
Diesem Heilungsprozess muss auch die Wundauflage folgen.
Zu Beginn der Therapie muss sie viel Exsudat aufnehmen
können, später weniger. Hier braucht der erfahrene Arzt nur
wenige Wundauflagen, mit denen er sich auskennt. Von die-
sen wenigen Wundauflagen sollte er wissen, wie viel Exsudat
sie aufnehmen können, in welchen Grössen es sie gibt, ob es
sie mit und ohne Kleberand gibt und wie man sie zeitweise
auch kombiniert anwendet.
O
Abbildung 3: Ulcus cruris venosum, welches eher zu feucht therapiert wurde. Die dorsale Wundumgebung ist durch übertretendes Exsudat mazeriert.
Prof. Dr. med. Knut Kröger Initiative Chronische Wunden e. V. Klinik für Gefässmedizin, Helios Klinikum Krefeld D-47805 Krefeld
und die Druckwirkung im Gewebe und an den Knochenkanten wie Tibia und oberes Sprunggelenk ist grösser. Daher sollte in der Erhaltungsphase die Kompressionstherapie nur so stark sein, dass sich kein erneutes Ödem entwickeln kann. Bei einem floriden Ulcus cruris stellen Verbandsstrümpfe, bestehend aus einem Unterziehstrumpf, der den Wundverband
Interessenlage: Der Autor hat Vortragshonorare von BSN medical, Medi, Lohmann & Rauscher, Sanofi, Bayer und UCB erhalten.
Alle Abbildungen: © Kröger
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 1/2016. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.