Transkript
FORTBILDUNG
Zwischen Euphorie und tiefer Depression – die bipolare Störung
Stimmungsstabilisierer und Antipsychotika als wichtige Therapieoptionen
Weltweit sind mehr als 1 Prozent der Bevölkerung von bi-
polaren Störungen betroffen – unabhängig von ethnischer
Herkunft oder soziökonomischem Status. Es ist wichtig, die
Diagnose frühzeitig zu stellen und die medikamentösen
Optionen und psychotherapeutischen Strategien zur Be-
handlung der bipolaren Störungen zu kennen.
Lancet
Bipolare Störungen – früher als manisch-depressive Erkrankungen bezeichnet – sind schwere, chronisch verlaufende affektive Störungen, die durch manische oder hypomanische Episoden und depressive Phasen gekennzeichnet sind. Auch Mischzustände zwischen Manie und Depression kommen vor. Da es keinen diagnostischen Biomarker für bipolare Störungen gibt, wird die Diagnose anhand klinischer Kriterien gestellt. Für die Entstehung bipolarer Störungen spielen genetische sowie Umweltfaktoren eine wichtige Rolle. Bipolare Störungen werden entsprechend ihres longitudinalen Verlaufs klassifiziert, wobei nicht selten subklinische Symptome vorliegen. Entsprechend DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5th edition) lassen sich folgende Formen bipolarer Störungen unterscheiden: O Bipolar-I-Störung: Es muss mindestens eine manische Epi-
sode vorliegen. Episoden einer Major Depression sind typisch, für die Diagnosestellung jedoch nicht erforderlich. O Bipolar-II-Störung: Für die Diagnosestellung sind mindestens eine hypomanische Episode und eine Episode einer Major Depression notwendig.
MERKSÄTZE
O Um bipolare Störungen korrekt zu diagnostizieren, ist eine sorgfältige Erfassung des Krankheitsverlaufs wichtig. Meist beginnen bipolare Störungen mit einer depressiven Episode.
O Stimmungsstabilisierer und Antipsychotika sind die wichtigsten Akutmedikamente bei bipolarer Manie und Depression.
O Um Rezidive zu verhindern, ist eine Langzeittherapie erforderlich, die medikamentöse, psychotherapeutische und Lebensstilmassnahmen umfasst.
O Zyklothyme Störung: Es liegen hypomanische und depressive Phasen über mindestens zwei Jahre vor, die jedoch nicht die Kriterien für eine Hypomanie oder eine Major Depression erfüllen.
Manie und Hypomanie
Manische oder hypomanische Episoden sind durch eine zeitlich begrenzte Hochstimmung und gesteigerte motorische Aktivität gekennzeichnet, die sich in ihrer Ausprägung und Dauer unterscheiden. Eine manische Phase beeinträchtigt soziale und berufliche Funktionen, kann auch psychotische Symptome umfassen (dies trifft für etwa 75% der Patienten mit akuter Manie zu) und sogar zur Klinikeinweisung führen. Dagegen werden bei einer hypomanischen Episode zwar funktionelle Störungen durch Aussenstehende beobachtet, doch führen sie in der Regel nicht zu schweren Beeinträchtigungen oder gar zu einer Klinikeinweisung. Bei einigen Patienten mit Hypomanie kann sich die Leistungsfähigkeit aufgrund der gehobenen Stimmung und der gesteigerten Produktivität sogar vorübergehend verbessern. Symptome einer Hypomanie werden häufig nicht erkannt. Manche Patienten fühlen sich während einer hypomanischen Phase ausgesprochen gut und halten diesen Zustand für erstrebenswert, doch kann die Hypomanie Vorbote einer voll ausgeprägten manischen oder depressiven Episode mit entsprechenden belastenden Konsequenzen sein. Zwar fühlen sich Patienten mit bipolaren Störungen meist durch die depressiven Episoden belastet, doch die Angehörigen beklagen sich oft über die Folgen der hypomanischen Phasen. Daher ist es wichtig, hypomanische Phasen zu erkennen und korrekt einzustufen.
Depression
Zu Beginn der Erkrankung entwickeln die meisten Patienten mit bipolarer Störung eine depressive Episode, die sich in einigen Aspekten von einer unipolaren Depression unterscheidet. Typisch für die bipolare Depression sind folgende Charakteristika: O meist früherer Erkrankungsbeginn O häufigere Episoden von kürzerer Dauer O abrupter Beginn, abruptes Ende O komorbider Substanzmissbrauch O in frühen Stadien durch Stressoren getriggert O häufiger in der postpartalen Phase.
Atypische Symptome wie Hypersomnie, Labilität und Gewichtsinstabilität sind bei bipolarer Depression häufig und werden in 90 Prozent der Episoden berichtet. Dagegen werden
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sie nur bei der Hälfte der unipolaren depressiven Episoden angegeben. Eine für Manie positive Familienanamnese ist ebenfalls ein relevanter Indikator für eine bipolare Depression.
Suizid
Das Suizidrisiko bei Patienten mit bipolarer Störung ist hoch. Etwa ein Drittel bis die Hälfte der Menschen mit bipolarer Störung begeht im Erkrankungsverlauf zumindest einen Selbsttötungsversuch, in etwa 15 bis 20 Prozent der Fälle wird der Suizid vollzogen. Folgende Parameter sind signifikant mit Suizidversuchen assoziiert: O weibliches Geschlecht O früher Erkrankungsbeginn O depressive erste Krankheitsepisode O depressiver Charakter der aktuellen oder der letzten Episode O komorbide Angststörung O komorbider Substanzmissbrauch O Borderline-Persönlichkeitsstörung O Suizid eines Verwandten ersten Grades.
Männliches Geschlecht sowie Suizid eines Verwandten ersten Grades sind Variablen, die signifikant mit vollzogenem Suizid assoziiert sind. Bei Patienten mit bipolaren Störungen müssen daher Suizidgedanken rasch erfasst und entsprechend behandelt werden.
Diagnosestellung
Es erleichtert die korrekte Diagnosestellung, wenn mit dem Patienten und seinen Angehörigen ein strukturiertes Interview über den longitudinalen Verlauf der Erkrankung geführt wird. Auf diese Weise erhält man oft andere Antworten, als wenn man lediglich die aktuelle Situation erfasst. Nur bei 20 Prozent der Patienten mit bipolarer Störung, die sich mit einer depressiven Episode vorstellen, wird im ersten Jahr nach Behandlungsbeginn die Diagnose «bipolare Störung» gestellt. Im Durchschnitt vergehen zwischen Erkrankungsbeginn und Diagnose 5 bis 10 Jahre. Zu den häufigsten Differenzialdiagnosen zählen neben Major Depression und Schizophrenie auch Angststörungen, Substanzmissbrauch, Persönlichkeitsstörung sowie bei Kindern ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) und oppositionelles Trotzverhalten.
Prognose
Im Krankheitsverlauf bipolarer Störungen sind immer wieder Remissionsphasen zu beobachten, doch kommt es häufig zu Rezidiven, insbesondere bei schlechter Therapieadhärenz. Die Polarität der ersten Episode kann als Prädiktor für weitere Episoden herangezogen werden. Patienten mit überwiegend depressiver Polarität begehen häufiger Suizid und weisen einen depressiven Krankheitsbeginn auf. Bei ihnen wird oft die Diagnose einer Bipolar-II-Störung mit saisonalem Muster gestellt. Bei überwiegend manischer Polarität erkranken die Patienten häufig bereits in jungen Jahren mit einer manischen Episode, und sie erhalten die Diagnose einer Bipolar-I-Störung. In dieser Patientengruppe ist Substanzmissbrauch verbreitet. Kraepelin beschrieb bereits im Jahr 1920 den progredienten Verlauf der bipolaren Störung mit den entsprechenden kognitiven, funktionellen und medizinischen Folgen. In jün-
gerer Zeit wurde das Konzept der Neuroprogression eingeführt. Obwohl Patienten mit bipolaren Störungen vor der Diagnosestellung oft eine normale oder überdurchschnittliche Kognition aufweisen, ergaben verschiedene Untersuchungen, dass bipolare Störungen mit milden, aber substanziellen neurokognitiven Defiziten assoziiert sind, und zwar unabhängig von der Art des affektiven Zustands und selbst in Remissionsphasen. Eine schlechte Performance der exekutiven Funktionen und des verbalen Gedächtnisses scheint nicht nur mit der Ausprägung der Erkrankung zusammenzuhängen, sondern auch mit anderen Faktoren wie Erkrankungsdauer und Vorliegen psychotischer Symptome. Diese funktionelle Beeinträchtigung könnte teilweise diejenige erklären, die man bei Patienten mit bipolarer Störung selbst während Remissionsphasen beobachtet. Ausser Funktion und Kognition ist auch die körperliche Gesundheit von Patienten mit bipolaren Störungen betroffen. Häufig leiden die Patienten zusätzlich an kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes und Adipositas. Hinzu kommt eine erhöhte Mortalität, wobei eine Follow-up-Studie über 30 Jahre zeigen konnte, dass Kreislaufstörungen und Suizid die häufigsten Todesursachen sind.
Therapie
Der erste Schritt in der Behandlung bipolarer Störungen besteht darin, den affektiven Zustand des Patienten zu erfassen, denn das therapeutische Vorgehen unterscheidet sich erheblich – je nachdem, ob eine Manie, Hypomanie, Depression oder Euthymie vorliegt. Aktuelle Leitlinien zum Management bipolarer Störungen berücksichtigen die neuesten Entwicklungen pharmakologischer und psychologischer Behandlungsoptionen (siehe Tabelle).
Akutbehandlung In der Akuttherapie geht es vor allem darum, die Sicherheit des Patienten und nahestehender Personen zu gewährleisten und eine klinische und funktionelle Stabilität bei möglichst geringen Nebenwirkungen zu erzielen. Darüber hinaus ist es wichtig, ein therapeutisches Bündnis zu entwickeln, da es sich um eine lebenslange Störung handelt, die eine langfristige Adhärenz erfordert. Gerade während der ersten Episode ist die Zusammenarbeit sehr wichtig. Stimmungsstabilisierer und Antipsychotika sind die Hauptsäulen in der Akuttherapie der bipolaren Manie und Depression. Die Evidenz für den Einsatz von Antidepressiva zur Behandlung der Depression ist unklar, und diese Substanzen sollten bei Bipolar-I-Störung nie in Monotherapie verabreicht werden. Die Elektrokrampftherapie ist bei therapieresistenten akuten affektiven Episoden hocheffektiv, insbesondere bei Patienten mit psychotischen oder katatonen Merkmalen.
Manie Zur Behandlung der Manie wurden einige systematische Übersichtsarbeiten publiziert. Cipriani und Kollegen berichteten im Jahr 2011, dass Antipsychotika in der Behandlung der Manie insgesamt signifikant wirksamer seien als Stimmungsstabilisierer, wobei Haloperidol, Risperidon und Olanzapin am stärksten wirkten. Hinsichtlich der Akzeptanz durch die Patienten zeigten Quetiapin, Risperidon und Olanzapin
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Tabelle:
Medikamentöse Therapie der bipolaren Störung in Phasen der Manie oder Depression sowie in der Erhaltungstherapie
Stimmungsstabilisierer Valproat
Lamotrigin Lithium Carbamazepin Oxcarbazepin Antipsychotika Aripiprazol
Asenapin Chlorpromazin
Clozapin Haloperidol
Lurasidon
Olanzapin
Klinisches Management
Vorteile
Manie Depression Erhaltung
+++ +
++ bei Mischformepisoden hilfreich
--- ++ +++ ++
+++ bei überwiegend depressiver Polarität
+++ antisuizidale Eigenschaften
+++ + ++
++ Effektiv bei bipolarer Störung mit nicht klassischen Merkmalen
+ weniger Nebenwirkungen als Carbamazepin
+++ -
++ bei überwiegend manischer Polarität, gutes metabolisches Profil
+++ +
+ mögliche Behandlung bei depressiven Symptomen
++ ---
+
rasche Wirksamkeit
++
++ resistente Patienten, geringe extrapyramidale Symptome
+++ ---
+
rasche Wirksamkeit
+ +++
+
keine anticholinergen Effekte
+++ +++ (Olanzapin ++ plus Fluoxetin)
rasche Wirksamkeit
Nachteile
CYP-450-Inhibitor, für Frauen im reproduktionsfähigen Alter nicht empfohlen langsame Titration
bei Niereninsuffizienz nicht empfohlen CYP-450-Induktor
Hyponatriämie
Akathisie
moderates metabolisches Syndrom Risiko eines Übergangs («switching») in Depression, extrapyramidale Symptome Agranulozytose, Sialorrhö, orthostatische Hypotonie Risiko eines Übergangs in Depression, extrapyramidale Symptome Wirksamkeit von der Nahrungsaufnahme abhängig, Akathisie, Sedierung schweres metabolisches Syndrom
Paliperidon Quetiapin
++ +++ +++
Risperidon
++ -
Ziprasidon Antidepressiva
++ -- +
Elektrokrampftherapie ++ ++
++
kann 1-mal monatlich intra-
oft hohe Dosen erforderlich
muskulär verabreicht werden
+++ einziges Antipsychotikum, das zur Sedierung Therapie manischer und depressiver Episoden und zur Erhaltungstherapie indiziert ist
++ (lang wirk- häufig intramuskuläre Applikation sames injizierba- alle 2 Wochen res Risperidon)
Risiko eines Übergangs in Depression, extrapyramidale Symptome
++ überwiegend manische Polarität, Wirksamkeit von der Nahrungs-
gutes metabolisches Profil
aufnahme abhängig
+ anwendbar bei therapieresistenter Risiko eines Übergangs in Manie
bipolarer Depression in Kombination
mit Stimmungsstabilisierern
+
für Schwangere empfohlen
Vollnarkose notwendig, antero-
grade Amnesie
Diese Darstellung entspricht der Interpretation der verfügbaren Evidenz durch die Autoren und impliziert nicht unbedingt die regulatorische Befürwortung. Weitere Einzelheiten sind den aktuellen Leitlinien zu entnehmen. Die Tabelle enthält einige klinisch bedeutsame Nebenwirkungen, die bei manchen Patienten beobachtet werden, jedoch sind die Angaben nicht vollständig.
+++ sehr stark empfohlen; ++ stark empfohlen; + empfohlen; - nicht sehr empfohlen; -- nicht empfohlen; --- keineswegs empfohlen
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die besten Ergebnisse. Im Allgemeinen wiesen Risperidon und Olanzapin die beste Wirksamkeit und Akzeptanz auf. Im Gegensatz dazu schrieben Yildiz et al. kürzlich (2015), dass die Abbruchraten unter Aripiprazol, Valproat, Quetiapin, Risperidon und Olanzapin am niedrigsten seien, wobei sich keine Therapieoption als überlegen erwies. Die Sensitivitätsanalyse nach Medikamentenklasse ergab ähnliche Profile für Haloperidol, Antipsychotika der zweiten Generation und Stimmungsstabilisierer. Dennoch zeigten Yildiz und Kollegen in einer anderen Arbeit (2011) ein besseres oder schnelleres Ansprechen auf verschiedene Antipsychotika gegenüber Lithium, Valproat oder Carbamazepin, wobei es keine Unterschiede zwischen Lithium oder Valproat oder zwischen Antipsychotika der zweiten Generation und Haloperidol gab. Die Kombination aus einer atypischen Substanz und einem Stimmungsstabilisator führt bei manischen Episoden zu besseren Ansprechraten als die jeweilige Monotherapie.
Depressive Episoden Für die Behandlung depressiver Episoden stehen weniger medikamentöse Optionen zur Verfügung als für die Manie. Trotz der hohen Prävalenz und vermehrten Belastung durch die Depression gab es in der Entwicklung von Medikamenten gegen bipolare Depression erst mit der Entwicklung von Lamotrigin und atypischen Antipsychotika wie Quetiapin, Olanzapin und Lurasidon einen Fortschritt. Ein Grund für diesen Engpass ist die traditionelle «Off-label»-Extrapolation von Ergebnissen aus Studien zur unipolaren Depression, da es so wenige spezifische Medikamentenstudien bei bipolarer Depression gibt. In einer Metaanalyse wurden die Optionen bei bipolarer Depression untersucht. Es zeigte sich, dass Olanzapin plus Fluoxetin sowie Quetiapin die beiden wirksamsten Therapien waren, während die Ergebnisse zu Lamotrigin, Lithium und Antidepressiva wie Paroxetin uneinheitlich ausfielen. Im Gegensatz zur Wirksamkeit von Lamotrigin in der Langzeittherapie ist die Evidenz für dessen Wirksamkeit in der Akutbehandlung weniger überzeugend. Was Lithium anbelangt, bestätigten die Ergebnisse aus 8 von insgesamt 9 kleinen randomisierten klinischen Studien dessen Wirksamkeit bei akuter Depression. Das Nutzen-Risiko-Profil von Antidepressiva wird kontrovers diskutiert. Daher richtete die ISBD (International Society for Bipolar Disorders) eine Arbeitsgruppe ein, die Konsensempfehlungen zum Einsatz von Antidepressiva bei bipolaren Störungen entwickeln sollte. Sie empfahl Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Bupropion für bestimmte Patientengruppen, die davon profitieren können, insbesondere für Patienten mit Bipolar-II-Störung. Bei Patienten mit Bipolar-I-Störung ist das Risiko eines Übergangs («switching») in eine Manie grösser. Bei Patienten mit Bipolar-I-Störung sollten Antidepressiva nur adjuvant zusammen mit Stimmungsstabilisierern verordnet werden.
Langzeitbehandlung Ziel der langfristigen Behandlung ist es, rezidivierende Episoden zu verhindern und die Funktionalität sicherzustellen. Da es sich bei bipolaren Störungen um rezidivierende, chronische Erkrankungen handelt, ist die optimale Langzeitbehandlung als präventive Strategie zu verstehen, die medi-
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kamentöse, psychotherapeutische und Lebensstilmassnahmen von der ersten Episode an miteinander kombiniert. In einer Netzwerkmetaanalyse wurde Lithium als eine der effektivsten Strategien zur Prävention von manischen und depressiven Episoden hervorgehoben, obwohl es mit einer Verschlechterung der Nierenfunktion sowie mit Hypothyreose und Hyperkalzämie assoziiert ist. Die Ergebnisse der BALANCE-Studie zeigten, dass eine Lithiummonotherapie und die Kombination aus Lithium plus Valproat Rezidive wirksamer verhindern als eine Valproatmonotherapie – und zwar unabhängig vom Schwergrad der Erkrankung. Auch Quetiapin wurde als geeignetes Medikament zur Langzeittherapie bipolarer Störungen vorgeschlagen, doch sollten die Daten der Netzwerkmetaanalyse mit Vorsicht interpretiert werden, da die Studien zur Quetiapinerhaltungstherapie nur Patienten berücksichtigten, die in einer vorausgegangenen akuten Episode auf das Medikament angesprochen hatten. Befunde aus einer anderen Metaanalyse zeigten die Wirksamkeit von Kombinationen wie Quetiapin plus Lithium oder Valproat. Aber auch diese Resultate sollten mit Umsicht bewertet werden, da die Therapie in den meisten Studien nach einer akuten Episode eingeleitet wurde. Die therapeutischen Langzeitstrategien unterscheiden sich je nach der dominierenden Polarität der bipolaren Störung des einzelnen Patienten. Während Patienten mit überwiegend
manischer Polarität auf atypische Antipsychotika besser
ansprechen, können Patienten mit überwiegend depressiver
Polarität am besten auf Lamotrigin ansprechen; zudem be-
nötigen sie häufiger zusätzlich Antidepressiva. Der Polari-
tätsindex ist ein Mass zur Klassifikation von Erhaltungsthe-
rapien aus dieser Perspektive. Er unterscheidet Substanzen je
nach antimanischem und antidepressivem Profil. Quetiapin
und Lithium haben einen Polaritätsindex von nahezu 1, was
auf eine fast gleich gute präventive Wirksamkeit im Hinblick
auf manische und depressive Episoden hinweist.
Eine medikamentöse Therapie, meist bestehend aus einem
Stimmungsstabilisator in Monotherapie oder in Kombina-
tion mit einem Antipsychotikum oder Antidepressivum, plus
individuell angepasste psychosoziale Interventionen bei
Euthymie können das Rezidivrisiko senken, die Therapie-
adhärenz verbessern und die Anzahl sowie Dauer von Klinik-
aufenthalten reduzieren.
O
Andrea Wülker
Grande I et al.: Bipolar disorder. Lancet, published online 17 september 2015, doi: 10.1016/S0140-6736(15)00241-X.
Interessenkonflikte: Die Autoren haben von verschiedenen Institutionen und Firmen Forschungsstipendien erhalten und waren als Berater oder/und Referenten für mehrere Pharmaunternehmen tätig.
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