Transkript
BERICHT
Alzheimer-Demenz
Was bringen Lebensstil, Ernährung, alte und neue Medikamente?
Hilft Training gegen Alzheimer-Demenz? Was nützen Medikamente wirklich, und welche neuen Entwicklungen sind in absehbarer Zeit zu erwarten? Prof. Dr. med. Reto W. Kressig, Extraordinarius für Geriatrie an der Universität Basel und Chefarzt und Bereichsleiter Universitäre Altersmedizin am FelixPlatter-Spital Basel, fasste am 5. Basler Demenzforum den derzeitigen Stand des Wissens zusammen.
Renate Bonifer
Schon lange weiss man, dass «Gehirnjogging» eher wenig nützt, wenn dabei nur eine ganz bestimmte Fähigkeit trainiert wird. Wer zum Beispiel jeden Tag Kreuzworträtsel löst, wird zwar beim Kreuzworträtsellösen immer besser, bei anderen kognitiven Fähigkeiten aber kaum. Anders beim Multitasking inklusive körperlichen Trainings. Viele kleine Studien lieferten in der Vergangenheit Anhaltspunkte dafür, dass sportliche Aktivität plus kognitive Anregung die geistige Leistungsfähigkeit verbessern oder doch zumindest auch im Alter erhalten können. Wenn dann noch Faktoren wie gesunde Ernährung, soziale Aktivitäten und eine gute Kon-
Die Studienautoren erklären dies mit dem Lerneffekt, der allein schon mit dem mehrfachen Absolvieren der Gedächtnistests verbunden sei. Die wichtigste gute Nachricht sei jedoch, dass sich die exekutiven Funktionen mithilfe des Programms verbesserten, kommentierte Reto W. Kressig die FINGER-Studie: «Das sind die komplexen Funktionen, die wir im täglichen Leben brauchen!»
Proteinreiche Ernährung ist wichtig
Ältere Personen müssen mehr Protein zu sich nehmen als jüngere Erwachsene (2). Der optimale Proteinkonsum liege für die Älteren bei mindestens 1 bis 1,5 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht
«Eine Demenztherapie darf man nicht auf Medikamente beschränken.»
trolle kardiovaskulärer Risikofaktoren hinzukommen, darf man offenbar tatsächlich mit messbaren Erfolgen rechnen, dies zeigte die sogenannte FINGER-Studie (1). Sie umfasste 1260 ältere Personen mit einem erhöhten Risiko für kognitive Beeinträchtigungen und Demenz. Zwei Jahre lang erhielten sie entweder allgemeine Gesundheitstipps oder sie absolvierten ein spezielles Programm (Ernährung, körperliches und kognitives Training, soziale Aktivitäten, Kontrolle kardiovaskulärer Risikofaktoren). Die Gedächtnisleistung verbesserte sich bei allen Probanden, egal ob sie in der Interventions- oder Kontrollgruppe waren.
pro Tag, sagte Kressig. Fleisch sei dafür nicht unbedingt nötig, denn auch Milch, Milchprodukte, Käse und Eier liefern hochwertiges Protein, sagte der Referent und erinnerte daran, dass ein Ei je nach Grösse bereits 10 bis 12 g Protein enthält. Für Patienten, die nicht essen wollen oder nicht gut essen können, bieten sich Supplemente in Form von Trinknahrung an. Eine Alternative sind Proteinpulver, die unter die gewohnten Speisen gemischt werden können, auf Caseinbasis für warme und auf Molkebasis für kalte Mahlzeiten: «Damit kann man Protein sozusagen im Kartoffelstock verstecken und das Fleisch dort integrieren.»
Mikronährstoffe
als «Hirnnahrung»
Für einige Mikronährstoffe gebe es gute Anhaltspunkte im Sinne einer Demenzprävention, berichtete Kressig (3). Schädlich sei wahrscheinlich ein Mangel an Tocopherol (Nüsse, Öl, Samen, grünblättriges Gemüse, Vollkorn) und Folsäure (Gemüse, Vollkorn) sowie der Omega-3-Fettsäure Docosahexaensäure, kurz DHA (Fisch). Während nicht gesättigte Fettsäuren generell von Vorteil seien, ist die Assoziation anderer Substanzen mit dem Demenzrisiko weniger deutlich (Karotinoide, Flavonoide, Vitamin D, Transfette, Polyphenole). All diese Annahmen beruhen auf der Beobachtung, dass ein niedriger Blutspiegel nützlicher beziehungsweise ein hoher Spiegel schädlicher Substanzen mit einem erhöhten Risiko für eine Alzheimer-Demenz assoziiert ist; eine Ursache-Wirkungs-Beziehung beweist dies nicht. Es gibt aber bereits Produkte, die als diätetische Lebensmittel zur Behandlung einer AlzheimerDemenz im Frühstadium angeboten werden. Die vom Referenten genannten vier Produkte Acutil®, Cerefolin NAC®, Axona® und Souvenaid® (nur Letzteres ist in der Schweiz im Handel) unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer Zusammensetzung, sondern auch bezüglich der verfügbaren Studiendaten. Die mit Abstand bisher besten klinischen Studien (randomisiert, doppelblind) wurden mit Souvenaid® durchgeführt (4). In diesen zeigte sich bei Patienten mit leichter Alzheimer-Demenz (Mini-Mental-Status-Test [MMST]: 23,9– 25 Punkte) in einigen, aber nicht allen Testverfahren ein Vorteil mit dem Diätetikum. Keinen Vorteil sah man bei Patienten in einem etwas weiter fortgeschrittenen Stadium (MMST: 19,4). Eine Studie mit Patienten im Prodromalstadium der Alzheimer-Demenz läuft zurzeit noch (5).
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BERICHT
Tabelle:
In der Schweiz verfügbare Medikamente bei Alzheimer-Demenz
Ginkgo
Ginkgo Sandoz®, Rezirkane® 120/240 mg, Symfona®60/120/240 mg, Tebokan® EGb761 80/120
Cholinesterasehemmer
Rivastigmin: Exelon® und Generika Donepezil: Aricept® und Generika Galantamin: Reminyl® PR und Generikum
NMDA-Antagonisten
Memantin: Axura®, Ebixa® und Generika
Trainingstherapie
Körperliches Training könnte nicht nur als präventiver Faktor, sondern auch therapeutisch gegen Alzheimer- und vaskuläre Demenz sinnvoll sein. Dies legen drei Studien nahe, die am internationalen Alzheimer-Kongress im vergangenen Jahr vorgestellt wurden, wie Reto W. Kressig berichtete. So zeigte sich in der dänischen ADEX-Studie, dass intensives aerobes Herz-KreislaufTraining die psychiatrischen Symptome bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz (MMST > 19) vermindert. Bei älteren Personen mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen (MCI: mild cognitive impairement) war aerobes Training mit einer Reduktion aggregierter TAU-Proteine verbunden, und in der dritten Studie zeigten sich kognitive Verbesserungen durch aerobes Training bei Patienten mit vaskulärer Demenz.
Wann welche Medikamente?
«Eine Demenztherapie darf man nicht auf Medikamente beschränken», betonte Kressig. Man dürfe deren Nutzen jedoch auch nicht unterschätzen. Viele würden vergessen, dass die «number needed to treat» bei den drei heutzutage angewendeten Medikamenten recht gut sei. Sie liegt zwischen 3 und 10 für die Cholinesterasehemmer, bei 7 bis 10 für Memantin und bei 3 bis 6 Patienten für das Ginkgo-Präparat EGb761. Die Pharmakotherapie bei AlzheimerDemenz folgt einem Stufenplan. In den frühesten (Prodromal-)Stadien, bei leichten kognitiven Einschränkungen (MCI oder milde NCD [neuro cognitive disorder]) wird Ginkgoextrakt empfohlen (240 mg täglich). Man kann diese Dosis auf einmal geben oder auf zwei Dosen à 120 mg verteilt. Er selbst
bevorzuge die 2-mal 120 mg für seine Patienten, vor allem wegen der zusätzlichen günstigen Wirkungen auf die Blutfette, erläuterte Kressig. Wenn die Demenz voranschreitet, kommt im frühen, noch leichten Stadium ein Cholinesterasehemmer hinzu. Bei klinischer Verschlechterung wird die Dosis des Cholinesterasehemmers erhöht. Wenn der MMS unter 20 Punkte fällt, sollte zusätzlich zu Ginkgo und dem Cholinesterasehemmer noch der NMDAAntagonist Memantin gegeben werden (20 mg/Tag). Diese Kombinationstherapie ist in der Schweiz nicht kassenpflichtig, entspreche aber internationalen Empfehlungen, sagte Kressig: «Unsere Patienten verdienen die bestmögliche Behandlung!» Dass diese Kombinationstherapie den Eintritt des Patienten in ein Heim verzögern kann, wurde in einer 2009 publizierten Studie dokumentiert (6); ähnliche Resultate folgten in weiteren Studien, beispielsweise kürzlich zum Nutzen der Kombination für das Handeln im Alltag (7). In den USA wurde Ende 2014 ein entsprechendes Kombinationspräparat aus Mematin und Donepezil (Namzaric™) zugelassen.
Was bringt die Zukunft?
Nach dem Rückschlag bei den Amyloid-bezogenen Antikörpertherapien, als Phase-III-Studien mit Solanezumab und Gantenerumab 2014 vorzeitig wegen Wirkungslosigkeit abgebrochen wurden, schöpft man nun erneut Hoffnung, dass dieser Ansatz doch etwas bringen könnte, und wertet die vorhandenen Daten unter neuen Vorzeichen erneut aus. Die Hoffnung beruht auf den positiven Zwischenergebnissen der Phase-Ib-Studie PRIME mit dem Antikörper Adacu-
numab (8). Man habe in dieser Studie
die Patienten aufgrund neuer techni-
scher Möglichkeiten sorgfältiger aus-
wählen können und nur Personen mit
nachgewiesenen Amyloidplaques auf-
genommen, erläuterte Kressig. Als ers-
tes Resultat habe sich nun eine dosis-
abhängige Reduktion der Plaques im
Vergleich mit Plazebo nach sechs Mo-
naten beziehungsweise einem Jahr ge-
zeigt sowie eine Verzögerung der Ver-
schlechterung im MMST und CDR-sb
(Clinical Dementia Rating) nach einem
Jahr. «Vielleicht hatte man in den ande-
ren Studien zu niedrig dosiert», speku-
lierte Kressig, warnte aber gleichzeitig
davor, die Resultate dieser Phase-I-Stu-
die überzubewerten. Ob der Amyloid-
gezielte Therapieansatz tatsächlich
funktioniert, werde sich in den nächs-
ten zwei, drei Jahren entscheiden.
Auch symptomatische Therapieansätze
werden zurzeit in Phase-III-Studien ge-
prüft, darunter ein Serotonin-Wieder-
aufnahmehemmer (RVT-101), der als
«Add-on» zu einer stabilen Donepezil-
medikation möglicherweise schon bald
in die Klinik kommt.
O
Renate Bonifer
5. Basler Demenzforum, 19. November 2015, Vortrag von Reto W. Kressig: Update Diagnostik & Therapie.
Referenzen: 1. Ngandu T et al.: A 2 year multidomain intervention of
diet, exercise, cognitive training, and vascular risk monitoring versus control to prevent cognitive decline in at-risk elderly people (FINGER): a randomised controlled trial. Lancet 2015; 385(9984):2255–2263. 2. Deutz NEP et al.: Protein intake and exercise for optimal muscle function with aging: recommendations from ESPEN Expert Group. Clin Nutrition 2014; 33(6): 929–936. 3. Gustafson DR et al.: New perspectives on Alzheimer’s disease and nutrition. J Alz Dis 2015; 46: 1111–1127. 4. Rainer M, Mucke HAM: Diätetische Lebensmittel im Frühstadium der Alzheimer-Demenz. J Neurol Neurochir Psychiatr 2015; 16(2): 76–81. 5. www.souvenaid.de, abgerufen am 17. Januar 2016. 6. Lopez OL et al.: Long-term effects of the concomitant use of memantine with cholinesterase inhibition in Alzheimer disease. J Neurol Neurosurg Psychiatr 2009; 80(5): 600–607. 7. Alva G et al.: Daily functioning benefits of adding memantine to stable cholinesterase treatment in patients with moderate to severe Alzheimer’s disease: a post hoc pooled factor analysis. Presented at 8th Annual Clinical Trials Conference on Alzheimer’s Disease, Nov 5–7, 2015, Barcelona. 8. Sevigny J et al.: Aducanumab (BIIB037), an anti-amyloid beta antibody, in patients with prodromal or mild Alzheimer’s disease: interim results of a randomized, double-blind, placebo-controlled, phase Ib study. Presented at Alzheimer’s Association International Conference July 18–23, 2015 Washington DC.
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