Transkript
INFEKTIONEN
Krankheitsrelevante Infektionen bei der atopischen Dermatitis
von Peter Schmid-Grendelmeier
Bei der atopischen Dermatitis haben sich die mikrobielle Besiedelung und Infektion der Haut als begünstigende Faktoren erwiesen. Insbesondere Staphylokokken sind pathogenetisch bedeutsam. Die aktuellen Erkenntnisse sprechen für eine frühzeitige konse-
Tabelle 1: Krankheitsrelevante Mikrobengruppen beim atopischen Ekzem
Bakterien
Staphylococcus aureus
Pilze Malassezia sympodialis Dermatophyten
Viren
Poxviren (Poxvirus mollusci) VZV HSV 1
quente antientzündliche und antimikrobielle
Behandlung der Ekzemschübe.
D ie atopische Dermatitis, eine chronisch entzündliche Dermatose mit typischen ekzematösen Hautveränderungen, ausgeprägtem Juckreiz und trockener Haut, ist eine der häufigsten Hauterkrankungen im Kindesalter. Die Ekzemschübe werden sehr oft durch Hautinfektionen mit Bakterien, Viren oder Pilzen getriggert oder verstärkt (siehe Tabelle 1). Die Atopikerhaut scheint ein gutes Milieu für Bakterienwachstum zu bieten, insbesondere für die pathogenetisch bedeutsamen Staphylokokken. Pilzinfekte treten bei Neurodermitikern nicht häufiger auf als bei gesunden Kontrollpatienten. Eine krankheitsverstärkende Wirkung wurde jedoch für Malassezia sympodialis festgestellt.
Bakterielle Infekte mit Staphylococcus aureus Bei den meisten Patienten mit atopischer Dermatitis können Bakterien vom Stamm Staphylococcus aureus von den ekzematösen Hautläsionen isoliert werden. Die Besiedlung kann bis zu 107 Bakterien/cm2 betragen. Bei gesunden Kontrollpatienten beträgt diese nur 5 Prozent. Aus neueren Arbeiten geht hervor, dass bakterielle Proteine und andere bakterielle Bestandteile in der Pathogenese der atopischen Dermatitis eine wichtige Rolle spielen. Bei Atopikern ist die mechanische Hautbarriere gegenüber Bakterien und Bakterienbestandteilen infolge von Kratzverletzungen reduziert. Ein Mangel an gewissen Ceramiden in der Lipidzusammensetzung der Haut führt zu generell trockener Haut und wirkt sich auf die Hautbarrierefunktion ebenfalls nachteilig aus. Somit können die Bakterien leichter siedeln, die Haut penetrieren und ihre pathogenetische Wirkung entfalten. Durch den Kontakt mit bakteriellen Antigenen kommt es zu einer massiven Ausschüttung von proinflammatorischen
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Zytokinen und damit zu einer Vermehrung der extrazellulären Matrixmoleküle. Diese können Staphylococcus aureus als Andockstellen dienen, was die atopische Dermatitis noch verstärkt, zu erhöhtem Juckreiz und erneutem
Tabelle 2: Faktoren, welche die Kolonisation/Infektion der Haut mit Staphylococcus aureus fördern
Kratzen führt und den Krankheitsprozess aufschaukelt. Bei Atopikern ist auch die antibakterielle Abwehr in der Haut reduziert. Die Haut ist arm an natürlichen antimikrobiellen Peptiden wie β-Defensinen und Kathelizidinen, welche die erste antibakterielle Abwehr bis zum Aufbau einer spezifischen Abwehrreaktion übernehmen. Bei der Psoriatikerhaut besteht hingegen kein Mangel an diesen Peptiden. Dieser Befund entspricht der klinischen Beobachtung, dass oft die Atopikerhaut, nicht aber die Haut von Psoria-
● Mechanische Hautbarriere durch Kratzen reduziert ● Suboptimale Lipidzusammensetzung der Haut durch
Mangel an Ceramiden ● pH-Änderung der Haut: sie ist zu alkalisch ● Erhöhte Produktion von molekularen Andockstellen
für Bakterien durch Fibronektin und Fibrinogenablagerungen in der Haut (nicht erwähnt) ● Verminderte Produktion von antimikrobiellen Peptiden wie β-Defensinen und Kathelizidinen durch Keratinozyten
tikern bakteriell superinfiziert ist.
In aufwändigen Studien an Mäusen, in Zellkulturen
sowie in menschlichen Hautproben konnte nachgewiesen entzündlichen Veränderungen, welche die Bakterienkolo-
werden, dass die molekularen Gegebenheiten in akuter nisation fördern. Bei akuten Entzündungen mit Vesikeln ist
oder subakuter neurodermitischer Haut die Andockung und eine Farblösung/Schüttelmixtur zu verwenden. Bei krustö-
Vermehrung von Staphylococcus aureus begünstigen. Im so ser, trockener Haut ist eine Creme (Öl-in-Wasser-Emulsion)
genannten Th-2-Zytokinspektrum sind unter anderem Inter- geeignet und bei sehr trockener und lichenifizierter Haut
leukin 4 und 5 erhöht und Interferon γ erniedrigt. Mit Inter- eine Salbe (Wasser-in-Öl-Emulsion).
leukin 4 vorbehandelte Haut bindet Bakterien in vitro besser
Wird eine bakterielle Infektion mit Staphylococcus
als mit Interferon γ vorbehandelte Haut. Interferon γ schafft aureus vermutet oder nachgewiesen, dann empfiehlt sich
ein Th-1-Milieu in der Haut und hemmt die Produktion von eine Kombination von topischer antibakterieller Behand-
bakteriellen Andockstellen in der Haut, vor allem Fibronek- lung und lokaler Steroidtherapie, zum Beispiel mit Sicorten
tin, in den Fibroblasten. Vergleicht man wiederum mit der Plus® oder Fucicort®. Bei multiplen Herden kann auch eine
Psoriatikerhaut, so weist diese ein Th-1-Entzündungsinfiltrat systemische Antibiose indiziert sein. Die topische Anwen-
auf. Dieses generiert ein für Staphylococcus-Infektionen dung von potenziell immunsupprimierenden Steroiden
ungünstiges Milieu. Auch bei chronisch lichenifizierter Haut reduziert die bakterielle Besiedelung nachweislich, was
von Atopikern dominiert ein Th-1-Entzündungsinfiltrat, und wahrscheinlich auf eine kortikoidbedingte Verminderung
Superinfektionen sind viel seltener.
des Th-2-Entzündungsinfiltrats in der Atopikerhaut zurück-
Dieser feine molekulare Unterschied spielt offenbar zuführen ist.
nicht nur in der klinischen Form der Hauterkrankung eine
Mehrere Studien belegen eine ähnliche Wirkung der
entscheidende Rolle, sondern ist auch für zusätzliche neuen topischen Calcineurin-Inhibitoren (Tacrolimus, Pime-
Komplikationen im Sinne von Superinfektionen mass- crolimus), die aufgrund ihrer Hemmmung der Produktion
gebend. Mit Staphylococcus aureus assoziierte Proteine von Th-2-Zellen die Bakterienkolonisation eindämmen.
und Antigene, insbesondere Exotoxine (Superantigene und Zusätzlich scheinen diese Calcineurin-Inhibitoren auch die
α-Toxin), können eine Entzündungskaskade auslösen. von den Staphylokokken-Superantigenen getriggerte T-Zel-
Sobald sie einmal in der Haut eines Patienten mit akutem len-Produktion effizient zu blockieren, was bei der her-
oder subakutem Ekzem sind, werden dendritische Zellen kömmlichen Kortikosteroid-Therapie nicht der Fall ist.
(T-Zellen) und Mastzellen aktiviert, welche die atopische
Die Behandlung mit immunsupprimierenden Medika-
Dermatitis unterhalten. Bereits durch das Bestreichen der menten ist also bei Staphylokokken-Infekten nicht prinzipi-
neurodermitischen Haut mit Exotoxinen kann eine Ekzem- ell kontraindiziert, da es sich in diesem Fall eher um eine
reaktion provoziert werden. Die aktive Bekämpfung von immunmodulierende Therapie handelt, die eine bakterien-
Staphylococcus-Hautinfektionen ist dementsprechend als begünstigende Immunlage verändert. Bei kurz nacheinan-
ursachenorientierte Therapie indiziert.
der auftretenden Rezidiven oder hartnäckigem Therapie-
verlauf lohnt sich eine mikrobiologische Untersuchung
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Reduktion der Staphylokokken-Kolonisation als therapeuti- typischer Foci (Leisten, Analregion, Axillen, Nasenausgän-
sches Prinzip
ge, Ohrausgänge). Beim Nachweis einer Staphylococcus-
Die Bekämpfung der Staphylokokken-Besiedelung als Trig- Besiedlung kann der Focus lokal mit Bactroban®-Salbe
ger der atopischen Dermatitis sollte sowohl zu einer Resti- (Nase) behandelt werden. Weiter können Badezusätze
tution der Hautbarriere als auch zu einer zumindest vor- wie Betadine®- und Procutol®-Seife verwendet werden.
übergehenden Eradikation der Bakterien führen.
Triclosan-Softsalbe (Rp: Triclosanum 1% in Softsalbe ge-
Grundsätzliche Massnahmen sind eine gute Re- mäss Rezeptur KA) fördert zusätzlich die Rehydrierung der
14 hydrierung der Haut sowie die Bekämpfung der akuten Haut. Speziell beschichtete Unterwäsche (Dermasilk®), die
Mikroorganismen von der Haut fern hält, hat möglicherweise ebenfalls einen günstigen Effekt auf den Hautzustand.
Pilzinfekte mit Malassezia sympodialis Dieser lipophile Hefepilz besiedelt die seborrhoischen Areale der Haut wie Kopf, Gesicht, Nacken und obere Schweissrinnen. Bei Patienten mit atopischer Dermatitis wird dieser Hefepilz in bis zu 90 Prozent der Fälle auf der Haut vorgefunden, aber auch bei 77 Prozent der Normalbevölkerung. 40 bis 65 Prozent der Neurodermitiker sind auf den Extrakt des Pilzes sensibilisiert (spezifische IgE im Serum und/oder positiver Pricktest). Die IgE-Produktion als Reaktion auf Malassezia sympodialis scheint ein krankheitsspezifischer Prozess zu sein. Sie kommt praktisch ausschliesslich bei erkrankten Patienten vor und fehlt in der Kontrollgruppe. Bei Patienten mit Befall vor allem von Kopf und Nacken (Head-neck type dermatitis) und erhöhtem IgE gegen Malassezia sympodialis konnte mit einer antimykotischen Behandlung eine klinische Besserung erzielt werden. Dieser Ansatz scheint auch für Dermatophyteninfektionen zu gelten, die ebenfalls einer Behandlung bedürfen.
Bei gewissen auf der Haut siedelnden Hefepilzen kann es durch molekulare Mimikry sogar zu einer Allergie auf körpereigene Substanzen kommen, indem die Abwehrzellen und Immunglobuline durch molekulare Ähnlichkeit zwischen mikrobiellen und menschlichen Molekülen auch körpereigene Strukturen angreifen. Da diese Antigene permanent im Körper existieren, wird die Allergie kontinuierlich unterhalten. Diese Komplikation spricht ebenfalls für eine frühzeitige konsequente antientzündliche sowie antimikrobielle Behandlung von Ekzemschüben.
Bewährt hat sich bei Verdacht auf Malassezia sympodialis oder dessen Nachweis eine Therapie mit Ektoselen®- oder Nizoral®-Shampoo, allenfalls begleitet durch eine antimykotische lokale Behandlung mit Nizoral®Creme. Auch hier soll die antimikrobielle Therapie mit
einer topischen Steroidbehandlung kombiniert werden, zum Beispiel mit Elocom®, Emovate® und Prednitop® als Creme oder Salbe. Im Gesichtsbereich hat sich besonders der Gebrauch von Emovate® bewährt.
Fazit und Ausblick
Die mikrobielle Besiedelung sowie Infektion der Haut von
Atopikern trägt ohne Zweifel zum Schweregrad der Erkran-
kung bei und bedarf der frühzeitigen Behandlung. Bei bak-
teriellen Infekten sind topische Steroide oder die neue
Medikamentengruppe der Calcineurin-Inhibitoren einzu-
schliessen. Als therapeutisch interessantes Gebiet könnte
sich die Mikroflorauntersuchung des Gastrointestinaltraktes
erweisen. Patienten mit atopischer Dermatitis scheinen
weniger Bifidobakterien-, dafür mehr Staphylokokken-
Besiedelung zu zeigen. Den Bifidobakterien wird eine Sti-
mulation der Th1-Immunantwort attestiert. Einzelne Studien
zeigen einen positiven Effekt bei oraler Verabreichung von
Laktobazillen an gewisse Patienten mit positivem Haut-
pricktest sowie erhöhten IgE-Werten. Die Rolle der Probio-
tika in der Therapie der atopischen Dermatitis muss jedoch
noch in weiteren Studien an grösseren Patientenkollektiven
genauer eruiert werden, damit Empfehlungen abgegeben
werden können.
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Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Peter Schmid-Grendelmeier Leiter der Allergiestation Dermatologische Klinik UniversitätsSpital Zürich Gloriastrasse 31 8091 Zürich E-Mail: peter.schmid@usz.ch
Literatur beim Verfasser
Interessenskonflikte: keine
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