Transkript
16 Nr. 6/2008
Während unsere ärztliche Alltagsarbeit zunehmend durch alle möglichen Guidelines bestimmt aussen vorschreiben lassen, unsere ärztliche Ethik muss erhalten bleiben. Dazu möchte die wird, die uns Untersuchungsgang und Therapie vorschreiben, stossen wir immer wieder an die Rubrik DoXEthik beitragen. Sie wird betreut von Dr. Bernhard Rom, der als Lehrbeauftragter für Grenzen unserer technischen Medizin. Richtiges ärztliches Handeln dürfen wir uns nicht von Medizinethik an der Universität Zürich tätig ist.
Beihilfe zum Suizid als ärztliche Funktion?
Offenbar sollen die Ärzte entscheiden, ob ein assistierter Suizid richtig ist oder nicht. Doch bevor man beurteilt, ob es ein Recht auf Suizidbeihilfe gibt, muss man sich darüber im Klaren sein, ob es ein Recht auf Suizid gibt.
Bernhard Rom
Die Diskussion über Sterbehilfe ist in der
Schweiz durch Bundesrätin Eveline Wid-
mer-Schlumpf, die alt Bundesrat Chris-
toph Blocher ersetzt, in eine neue Phase
getreten. Blocher sah
keinen Handlungsbe-
darf, er ist der Meinung,
die jetzige gesetzliche
Regelung genüge. Ganz
anderer Meinung ist
Widmer-Schlumpf: Sie
vertritt den Stand-
punkt, dass Medizinern
beim assistierten Suizid
eine wichtige Rolle zu-
Bernhard Rom
fallen sollte.
In einem Interview der
Zeitschrift «Beobachter» zum Thema Ster-
behilfe ging es unter anderem darum,
dass Sterbewillige nicht einfach bei einer
entsprechenden Organisation vorspre-
chen können, sondern dass es immer
auch einen Arzt braucht, der ein Rezept
ausstellt. Daraufhin erklärte Eveline
Widmer-Schlumpf: «Genau deshalb muss
dem Freitod mit Helium, das rezeptfrei
erhältlich ist, ein Riegel geschoben wer-
den. Ein Mediziner muss meiner Ansicht
nach zwingend zwischengeschaltet sein.»
Auf die Frage, wie es jetzt in der Sterbe-
hilfe weitergehe, antwortete die Bundes-
rätin: «Ich habe bereits verschiedene Ge-
spräche geführt, mit Ethikern, Moral-
theologen, Theologen, Staatsanwälten,
Medizinern, auch mit Vertretern von
Sterbehilfeorganisationen, und schaue
mir auch ausländische Lösungen an. In
der ersten Hälfte 2009 werden wir dann
dem Bundesrat konkrete Vorschläge un-
terbreiten (1).»
Es scheint also, dass den Ärzten eine Art
Schiedsrichterfunktion zugedacht wird.
Wir Ärzte sollen entscheiden, ob ein as-
sistierter Suizid richtig sei oder nicht. Wir
müssen uns als Ärzte aber fragen, ob wir
diese Funktion übernehmen wollen. Wa-
rum sollen Ärzte entscheiden, ob eine Sui-
zidbeihilfe moralisch erlaubt sei? Ist Bei-
hilfe zur Selbsttötung überhaupt eine
ärztliche Tätigkeit? Der Artikel soll helfen,
auf diese Fragen eine Antwort zu finden.
Bevor man beurteilt, ob es ein Recht auf
Suizidbeihilfe gibt, muss man sich im Kla-
ren sein, ob es ein Recht auf Suizid gibt.
Gibt es ein Recht auf Suizid?
Gegen das Recht auf Suizid spricht ein einflussreiches, christlich-jüdisches Ar-
gument: Das Leben sei ein Geschenk Gottes, über das wir Menschen nicht verfügen dürfen. Dieses Argument ist in der Diskussion sehr mächtig und wirkt nach, auch wenn es nicht ausdrücklich genannt wird. Die Schweizer Bischofskonferenz nimmt wie folgt Stellung: «Die katholische Kirche in der Schweiz ist besorgt über die Akzeptanz, die Suizidorganisationen in breiten Kreisen gewinnen möchten. Wer das Leben und die Menschenwürde achtet, kann die Selbsttötung weder billigen noch fördern. Die Schweizer Bischöfe lehnen jeden Versuch ab, organisierte und gewerbsmässig betriebene Beihilfe zum Selbstmord gesetzlich zu etablieren (2).» Dieses Argument gilt allerdings nur für Gläubige und hat keine Bedeutung für diejenigen, welche die Offenbarungsprämisse nicht unterschreiben würden. In pluralistischen Gesellschaften wie der Schweiz können solche Argumente nicht herangezogen werden, um Gesetze oder andere staatliche Interventionen zu begründen. Falls kein absolutes Verbot begründet werden kann, Suizid also prinzipiell erlaubt ist, gehört es zu den Freiheitsrechten eines Menschen, Suizid zu begehen. Das heisst, es besteht ein schwaches Freiheitsrecht (3). Es ist uns Menschen nicht absolut verboten, Suizid zu begehen. Unter bestimmten Umständen kann die Selbsttötung moralisch erlaubt, ja sogar der moralisch gebotene Weg sein (4). Dieses Recht steht aber nur kompetenten Menschen zu. Suizid als Kurzschlusshandlung und Suizid von psychisch Kranken sind deshalb zu verhindern. Eine andere Frage ist, ob es erlaubt sei, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten und ob es ein Recht auf Suizidbeihilfe gibt.
Ist Suizidbeihilfe erlaubt?
Es geht hier um die Frage, ob Suizidbeihilfe moralisch vertretbar ist. Gesetzlich ist sie in der Schweiz ausdrücklich erlaubt1. Aber nicht alles, was gesetzlich erlaubt ist, ist auch moralisch richtig. Die wichtigsten Argumente von Gegnern und Befürwortern lauten wie folgt:
Kontra Suizidbeihilfe Da Suizid verboten ist, ist auch Suizidbeihilfe verboten. Es gibt keine autonome Entscheidung zur Selbsttötung. Selbsttötungen sind daher moralisch nicht zulässig und ebenso wenig die Beihilfe zum Suizid. Das Leben ist das höchste Gut, das wir haben und das zentrale Gut der Moral. Eine Gesellschaft, die den Suizid erleichtert, indem sie Suizidbeihilfe generell erlaubt oder gar ermöglicht, setzt ein falsches Signal hinsichtlich des Respekts vor dem Leben. Wenn der Suizid schon nicht verhindert werden kann und darf, darf er nicht noch erleichtert werden. Wenn man die Beihilfe zum Suizid zwar generell untersagt und nur unter bestimmten Bedingungen (etwa Krankheit) zulässt, fällt man implizit ein externes
Urteil über die unterschiedliche Schutzwürdigkeit des Lebens auf der Basis von Lebensqualitätsstandards. Damit wäre eine moralisch unzulässige Bewertung unterschiedlichen menschlichen Lebens verbunden, die den Bann bräche hin zur aktiven, nicht freiwilligen Sterbehilfe. Wenn Suizidbeihilfe unter der Voraussetzung zugelassen wird, dass der/die Betroffene einen entsprechenden Sterbenswunsch äussert, besteht die Gefahr, dass «pflegemüde» oder «erbgierige» Angehörige Druck auf die Betroffenen ausüben und sie so in den vermeintlich freiwilligen Tod treiben.
Pro Suizidbeihilfe Es ist moralisch unzulässig und ein Zeichen von «Doppelmoral», wenn man Menschen Rechte zuspricht und deren Ausübung zugleich behindert oder riskant macht. Wenn man verhindern will, dass Menschen von ihrem Recht auf Selbsttötung Gebrauch machen, sollte man das nicht per indirekter Sanktion tun, sondern indem man ihnen das Leben erleichtert und lebenswert erhält. Menschen, die sterben wollen, befinden sich in grosser Not. Wir sind moralisch aufgefordert, wenn auch nicht in jedem Fall verpflichtet, Menschen in Not zu helfen. Beihilfe zum Suizid ermöglicht und erleichtert die Ausführung eines respektablen und zu respektierenden Wunsches und vermindert schweres Leiden (sowohl aufseiten der Betroffenen als auch ihrer Angehörigen). Wir haben kein moralisches Recht, Menschen, die den Betroffenen in dieser Situation helfen und Leiden vermindern wollen, zu kriminalisieren und zu behindern. Ein Verbot der Suizidbeihilfe verhindert keinen Suizid. Vielmehr hat es zur Folge, dass Menschen sich auf gewaltsame Weise das Leben zu nehmen versuchen, wobei viele Suizidversuche scheitern, den Betroffenen aber schweren Schaden (und der Gesellschaft immense Kosten) zufügen. Das Suizidbeihilfeverbot verhindert die Beseitigung des so entstehenden Leides. Die prinzipielle Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sterbehilfe lindert nachweislich den Leidensdruck suizidwilliger Personen. Wer weiss, dass er jederzeit schmerzlos sterben kann, kann sich leichter für das Weiterleben entscheiden. Die Zulassung der Sterbehilfe lindert den Leidensdruck suizidwilliger Personen.
Die Rolle des Arztes
Die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften hat Richtlinien herausgegeben für die ärztliche Suizidbeihilfe: «In dieser Grenzsituation kann für den Arzt ein schwer lösbarer Konflikt entstehen. Auf der einen Seite ist die Beihilfe zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit, weil sie den Zielen der Medizin widerspricht.» Auf der anderen Seite sei die Achtung des Patientenwillens grund-
legend für die Arzt-Patienten-Beziehung.
Diese Dilemmasituation erfordere eine
persönliche Gewissensentscheidung des
Arztes. Die Entscheidung, im Einzelfall
Beihilfe zum Suizid zu leisten, sei als sol-
che zu respektieren. In jedem Fall habe
der Arzt das Recht, Suizidbeihilfe abzu-
lehnen. Und weiter: «Entschliesst er sich
zu einer Beihilfe zum Suizid, trägt er die
Verantwortung für die Prüfung der fol-
genden Voraussetzungen:
• Die Erkrankung des Patienten recht-
fertigt die Annahme, dass das Lebens-
ende nahe ist.
• Alternative Möglichkeiten der Hilfestel-
lung wurden erörtert und soweit ge-
wünscht auch eingesetzt.
• Der Patient ist urteilsfähig, sein
Wunsch ist wohlerwogen, ohne äusse-
ren Druck entstanden und dauerhaft.
Dies wurde von einer unabhängigen
Drittperson überprüft, wobei diese
nicht zwingend ein Arzt sein muss (5).»
Ich kann diesen Richtlinien beipflichten,
bin allerdings der Meinung, dass Beihil-
fe zum Suizid nicht nur von Ärzten ge-
leistet werden kann. Unentbehrlich sind
Ärzte nur bei der Beurteilung, ob der Sui-
zidwillige kompetent ist. Dabei sind die
gleichen Kriterien massgebend, die für
die informierte Zustimmung gelten.
Ich habe aber auch Verständnis für Ärz-
te, die eine Beihilfe zum Suizid ablehnen,
da sie es als oberstes Ziel ärztlichen Han-
delns ansehen, den Tod zu bekämpfen
und nicht dazu beitragen wollen, den Tod
herbeizuführen. Sie verweisen dabei auf
den hippokratischen Eid, der ausdrück-
lich festhält: «Auch werde ich niemandem
ein tödliches Mittel geben, auch nicht,
wenn ich darum gebeten werde.»
N
Dr. med. Bernhard Rom, MAE Lehrbeauftragter für Medizinethik
an der Universität Zürich General-Werdmüller-Strasse 49
8804 Au E-Mail: romau@sunrise.ch
Quellen: 1. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Interview «Es gibt keine ideale Sterbehilfe»: www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/dokumentation/inter/2008/2008-07-24.html. 2. Schweizer Bischofskonferenz, Pressecommuniqué «Keine staatliche Legitimation für Suizid-Organisationen»: www.kath.ch/sbk-ces-cvs/ text_detail.php?nemeid=99750&sprache=d 3. Peter-Rippe K. Das Recht auf Suizid. Folia Bioethica, 21 1998. 4. Hardwig J.: Is there a duty to die? Hastings Center Report 27, no. 2 (1997): 34–42. 5. Medizinische Richtlinien der SAMW, «Betreuung von Patientinnen und Patienten am Lebensende»: www.samw.ch/docs/Richtlinien/d_RL_ Lebensende.pdf.
1. Art. 115 StgB. Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord. Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.