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BERICHT
Zufallsbefunde – mal gut-, mal bösartig
Lungenkrebsscreening mit Niedrigdosis-CT kommt auch bald in die Schweiz
Thoraxröntgenbilder zeigen nicht selten als klinisch nicht vermuteten Warum ein Lungenkrebsscreening
Befund einen Rundherd oder eine Raumforderung. Im Urinstatus ist eine asymptomatische Mikrohämaturie ein häufiger Zufallsbefund. Das Vorgehen
durchführen?
Ausserhalb von Malignomen der Reproduktionsorgane ist Lungenkrebs
in diesen beiden Situationen war Thema an den Medidays 2015 in Zürich.
nach Kolorektalkarzinomen bei Frauen
und Männern das zweitwichtigste Tu-
Halid Bas
morgeschehen. Die meisten Lungenkarzinome werden erst in fortgeschrit-
tenen Stadien entdeckt, wenn die Pro-
gnose schon sehr schlecht ist. Im Ver-
Definitionsgemäss sprechen Radiolo- laubt Rückschlüsse: Ist die Begrenzung gleich zu einer symptombasierten Dia-
gen bei Lungenveränderungen mit glatt, scharf, oder zeigen sich Ausläu- gnostik führt die screeningbasierte Dia-
Durchmesser bis 3 cm von einem fer? Sind Verkalkungen zu erkennen, ist gnostik zu einer Stadienverschiebung
Rundherd, darüber jedoch von einer die Läsion eher benigne.
hin zu lokalisierteren, weniger regional
Raumforderung, erinnerte Prof. Dr.
Malcolm Kohler, Klinik für Pneumolo-
gie, Universitätsspital Zürich. Unab- Eine screeningbasierte Diagnostik führt zu zu einer
hängig vom Durchmesser ist das Spek- Stadienverschiebung hin zu lokalisierteren, weniger regional
trum der möglichen Differenzialdia- ausgebreiteten und seltener metastasierten Karzinomen.
gnosen sehr breit und reicht von ent-
zündlichen (infektiösen oder nicht in-
fektiösen) Ursachen, über gut- und bös- Bei wiederholten Aufnahmen, zum Bei- ausgebreiteten und seltener metasta-
artige Tumoren bis zu Fehlbildungen, spiel dem Vergleich mit älteren Bildern sierten Karzinomen.
Atelektasen, Lungenembolie oder -in- oder einer Zweitaufnahme nach kurzer Dass ein gross angelegtes Lungekrebs-
farkt bis zu interstitiellen Lungener- Zeit, lässt sich die Dynamik der Lun- screening möglich ist und zu positiven
kankungen (Kasten Seite 1048).
genveränderung abschätzen. Eine Ver- Ergebnissen führt, hat der National
doppelungszeit über 465 Tage deutet Lung Screening Trial (NLST) eindrück-
Lungenkarzinome werden häufig erst
eher auf eine benigne Läsion, eine sehr lich belegt (1). Eingangskriterien waren kurze hingegen auf ein malignes Ge- ein Alter zwischen 55 und 74 Jahren,
in fortgeschrittenen Stadien entdeckt.
schehen.
eine Raucheranamnese mit mindestens
Die weitere Abklärung stützt sich zu- 35 «pack years». Ehemalige Raucher
nächst auf eine gründliche körperliche mussten innert der vorangegangenen
Wie lässt sich die Differenzial-
Untersuchung inklusive Integument, 15 Jahre aufgehört haben. 53 454 Per-
diagnose eingrenzen?
enoralem Status, Lymphknotenstatio- sonen wurden in zwei Gruppen rando-
Grosse Bedeutung kommt der Anam- nen, Leber-/Milzpalpation sowie Rek- misiert und erhielten in drei Screenin-
nese zu, beispielsweise der Frage nach taluntersuchung. Unter den Laborbe- grunden mit jährlichem Intervall ent-
B-Symptomen. Demografische Fakto- funden sind Blutbild, Leberwerte sowie weder ein Niedrigdosis-CT oder ein
ren (Alter, Herkunft) geben wichtige die Bestimmung von Kalzium und konventionelles Thoraxröntgenbild.
Hinweise, ebenso die Unterscheidung Elektrolyten hilfreich. Eine Computer- Nichtverkalkte Rundherde ≥ 4 mm im
zwischen solitären und multiplen Lun- tomografie (CT) von Thorax, allenfalls CT und jeglicher Grösse im Röntgen-
genrundherden. «Mit zunehmender auch Abdomen (Nebennieren, Leber) bild wurden weiter diagnostisch abge-
Grösse steigt die Wahrscheinlichkeit kann weiterführende Informationen klärt. Mit dem Niedrigdosis-CT-Scree-
für eine maligne Läsion», präzisierte liefern, ebenso die Sputumuntersu- ning war die Inzidenzrate für Lungen-
Kohler, «bei einem Durchmesser über chung und verschiedene Verfahren der krebs höher (relatives Risiko [RR]:
8 mm sind weitere Abklärungen not- Bronchoskopie oder eine Biopsie, zum 1,13, 95%-Konfidenzintervall [KI]:
wendig.» Auch die Morphologie der Beispiel von Lymphknoten, zur Gewin- 1,03–1,23). Gleichzeitig führte das CT-
Veränderung im Thoraxröntgenbild er- nung einer Zytologie.
Screening zu einer Abnahme der Lun-
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Kasten:
Differenzialdiagnosen bei Lungenrundherden (< 3 cm) und Raumforderungen (> 3 cm) der Lunge
Entzündlich infektiös: O Pneumonie/Abszess O TBC O Pilze (z.B. Aspergillose) O Parasiten (z.B. Echinococcus)
nicht infektiös: O eosinophile Pneumonie O kryptogene organisierende Pneumonie O Granulomatose mit Polyangiitis
(M. Wegener)
Tumoren maligne: O Lungenkarzinom O Karzinoid O Lymphom O Sarkom O Metastase benigne: O Hamartom O Fibrom O Lipom O Chondrom O Osteom
Fehlbildungen: O arteriovenöse Aneurysmen O Bronchialzysten O Sequester
Atelektasen
Lungenembolie/Lungeninfarkt
Interstitielle Lungenerkrankungen: O Sarkoidose O kryptogene organisierende Pneumonie
genkrebsmortalität um 20 Prozent (p = 0,004) und der Gesamtmortalität um 6,7 Prozent (p = 0,02). In der CTScreening-Gruppe waren die entdeckten Lungenkarzinome zu 50 Prozent im Stadium I, in der Vergleichsgruppe mit Röntgenscreening jedoch nur zu 31,1 Prozent. In der CT-Gruppe wurden 61,2 Prozent der Lungenkrebse durch das Screening aufgedeckt, 4,2 Prozent wurden beim Screening nicht erfasst, und 34,6 Prozent wurden erst nach Screeningabschluss aufgedeckt. Die entsprechenden Zahlen in der Röntgengruppe waren 29,6, 14,6 und 55,8 Prozent. Im Rahmen der Studie mussten 350 Individuen gescreent werden, um einen Lungenkrebs zu entdecken (number needed to screen, NNS). Bei
Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) beträgt die NNS hingegen nur 170. Nach diesen Resultaten empfehlen USamerikanische und internationale Guidelines ein Lungenkrebsscreening bei älteren Personen mit positiver Raucheranamnese, setzen allerdings die Alterslimiten und «pack years» etwas unterschiedlich an (2). Anfang letzten Jahres veröffentlichte eine Expertengruppe der Schweizer Universitätskliniken die Empfehlung, dass ein Lungenkrebsscreening in der Schweiz nur innerhalb einer nationalen Beobachtungsstudie durchgeführt werden sollte, bevor ein breites Screening auf Bevölkerungsebene angeboten werde (3). Prof. Kohler informierte über den Stand der Dinge Anfang September 2015. Nach Vorabklärungen mit dem BAG wurde ein Antrag zur provisorischen Übernahme der Kosten bei Risikopersonen an das BAG eingereicht, das diesen Antrag an die Eidgenössische Kommission für Leistungen und Grundsatzfragen (ELGK) weitergeleitet hat. «Sollte die ELGK dem Antrag zustimmen, ist eine ordentliche Einführung des Lungenkarzinomscreenings in der Schweiz ab 2016 möglich», sagte Kohler.
Roter Urin
Auch bei einer Rotfärbung des Urins stellt sich die Frage nach der Ursache. In Betracht kommen eine Makrohämaturie, eine Hämo- oder Myoglobinämie, ferner auch Medikamente (Rifampicin, Phenolphthalein, Phenothiazine) oder Nahrungsmittel (Randen). In einem ersten Schritt hilft der Papierstreifentest (Stix) weiter, erläuterte Prof. Dr. Rudolf P. Wüthrich, Klinik für Nephrologie, Universitätspital Zürich. Bei negativem Stix ist an Medikamente oder Nahrungsmittel zu denken; bei positivem Stix ist der Urin zu zentrifugieren. Ist der Überstand rot, handelt es sich um eine Hämproteinurie, und im-
vermag schliesslich zwischen glomerulären (dysmorphen) und nicht glomerulären (eumorphen) Erythrozyten zu unterscheiden. Dies ist wichtig, da bei dysmorphen Erythrozyten und Proteinurie die Überweisung zum Nephrologen sinnvoll ist, während bei eumorphen Erythrozyten immer an ein Tumorrisiko zu denken ist, das die Überweisung zum Urologen nahelegt.
Mikrohämaturie –
banal oder doch nicht?
Als Zufallsbefund ist eine Mikrohämaturie ohne Rotverfärbung des Urins keineswegs selten. Definitionsgemäss spricht man von einer Mikrohämaturie, wenn bei 400-facher Vergrösserung pro Gesichtsfeld mehr als drei Erythrozyten zu erkennen sind. Als vorübergehender Befund ist dies häufig (40% der Bevölkerung). Ursachen sind unter anderem Menstruation, Sport, Fieber, Geschlechtsverkehr oder Harnwegsinfekte (HWI). Dem Ausschluss solcher benignen Ursachen dient die zwei- bis dreimalige Wiederholung des Urinstatus innert einiger Tage bis zweier Wochen. Risikofaktoren für Malignität bei einer Mikrohämaturie sind Alter über 35 Jahre, Rauchen sowie berufliche Exposition mit Chemikalien und Farbstoffen. Anamnestisch ist nach Makrohämaturie, rezidivierenden Zystitiden, Bestrahlung des Beckens, Cyclophosphamid, Fremdkörper und Analgetikaabusus zu fragen. Bei persistierender Mikrohämaturie ist die Differenzialdiagnose breit. Einerseits ist an eine primäre Glomerulonephritis (IgA-Nephritis, Alport-Syndrom, thin basement membrane disease) oder an eine sekundäre Glomerulonephritis (postinfektiös, systemischer Lupus erythematodes u.a.) zu denken. Daneben kommen Infektionen (HWI, Prostatitis, Urethritis) oder renale Ursachen wie Nierensteine, Hyperkalzi- oder Hyperurikosurie in Betracht. Immer sind in
Eine (transiente) Mikrohämaturie ist häufig, daher soll der Urinstatus zwei- bis dreimal wiederholt werden.
munchemische Tests können anschliessend in Hämoglobin oder Myoglobin differenzieren. Ist das Sediment rot, liegt eine Erythrozyturie vor. Die mikroskopische Sedimentuntersuchung
die Differenzialdiagnose Tumoren der ableitenden Harnwege einzubeziehen. Neben selteneren Ursachen können auch polyzystische Nieren Ursache einer Mikrohämaturie sein.
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Eine schon in der allgemeinärztlichen Praxis durchführbare Weichenstellung ist die Suche nach dysmorphen Erythrozyten im Sediment. Davon gibt es verschiedene Formen. Wichtig sind die Ringformen mit Ausstülpungen, die Akanthozyten oder «Mickey-Mouse»Erythrozyten. Daneben gibt es destruierte Formen und Erythrozytenfragmente. Akanthozyten machen bei Glomerulonephritis mehr als 5 Prozent der Erythrozyten im Sediment aus. Dieser Befund hat eine hohe Spezifität (98%), aber eine geringe Sensitivität (52%). Für eine glomeruläre Hämaturie charakteristisch sind Akanthozyten (> 5%), Erythrozytenzylinder und Proteinurie. Bei nicht glomerulärer Erythrozyturie spielt das Alter eine Rolle für das Prozedere. Bei Patienten unter 45 Jahren sind Infekte, Steine und Zystennieren wahrscheinlichere Ursachen, die vom
Nephrologen abgeklärt werden können, bei Alter über 45 Jahren stehen Tumoren noch vor Infekten und Steinen an erster Stelle.
Wann Zystoskopie
bei Mikrohämaturie?
Als Empfehlungen zur invasiven Abklärung der Blase nannte Wüthrich folgende Punkte: O Eine Zystoskopie sollte bei allen Pa-
tienten über 35 Jahren nach Ausschluss benigner Mikrohämaturieursachen, bekannter Nierenerkrankungen oder Nierensteinen sowie viraler Erkrankung, nach Traumen oder kurz zurückliegender urologischer Untersuchung durchgeführt werden. O Unabhängig vom Alter sollte eine Zystoskopie auch erfolgen, wenn ein erhöhtes Malignomrisiko vorliegt.
O Bei solchen Patienten sollten Zysto-
skopie und Bildgebung drei bis fünf
Jahre nach der Erstpräsentation wie-
derholt werden.
O Eine neu auftretende Makrohämatu-
rie sollte unverzüglich reevaluiert
werden.
O
Halid Bas
Quellen: Vorträge von Prof. Malcolm Kohler und Prof. Rudolf P. Wüthrich an den Medidays 2015, 2. September 2015 in Zürich.
Literatur: 1. National Lung Screening Trial Research Team; Aberle
DR et al.: Reduced lung-cancer mortality with lowdose computed tomographic screening. N Engl J Med 2011; 365(5): 395–409. 2. Boiselle PM: Computed tomography screening for lung cancer. JAMA 2013; 309(11): 1163–1170. 3. Frauenfelder T et al.: Early detection of lung cancer: a statement from an expert panel of the Swiss university hospitals on lung cancer screening. Respiration 2014; 87(3): 254–264.
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