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BERICHT
Therapie der Depression heute
Von Psychotherapie und Antidepressiva bis zur Elektrokonvulsionstherapie
Die Behandlung der Depression ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Psychia- Viele neue Psychotherapien
tern, Psychologen und Hausärzten. Am 5. Königsfelder Symposium gaben Experten aus diesen Berufsgruppen einen Überblick über den derzeitigen Stand der Forschung und der Behandlungsmöglichkeiten.
Bei den Psychotherapien zeigt sich hingegen laut Berger ein ganz anderes Bild: «Es entwickeln sich in den letzten Jahren extrem viele neue Therapieformen.»
Psychotherapien werden bei leichten
Annegret Czernotta
depressiven Episoden als Monotherapie empfohlen; bei mittelschweren De-
pressionen sind sie den Antidepressiva
gleichzusetzen, und bei schweren und
«Mehr als die Hälfte aller depressiven von Imipramin durch den Schweizer chronischen Depressionen ist die Indi-
Menschen gehen zuerst zum Allge- Psychiater Roland Kuhn kaum eine kation zur Kombinationsbehandlung
meinarzt», sagte Prof. Mathias Berger, medikamentös wirksamere Weiterent- vorrangig.
Ärztlicher Direktor der Klinik für wicklung gegeben. Nur die Nebenwir- Neben den psychotherapeutischen
Psychiatrie und Psychotherapie der kungsprofile haben sich geändert. Schulen wie der Psychoanalyse und den
Universitätsklinik Freiburg im Breis- Allerdings seien Antidepressiva in der störungsspezifischen Therapien wie der
gau. Eine Zahl, die überrascht, weil die Therapie der Depression unverzicht- interpersonellen Psychotherapie (IPT),
Depression vermeintlich eine Domäne bar, so Berger, weil sie die Stimmung CBASP (Cognitive Behavioral Analysis
der Psychiater ist. «Aber diese behan- und die kognitive Prozesse verbessern System of Psychotherapy) oder der acht-
deln eine Depression nur in 15 bis helfen und so auch den Lernprozess samkeitsbasierten kognitiven Therapie
30 Prozent der Fälle», so Berger.
durch die Psychotherapie unterstützen. (MBCT) sind die modularen Psycho-
Neu erforscht wird beispielsweise therapien und die Neuropsychothera-
der Einsatz von D-Cyloserin in der De- pie in der Entwicklung.
«Antidepressiva sind in der Therapie pressionsbehandlung. D-Cycloserin ist Der Grund: «Die störungsspezifischen
der Depression unverzichtbar.»
eigentlich ein Antibiotikum, das zur Psychotherapien stossen an ihre GrenBehandlung der Tuberkulose verwen- zen, beispielsweise aufgrund einer
det wird. Es spielt aber wohl über die hohen Komorbidität der Patienten»,
Laut S3-Behandlungsleitlinien sollen Beeinflussung von NMDA-(N-Methyl- so Berger. Zudem könne ein Psycho-
Ärzte bei Patienten mit leichten Depres- D-Aspartat-)Rezeptoren auch bei Lern- therapeut nicht alle psychischen Krank-
sionen «aktiv abwartend» handeln. Erst und Gedächtnisprozessen eine Rolle. heiten behandeln, sondern er müsse sich
nach 14 Tagen soll mit einer spezi- Auch das Neuropeptid Oxytoxin wird spezialisieren. Der heutige Arbeitsstress
fischen Therapie, das heisst mit Anti- in seiner Wirkung bei Verhaltenspro- sei zum Beispiel ein neues Phänomen,
depressiva oder einer Psychotherapie
begonnen werden. In der für 2015
geplanten Revision der Leitlinien sei «Es entwickeln sich extrem viele neue Formen
geplant, die «Empfehlungslücke» zwi- der Psychotherapie.»
schen Abwarten und Antidepressiva-
behandlung im Sinn einer stufenweisen
Behandlung durch eine Beratung oder zessen untersucht. So scheint es hilf- das in früheren Therapien nicht rele-
auch ein Problemlösungstraining zu reich in der Paartherapie zu sein, da es vant gewesen sei. Die Psychoanalyse sei
schliessen, das dem Patienten hilft, zumindest bei Männern zu einer zudem zu dezidiert idiografisch aus-
eigene Strategien und Lösungen hin- «freundlicheren» Kommunikation führt. gerichtet und berücksichtige zu wenig
sichtlich der Depression zu finden.
Und das Narkosemittel Ketamin wirkt die nomothetische Sichtweise, da im
gut bei einer schweren Depression. Krankheitsprozess krankheitsspezifische
Neue Antidepressiva in Sicht?
Nachteil des NMDA-Antagonisten ist Aspekte gegenüber individuellen Charak-
In Bezug auf die Therapie mit Anti- allerdings seine nur kurz andauernde teristika sogar bedeutungsvoller werden
depressiva hat es seit der Entdeckung Wirksamkeit.
können. In Bezug auf die Neuropsych-
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iatrie hat es durch den Berner Psychotherapeuten Klaus Grawe bedeutende Fortschritte gegeben: So zeigt sich, dass die Neuroplastizität des Gehirns einen lebenslangen Lernprozess ermöglicht. Studien belegen, dass sich mit bildgebenden Verfahren krankheitsbedingte zentralnervöse Funktionsstörungen identifizieren und mit psychologischen Interventionen korrigieren lassen.
Depressionsbehandlung in der Hausarztpraxis
Hausärzte sind die erste Anlaufstelle für depressive Patienten, aber «psychische Erkrankungen gehen im Praxisalltag häufig unter», sagte Prof. Jochen Gensichen, Lehrstuhlinhaber fur̈ Allge-
ein Feedback an die medizinische Fachangestellte zu etwaigen Änderungen im weiteren Vorgehen. Dieses Zusammenwirken erfolgt im Sinne eines FallManagement-Kreislaufes. Mit der PRoMPT-Studie konnte gezeigt werden, dass das niederschwellige Case-Management durch das hausärztliche Praxisteam eine optimierte wohnortnahe, ambulante Behandlung von depressiven Patienten ermöglichen kann. Als Fazit für die hausärztliche Praxis fasste Gensichen zusammen, dass neben den bekannten Signalen auch ungewöhnlich häufige Arztkontakte und -wechsel der Patienten ein wichtiger Hinweis auf eine Depression seien und
«Auch ungewöhnlich häufige Arztkontakte und -wechsel können ein wichtiger Hinweis auf eine Depression sein.»
meinmedizin und Vorstand der Stiftung fur̈ Allgemeinmedizin in Jena. «Denn die zumeist älteren Patienten sind multimorbid, und die psychischen Aspekte werden oft als Nebendiagnosen ungenügend beachtet.» Bei Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit liegt beispielsweise eine Prävalenz für Depression von bis zu 23 Prozent vor. Wie das hausärztliche Erkennen und Behandeln verbessert werden kann, untersuchte Gensichen in der deutschen PRoMPT-Studie. PRoMPT steht für «PRimary care Monitoring for depressive Patients Trial» und ist ein hausarztpraxisbasiertes Fall-Management für Patienten mit Depressionen: Eine speziell geschulte medizinische Fachangestellte nimmt regelmässig einmal im Monat telefonisch Kontakt zu dem Patienten auf und erfragt das aktuelle Befinden anhand der «Depressions-Monitoring-Liste mit integriertem PHQ-D» (DeMoL). Die regelmässige Kontaktaufnahme stärkt die Selbstfürsorge der Patienten sowie die «produktive Interaktion» zwischen Praxisteam und Patienten. Im Anschluss an das Telefoninterview leitet sie einen strukturierten Kurzbericht an den Hausarzt weiter. Die Beurteilung der Dringlichkeit erfolgt dabei anhand eines «Ampelschemas». Der Kurzbericht bildet unter anderem die Informationsgrundlage für mögliche ärztliche Therapieanpassungen. Der Arzt gibt dann auch
zur unmittelbaren und strukturierten Diagnostik führen sollten. Die Behandlung sollte zeitnah erfolgen, damit eine Chronifizierung vermieden werden kann. Zudem bedürfen Depressionen auch als Koerkrankungen der dringenden Behandlung, da sie den Verlauf der oft somatischen Hauptdiagnosen negativ beeinflussen. Hausärzte sollten für die medikamentöse Behandlung diejenigen Antidepressiva wählen, die sie in ihrer Wirkung und ihren Nebenwirkungen gut kennen, und begleitende Massnahmen im Rahmen der psychosomatischen Basisbehandlung starten. Dazu zählen psychoedukativ-supportive Gespräche oder Problemlösetrainings, und im Bedarfsfall sollen sie die zeitnahe fachärztliche respektive psychotherapeutische Behandlung einleiten.
Psychoneuroendokrinologische
Grundlagenforschung
Jeder Mensch bewertet jede Lebenssituation dahingehend, ob eine Gefahr oder eine Bedrohung vorliegen könnte. Bei Depressiven mündet diese Neubewertung einer jeden Situation allerdings darin, dass sie sich die Schuld für einen negativen Zustand oftmals selbst zuschreiben, so Prof. Ulrike Ehlert, Ordinaria fur̈ Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Zur̈ ich. Physiologisch kommt es unter Stress zu einer erhöhten Herzfrequenz, die Kate-
cholamine Adrenalin und Noradrenalin steigen an. Auch der Kortisolspiegel steigt und unterdrückt beispielsweise die Bildung von Sexualhormonen wie Östrogen und Testosteron. Das Immunsystem wird bei chronischem Stress geschwächt. Wie wir mit Stress umgehen, hängt häufig mit früheren Erfahrungen und Entwicklungsprozessen zusammen. Dabei kann Stress nie «eingebildet» sein. «Je gestresster sich eine Person fühlt, desto nachweislich höher ist die nachgemessene Kortisolfreisetzung im Blut», so Ehlert. «Ein somatisches Korrelat ist demnach gegeben, und bei der Depression wissen wir, dass die Habituation an den Stress versagt.» Neben Erfahrungen und dem Entwicklungsprozess können die Gründe genetisch bedingt sein, wie genomweite Assoziationsstudien zeigen: Eine bestimmte Variante des Serotonintransportergens 5-HTT wird durch ein als SLC6A4 bezeichnetes Gen auf dem Chromosom 17 kodiert. 5-HTT wird mit einem gehäuften Vorkommen von Depressionen und einer erhöhten Suizidneigung in Verbindung gebracht. So zeigte sich in einer prospektiven Studie nach dem Hurrikan Katrina in den USA, dass bei Betroffen, die eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine Depression entwickelten, gehäuft das 5-HTT-Gen in einer ungünstigen Ausprägung vorlag. Individuen mit zwei kurzen Allelen (S-Allel) dieses Serotonintransporters entwickelten häufiger depressive Symptome. Die Studie beweist damit, dass Individuen auf die Umgebung reagieren und die Reaktion auch von ihrer genetischen Ausstattung abhängig ist. Allerdings, so schränkte Ehlert ein, muss die ungünstige genetische Ausstattung nicht in jedem Fall zur Depression führen: «Die Genetik ist nur in 10 bis 15 Prozent der Auslöser.» Forscher vermuten, dass bei der Genexpression auch die Methylierung, also ein epigenetischer Prozess, bedeutsam ist. Befunde verweisen darauf, dass Adoleszente mit einer höheren Methylierung und dem S-Allel des 5-HTTGenotyps ein höheres Risiko für eine persistente Depression haben.
Psychotherapie nach CBASP
CBASP (Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy) wurde von James McCullough spezifisch zur ambulanten Behandlung der chronischen
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Depression entwickelt. Die chronische Depression ist eine häufige Verlaufsform depressiver Erkrankungen mit meist frühzeitigem Beginn. Oft liegen der Erkrankung traumatisierende Beziehungserfahrungen in der Kindheit zugrunde. Die Rate komorbider psychischer Störungen ist hoch und in der Regel mit multiplen, jedoch erfolglosen Behandlungsversuchen in der Vorgeschichte assoziiert. Um an den kognitiv-emotionalen Defiziten, die durch frühe zwischenmenschliche Traumatisierungen entstanden sind, und ihren Auswirkungen auf das Erleben und das Verhalten chronisch depressiver Patienten anzusetzen, werden bei der
erlernten Hilflosigkeit («Ich bekomme von anderen Menschen nie das, was ich brauche») und somit der chronischen Depression aufgezeigt werden. Da in deutschsprachigen Ländern therapieresistente und schwer chronisch depressive Patienten häufig stationär und dann meist über mehrere Wochen behandelt werden, wurde das CBASP für die multidisziplinäre stationäre Anwendung modifiziert. Vorteile der Behandlung liegen darin, dass die Patienten durch verschiedene Therapien und Therapeuten sowie Kontakte zu anderen Betroffenen die Therapie intensiver erleben und möglicherweise schneller die chronische Depression
«Die Wirksamkeit der Elektrokonvulsionstherapie ist gut belegt.»
Behandlung mit CBASP schulenübergreifend spezifische Strategien und Techniken aus behavioralen, kognitiven, interpersonellen sowie psychoanalytischen Ansätzen integriert sowie eine besondere Form der Therapiebeziehungsgestaltung eingesetzt. Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin (PHB), veranschaulichte die Therapie anhand verschiedener Patientenbeispiele. Beispielsweise sprach sie über eine typische Situation eines chronisch depressiven Patienten: Herr L. würde beispielsweise in einen vollen Zug einsteigen. Eine Dame, die ihre Tasche neben sich auf den einzig freien Sitz gelegt hat, würde er nicht ansprechen und nach dem Platz fragen, sondern er würde nach 30 Minuten einfach aussteigen. Seine wichtigste Interpretation dieser Situation würde heissen: «Ist ja typisch, ich hab’s nicht besser verdient.» Bei der CBASP-Therapie liessen sich in Einzel- und Gruppentherapien derartige Situationen sehr hilfreich analysieren, so Brakemeier, wobei Patienten lernen, ihre Interpretationen und ihr Verhalten zu verändern. Dafür dienlich ist unter anderem der Kiesler-Kreis, der hilft, Verhaltensweisen einzuordnen. Durch das Erlernen zwischenmenschlicher Empathie, den Erwerb sozialer Problemlösefertigkeiten sowie das Erleben korrigierender heilsamer Beziehungserfahrungen soll dann ein Weg aus der
überwinden können als in einer ambulanten Einzeltherapie. In mehreren randomisierten und offenen Studien erwies sich CBASP als wirksam.
Wirkungen und Nebenwirkungen
der Elektrokonvulsionstherapie
Die Elektrokonvulsionstherapie (EKT) wird unter anderem bei therapieresistenter, schwerer Depression und akut lebensbedrohlicher beziehungsweise therapieresistenter Katatonie eingesetzt. Therapieresistente manische oder psychotische Episoden stellen eine weitere Indikation dar. Die EKT wird als Serie, in der Regel mit 4 bis 16 Sitzungen, durchgeführt, die meist im Abstand von zwei bis drei Tagen stattfinden. Die Behandlung erfolgt unter Kurznarkose und Muskelrelaxation. Durch elektrische Stimulation über Oberflächenelektroden wird ein generalisierter Anfall ausgelöst. Dieser dauert meist 25 bis 50 Sekunden. Die Wirksamkeit der EKT ist gut belegt. Die Chance, eine EKT in der Schweiz zu erhalten, ist regional allerdings sehr unterschiedlich. Untersuchungen zeigen, dass Patienten erst bei einer erheblichen Chronifizierung einer EKT zugeführt werden. Die noch immer vorliegende Zurückhaltung gegenüber dieser Behandlung scheint geschichtlich begründet zu sein. «Dabei ist die EKT bei richtiger Indikation sehr wirksam, sicher und nebenwirkungsarm», so Prof. Thomas NicklJockschat, Uniklinik RWTH, Aachen.
Allerdings ist die Rückfallhäufigkeit
hoch, deshalb braucht es in der Regel
Erhaltungsbehandlungen in Kombina-
tion mit der Psycho- und Pharmakothe-
rapie. Zu den häufigsten Nebenwir-
kungen gehören anterograde Gedächt-
nisstörungen und andere kognitive
Störungen, die sich nach spätestens vier
Wochen zurückbilden. Diese kogniti-
ven Störungen ertragen die Patienten in
der Regel gut. Problematisch können
laut Nickl-Jockschat hingegen insel-
artige retrograde Gedächtnisprobleme
sein. Diese halten mitunter länger als
vier Wochen an. «Es ist sehr wichtig,
dass der behandelnde Arzt den Patien-
ten vor der Behandlung darüber auf-
klärt und danach gegebenenfalls mit
ihm auftauchende Probleme bespricht»,
so Nickl-Jockschat.
Zum Wirkmechanismus der EKT gibt
es mehrere Hypothesen. Die neuro-
endokrine Hypothese besagt, dass es zu
einer erhöhten Ausschüttung von Re-
leasinghormonen kommt, im Verlauf der
Behandlung führt dies zu einer Down-
regulierung der HPA-Achse. Zudem ist
nach heutigem Kenntnisstand die Wir-
kung der EKT auf eine verstärkte Aus-
schüttung von Neurotransmittern und
auf regenerative Prozesse im Zentral-
nervensystem zurückzuführen.
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Annegret Czernotta
5. Königsfelder Symposium, Therapie der Depression heute, Campus Brugg-Windisch, 26. März 2015.
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