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Wenn die Hormone Aufruhr stiften
Prämenstruelles Syndrom, postnatale und perimenopausale Depression
Über Phasen im Leben von Frauen, die durch einen Abfall der Geschlechtshormone gekennzeichnet sind und zu gesundheitlichen Problemen unterschiedlichen Schweregrads führen, sprach PD Dr. Sibil Tschudin, Leitende Ärztin, Gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik, Universitätsspital Basel.
Die Sexualhormone verhalten sich vor allem am Anfang und am Ende der Reproduktionsphase chaotisch – und auch sonst zu allen Übergangszeiten. Deshalb konzentrierte sich die Referentin auf Situationen, in denen Hormone beträchtlich abfallen. Dies ist mit der Menopause der Fall, aber auch nach der Geburt eines Kindes sowie jeweils in der Zyklusmitte. Das alles sind Phasen mit einem erhöhten Risiko für eine Depression. Als gemeinsame Basis gilt die modulierende Wirkung der ovariellen Sexualsteroide auf verschiedene Neurotransmitter, insbesondere Serotonin, das in hohem Masse Gefühle und Stimmung beeinflusst.
Prämenstruelles Syndrom Ätiologisch erklärt man sich die Entstehung des prämenstruellen Syndroms (PMS) in einem Dreifaktorenmodell als Endresultat eines komplexen Mechanismus, unterhalten durch das Serotoninsystem, getriggert durch die Ovulation und verstärkt durch externe (biopsychosoziale) Faktoren. «Von 100 Frauen haben 90 mindestens ein prämenstruelles Symptom, wie Weinerlichkeit, Stimmungsschwankungen, Energiemangel, Müdigkeit, 30 leiden an einem PMS, und 3 bis 8 zeigen ein prämenstruelles depressives Syndrom (PMDS)», erklärte Tschudin.
Diese Häufigkeitsangaben bestätigten sich auch in einer Gesundheitsbefragung in der Schweiz im Jahr 2007. Das PMS war im dritten und vierten Lebensjahrzehnt häufiger, ausserdem bei nicht verheirateten Frauen und im Vergleich zur Deutschschweiz bei Frauen in der Westschweiz und im Tessin. Ein höheres Risiko für PMS und PMDS hatten auch Frauen, die nicht im Erwerbsleben standen. Aus derselben Befragung ging auch hervor, dass Frauen wesentlich häufiger wegen einer Depression in Behandlung waren als Männer und dass sich für Behandlungen wegen Depression ein deutlicher Gipfel zwischen 45 und 55 Jahren zeigte, also im perimenopausalen Lebensabschnitt. Aus einer bevölkerungsbezogenen Studie ist eine hohe Komorbidität von PMS und Depression (22,9%) bekannt, in einer anderen Untersuchung hatten 22 Prozent der Frauen mit PMS auch eine Major Depression. Ausserdem gaben Frauen mit Problemen im Zusammenhang mit der Menstruation signifikant häufiger depressive Symptome an. Auch aus den Daten der Schweizer Gesundheitsbefragung ergibt sich, dass Frauen mit PMDS im Vergleich zu Frauen ohne prämenstruelle Syndrome viermal häufiger an einer Major Depression leiden (24,6 vs. 6,2%) (1). Die Gruppe der Frauen mit PMS/PMDS und Depression hatte auch signifikant mehr psychischen Stress,
Kasten: Therapie bei prämenstruellem Syndrom, postnataler Depression und perimenopausaler Depression
Prämenstruelles Syndrom
Postnatale Depression
Perimenopausale Depression
Unterstützende Massnahmen
Lebensstiländerung (Sport, Diät) Entspannungstechniken kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen soziale Entlastungsmassnahmen Entspannungstechniken kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen Lichttherapie Lebensstiländerungen Entspannungstechniken kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen
Selektive SerotoninWiederaufnahmehemmer (SSRI) zyklisch evtl. kontinuierlich sehr individuell dosiert («titriert»): in Tropfenform keine erhöhte Fehlbildungsrate vorzugsweise Sertralin oder Citalopram/Escitalopram
kontinuierlich
Hormone Suppression des ovariellen Zyklus (GnRH-Analoga, Estradiol, Danazol) Estrogene hoch dosiert
Hormonersatztherapie
38 Hausarztmedizin • September 2015
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einen höheren Medikamentenverbrauch und eine schlechtere Einschätzung der eigenen Gesundheit, war somit gesamthaft sehr belastet.
Postnatale Depression Auch während der Schwangerschaft sind 10 bis 12 Prozent der Frauen nicht durchwegs glücklich, sondern berichten von schwangerschaftsassoziierten Depressionen (2). In einer grossen populationsbezogenen Kohortenstudie war die postnatale Depression zum Zeitpunkt des raschesten Estrogen- und Progesteronabfalls fünf Tage nach Entbindung am stärksten, was einen gemeinsamen pathophysiologischen Mechanismus nahelegt (3).
Zum Screening gibt es eine validierte deutsche Version des Premenstrual Symptoms Screening Tool (PSST), die allerdings vorderhand nicht kostenlos zugänglich ist (4). Zum Screening auf postnatale Depression bieten sich die zehn Fragen der Edinburgh Postnatal Depression Scale (EPDS) an (in Deutsch, Französisch und Italienisch greifbar unter www.postnatale-depression.ch, siehe QR-Code). Bei der Diagnostik depressiver Symptome steht die Anamnese absolut im Vordergrund. Laboruntersuchungen sind in der Regel nicht indiziert. Es bringt nichts, die Sexualhormone zu messen, da dies keine weiteren Rückschlüsse erlaubt. Allenfalls kann die Bestimmung von TSH sinnvoll sein, da Schilddrüsenstörungen zu den häufigsten endokrinen Problemen bei der Frau zählen. Hilfreich kann bei PMS auch eine prospektive Symptomerfassung in einem Zyklustagebuch sein, die für die betroffene Frau eine gewisse Entlastung bringen kann, da sie sich mit ihren Problemen ernst genommen fühlt.
Therapeutische Ansätze für die Praxis Für die drei durch starke Hormonschwankungen gekennzeichneten Leiden gibt es unterschiedliche Therapieansätze (Kasten). Beim PMS stehen kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze im Vordergrund. Ausserdem sind hier selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) hilfreich, die zyklisch, in selteneren Fällen auch kontinuierlich verabreicht werden. Bei postnataler Depression kommt den sozialen Entlastungsmassnahmen grosse Bedeutung zu. Als in dieser Periode willkommene antidepressive Behandlung bietet sich die Lichttherapie an, die garantiert keine Auswirkungen auf das Kind hat. Bei der perimenopausalen Depression helfen Lebensstiländerungen und kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze. Die Hormonersatztherapie bietet eine symptomatische Entlastung, wenn dies von der Betroffenen gewünscht wird. Sehr wichtig sind in der Betreuung von Frauen mit hormonell verursachten körperlichen und psychischen Problemen der Ausdruck der Wertschätzung und die Empathie. Als sehr be-
Take Home Messages
• Zyklusmitte, Geburt eines Kindes sowie Menopause sind Phasen mit einem erhöhten Risiko für eine Depression.
• Von 100 Frauen haben 90 mindestens ein prämenstruelles Symptom, 30 leiden an einem prämenstruellen Syndrom (PMS), und 3 bis 8 zeigen ein prämenstruelles depressives Syndrom (PMDS).
• Bei PMS/PMDS und postnataler Depression stehen neben kognitiv-verhaltenstherapeutischen Methoden selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) zur Verfügung.
• Bei PMS können SSRI in Tropfenform bei Bedarf in der kritischen Zyklusphase eingenommen werden.
• Bei postnataler Depression hilft eine Lichttherapie.
deutsam hat sich zudem die Hilfe zur Selbsthilfe und Selbstkontrolle erwiesen. Organisatorisch ist Kontinuität einerseits und das Vorhandensein eines interdisziplinären Betreuungsnetzes anderseits zentral. In der Diskussion sah Tschudin für Mönchspfefferpräparate vor allem einen Platz bei körperlichen Symptomen. SSRI können zunächst mit der kleinsten Dosierung eingesetzt werden. Sollte die Patientin dies für zu stark halten, kann die Dosis reduziert werden. Ohnehin sind bei PMS nur niedrige SSRIDosierungen notwendig. Bei PMS entfalten SSRI die Wirkung sehr direkt und können deshalb auch nur beim Vorliegen von Symptomen bedarfsweise eingenommen werden. Für die Feindosierung empfahl Tschudin Escitalopram (Cypralex®) in Tropfenform. «Wichtig bei diesem Vorgehen ist auch der Aspekt, dass die Betroffenen – ebenso wie beim Führen eines Zyklustagebuchs – selbst etwas tun können, um das Problem in den Griff zu bekommen», betonte die Gynäkologin. Frauen, die an einem ausgeprägten prämenstruellen Syndrom leiden, vertragen nach ihrer Erfahrung die Kontrazeptionspille im Allgemeinen schlecht; hier sollten andere Methoden in Betracht gezogen werden.
Halid Bas
Referenzen: 1. Forrester-Knauss C et al.: The interrelation between premenstrual syndrome and major depression: results from a population-based sample. BMC Public Health 2011; 11: 795. 2. Heron J et al.: The course of anxiety and depression through pregnancy and the postpartum in a community sample. J Affect Disord 2004; 80 (1): 65–73. 3. Sylvén SM et al.: Premenstrual syndrome and dysphoric disorder as risk factors for postpartum depression. Acta Obstetricia et Gynecologica Scandinavica 2013; 92: 178–184. 4. Bentz D et al.: SIPS – Screening-Instrument für prämenstruelle Symptome. Nervenarzt 2012; 83 (1): 33–39.
Quelle: Hauptreferat «Hormonelles Chaos» an der 17. Fortbildungstagung des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM), 26. Juni 2015 in Luzern.
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