Transkript
Fortbildung
Lichttherapie – nicht nur bei Winterdepression
Steigende Anzahl von Indikationen rückt Lichttherapie immer mehr in den Blickpunkt
Anna Wirz-Justice und Jürgen Staedt
Mit den kürzer werdenden Tagen im
Winter treten verstärkt saisonale De-
pressionen (SAD) auf. Typisch hierfür
sind Müdigkeit, Kraftlosigkeit, Interes-
selosigkeit, häufiger Heisshunger auf
Kohlenhydrate sowie ein verstärktes
Schlafbedürfnis. Therapie der Wahl ist
Lichttherapie, die aber nicht nur bei
SAD, sondern auch bei anderen Depres-
sionsformen hilfreich sein kann. Wir
möchten im Folgenden darstellen, wie
Lichttherapie wirkt, zu welchem Zeit-
punkt und für wie lange sie eingesetzt
werden sollte.
Einleitung
B ereits vor 25 Jahren wurde die Lichttherapie als Behandlung jahreszeitlich bedingter Depressionen (seasonal affective disorder, SAD), auch «Winterdepression» genannt, erforscht. In der Schweiz wie auch in Deutschland stand man dieser scheinbar «alternativen» Behandlungsmethode anfangs sehr skeptisch gegenüber. Erschwerend kam hinzu, dass Patienten mit SAD, die in der Regel nur eine leichte bis mittlere Depression aufweisen, nur selten hospitalisiert werden und viele Psychiater in universitären Kliniken diese Patienten praktisch nicht sahen und deshalb eher geneigt waren, die Existenz einer «Winterdepression» per se anzuzweifeln. Fest steht jedoch, dass viele Betroffene in den Wintermonaten über ausgeprägte depressive Symptome berichten. Auch wenn diese die Kriterien einer SAD (Tabelle 1) nicht immer erfüllen, erscheint die grundsätzliche Idee nahe-
liegend, die depressive Symptomatik mittels Licht im wahrsten Sinne des Wortes «aufzuhellen».
Tabelle 1: Diagnostische Kriterien einer SAD (nach DSM-IV-R)
■ zwei oder mehr schwerere depressive Episoden im Herbst oder im Winter
■ spontane Remission im Frühling oder Frühsommer ■ atypische Symptome wie Tagesmüdigkeit, erhöhter Schlaf-
bedarf bzw. Hypersomnie, verstärktes Verlangen nach Kohlenhydraten und/oder Appetits- und Gewichtszunahme
Licht und die innere Uhr
Neben psychosozialen Zeitgebern (Abbildung 1) ist der durch die Erdrotation bedingte Tag-Nacht-Rhythmus ein wichtiger Faktor für die energetische Optimierung und Koordination von physiologischen Prozessen im menschlichen Körper. Hierbei spielt der Einfluss des Tageslichtes eine entscheidende Rolle bei der Synchronisation von biologischen oszillierenden Prozessen auf zellulärer Ebene. Beim Menschen wird die übergeordnete lichtvermittelte Synchronisation über zwei Systeme gesichert. Denn neben den für die Verarbeitung von visuellen Reizen zuständigen Stäbchen und Zapfen (Fotorezeptoren) gibt es in der Netzhaut noch einen kleinen Anteil von Ganglienzellen, die ebenfalls Fotorezeptoren aufweisen und direkt zum Nucleus suprachiasmaticus (unserer «inneren Uhr») eine «lichtvermittelte Information» weiterleiten. Tagsüber bewirken diese «Lichtimpulse» indirekt über unsere «innere Uhr» eine GABAerge Hemmung und nachts eine GLUTAMATerge Stimulation der Melatoninsynthese beziehungsweise -freisetzung (Übersicht siehe [1]). Melatonin seinerseits «informiert» die Nervenzellenverbände unseres Gehirns über den Tag-Nacht-Rhythmus. Da die aktivierende, den Rhythmus beeinflussende Wirkung von Licht mit einer Hemmung der Melatoninfreisetzung einhergeht, lag es wissenschaftlich nahe, sich mit dem Einfluss von Lichttherapie auf die Stimmung und unter anderem auch auf die Melatoninspiegel bei depressiven Patienten zu beschäftigen. Abgesehen vom Licht wird der Schlaf-Wach-Rhythmus über das Leben durch verschiedene Zeitgeber beeinflusst, die in der schematischen Abbildung 1 skizziert sind. Die schwarzen Balken markieren die Schlafphasen.
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Geburt
1 Mo. 3 Mo. 6 Mo. 2 J. 6 J. 10 J. 14 J. 18 J.
20 J. 30 J. 40 J. 50 J. 60 J. 70 J. 80 J.
12:00
24:00
12:00
Mithilfe der Eltern und Umwelt den zirkadianen Rhythmus «lernen»
Schule
«Party»
Arbeitsbedingtes Frühaufstehen
Pensionierung: verringerte psychosoziale Zeitgeber, mangelnde Bewegung, demenzbedingte Abschwächung der zirkadianen Rhythmik, sedierende Medikamente
Abbildung 1: Entwicklungen und Synchronisierung des Schlafmusters durch Zeitgeber (aus [1]; mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer-Verlags)
Obwohl die einer SAD zugrunde liegenden Mechanismen noch nicht in allen Einzelheiten verstanden werden (2, 3), können wir zumindest zwei Faktoren für die antidepressive Wirkung von Licht benennen: ■ Eine Phasenverzögerung im Tagesrhythmus im Win-
ter kann durch eine Lichtexposition am Morgen korrigiert werden. ■ Licht beeinflusst die serotonergen Funktionen des ZNS; mehr Licht führt zu mehr Serotoninumsatz.
Tabelle 2: Prävalenz der SAD in der Schweiz (nach einer Fragebogenerhebung anhand eines repräsentativen Populationsquerschnittes; n = 989)
SAD SAD subsyndromal
Männer 1,7 % 7,4 %
Frauen 2,8 %
10,2 %
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Glücklicherweise wurden und werden unsere Forschungen in Basel seit Anbeginn vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt. Dadurch war es uns auch möglich, in einer epidemiologischen Fragebogenuntersuchung Daten zur Prävalenz einer subsyndromalen («WinterBlues») beziehungsweise einer manifesten SAD in der Schweiz zu erheben (Tabelle 2). Mithilfe unserer multizentrischen Therapiestudien zu dieser Thematik konnte sehr zügig mit allen schweizerischen psychiatrischen Universitätskliniken ein Konsens hinsichtlich der Wirksamkeit der Lichttherapie erreicht werden. Dieser Konsens hat geholfen, eine Kostenerstattung durch die Krankenversicherung zu erreichen.
Im Zeitalter der evidenzbasierten Medizin bedürfen natürlich auch Studien zur Lichttherapie wie bei jedem neuen Medikament Doppelblind- und Plazebobedingungen. Über die Jahre konnte so die Wirksamkeit von hellem Licht im Vergleich zu verschiedenen «Plazebos» (z.B. gedimmtes Rotlicht oder inaktivierte negative Ionen) nachgewiesen werden. Auch sind Dosis-Wirkungs-Beziehungen gefunden worden (Tabelle 3). Lichttherapie ist heute als Mittel der Wahl bei einer Winterdepression weithin anerkannt (3, 4). Dazu kommt, dass ein Grossteil der Patienten diese Therapieform aufgrund der nur sehr geringen unerwünschten Wirkungen einer medikamentösen Behandlung vorzieht. Allerdings muss die Lichtapplikation in Analogie zu einer Antidepressivaverordnung
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schlechter
v.-Zerssen-Depressionsskala
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Jahr 1 unbehandelte
Winterdepression
Licht
Jahr 2
Jahr 3 Licht
Licht
Jahr 4
besser
Sep Okt Nov Dez Jan Feb M ärz Apr Mai Juni Juli Aug
Sep Okt Nov Dez Jan Feb M ärz Apr Mai Juni Juli Aug
Sep Okt Nov Dez Jan Feb M ärz Apr Mai Juni Juli Aug Sep Okt Nov Dez Jan Feb M ärz Apr Mai Juni Juli Aug
Abbildung 2: Vier Jahre wöchentliche Depressionsselbstratings (von-Zerssen-Befindlichkeitsskala) bei einer Patientin mit SAD. Skalenwert 6: Ab dieser Grenze höhere Depressivität (Wirz-Justice, unveröff.)
Tabelle 3: Daten zur Lichtexposition bei SAD
Lichtintensität: Expositionsdauer: Wellenlänge des Lichts:
2500 bis 10 000 Lux 30 bis 60 Minuten UV-gefiltert
Wirksamkeit in Abhängigkeit von der Tageszeit der Behand-
lung (% der Patienten mit voller Remission):
Morgendämmerung
80%
späte Morgenstunden
40%
am Abend
30%
Plazebo
15%
Je früher das Morgenlicht, desto besser der Behandlungserfolg (5)
auch kontinuierlich täglich über die Wintermonate erfolgen. Unserer Erfahrung nach wird dies im Alltag oft nicht eingehalten. Deshalb zur Verdeutlichung noch ein Fallbeispiel einer über vier Jahre behandelten Patientin mit SAD. Die Depressivität wurde von der Patientin wöchentlich mit einem Selbstrating dokumentiert und zeigt die phasenhafte Regelmässigkeit der Winterdepression
und den schnellen Wirkeintritt der Lichttherapie, aber auch die rasche Stimmungsverschlechterung nach dem zu zeitigen Absetzen (Abbildung 2). Licht ist eine chronobiologische Therapie – es kommt auf das «Timing» an. Je nach Tageszeit können die Unterschiede im Ansprechen auf eine Lichttherapie erheblich sein: Extrem positive, hohe Remissionsraten findet man in den ganz frühen Morgenstunden, verglichen mit dem Rest des Tages (5). Allerdings ist die Wirksamkeit zu jeder Tageszeit höher als der Plazeboeffekt.
Wie lässt sich die «innere Uhr» praxisgerecht bestimmen?
Das von der Zirbeldrüse während der Nachtstunden produzierte Melatonin ist der beste Marker für die biologische Uhr des Menschen. Bis jetzt ist die Bestimmung der rhythmisch schwankenden Melatoninwerte noch kein festes Diagnosewerkzeug, allerdings sind fertige «Kits» für diesen Zweck bereits in Entwicklung. Eine indirekte, aber schnelle Möglichkeit, um das innere zirkadiane Timing zu bestimmen, sind Fragebögen bezüglich des Chronotyps des Betreffenden, also ob es sich bei der Person eher um einen Frühaufsteher oder um einen Morgenmuffel handelt. Bei Gesunden wie auch bei
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SAD-Patienten besteht eine gute Korrelation zwischen (z.B. in Seniorenheimen) ähnlicherweise eine indirekte
dem Chronotyp und den gemessenen Melatoninspiegeln, Lichttherapie mittels Beleuchtung einzusetzen.
welche wiederum zur Entwicklung eines Algorithmus Neueste Erfolg versprechende Forschungen legen den
geführt hat, der den optimalen Zeitpunkt für eine Licht- Einsatz von Lichttherapie auch bei einer nichtsaisonalen
therapie feststellen lässt. Der sogenannte Morning- Major Depression, bei bipolaren Störungen sowie bei
Eveningness-Questionnaire (MEQ)
kann vom Patienten (im Internet unter www.cet.org) bereits ausgefüllt werden, bevor mit der Licht-
Lichttherapie sollte unbedingt sorgfältig auf die individuelle «innere Uhr»-Zeit
therapie begonnen wird. Das Er- (mittels Chronotyp-Fragebögen) abgestimmt werden
gebnis dieses Fragebogens ist der MEQ-Score, der die beste individu-
und nicht auf die Tageszeit.
elle Uhrzeit für den Behandlungs-
beginn festlegt (der Fragebogen kann in englischer Spra- Patienten nahe, die auf Medikamente und/oder elektro-
che online ausgefüllt werden und liefert das Ergebnis konvulsive Therapie nicht oder nicht ausreichend an-
sofort; oder er kann in deutscher Sprache heruntergela- sprechen. «Für alle praktisch tätigen Psychiater sollten
den und das Ergebnis dann unter Zuhilfenahme der die Fallbeispiele von bis dato behandlungsresistenten
Tabelle 4 ermittelt werden). Kurz zusammengefasst soll- Kranken mit chronisch wiederkehrenden Depressionen,
ten Frühaufsteher eher um 7:30 Uhr und Morgenmuffel welche aber positiv auf zusätzliche Lichttherapie reagie-
eher um 8:30 Uhr ihre Lichttherapie bekommen.
ren, ein Hoffnungsschimmer sein, dass auch noch vielen
weiteren Patienten mit solch einem kombi-
Tabelle 4: Bestimmung des optimalen Startzeitpunkts der Lichttherapie anhand des MEQ-Scores (www.cet.org) (10 000 Lux, 30 Minuten Dauer, ca. 81/2 h nach dem geschätzten Beginn der Melatoninausschüttung)
nierten medikamentösen wie auch nichtmedikamentösen Behandlungsregime zukünftig geholfen werden kann.» (5) Zwei plazebokontrollierte Studien (Lichttherapie + SSRI) zeigen eindrücklich schon in der ersten Woche einen schnellen Wirk-
MEQ-Score 16–18 19–22 23–26
Startzeit 08:45 08:30 08:15
MEQ-Score 39–41 42–45 46–49
Startzeit 07:15 07:00 06:45
MEQ-Score 62–65 66–68 69–72
Startzeit 05:45 05:30 05:15
eintritt der Kombinationsbehandlung, der am Ende einer vier- beziehungsweise fünfwöchigen Behandlung noch zunimmt (Abbildung 3) (6, 7). Bereits zum jetzigen Zeitpunkt exis-
27–30
08:00 50–53
06:30 73–76
05:00
tiert ein nicht zu übersehendes Mass an Evi-
31–34
07:45 54–57
06:15 77–80
04:45
denz, dass die Lichttherapie auch bei einer
35–38
07:30 58–61
06:00 81–84
04:30
nichtsaisonalen Major Depression und nicht
nur bei einer SAD der antidepressiven Thera-
pie ebenbürtig ist (8–12). Auch für Patientinnen
Die Entwicklung geht weiter
mit einer antepartalen Depression dürfte die Lichtthera-
Das Einsatzgebiet der Lichttherapie ist nicht nur auf die pie eine Alternative zu einer pharmakologischen Be-
SAD beschränkt. Nachfolgend daher ein kurzer Über- handlung während der Schwangerschaft sein (13) (siehe
blick über die weltweit stattfindenden Forschungen, dazu auch Hinweise-Kasten am Ende des Beitrags).
welche die therapeutischen Möglichkeiten dieses «ein- Ob das für die SAD-Behandlung etablierte «Modell» der
fachen» Verfahrens erheblich ausweiten (2).
Lichttherapie auch auf andere psychiatrische Erkran-
An vorderster Stelle sei die Schlafmedizin erwähnt, kungen ausgeweitet werden kann, ist bis jetzt nicht
welche die «circadian rhythm sleep-wake cycle disorders» wissenschaftlich abschliessend geklärt (2). Alzheimer-
(= zirkadiane Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen) als eige- Patienten beispielsweise zeigen oft von der Norm abwei-
nes Krankheitsbild klassifiziert. Weltweit bekannt ist chende Schlafgewohnheiten. Folglich wurde in Pflege-
die Möglichkeit, mittels zeitlich gesteuerter Licht- heimen versuchsweise die Lichtintensität in den Räumen
exposition die Schlaf- und Wachphasen zu verschieben: erhöht, in denen sich die älteren Menschen meist auf-
Lichttherapie am Morgen verlegt eine verspätete halten. Es hat sich gezeigt, dass dadurch nicht nur Vigi-
Schlafphase zeitlich vor, Lichttherapie am Abend ver- lanz, Kognition und Stimmung verbessert wurden, son-
schiebt eine verfrühte Schlafphase zeitlich nach hinten. dern auch der Nachtschlaf. Bei an ADHS leidenden
Eine einfache Methode, um meist älteren Menschen Erwachsenen konnte eine verbesserte Kognition durch
mit einer sogenannten «senilen Bettflucht» zu helfen, Lichttherapie erreicht werden. Ebenso haben sich parallel
ist also, die Intensität des Abendlichts in den Wohnräu- zum antidepressiven Effekt auch die motorischen Funk-
men der Betroffenen zu erhöhen, oder beim Abendessen tionen von Parkinson-Patienten durch diese Therapie-
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Zung-Depressionsskala Hamilton Depressionsskala (17-item)
a
60 Plazebo + Citalopram (n = 12)
55
50
Grünes Licht + 45 Citalopram (n = 18)
b
25
20
15 Helles Licht + Sertraline
10 (n = 48)
Plazebo Licht + Sertralin (n = 54)
nisse ihrer Abteilung bestätigen kontinuierlich die Wirksamkeit, den schnellen Behandlungserfolg sowie die fehlenden Nebenwirkungen dieser Therapiemethoden (10). Die (nur) vorübergehende Besserung nach Schlafentzug konnte stabilisiert werden, indem sie die verschiedenen chronotherapeutischen Möglichkeiten kombinierten. Schlafentzug hat sich als bestmögliche
01234 Woche
012345 Woche
Abbildung 3: Plazebokontrollierte Studien zur Lichttherapie als Adjuvans zu SSRI bei nichtsaisonaler Major Depression
(a. nach [6], b. nach [7])
Behandlung bei Patienten herausgestellt, die an einer therapieresistenten bipolaren Depression leiden. Diese Meinung vertreten nicht nur die oben genannten Psychiater, sondern auch die Gesund-
heitsbehörden in der Lombardei. Sollten
nicht auch Krankenversicherungsgesell-
form verbessert. Derzeit laufende Untersuchungen an der schaften an einer Methode interessiert sein, welche
UPK Basel bei stationären Patienten mit abnormalen Schlaf- den Zustand chronisch-depressiver Patienten schnell
Wach-Rhythmen zeigen, dass die Regelmässigkeit dieser bessert?
Rhythmen mit den kognitiven
Funktionen bei schizophrenen Pa-
tienten sowie auch mit dem Grad Die Kombination von Schlafentzug und Lichttherapie
der Selbstverletzungen bei Borderlinepatienten korreliert. Aus chronobiologischer Sicht sind
ist nachweislich eine überzeugende und kostengünstige First-Line-Methode zur Behandlung einer
diese Ergebnisse leicht zu inter-
Major Depression.
pretieren: Je besser die Phasen-
kopplung beziehungsweise die Syn-
chronisation («Entrainment») der inneren Uhr mit dem Lichttherapie in vielen Indikationen wirksam
Tag-Nacht-Rhythmus ist, desto besser sind Schlaf, Kogni- Auch aus psychoedukativer beziehungsweise psychothe-
tion, Stimmung und dadurch mitbeeinflusste Verhaltens- rapeutischer Sicht kann der Einsatz von Lichttherapie in
weisen. Um dieses Entrainment zu unterstützen, braucht der Psychiatrie sinnvoll sein. Wir wissen, dass psychoso-
der Körper ständig «Zeitgeber», wobei der wichtigste ziale Zeitgeber sehr wichtig für unser Entrainment
davon ausreichend Licht ist. Allerdings dürfen nicht die sind (Abbildung 1). Aber gerade damit haben unsere
eingangs erwähnten psychosozialen Zeitgeber vernach- psychiatrischen Patienten oft erkrankungsbedingt grosse
lässigt werden, besonders sind hier neben sozialen Schwierigkeiten. Sie meiden häufig Kontakte und ziehen
Kontakten die regelmässige Nahrungszufuhr sowie kör- sich sozial zurück. Damit fördern sie indirekt eine
perliche Betätigung zu erwähnen.
Desynchronisation ihres Rhythmus, die wiederum durch
Schlafphasen am Tage ihre soziale
Allgemein gilt: Von der Norm abweichende SchlafWach-Rhythmen sind nicht pathognomonisch für
Reintegration zusätzlich erschwert, oder – wie bei Borderliniepatienten gezeigt – deren selbstverletzendes
eine spezifische Erkrankung, können aber mit Licht
Verhalten fördern kann. Hier kann
wieder verbessert werden.
durch den Einsatz von indirekter Lichttherapie auf einfache Weise
das Entrainment gefördert werden.
Psychiater in Italien ganz vorne mit dabei
In Berlin haben wir die Renovierung unserer psychia-
Eine bekannte Klinik in Mailand hat beim Einsatz der trischen Abteilung dafür genutzt, um in allen Räumen
Lichttherapie nicht auf Metaanalysen oder Leitlinien therapeutische Lichtquellen fest zu installieren, die
der psychiatrischen Gesellschaften gewartet. Seit mehr verstärkt im zirkadian besonders wirksamen Spektrum
als zehn Jahren setzen Benedetti und Kollegen in ihrer um 450 nm Licht emittieren. So wachen die Patienten
psychiatrischen Abteilung auf nichtmedikamentöse Be- auf unserer Demenzstation zum Zeitpunkt der simulier-
handlungsmöglichkeiten: Schlafentzug, Schlafphasenver- ten Morgendämmerung auf (in kontrollierten Studien
schiebung sowie Licht- und Dunkeltherapie. Die Ergeb- nachgewiesen antidepressiv wirksam [11]). Auf allen
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Stationen kann das Frühstück mit indirekter Lichttherapie (ca. 6000 Lux in Augenhöhe) eingenommen werden. Alternativ sind diese Räumlichkeiten natürlich auch für Gruppentherapien zu nutzen. Ergänzt wird das Lichtkonzept durch eine Basisbeleuchtung von mindestens 500 Lux auf Augenhöhe auf allen unseren Fluren. Alle Patienten und diagnostischen Gruppen werden so während ihres gesamten Klinikaufenthalts mittels Licht behandelt, ohne sich vor die bekannten Lichtboxen setzen zu müssen. Positiver Nebeneffekt: Auch die Ärzte und das Krankenpersonal erhalten Lichttherapie! (Abbildung 4 zeigt ein Beispiel in der Gruppentherapie) (vgl. www.vivantes.de).
Tabelle 5: Wer kann von Lichttherapie profitieren?
Kontrollierte Studien
■ Mittel der Wahl bei SAD und subsyndromaler SAD ■ SAD bei Heranwachsenden und Kindern ■ Bulimie ■ nichtsaisonale Major Depression
– prämenstruale Depression – Depression in Schwangerschaft und post partum – bipolare Störungen – chronische Depression (> 2 Jahre Dauer) ■ Depression nach Schlaganfall ■ Verhaltens- und Schlafstörungen im Alter sowie bei Alzheimer-Erkrankung ■ chronobiologische Schlafstörungen – verfrühter oder verspäteter Nachtschlaf – Schichtarbeit – Jetlag – blinde Menschen mit erhaltener Lichtwahrnehmung
Vorläufige Studien
■ Morbus-Parkinson-Patienten ■ gestörte Schlaf-Wach-Zyklen nach Schleudertrauma ■ Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung ■ nach Schleudertrauma ■ postoperative Schlafstörungen bei Herzerkrankungen
Abbildung 4: Gruppentherapie unter 10 000 Lux im Vivantes-Klinikum Spandau
auch manchem Leser, von der landläufigen Meinung abzurücken, dass man ausschliesslich Winterdepressionen mit Lichttherapie behandelt. Die von uns beschriebenen Effekte auf Kognition, Verhalten und Liegedauer legen zumindest nahe, dass die Zukunft der Lichttherapie nicht nur im Bereich der Stimmungs- und der Schlafrhythmusstörungen liegt, sondern dass Lichttherapie auch bei anderen psychiatrischen, neurologischen und allgemeinmedizinischen Krankheiten hilfreich sein könnte, bei denen nicht ausreichende Zeitgeber oder Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus vorliegen.
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Beim Vergleich der Liegedauern unserer depressiven Patienten (ICD 10: F32 und F33) in den Zeiträumen April bis November vor und nach dem Umzug 2007 kam es zu einer Verkürzung der mittleren Liegedauer um 2,94 Tage, obwohl sich im Vergleichszeitraum letzten Jahres die Zahl der wegen einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome (ICD 10, F32.2) hospitalisierten Patienten verdoppelt hat! Vergleichbare Effekte auf die Liegedauer wurden von Benedetti et al. 2001 (14) für sonnige versus schattige Patientenzimmer beschrieben. Wir hoffen, mit unserem Artikel Ihr Interesse an den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Lichttherapie geweckt zu haben. Vielleicht helfen unsere Ausführungen
Hinweise:
Das Zentrum für Chronobiologie UPK Basel wäre dankbar für die Überweisung von jungen Patientinnen mit Major Depression für folgende zwei Studien: ■ Lichttherapie für Depression während der Schwangerschaft ■ Untersuchung der inneren Uhr und des Schlafes in der
Depression
weitere Informationen auf www.chronobiology.ch unter Studien
Auf unserer nichtkommerziellen Website www.cet.org können Ärzte wie Patienten aktuelle Informationen rund um das Thema Lichttherapie finden.
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Es gibt eine grosse Anzahl verschiedener Schlaf-WachZyklus-Störungen in der Medizin, von denen wir nicht einmal die Hälfte richtig kennen. Lichttherapie in all ihren Anwendungsformen (Lichtboxen, Morgendämmerungs-Simulatoren, besondere bauliche Beleuchtungsmodelle, gestärktes Bewusstsein für einen vermehrten Aufenthalt im Sonnenlicht in freier Natur) ist auf dem besten Weg zu einem First-Line-Therapeutikum nicht «nur» bei SAD. Ein Manual für die praktische Durchführung von «Chronotherapien» ist in Vorbereitung (15). Acknowledgment: Die Basler Studien sind über viele Jahre vom Schweizerischen Nationalfonds und der VeluxStiftung unterstützt worden.
Prof. Dr. Anna Wirz-Justice Zentrum für Chronobiologie Universitäre Psychiatrische Kliniken
CH-4025 Basel
Prof. Dr. Jürgen Staedt Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie
und Psychosomatik – Memory Clinic Vivantes-Klinikum Spandau Neue Bergstrasse 6 D-13585 Berlin
Literatur: 1. Staedt J, Riemann D. Zirkadiane Rhythmik und Chronobiologie. In:
Staedt J, Riemann D, editors. Diagnostik und Therapie von Schlafstörungen. Stuttgart: Kohlhammer-Verlag; 2007, 105–126. 2. Lam RV. Editor. Seasonal Affective Disorder and Beyond. Light Treatment for SAD and Non-SAD Conditions. Washington DC: American Psychiatric Press; 1998. 3. Kasper S, Möller H-J, editors. Herbst-/Winterdepression und Lichttherapie. Wien: Springer; 2003. 4. Terman M, Terman JS. Light therapy for seasonal and nonseasonal depression: efficacy, protocol, safety, and side effects. CNS Spectr. 2005; 10: 647–663. 5. Terman JS, Terman M, Lo ES, Cooper TB. Circadian time of morning light administration and therapeutic response in winter depression. Arch Gen Psychiatry. 2001; 58: 69–75. 6. Benedetti F, Colombo C, Pontiggia A, Bernasconi A, Florita M, Smeraldi E. Morning light treatment hastens the antidepressant effect of citalopram: a placebo-controlled trial. J Clin Psychiatry. 2003; 64: 648–653. 7. Martiny K. Adjunctive bright light in non-seasonal major depression. Acta Psychiatr Scand. 2004; 110 (Suppl.): 1–28. 8. Tuunainen A, Kripke D, Endo T. Light therapy for non-seasonal depression. 2004. Cochrane Database Syst Rev CD004050. 9. Golden RN, Gaynes BN, Ekstrom RD, Hamer RM, Jacobsen FM, Suppes T, et al. The efficacy of light therapy in the treatment of mood disorders: a review and meta-analysis of the evidence. Am J Psychiatry. 2005; 162: 656–662. 10. Benedetti F, Barbini B, Colombo C, Smeraldi E. Chronotherapeutics in a psychiatric ward. Sleep Med Rev. 2007; 11: 509–522. 11. Terman M. Evolving applications of light therapy. Sleep Med Rev. 2007; 11: 497–507. 12. Even C, Schröder CM, Friedman S, Rouillon F. Efficacy of light therapy in nonseasonal depression: a systematic review. J Affect Disord. 2007, oct 18 (Epub ahead of print) doi:10.1016/ j.jad.2007.09.008 13. Epperson CN, Terman M, Terman JS, Hanusa BH, Oren DA, Peindl KS, et al. Randomized clinical trial of bright light therapy for antepartum depression: preliminary findings. J Clin Psychiatry. 2004; 65: 421–425. 14. Benedetti F, Colombo C, Barbini B, Campori E, Smeraldi E. Morning sunlight reduces length of hospitalization in bipolar depression. J Affect Disord. 2001; 62: 221–223. 15. Benedetti F, Terman M, Wirz-Justice A. Psychiatric Chronotherapeutics: A treatment manual.
Interessenkonflikte: keine
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