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Schwerpunkt
Der Schweizerische Impfplan 2008
Welche Impfungen sind empfehlenswert?
Von PD Dr. med. Christoph Berger
Seit der Einführung von Impfungen sind verschiedene Krankheiten, die durch Impfungen verhindert werden können, stark zurückgegangen (1) (Tabelle 1). Der Effekt der Impfung scheint nicht mehr klar im Vordergrund zu stehen, weil die Krankheit und ihre Komplikationen nicht mehr als Bedrohung wahrgenommen werden. Dies und Diskussionen um seltene oder unbestätigte unerwünschte Impferscheinungen, die nur in Bezug auf die Krankheit zugenommen haben, können dazu führen, dass bestens evaluierte Impfungen infrage gestellt werden. Sachliche Fachinformationen, Erklärungen und die
4. Impfungen ohne Empfehlungen Diese sind nicht evaluiert oder der nachgewiesene Nutzen reicht nicht für eine Empfehlung. Einzelne Impfungen fallen in verschiedene Kategorien (z.B. Hepatitis B für Risikogruppen bzw. als Basisimpfung für Adoleszente). Es ist die Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten, ihren Patienten die Basisimpfungen zu empfehlen und sie über die Möglichkeit der ergänzenden Impfungen zu informieren sowie Risikopersonen auf die verfügbaren Risikoimpfungen hinzuweisen.
Beantwortung von Fragen sind die besten Mittel, damit sich jeder Einzelne selbst für den gewünschten eigenen Schutz beziehungsweise jenen der Kinder durch Impfungen entscheiden kann. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) verfassen einen jährlich aktualisierten Impfplan (2), der in verschiedene Empfehlungskriterien gegliedert dem anspruchsvollen Anliegen einer differenzierten Impfinformation folgt.
Empfehlungskategorien
Die im Impfplan aufgenommenen Impfungen wurden einzeln aufgrund definierter Evaluationskriterien (3) geprüft und werden in vier Empfehlungskategorien eingeteilt (2, 3):
1. Basisimpfungen Bieten für die individuelle und öffentliche Gesundheit sowie das Wohlbefinden der Bevölkerung unerlässlichen Schutz.
2. Ergänzende Impfungen Ermöglichen Personen, die sich gegen klar definierte Risiken schützen wollen,
einen optimalen Schutz. Der Schutz der öffentlichen Gesundheit steht bei der Indikation für diese Impfungen im Hintergrund, fehlt aber – wie Untersuchungen zur Herdenimmunität zeigen – nicht gänzlich (4, 5).
3. Impfungen für Risikogruppen Diese sind auf Personen ausgerichtet, die wegen einer Grundkrankheit (z.B. Pneumokokkenimpfung bei Asplenie [6]) einerseits oder aufgrund eines erhöhten Expositionsrisikos (FSME im Endemiegebiet [7]) andererseits ein erhöhtes Risiko für die entsprechende Erkrankung oder deren Komplikationen haben.
Impfplan: Basisimpfungen und ergänzende Impfungen
Basisimpfungen (Tabelle 2) für Säuglinge ab dem zweiten Monat und Kleinkinder enthalten die Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis sowie den drei inaktivierte Poliovirusstämme enthaltenden parenteralen Polioimpfstoff IPV (inactivated polio vaccine). Die gegen bakterielle Toxine gerichteten Impfstoffe DTPa bewirken eine gute Immunantwort. Sie verhindern diese toxinvermittelten Erkrankungen, die mit Antibiotika nicht effizient behandelt werden können und entweder ubiquitär wie Tetanus oder durch ungenügenden Nestschutz wie bei Pertussis bereits im frühen Säuglingsalter eine Bedrohung sind. Dazu kommt für Säuglinge die Impfung gegen Haemophilus influenzae Typ b. Sie besteht – genau wie die für alle Kinder als ergänzende Impfungen (Tabelle 2) empfohlenen Pneumokokken- und Meningokokkenimpfstoffe – aus einem gegen ein bakterielles Polysaccharid gerichteten Konjugatimpfstoff. Durch Kopplung des bakteriellen Polysaccharids (das allein präsentiert in den ersten zwei Lebensjahren nicht immunogen
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Tabelle 1: Erkrankungen, die durch Impfungen verhütet werden können: Abnahme seit Impfung, WHO-Ziele und Situation in der Schweiz
Abnahme seit Impfung (USA)
Diphtherie 100%
Tetanus (neonatal)
97,3%
Poliomyelitis 100%
Pertussis 94,7%
Hib invasiv 99,4%
Masern
100%
Mumps
99,8%
Röteln, kongenital Hepatitis B
99,6% 64%
WHO-Ziel (Jahr 2010)
Inzidenz < 0,1/105 Elimination
Elimination
Inzidenz < 0,1/105 Inzidenz < 0,1/105 Elimination
Inzidenz < 0,1/105 Inzidenz < 0,1/105 -80% neue
In der Schweiz vor Impfung 4000/Jahr 50/Jahr
800/Jahr 140 Todesfälle 180/Jahr 50 000– 70 000/Jahr
30–50/Jahr 400/Jahr
Aktuelle Lage in der Schweiz
Letzter Fall: 1983 20 Jahre keine neon. Fälle. Andere: 2–4/Jahr Letzter Fall: 1982 ? 80–180/105 Fälle/Jahr < 15 Jahre: ca. 1/105 2007/8: > 2000 Fälle (30/105/Jahr) 20–100/105/Jahr
0,01/105/Jahr
1,3/105 akute HB (ca. 100/Jahr)
wirkt) an ein immunogenes Proteinantigen gelingt es, beim Säugling und Kleinkind eine rasche und auch eine anhaltende Schutzwirkung zu erreichen (8, 9). Dies ist entscheidend, weil Pneumokokken, Meningokokken und H. influenzae Typ b (Hib) hauptverantwortlich sind für Meningitiden und schwere invasive bakterielle Erkrankungen, die wegen der immunologischen Unreife bei den sechs Monate bis fünf Jahre alten Kindern am häufigsten sind. Darum sind die Impfungen gegen Hib, Pneumokokken und Meningokokken im Impfplan vor dem höchsten Risiko im Säuglingsalter angesetzt. Nach dem fünften Lebensjahr ist die Inzidenz dieser invasiven Erkrankungen viel geringer. Sie steigt lediglich bei den Meningokokken in der Adoleszenz mit dem geänderten Sozialverhalten nochmals an, weshalb die zweite Impfung gegen Meningokokken der Gruppe C für 11- bis 15-Jährige empfohlen wird. Invasive Haemophiluserkrankungen haben seit Einführung der Impfung in der Schweiz Anfang der Neunzigerjahre von jährlich etwa 200 auf < 10 Fälle abgenommen. Ein Rückgang der invasiven Infektionen durch in der Impfung enthaltene Pneumokokkenserotypen und Meningokokken der Gruppe C zeichnet sich in Ländern ab, in denen die Impfungen bereits vor einigen Jahren eingeführt wurden (5, 10). Der 7-valente Pneumokokkenkonjugatimpfstoff und jener gegen Meningokokken der Gruppe C kann nicht zum Verschwinden invasiver Pneumokokkenund Meningokokkeninfektionen führen. Ein Impfstoff gegen Meningokokken der Gruppe B ist bisher nicht erhältlich, und während an 11- und 13-valenten Pneumokokkenkonjugatimpfstoffen gearbeitet wird, muss aufmerksam beobachtet werden, inwiefern zum Beispiel die Pneumokokkenimpfung zu Serotypenverschiebungen bei invasiven Pneumokokkeninfektionen führen kann (11). Zu den bisher genannten Impfungen mit inaktivierten Impfstoffen kommt im Alter von 12 und 15 bis 24 Monaten je eine Impfung mit attenuierten Virus-Lebendimpfstoffen gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) hinzu. Masern sind eine beeinträchtigende Erkrankung mit vielen, auch ernsthaften Komplikationen (Enzephalitis 1:1000). Eine MMR-Impfung schützt etwa 90 Prozent der Geimpften davor, bei zwei Impfungen sind es 97 Prozent (12). Bei erhöhtem Expositionsrisiko, wie der anhaltenden Masernepidemie in der Schweiz (13), Krippenaufenthalten oder ehemaligen Frühgeborenen kann bereits im Alter von neun, gegebenenfalls ab sechs, Monaten die erste MMR-Impfung verabreicht werden. Die erste Impfung im Alter < 12 Monate induziert ein immunologisches Gedächtnis, das durch die zweite Impfung reaktiviert wird (14, 15). Erfolgte die erste MMRImpfung < 12 Monate, ist es deshalb wichtig, die zweite MMR-Impfung im Alter von 12 bis 15 Monaten zu verabreichen. Zwei MMR-Impfungen reichen aus. Nach dem Kleinkindesalter werden im Impfplan – abgesehen von D/dTPa- und IPV-Auffrischimpfungen – weitere Impfungen für die 11- bis 15-Jährigen empfohlen. Diese sollten vor der Aufnahme der sexuellen Aktivität beziehungsweise dem Erwachsenenalter erfolgt sein. Der Grund für diese Empfehlung liegt darin, dass die zu verhindernden Krankheiten oder Komplikationen entweder sexuell übertragen werden (HPV, Hepatitis B) oder beim Erwachsenen und insbesondere in der Schwangerschaft für Mutter und/oder Kind schwer verlaufen (Röteln, Varizellen). Dazu gehört die generelle Hepatitis-B-Impfung (HBs-Antigen enthaltender Totimpfstoff) im Alter von 11 bis 15 Jahren für alle, die nicht bereits postnatal bei HBs-Antigen-positiver Mutter (siehe Impfungen für Risikogruppen) oder als Säuglinge geimpft wurden. Neu gehört dazu die Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) (16). Humane Papillomaviren sind die häufigste Ursache sexuell übertragbarer Krankheiten und werden streng mit Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom), anogenitalen Warzen und Kondylomen assoziiert. Die HPV-Typen 16 und 18 sind verantwortlich für 70 Prozent der Zervixkarzinome (17). 70 Prozent der sexuell aktiven Bevölkerung ist infiziert, jährlich werden in der Schweiz bei meist jungen Frauen 3200 Dysplasien und 320 Zervixkarzinome diagnostiziert, an denen etwa 90 Frauen pro Jahr versterben. Jetzt sind aus Virusproteinen – sogenannten Viruslike Particles (VLP) – bestehende Totimpfstoffe gegen HPV-Typ 16 und 18 (Gardasil zusätzlich gegen Typ 6 und 11) erhältlich. Sie haben gegenüber Zervixdysplasien eine Wirksamkeit von 99 Prozent, die – soviel man heute weiss – nach Dreifachimpfung mindestens fünf Jahre anhält. Da diese Impfung eine HPV-In- 17 • Pädiatrie 3/08 Schwerpunkt Tabelle 2: Impfplan 2008 2 Monate 4 Monate 6 Monate 12 Monate 15–24 Monate 4–7 Jahre 11–15 Jahre Erwachsene Basisimpfung Diphtherie Tetanus Pertussis DTPa DTPa DTPa DTPa DTPa dT/dTpa dT Polio IPV IPV IPV IPV IPV Hib H. influenzae Typ b Hib Hib Hib Hepatitis B (HB) (HB) (HB) Hib (HB) HB MMR MMR MMR VZV VZV Ergänzende Impfungen HPV MenC PCV 7 MenC PCV7 PCV7 PCV7 HPV MenC HPV D – Diphtherietoxoid; d – Diphtherietoxoid für Erwachsene; T – Tetanustoxoid; Pa – Pertussis azellulär; IPV – inaktivierter Polioimpfstoff; Hib – H. influenzae Typ b; MMR – Masern, Mumps, Röteln; HB – Hepatitis B; VZV – Varicella-zoster-Virus; HPV – humane Papillomaviren; MenC – Meningokokken-C-Konjugatimpfstoff; PCV7 – heptavalenter Pneumokokkenkonjugatimpfstoff fektion verhindern kann, bei bereits Infizierten aber wirkungslos ist, muss die Impfung vor einer möglichen Infektion, das heisst also vor Aufnahme der sexuellen Aktivität, abgeschlossen sein. Das Impfschema empfiehlt für alle Mädchen drei Impfungen (0, 1–2, 6 Monate) im Alter von 11 bis 14 Jahren (sexuelle Aktivität vor dem 15. Geburtstag 2% in der Schweiz), sowie bis 2012 Nachholimpfungen im Alter von 15 bis 19 Jahren. Die HPV-Impfung wird von der Grundversicherung nur im Rahmen kantonaler Impfprogramme übernommen (18). Es ist sehr zu hoffen, dass diese Programme bald umgesetzt werden können und die Anwendung der Impfung nicht weiter verzögern. Ab 20 bis 26 Jahren ist die Impfung nach individueller Diskussion als ergänzende Impfung empfohlen. Weiter ist in der Altergruppe der 11- bis 15-Jährigen allen, die keine Windpocken durchgemacht haben oder als Risikogruppe (Tabelle 3: z.B. schwere Neurodermitis) geimpft wurden, eine Varizellenimpfung empfohlen (attenuierter Lebendimpfstoff, 2 Impfungen im Abstand von minimal 1 Monat) (2, 19). Ziel dieser Empfehlung ist es, viel schwerer und komplizierter verlaufende Varizellen beim Erwachsenen sowie die schweren Komplikationen bei Erkrankung vor und um die Geburt (konnatales Varizellensyndrom, perinatale Varizellen) zu verhindern. Bei Impfung von Adoleszenten und jungen Erwachsenen kann die Bedeutung der Überprüfung des Impf- schutzes gemäss Impfplan sowie die Wahrnehmung von Nachholimpfungen nicht genug betont werden (20). Geschieht dies nicht vor der Aufnahme sexueller Aktivität (Hepatitis B, HPV) beziehungsweise vor Schwangerschaft und Geburt (MMR, Varizellen), ist im Augenblick des höchsten Risikos kein Schutz vorhanden. MMR verhindert konnatale Röteln! Alter bei Impfung und Nachholimpfungen Der Zeitpunkt, wann eine Impfung empfohlen wird, ist einerseits abgeleitet von der Epidemiologie der zu verhütenden Krankheit sowie dem Risiko für schwere Verlaufsformen und Komplikationen und andererseits vom Expositionsrisiko. Vor der Geburt übertragene mütterliche Antikörper bieten in den ersten Lebensmonaten einen gewissen sogenannten Nestschutz (21). Bis dieser verschwindet, sollte das Kind die Chance haben, einen eigenen Schutz durch Impfung aufzubauen. Meningitis und andere invasive Erkrankungen durch Hib oder Pneumokokken treten oft im ersten Lebensjahr auf. Auch die schweren Keuchhustenerkrankungen und Todesfälle treten vor allem im ersten Lebensjahr auf. Deshalb ist der Impfbeginn im Alter von zwei Monaten begründet und wichtig. Es ist nicht sinnvoll, sondern ist vielmehr ein ernsthaftes, bewusst in Kauf genommenes Risiko, mit den Impfungen zuzuwarten. Ganz besonders sind Frühgeborene rechtzeitig bezogen auf das Geburtsdatum zu impfen, da sie einen schlechteren Nestschutz haben als Termingeborene (22). Eine wesentliche Reifung des Immunsystems findet im ersten und zweiten Lebensjahr statt. Die empfohlenen Impfdosen sind in dieser Periode der Unreife und des hohen Risikos ein notwendiger Schutz. Erfolgt bei Nachholimpfungen (Tabelle 3) die dritte Dosis nach dem ersten Geburtstag und sind minimal sechs Monate seit der zweiten Impfung vergangen, dann ist eine Dosis weniger erforderlich (2). Bei Nachholimpfungen, die für Totimpfstoffe dann meist drei Dosen in den Abständen 0–2–8 Monate beinhalten, gibt es keine Maximalabstände. Aber es gilt die Minimalabstände zwischen der zweiten und dritten Dosis einzuhalten. Dieses Intervall ist notwenig für die Reifung und Selektion jener Lymphozyten, die anschliessend einen guten Langzeitschutz erlauben. Hib-Impfungen sind nur bis zum fünften Geburtstag indiziert. Pertussisimpfungen sind bis zum 16. Lebensjahr aufzufrischen (5 Impfungen). Die MMR-Nachholimpfung mit zwei Dosen im Abstand von minimal einem Monat wird allen nicht geimpften, nach 1963 geborenen Personen empfohlen. Die MMR-Impfung kann bedenkenlos allen Personen, die eine oder mehrere der drei Krankheiten gehabt haben, empfohlen werden, da die Impfviren durch vorhandene Antikörper sofort neutralisiert werden. Anstelle serologischer Pädiatrie 3/08 • 18 Schwerpunkt Tabelle 3: Nachholimpfungen für Kinder (> 1 Jahr) und Erwachsene
Impfstoff
DTPa IPV
Alter (Jahre) 1–5
DTPa/dT2 IPV dT2 IPV Hib4 MMR HB5
6–10
≥ 11
1–4 ≥1 11–15
Varizellen6 HPV7
≥ 11 11–14 + 15–19
Anzahl Dosen 4
4
3
1–2 2 3 (2) 2 3
Primovakzination 0, 2
0, 2
0, 2
0 (2) Mt 0, ≥ 1 Mt 0, 1, 6 Mt (0, 4–6 Mt) 0, ≥ 1 Mt 0, 1–2, 6 Mt
1. Auffrischimpfung 8 Mt
8 Mt
8 Mt
2. Auffrisch- Weitere
impfung (Alter)1 Impfungen
4–7 J
dTpa2 mit
11–15 J, dann
dT alle 10 J3
11–15 J
dann dT alle
10 J3
dann mit dT
alle 10 J3
1Minimalabstand zur vorherigen Impfung 2 Jahre 2Ab dem 8. Geburtstag wird mit einer geringeren Diphtherie-Antitoxin-Dosis (d) geimpft 3Weitere Polioauffrischimpfungen alle 10 Jahre nur bei einem erhöhten Risiko, d.h. Reisende in Endemiegebiete 4Hib: 2 Dosen im Alter < 15 Monate, eine Dosis im Alter von 15 Monaten bis 4 Jahren, 0 Dosen > 4 Jahre 5HB-Impfung prioritär im Alter von 11–15 Jahren; sie kann aber in jedem Alter verabreicht werden. Für 11bis 15-Jährige ist je nach Impfstoff auch ein Impfschema mit 2 Dosen (Erwachsenendosis: 0, 4–6 Monate) möglich. Die Impfung der Risikogruppen und das pränatale Screening müssen weitergeführt werden. 6Alle < 40 Jahre, die Varizellen anamnestisch nicht durchgemacht haben. 7Die Impfung richtet sich an weibliche Jugendliche ab dem 11. bis 15. Geburtstag. 2008–2012 werden jungen Frauen von 15–19 Jahren, die noch nicht 3-mal geimpft sind, HPV-Nachholimpfungen empfohlen. Untersuchungen wird die Nachimpfung empfohlen, bis zwei MMR Impfungen dokumentiert sind. Wie bereits erwähnt, ist bei Adoleszenten und jungen Erwachsenen der Impfschutz zu überprüfen und zu vervollständigen. Neben HPV und Hepatitis B ist insbesondere bei Frauen im gebärfähigen Alter sicherzustellen, dass zweidokumentierte MMRImpfungen (+ Varizellen bei negativer Anamnese) vorhanden sind (23). Dieses Vorgehen schützt bereits das erste Kind intrauterin (Röteln!), bietet einen Nestschutz in den ersten Lebensmonaten (Masern!) und stärkt die Herdenimmunität (alle drei). Impfplan: Impfungen bei Risikosituationen Ziel dieser Impfungen ist der Schutz von Personen mit erhöhtem Risiko für schwere oder komplizierte Verläufe sowie von Personen mit erhöhtem Expositionsrisiko. Sie sind in Tabelle 4 zusammengestellt und hier nur exemplarisch erwähnt. Besonders komplikationsgefährdet sind Kinder von HBs-Antigenpositiven Müttern, die im Unterschied zu Erwachsenen ein viel höheres Risiko für eine chronische Hepatitis B und ein Leberzellkarzinom haben (24). Dies bedingt erstens ein generelles Hepatitis-B-Screening in der Schwangerschaft und zweitens, dass diese Kinder am ersten Lebenstag aktiv und passiv sowie nach einem (nicht zwei!) und sechs Monaten aktiv gegen Hepatitis B geimpft werden, bevor im 7. bis 12. Monat eine serologische Kontrolle erfolgt (25). Zusätzlich ist die Hepatitis-B-Impfung all jenen Personengruppen empfohlen, die aufgrund von Kontakten mit Blut und Körpersekreten ein erhöhtes Infektionsrisiko haben. Die Hepatitis-A-Impfung ist wegen des Komplikationsrisikos bei chronischen Hepatopathien und wegen des erhöhten Expositionsrisikos für in der Schweiz lebende Kinder aus einem Land mit hoher Endemizität sowie für andere Risiko- gruppen indiziert (26). Sie kann auch als Kombinationsimpfung mit Hepatitis B verabreicht werden und wird nun für diese Indikationen von der Grundversicherung übernommen. Zur Gruppe mit erhöhtem Komplikationsrisiko für invasive Pneumokokkenund Meningokokkeninfektionen gehören Personen mit Asplenie oder anderen Immunmangelsyndromen, für Pneumokokkenerkrankungen auch Frühgeborene und weitere Personen mit Fehlbildungen oder Grundkrankheiten. Wegen des deutlich erhöhten Komplikationsrisikos ist die jährliche Influenzaimpfung für über 65-Jährige sowie für zahlreiche Personen mit chronischen Grundleiden klar indiziert. Die BCG-Impfung wird in der Schweiz bei tiefer TB-Inzidenz nur Säuglingen verabreicht, die ganz in ein Heimatland mit hoher TB-Inzidenz zurückkehren. Die FSME-Impfung wird in der Schweiz allen Personen ab sechs Jahren empfohlen, die ein Expositionsrisiko haben und in einem Endemiegebiet wohnen oder sich zeitweise dort aufhalten (7). Die Grundimmunisierung mit diesem inaktivierten Virusimpfstoff beinhaltet drei Impfungen (0, 1–3, 9–12 Monate), Auffrischimpfungen sind nur alle zehn Jahre notwendig. Vor Auslandreisen ist an eine reisemedizinische Beratung und rechtzeitig an destinationsabhängige Impfungen zu denken. Reisemedizinische Zentren oder www.safetravel.ch können weiterführende Informationen und Empfehlungen geben. Informationen und Kontraindikationen zur Verabreichung von Impfungen Der Impfung sollen in jedem Fall ein informatives Gespräch (vor was schützt die Impfung, vor was nicht) und die Beantwortung von Fragen über die Impfung (vgl. Impfempfehlungen und Factsheets, Tabelle 5) sowie eine Anamnese und – wenn nötig – eine Untersuchung vorausgehen. Kontraindikationen, wie beispielsweise anaphylaktische Reaktionen auf Inhaltsstoffe oder – bei Lebendimpfstoffen – auch Schwangerschaft oder Immunschwäche, sind zu überprüfen und 19 • Pädiatrie 3/08 Schwerpunkt Tabelle 4: Impfungen für Risikogruppen Hepatitis B Hepatitis A Varizellen Influenza Pneumokokken Meningokokken FSME Tollwut Tuberkulose Impfung wegen erhöhten Risikos von Komplikationen Neugeborene von HBsAg-positiven Müttern chronische Hepatopathien Immunsuppression chronische Hepatopathien Erwachsene < 40 Jahre ohne Varizellenanamnese, Frauen mit Kinderwunsch Kinder mit schwerer Neurodermitis Leukämien, Lymphome, Myelome medikamentöse Immunsuppression, HIV-Infektion ohne Immunsuppression Personen ≥ 65 Jahre chronische Herz- oder Lungenkrankheiten, Niereninsuffizienz, Hämoglobinopathie, metabolische Erkrankungen, Immunsuppression jeder Genese Personen ≥ 65 Jahre Frühgeburten (< 32 Wochen) Geburtsgewicht < 1500 g chronische Herz- oder Lungenkrankheiten gewisse angeborene und erworbene (HIV) Immunmangelsyndrome anatomische funktionelle Asplenie, Hyposplenie (Sichelzellenanämie), medikamentöse Immunsuppression Missbildungen der Schädelbasis, Liquorfistel Cochlea-Implantat nephrotisches Syndrom, Niereninsuffizienz anatomische funktionelle Asplenie, Hyposplenie (Sichelzellenanämie) Immunmangelsyndrome mit fehlender PolysaccharidImmunantwort Komplement-Defizite, Defekte der alternativen Komplementaktivierung Protein-S- oder -C-Defizit, Mangel an mannosebindenem Lektin Säuglinge aus Ländern mit hoher TB-Prävalenz, die dorthin zurückkehren Impfung wegen erhöhten Expositionsrisikos Medizinal- und Pflegepersonal, Angestellte in medizinischen Laboratorien Drogenkonsumenten, Personen mit häufig wechselnden Sexualpartnern enge Kontaktpersonen von HBsAg-positiven Personen Sozialarbeiter, Gefängnispersonal, Polizei mit häufigem Kontakt zu Drogenkonsumenten geistig behinderte Personen in Heimen und deren BetreuerInnen Personen aus Ländern mit hoher oder intermediärer Hepatitis-B-Endemie enger beruflicher Kontakt zu Personen aus Ländern hoher Endemizität in der Schweiz lebende Kinder aus Ländern mittlerer bis hoher Endemizität, die dorthin reisen Laborpersonal, das mit Hepatitis-A-Virus arbeitet enge Kontaktpersonen von Erkrankten drogeninjizierende Personen, homosexuelle Männer Kanalisationsarbeiter und Angestellte von Kläranlagen Medizinal- und Pflegepersonal Familienangehörige von Personen mit einem erhöhten Risiko Medizinal- und Pflegepersonal Familienangehörige von Personen mit einem erhöhten Risiko Angestellte in mikrobiologischen Laboratorien Kontaktpersonen und Familienangehörige einer erkrankten Person Rekruten (Militär) Erwachsene und Kinder ab 6 Jahren in Endemiegebieten Tierärzte, Praxisangestellte, Laborpersonal exponierte Tierpfleger, -händler, -seuchenpolizisten, Fledermausforscher und -schützer eventuelle Vorsichtsmassnahmen zu treffen (vgl. Allgemeine Empfehlungen zu Impfungen [27] sowie der Artikel zu Nebenwirkungen auf S. 11 ff in diesem Heft). Eine vollständige Dokumentation jeder Impfung (Datum, Impfstoff, Dosis [in ml], Applikationsart, Chargennummer) im Impfausweis und in den ärzt- lichen Unterlagen vermeidet Unklarheiten und unnötige Nachholimpfungen. Schlussbemerkung Der Impfplan bietet auf Basis aktueller wissenschaftlicher Daten die Grundlage zum Schutz des Einzelnen und der Be- völkerung vor impfpräventablen Erkrankungen. In abgestufter Form werden zu den Basisimpfungen ergänzende Impfungen zur Optimierung des individuellen Schutzes und darüber hinaus Impfungen für besondere Risiken empfohlen. Diese differenzierte Gliederung nach Empfehlungskategorien soll es dem Einzelnen Pädiatrie 3/08 • 20 Schwerpunkt und bei Kindern den Eltern ermöglichen, aufgrund der von der betreuenden Ärztin oder dem Arzt gewünschten Informationen selbst über die Impfung zu entscheiden. Diese Informationen sollen dazu führen, dass Impfungen als Chance zum Schutz wahrgenommen werden. Es besteht kein Zwang. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Vorgehen zu einem guten Schutz des Einzelnen und wo nötig auch der Bevölkerung führt, sodass letztlich auch die Schwächsten, die nicht geimpft werden können, durch die Geimpften geschützt sind. Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Christoph Berger Co-Leiter Infektiologie Universitäts-Kinderklinken Zürich Steinwiesstrasse 75, 8032 Zürich E-Mail: Christoph.Berger@kispi.uzh.ch Literatur: 1. Gardner P, Pickering LK, Orenstein WA, Gershon AA, Nichol KL. Guidelines for quality standards for immunization. Clin Infect Dis 2002; 35: 503–511. 2. Bundesamt für Gesundheit. Eidgenössische Kommission für Impffragen. Impfplan. Bern; 2008. 3. Bundesamt für Gesundheit. Impfempfehlungen in der Schweiz: Empfehlungskategorien. Bull BAG 2005; 45: 817–821. 4. Trotter CL, Andrews NJ, Kaczmarski EB, Miller E, Ramsay ME. Effectiveness of meningo-coccal serogroup C conjugate vaccine 4 years after introduction. Lancet 2004; 364: 365–367. 5. Kyaw MH, Lynfield R, Schaffner W, et al. Effect of introduction of the pneumococcal conjugate vaccine on drug-resistant Streptococcus pneumoniae. N Engl J Med 2006; 354: 1455–1463. 6. Prävention schwerer Infektionen bei anatomischer oder funktioneller Asplenie. Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie und der Eidgenössischen Kommission für Impffragen. Bulletin BAG 2006; 49: 977–983. 7. Bundesamt für Gesundheit. Empfehlungen zur Impfung gegen Zeckenenzephalitis. Bull BAG 2006; 13: 225–231. 8. Siber GR. Pneumococcal disease: prospects for a new generation of vaccines. Science 1994; 265: 1385–1387. 9. Ada G. Vaccines and vaccination. N Engl J Med 2001; 345: 1042–1053. 10. Snape MD, Pollard AJ. Meningococcal polysaccharide-protein conjugate vaccines. Lancet Infect Dis 2005; 5: 21–30. 11. Pichichero ME, Casey JR. Emergence of a multiresistant serotype 19A pneumococcal strain not included in the 7-valent conjugate vaccine as an otopathogen in children. Jama 2007; 298: 1772–1778. 12. Poland GA, Jacobson RM, Thampy AM, et al. Measles reimmunization in children seronegative after initial immunization. Jama 1997; 277: 1156–1158. 13. Richard JL M-SV, Santibanez S, Mankertz A. Measles outbreak in Switzerland – an update relevant for the European football championship (EURO 2008). Euro Surveill 2008; 13 (8): pii = 8043 Available online: www.eurosurveillance.org/ViewArticle.aspx?ArticleId= 14. Gans H, Yasukawa L, Rinki M, et al. Immune responses to measles and mumps vaccination of infants at 6, 9, and 12 months. J Infect Dis 2001; 184: 817–826. 15. Klinge J, Lugauer S, Korn K, Heininger U, Stehr K. Comparison of immunogenicity and reactogenicity of a measles, mumps and rubella (MMR) vaccine in German children vaccinated at 9–11, 12–14 or 15–17 months of age. Vaccine 2000; 18: 3134–3140. 16. Bundesamt für Gesundheit. Eidgenössische Kommission für Impffragen, Arbeitsgruppe «HPVImpfung». Empfehlungen zur Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV). Bern; 2008. 17. Munoz N, Bosch FX, de Sanjose S, et al. Epidemiologic classification of human papillomavirus types associated with cervical cancer. N Engl J Med 2003; 348: 518–527. 18. Verordnung des Eidgenössischen Departements des Innern über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung KÄvN, www.bag.admin.ch/themen/krankenversicherung/index.html?lang=de 19. Bundesamt für Gesundheit. Varizellenimpfung. Empfehlungen der Schweizerischen Kommission für Impffragen (SKIF) und des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Bull BAG 2004; 45: 846–848. 20. Bundesamt für Gesundheit. Eidgenössische Kommission für Impffragen, Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Impfung von Frauen im gebärfähigen Alter gegen Röteln, Masern, Mumps und Varizellen. Bern; 2006. 21. Zinkernagel RM. Maternal antibodies, childhood infections, and autoimmune diseases. N Engl J Med 2001; 345: 1331–1335. 22. Slack MH, Schapira D, Thwaites RJ, et al. Responses to a fourth dose of Haemophilus influenzae type B conjugate vaccine in early life. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed 2004; 89: F269–271. 23. Bundesamt für Gesundheit. Schweizerische Kommission für Impffragen. Prävention von Masern, Mumps und Röteln. Bern; 2003. Tabelle 5: Informationen zu Impfungen Fachinformationen: • Bundesamt für Gesundheit: www.bag.admin.ch (www.bag.admin.ch/ themen/medizin/00682/00685/02114/in dex.html?lang=de) Impfempfehlungen, aktuelle Daten: Impfplan, allgemeine Empfehlungen zu Impfungen, Empfehlungen zu den einzelnen Impfungen, Epidemiologie, neue Empfehlungen, BAG-Bulletin • www.infovac.ch: Für alle: Informationen und aktuelle Fragen zu Impfungen Für Members: aktuelle Liste in der Schweiz erhältlicher Impfstoffe. E-Mail-Informationsdienst: Beantwortung individueller Fragen • Robert Koch Institut: www.rki.de • Red Book AAP, USA: http://aapredbook.aappublications.org • Reiseimpfungen: www.safetravel.ch Allgemeinverständliches Informationsmaterial zu Impfungen: • Factsheets zu einzelnen Impfungen (d, f, i) erhältlich unter: www.ekif.ch und www.bag.admin.ch (siehe oben) oder via Fax 031-325 50 58 • Kinder impfen? Ja wieso. Broschüre (d/f/i) erhältlich beim BAG. Neuauflage 2008 folgt. Internetseite oder Fax siehe oben (Factsheets) • Impfen: Chance für die Gesundheit. DVD (d/f/i): 4 eindrückliche Kurzflme zu impfpräventablen Krankheiten (Fr. 20.–) E-Mail: impfvideo@dpc.ch 24. Bundesamt für Gesundheit. Schweizerische Kommission für Impffragen, Schweizerische Arbeitsgruppe für virale Hepatitis. Empfehlungen zur Hepatitis-B-Impfung. Bern; 1997. 25. Bundesamt für Gesundheit. Eidgenössische Kommission für Impffragen, Arbeitsgruppe «Prävention der Mutter-Kind-Übertragung von Hepatitis B». Empfehlungen zur Prävention der Mutter-Kind-Übertragung von Hepatitis B. Bern; 2007. 26. Bundesamt für Gesundheit. Schweizerische Arbeitsgruppe für reisemedizinische Beratung, Eidgenössische Kommission für Impffragen, Empfehlungen zur Hepatitis-A-Prävention in der Schweiz. Bern; 2007. 27. Bundesamt für Gesundheit. Schweizerische Kommission für Impffragen. Allgemeine Empfehlungen zu Impfungen. Bern; 2003. 21 • Pädiatrie 3/08