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FORTBILDUNG
Was tun bei Schlafstörungen?
Bei primären Schlafstörungen sind Massnahmen der Schlafhygiene häufig ausreichend wirksam. Die Symptome einer sekundären Insomnie verbessern sich oft bei Behandlung der ursächlichen Gesundheitsstörung. Einer Verordnung von Medikamenten sollte immer eine Phase mit nicht medikamentösen Interventionen vorangehen.
BMJ
Was ist eine Insomnie, und wer leidet darunter? Etwa 40 Prozent der Betroffenen klagen darüber, nicht einschlafen oder nicht durchschlafen zu können, zu früh aufzuwachen und dann nicht wieder einzuschlafen oder nach dem Aufstehen noch müde zu sein. Man unterscheidet grundsätzlich eine primäre Insomnie ohne weitere Ursache und eine sekundäre Insomnie, die durch Erkrankungen verursacht oder verstärkt wird. Oft haben Schlafstörungen auch mehrere Ursachen. In etwa der Hälfte aller Fälle werden Schlafstörungen durch Depressionen und Ängste verstärkt, und häufig liegen sie als Komorbiditäten vor. Bei einem Drittel der Patienten sind auch körperliche Gesundheitsstörungen vorhanden. Übermässiger Alkoholkonsum oder illegale Drogen können ebenfalls mit schlechtem Schlaf assoziiert sein. Dies ist bei 6 bis 8 Prozent der Fall. Bei 12 Prozent der Patienten liegt eine Schlafphasenstörung vor. Dabei handelt es sich um eine Störung des Zirkadianrhythmus, bei der es schwer fällt, zu den üblichen Zeiten einzuschlafen und aufzustehen. Die obstruktive Schlafapnoe ist in der Primärversorgung eine
Merksätze
❖ Etwa ein Drittel der Bevölkerung leidet unter Schlafstörungen.
❖ Bei sekundärer Insomnie sollte zuerst die ursächliche Erkrankung behandelt werden.
❖ Primäre Schlafstörungen können oft mit Massnahmen der Schlafhygiene behoben werden.
❖ Medikamente sollten die letzte Behandlungsoption darstellen.
relativ häufige Ursache der Insomnie (etwa 9%) und kann sich erheblich auf die Tagesform auswirken. Der Schlafbedarf kann mit dem Alter abnehmen. In einer französischen Studie mit 1000 älteren Teilnehmern betrug die Schlafdauer sieben Stunden. Eine andere Studie kam zu dem Ergebnis, dass sich die Schlafzeit von der Lebensmitte bis zum achten Lebensjahrzehnt pro Dekade um etwa 27 Minuten verkürzt.
Diagnose und Evaluierung von Schlafstörungen Eine sorgfältige Anamnese ist die wichtigste Grundlage zur Diagnosestellung einer Insomnie. In Tabelle 1 sind Fragen zur Evaluierung von Schlafstörungen zusammengefasst.
Ermittlung sekundärer Ursachen Zur Evaluierung von Ängsten und Depressionen steht eine Reihe an Patientenfragebögen zur Verfügung. Dazu gehören der Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ-9, Depressionsmodul), die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-7) oder der Patientenfragebogen PQH-4. Ein problematischer Alkoholkonsum kann mit dem Alcohol Use Disorders Identification Test (AUDIT) oder dem CAGE-Fragebogen (Cut down, Annoyed, Guilty, Eye-Opener) evaluiert werden. Der Alcohol, Smoking and Substance Abuse Screening Test (ASSIST) ist ein Screening-Tool für Alkohol-, Nikotin- und Substanzabhängigkeiten. In manchen Fällen ist auch ein Schlaftagebuch über ein oder zwei Wochen nützlich. Entsprechende Vorlagen findet man im Internet. Das Schlaftagebuch hilft dem Patienten, persönliche Muster zu erkennen, und kann als Grundlage der Behandlungsstrategie dienen. Zudem ermöglicht es die Überprüfung des Behandlungserfolgs. Mit der körperlichen Untersuchung kann zwar keine Insomnie diagnostiziert werden, sie kann aber zur Ermittlung bestimmter Ursachen wie einer obstruktiven Schlafapnoe oder einer neurologischen Erkrankung wie Parkinson hilfreich sein. Ein hoher Body-Mass-Index und ein Halsumfang von 40 cm oder mehr erhöhen das Risiko für eine Schlafapnoe. Auch Blutuntersuchungen sind manchmal von Nutzen, etwa zur Abklärung einer Schilddrüsenüberfunktion oder im Hinblick auf niedrige Eisenspiegel, die ein RestlessLegs-Syndrom verursachen können. Mithilfe der Polysomnografie kann ein Verdacht auf Schlafapnoe oder auf Störungen der Gliedmassenbewegungen wie das Restless-Legs-Syndrom bestätigt werden. Bei der Polysomnografie werden die Aktivitäten des Gehirns und der Muskeln sowie die Sauerstoffversorgung in der Nacht gemessen.
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Tabelle 1:
Fragen zur Anamnese und Informationsgewinn
Frage
Können Sie Ihr Schlafproblem beschreiben? ❖ Beeinträchtigt es Ihre Tagesform?
Können Sie Ihr Schlafritual beschreiben? ❖ Uhrzeit und Einschlafzeit ❖ Wachphasen: Anzahl, Dauer, Ursachen, Begleitsymptome wie Sod❖ brennen, Husten, Atemnot, Schmerzen, Angst oder eine volle Blase ❖ Uhrzeit des Aufstehens und übliche Schlafdauer ❖ Wie unterscheidet sich Ihr Schlafritual am Wochenende oder im Urlaub? ❖ Gehen Sie spät abends anstrengenden Aktivitäten nach?
Informationsgewinn
Manche Menschen denken, sie bekommen nicht genug Schlaf, sind aber tagsüber leistungsfähig. Nach der Definition liegt dann keine Insomnie vor, denn dazu gehört eine Beeinträchtigung der Tagesform. Ein häufiger Wechsel des Schlafrituals oder anstrengende Aktivitäten vor dem Zubettgehen können Schlafstörungen verursachen. Körperliche Gesundheitsprobleme gehören in der Primärversorgung zu den häufigsten Ursachen von Schlafstörungen (43%). Übersteigt die Zeit im Bett deutlich die tatsächliche Schlafzeit, leidet der Patient möglicherweise unter primärer Insomnie, wenn keine andere Ursache vorliegt. In diesen Fällen kann eine Verkürzung des Aufenthalts im Bett die Schlafqualität signifikant verbessern und die Anzahl der Schlafunterbrechungen verringern.
Wie fühlen Sie sich beim Aufwachen? ❖ Fühlen Sie sich unausgeruht und schläfrig? ❖ Haben Sie Symptome wie Kopfschmerzen oder Mundtrockenheit? ❖ Leiden Sie unter Tagesschläfrigkeit (Einschlafen in Wartezimmern, ❖ als Beifahrer im Auto oder bei Vorträgen)?
Mit diesen Fragen wird geprüft, ob eine obstruktive Schlafapnoe vorliegen könnte.
Liegen Symptome einer obstruktiven Schlafapnoe vor? ❖ Schnarchen, Atempausen oder nach Luft ringen ❖ Hier sollte auch der Schlafpartner befragt werden
Detailliertere Erfassung der obstruktiven Schlafapnoe.
Welche anderen Faktoren könnten den Schlaf beeinträchtigen? ❖ Konsum von Stimulanzien wie Kaffee, Zigaretten oder Drogen ❖ Einnahme von Medikamenten ❖ Kurz zurückliegende einschneidende Lebensereignisse ❖ wie der Verlust des Partners
Nach 18 Uhr sollten stimulierende Substanzen gemieden werden. Orale Dekongestanzien wie Pseudoephedrin, Asthmamedikamente wie lang und kurz wirkende Sympathomimetika, Amphetamine oder Antidepressiva wie selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer können zu Schlafstörungen führen. In manchen Fällen ist vorübergehendes Absetzen eine einfache Massnahme und kann zur Diagnose führen.
Halten Sie tagsüber manchmal ein Nickerchen? ❖ Häufigkeit, Uhrzeit und Dauer ❖ Wo schlafen Sie, wenn Sie tagsüber müde sind? ❖ Haben Sie das Problem auch am Wochenende oder im Urlaub?
Tagsüber zu schlafen kann die nächtliche Schlafqualität beeinträchtigen. Schläft der Patient am Wochenende oder im Urlaub besser, könnte eine Schlafphasenstörung vorliegen, vor allem wenn er/sie üblicherweise nach Mitternacht ins Bett geht.
Leiden Sie unter folgenden Symptomen? ❖ Niedergeschlagenheit oder Interessenverlust, Grübeln oder ❖ nächtliche Panikattacken ❖ Unruhiger Schlaf ❖ Zucken in den Beinen oder im Körper ❖ Schüttelanfälle ❖ Schlafwandeln oder Sprechen im Schlaf ❖ Erschrecken beim Aufwachen ❖ Ungewöhnliches Verhalten während der Nacht
Patienten, die die erste Frage mit Ja beantworten, könnten unter Depressionen leiden. Hier helfen entsprechende Fragebögen weiter. Die anderen Symptome könnten auf neurologische Störungen (Parasomnien) hinweisen.
Welche nicht medikamentösen Behandlungsoptionen gibt es? Bei sekundären Schlafstörungen wird die Behandlung der Ursache als erste Massnahme empfohlen. Von den Empfehlungen zur Schlafhygiene (Tabelle 2) profitieren alle Patienten. In vielen Fällen tragen mehrere Ursachen zum Schlaf-
problem bei, und die Behandlung eines Aspekts kann positive Auswirkungen auf andere haben. So kann die Anweisung, den Alkoholkonsum im Rahmen einer Schmerzbehandlung einzuschränken, auch zur Symptomverbesserung bei Depressionen oder Ängsten beitragen und gleichzeitig die Insomnie günstig beeinflussen.
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Tabelle 2:
Massnahmen der Schlafhygiene
Anweisung
Erläuterung
Einschränkung des Kaffeekonsums auf eine Tasse täglich morgens, Vermeiden von Alkohol und Zigaretten abends, Einschränkung anderer Substanzen, die den Schlaf beeinträchtigen könnten.
Kaffee und Nikotin sind Stimulanzien, die das Einschlafen und die Schlafqualität beeinträchtigen können. Manche Menschen trinken Alkohol, um besser einschlafen zu können. Alkohol kann jedoch während der Nacht zu wiederholtem Aufwachen und einer schlechten Schlafqualität führen.
Nicht zu Bett gehen, bevor man nicht wirklich müde und zum Einzuschlafen Man schläft nicht ein, wenn das Gehirn noch hellwach ist. Dies kann
bereit ist.
mit Frustrationen verbunden sein, die das Einschlafen noch weiter
verzögern. Schlafmuster und Schlafbedürfnisse passen nicht immer
zu denen des Partners.
Keine Nickerchen tagsüber.
Nickerchen tagsüber reduzieren den Schlafdruck, der sich über den Tag bis zur Schwelle des Einschlafens aufbaut. Tagsüber zu schlafen kann die Einschlafzeit verlängern und zu abnormalen Schlafzeiten führen, vor allem wenn der Betroffene so lange schlafen kann, wie er will. Dies kann auch zu einem Dominoeffekt über weitere Tage führen.
Regelmässiger Sport kann den Schlaf verbessern, sollte aber nicht spät- Körperliche Bewegung kann kurz vor dem Zubettgehen als Stimulus
abends betrieben werden.
wirken, der das Einschlafen verzögert.
Bett und Schlafzimmer sollten gemütlich sein und zum Schlafen einladen.
Das Bett sollte bequem, der Raum dunkel und nicht zu warm oder zu kalt sein. Eine unbequeme Lage, Schwitzen oder Frieren sowie Lärm oder Licht können den Schlaf stören.
Den potenziellen Einfluss von Computerbildschirmen, Uhren und Koschläfern prüfen.
Das Betrachten eines Computerbildschirms kurz vor dem Schlafengehen kann das Einschlafen verzögern, da Lichtwellen die Melatoninproduktion reduzieren. Während einer Wachphase auf die Uhr zu schauen, kann die Frustration über das Wachsein verstärken. Stören Mitschläfer durch exzessive Bewegungen oder Schnarchen, leiden sie möglicherweise ebenfalls unter Schlafstörungen.
Wer nicht nach 15 bis 20 Minuten eingeschlafen ist, sollte wieder aufstehen und erst wieder ins Bett gehen, wenn sich Schläfrigkeit einstellt.
Das Bett sollte hauptsächlich mit Schlaf und nicht mit Schlafstörungen assoziiert sein.
Bei Schlafphasenstörungen kann abends die Einnahme von Melatonin und morgens die Anwendung von Leuchtkästen hilfreich sein. Beim Restless-Legs-Syndrom werden meist Massagen, Stretchingübungen und warme Bäder vor dem Zubettgehen empfohlen. In schweren Fällen werden NonErgot-Dopaminagonisten gegeben. Etwa 30 Prozent der Patienten mit primärer Insomnie profitieren von den Empfehlungen der Schlafhygiene als einziger Massnahme. In Metaanalysen randomisierter Studien hat sich auch die kognitive Verhaltenstherapie als wirksam erwiesen. Hier werden Verhaltensänderungen wie eine Beschränkung der Zeit im Bett oder eine Stimuluskontrolle sowie Entspannungstechniken und andere kognitive Strategien angewendet. Eine Einschränkung der im Bett verbrachten Zeit hilft vor allem Personen, die zwar lange im Bett liegen, dabei aber nicht schlafen. Die Stimuluskontrolle hat das Ziel, das Bett und das Schlafzimmer wieder mit dem Schlaf zu assoziieren und wieder einen normalen Schlafrhythmus zu erreichen. Die
kognitive Verhaltenstherapie (meist 6–8 Sitzungen) wird (in Grossbritannien) meist nicht vom Hausarzt angeboten und demzufolge in der Primärversorgung zu wenig genutzt.
Welche Rolle spielen Medikamente bei der primären Insomnie? In der Primärversorgung werden häufig Schlafmittel zur Behandlung der Insomnie verschrieben (Tabelle 3). Aus neueren Übersichtsarbeiten geht hervor, dass Medikamente und psychologische Verhaltensinterventionen kurzfristig (bis zu einem Zeitraum von vier Wochen) zu vergleichbaren Verbesserungen führen, dass Letztere aber einen dauerhaften Nutzen bringen, der mit der Zeit sogar noch zunimmt. Ausserdem führen Medikamente nicht zur gleichen Schlafqualität wie nicht medikamentöse Massnahmen und wirken nicht auf die eigentliche Ursache ein. Ein hohes Mass an Misstrauen ist angezeigt, wenn unbekannte Patienten nach einem bestimmten Präparat fragen,
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Tabelle 3:
Häufig angewendete Medikamente bei Insomnie
Medikament
Klasse
Temazepam (Normison®) Benzodiazepin-Rezeptoragonist
Triazolam (Halcion®) Zolpidem (Stilnox® und Generika) Zopiclon (Imovane®, Zopiclon Zentiva®) Doxepin (Sinquan®)
Benzodiazepin-Rezeptoragonist
Benzodiazepin-Rezeptoragonist
Benzodiazepin-Rezeptoragonist Sedierendes Antidepressivum
Quetiapin (Sequase®,
Sedierendes Antipsychotikum
Seroquel® und Generika®)
Promethazin
Sedierendes Antihistaminikum
(nicht im AK der Schweiz)
Übliche Dosis Halbwertszeit
10–20 mg
5–15 h
0,125–0,25 mg 2–3 h
Nebenwirkungen
Sedierung, Verwirrung, Amnesie, beeinträchtigte Koordination, Enthemmung Wie oben
5–10 mg
7,5 mg 25–50 mg
1,5–2,4 h
5–6 h 8–24 h
25–200 mg 10–20 mg
6h 5–15 h
Wie oben
Wie oben Sedierung, Stürze, Benommenheit, Mundtrockenheit und andere anticholinerge Nebenwirkungen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel Sedierung, Gewichtszunahme, Hypotonie Sedierung, Harnretention, Schwindel
da sie das Medikament für illegale Zwecke missbrauchen könnten. Ein Patient, der die Frage einer Medikation anspricht, muss über den Nutzen nicht medikamentöser Massnahmen informiert werden. Manche Patienten benötigen zwar Medikamente, zur optimalen Behandlung gehört jedoch eine initiale Versuchsphase mit nicht medikamentösen Massnahmen. Schlafmittel wie Benzodiazepine oder Z-Medikamente wie Zopiclon sind mit der Wahrscheinlichkeit von Gewöhnung und Abhängigkeit sowie mit Entzugssymptomen und Rebound-Insomnie beim Absetzen verbunden. Zudem kann es zu Nebenwirkungen und in seltenen Fällen auch zu ungewöhnlichem Verhalten wie Schlafwandeln kommen. Dies gilt vor allem in Kombination mit Alkohol. Auch besteht die Gefahr des Missbrauchs, da Schlafmittel das «High»-Gefühl anderer Medikamente verstärken und zu Überdosierungsversuchen angewendet werden können. Zu weiteren Problemen im Zusammenhang mit Schlafmitteln gehören Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, Autofahren unter dem Einfluss psychotropischer Substanzen, kognitive Beeinträchtigungen oder Fatigue und bei älteren Patienten auch ein erhöhtes Sturzrisiko. Dennoch werden Benzodiazepin-Rezeptoragonisten bei Insomnie häufig verschrieben. Sie verkürzen die Einschlafzeit, verlängern die Schlafdauer und sind mit signifikant weniger Nebenwirkungen als sedierende Antidepressiva und sedierende Antipsychotika verbunden. Kürzer wirksame Benzodiazepine wie Zolpidem oder Triazolam werden vorzugsweise bei verzögertem Einschlafen angewendet. Die mittellang wirksamen Benzodiazepine Temazepam und Zopiclon sind für Patienten geeignet, die nachts öfter aufwachen. Lang wirksame Substanzen wie Clonazepam (Rivotril®) erhalten vor allem Insomniepatienten, die tagsüber unter Ängsten leiden. Um das Risiko für Abhängigkeit und Gewöhnung zu begrenzen, kann der Arzt den Patienten anweisen, das Präparat nur bei Bedarf und höchstens an drei Tagen pro Woche einzunehmen.
Nichtbenzodiazepine als Schlafmittel
Sedierende Antidepressiva und sedierende Antipsychotika
führen meist nicht zu physischer Abhängigkeit, Gewöhnung
oder Missbrauch. Deshalb verschreiben viele Ärzte diese
Substanzen lieber, obwohl es hier häufiger zu Nebenwirkun-
gen wie Sedierung, Gewichtszunahme und anticholinergen
Symptomen kommt. Sedierende Antidepressiva sind bei
Überdosierung toxischer als Benzodiazepine, und es liegt
weniger Evidenz zur Wirksamkeit bei Insomnie vor. Sedie-
rende Antidepressiva können von Nutzen sein, wenn auch
Ängste und Depressionen das Krankheitsbild prägen. Das
Zirbeldrüsenhormon Melatonin wird in der Dunkelheit
sezerniert. Man nimmt an, dass es das Einsetzen des Schlafs
signalisiert und schlaffördernd wirkt. In den meisten kli-
nischen Studien hat exogenes Melatonin (Circadin®) aller-
dings keine Wirksamkeit bei primärer Insomnie gezeigt.
Obwohl Schlafmittel ihren Stellenwert haben, sollten sie nur
Patienten verordnet werden, bei denen mit nicht medika-
mentösen Massnahmen und anderen Medikamenten keine
Verbesserung erzielt werden kann.
❖
Petra Stölting
Falloon Karen, Arroll Bruce, Elley Raina C, Fernando Antonio: The assessment and management of insomnia in primary care, BMJ 2011;342:d2899
Interessenkonflikte: keine deklariert
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