Transkript
Editorial
Am 1. Juni 2008 soll die Bevölkerung nach Meinung von Bundesrat und Parlament einem neuen Verfassungsartikel namens «Gesundheitsartikel» zustimmen (der Text wird im FMP-Journal auf S. 418 in diesem Heft erläutert). Der Name klingt gut. Man könnte fast meinen, die Gesundheitspolitik wolle Volk und Stände über die Verfassung heilen. Doch so ist es leider nicht, der Artikel will «nur» die Krankenversicherung in der Verfassung neu ordnen. Neu? Da scheinen sich die Geister zu scheiden. Wie bei solchen Abstimmungen üblich, ist der Streit zwischen den politischen Lagern immens. Doch für einmal ist die Situation etwas anders. Bei diesem Artikel liegen sich die verschiedenen Lager nicht in den Haaren, weil sie bezüglich des Inhalts unterschiedliche politische Positionen eingenommen haben. Vor dieser Ab-
Beruf Hausarzt. Würden es meine Patientinnen und Patienten akzeptieren, wenn ich nach dem Ausstellen eines Rezepts ein Gutachten darüber schreiben liesse, um herauszufinden, welches Medikament ich verschrieben habe? Man kann sich selbstverständlich darüber streiten, ob der
Gesundheitsartikel — worüber stimmen wir ab?
stimmung herrscht Streit, weil sie sich nicht einmal darüber einigen können, wie der Artikel interpretiert werden soll. Die Befürworter des Gesundheitsartikels müssen sogar Rechtsgutachten erstellen, um zu verstehen, was im Artikel steht. Sie haben den Artikel zwar als Parlamentarier selbst geschrieben, aber offenbar sind sie von den Gegnern verunsichert. Die Hauptfrage dreht sich darum, ob mit dieser neuen Verfassungsbestimmung der Vertragszwang abgeschafft werde. Die Gegner des Artikels argumentieren, dass durch diese Änderung den Krankenkassen zu viel Macht eingeräumt, die Zweiklassenmedizin eingeführt, die freie Arztwahl abgeschafft würde und dass künftig die Kassen frei sein werden, mit den Ärzten Verträge abzuschliessen. Wer gegen die Aufhebung des Vertragszwangs und damit gegen die Zweiklassenmedizin sei, müsse diesen Artikel ablehnen. Ich bin ein einfacher Bürger und von
Vertragszwang aufgehoben werden soll oder nicht. Aber wenn der Streit sich darum dreht, ob das nun im Artikel drinsteht oder nicht, ist der Streit peinlich. Dieser Verfassungsartikel ist offensichtlich das Resultat liederlicher politischer Arbeit. Zu solch liederlicher Arbeit kann man nur laut und deutlich Nein sagen. Und an alle, die die freie Arztwahl aufheben wollen: Möchten Sie nicht auch den Arzt wechseln, wenn dieser über sein Rezept ein Gutachten erstellen lässt, weil er es selber nicht mehr lesen kann? Ich frage mich nur, ob es noch lange dauert, bis die Qualität der Politiker durch Managed Care geleitet wird und mir als Wähler vorgeschrieben wird, wen ich wählen soll. Wenn ich nicht fähig bin, meinen Arzt auszuwählen, weshalb sollte ich dann die richtigen Politiker wählen können?
Hans-Ulrich Bürke
ARS MEDICI 10 ■ 2008 409