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Neues aus der Rheumatologie
BERICHT
Rheumaexperten aus drei Sprachregionen der Schweiz präsentierten eine Selektion praxisrelevanter Studien vom Jahreskongress der europäischen Rheumaliga (European League Against Rheumatism, EULAR). Diese wurden im Rahmen eines Satellitensymposiums für Schweizer Rheumatologen am Rande des Kongresses vorgestellt.
REGINA SCHARF
Arthrose: auf der Suche nach neuen Therapien
Die traditionelle Behandlung der Arthrose mit nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) ist unter anderem mit Hinblick auf das Lebensalter vieler Betroffener nicht immer unproblematisch, nach Alternativen wird daher gesucht. Eine in diesem Zusammenhang durchgeführte Studie untersuchte die antiinflammatorischen und chondroprotektiven Eigenschaften einer viermonatigen Kombinationstherapie mit Glucosaminsulfat und
Omega-3-Fettsäuren bei Säugetieren mit einer experimentellen Arthrose. Verglichen mit der Kontrollgruppe zeigte sich dabei eine signifikante Zunahme freier Fettsäuren im Blut sowie eine Zunahme des Proteoglykangehalts im Knorpel. Hingegen waren weder klinische Verbesserungen noch histologische Veränderungen nachzuweisen. Eine im Vergleich zu Plazebo gute Wirksamkeit und Verträglichkeit zeigte aber die sechsmonatige Behandlung mit Chondroitinsulfat (Condrosulf®, Structum®) bei Patienten mit Kniegelenkarthrose. Diese führte zu einer signifikanten Reduktion der Schmerzintensität auf der «100 mm Visual Analog Scale», VAS (- 26,2 mm vs -19,9 mm; p= 0,029). Ob der einzelne Nachweis eines Knochenmarködems im Magnetresonanztomogramm (MRI) einen Prädiktor für den Krankheitsverlauf der Arthrose darstellt, untersuchten Kornaat und Mitarbeiter in ihrer prospektiven Studie anhand des WOMAC-Scores. Dabei zeigte sich, dass es bei der Mehrzahl der Patienten während der zweijährigen Studienperiode zu fluktuierenden Volumenänderungen des Knochenmarködems kam. Diese hatten jedoch keinen Einfluss auf die WOMACKriterien: Schmerz, Gelenksteifigkeit und Gelenkfunktion. Mehr als 50 Prozent der Arthrosepatienten sind mit ihrer NSAR-Therapie (inkl. Coxibe) teilweise oder nicht zufrieden, so das Ergebnis einer Studie von Gaugris. Faktoren, die zu einer erhöhten Behandlungszufriedenheit beitrugen, waren: schnelle Schmerzbekämpfung, Prävention neuer Schmerzen, Schmerzfreiheit bei Bewegung und geringe Nebenwirkungen. Die gleiche Gruppe zeigte in einer weiteren Studie, dass die
Abnahme der Lebensqualität vor allem auf die Symptome Schmerz und funktionelle Einschränkung zurückzuführen ist. Es wäre allerdings falsch, die Arthrose nur an diesen Faktoren zu messen. Vielmehr geht die Erkrankung bei vielen Betroffenen mit einer psychischen und sozialen Belastung einher. So wurde die Diagnose als ein traumatisches Erlebnis empfunden, die Einstellung zu den Behandlungsmöglichkeiten oder zur Zukunftsperspektive war pessimistisch. Laut den Autoren sind auch diese Aspekte bei der Einschätzung und Behandlung zu berücksichtigen.
Morbus Bechterew: fortschreitende strukturelle Veränderungen trotz TNF-Therapie?
Einen Höhepunkt am EULAR bildete die kontrovers diskutierte Frage, inwieweit eine Behandlung mit Tumor-NekroseFaktor (TNF)-alpha-Inhibitoren die radiologische Progression einer ankylosierenden Spondylitis (AS) verhindert. Die gute klinische Wirksamkeit der TNFalpha-Inhibitoren konnte bereits vor einigen Jahren gezeigt werden. Mit den Ergebnissen des verlängerten Infliximab-Trials (Braun et al.) lagen in diesem Jahr die Daten über eine fünfjährige Behandlungsdauer mit TNF-alpha-Inhibitoren bei ankylosierender Spondylitis vor. Diese zeigten bei 41 der ursprünglich 69 mit Infliximab (Remicade®) behandelten Patienten eine anhaltende Wirkung in Bezug auf die Krankheitsaktivität, den funktionellen Status und die Metrologie der Wirbelsäule. Die Frage der radiologischen Progression unter TNF-alpha-Inhibitoren untersuch-
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ten Baraliakos et al. anhand konventioneller Röntgenuntersuchungen mithilfe einer modifizierten Form des SASS-Scores (Stoke Ankylosing Spondylitis Spinal Score). Die Studie schloss insgesamt 33 Spondylitispatienten ein, die eine vierjährige Therapie mit Infliximab erhalten hatten. Die Ergebnisse wurden mit der OASIS-Kohorte – einer historischen Patientengruppe mit einer vergleichsweise niedrigen Krankheitsaktivität – verglichen. Dabei zeigten sich in der Infliximab-Gruppe zwar weniger strukturelle Veränderungen, dennoch kam es bei 10 der 33 Patienten zur Syndesmophytenbildung. Dieses Ergebnis führte zusammen mit den Daten einer Studie, die die radiologische Progression unter Etanercept (Enbrel®) untersuchte, zu der Schlussfolgerung, dass es trotz der guten klinischen Wirksamkeit von TNF-alphaInhibitoren bei ankylosierender Spondylitis zu einer Zunahme struktureller Veränderungen kommen kann. Wie Privatdozent Dr. Diego Kyburz, Zürich, abschliessend betonte, gelten diese Daten nur für die Bildung von Syndesmophyten und nicht für erosive Veränderungen im Allgemeinen.
Rücken- und Weichteilbeschwerden
Rückenbeschwerden sind auch in jungen Jahren keine Seltenheit, wie eine epidemiologische Studie mit iranischen Schulkindern zeigte. Die Prävalenz für unspezifische Rückenschmerzen bei den 5000 Studienteilnehmern im Alter zwischen 11 und 14 Jahren betrug zu Beginn der Studie 15 Prozent und stieg innerhalb eines Jahres auf fast 17,5 Prozent an. Das Auftreten von Rückenschmerzen korrelierte mit den Faktoren: Alter, häufiges Heben, Körperhaltung und Dauer beim Fernsehen sowie Dauer der Hausaufgaben. Interessant sind diese Ergebnisse vor allem deshalb, weil man im Kanton Freiburg vor einigen Jahren eine vergleichbare Studie durchgeführt hat, die zu ähnlichen Ergebnissen führte, so Dr. Stefan Mariacher-Gehler, Schinznach. Wie hoch die Inzidenz von nicht traumatischen Arm-Nacken- und SchulterBeschwerden in der Allgemeinarztpraxis
ist, untersuchten Feleus und Kollegen. Die Inzidenz lag in den eingeschlossenen 13 Arztpraxen bei 97,4 pro 1000 Patientenjahren. Bei einer durchschnittlichen Praxisgrösse mit 2350 Patienten entspricht dies 147 Fällen zwischen 18 und 64 Jahren. Am häufigsten betroffen waren Frauen (140,5) und Männer (97,4) im Alter zwischen 41 und 64 Jahren. Insgesamt zeigte sich aber vor allem bei Frauen eine erhöhte Inzidenz (Frauen 18–40 Jahre: 94,9; Männer 18–40 Jahre: 55,0). Die Suche nach Prädiktoren für einen sechsmonatigen Krankheitsverlauf bei nicht traumatischen Arm-Nacken-Schulter-Beschwerden ergab, dass folgende Faktoren den Outcome negativ beeinflussen: die Dauer der Beschwerden vor der ersten Arztkonsultation, wiederholte Beschwerden, muskuloskeletale Komorbiditäten, Schmerzen in der Hand oder im Handgelenk.
Weniger Coxibe, höheres Ulkusrisiko?
Eingebettet in das EULAR-Satellitensymposium war auch eine kurze Zusammenfassung relevanter Informationen des diesjährigen Amerikanischen Gastroenterologen-Kongresses in Los Angeles. Dabei wies Professor Christoph Beglinger, Basel, zunächst auf die gefährliche Zunahme des «Gastroprotection Gap» in den USA hin. Wie sich nämlich zeigte, hat die Entwicklung der letzten drei Jahre dazu geführt, dass die Einnahme von COX-2-Hemmern bei Risikopatienten (> 65 Jahre) mit Arthritis zwischen 2002 und 2005 von 78 auf 42 Prozent abgenommen hatte. Im gleichen Zeitraum war die Anzahl älterer Patienten mit einer NSAR-Therapie, die keine gastroprotektive Behandlung erhielten, von 14 Prozent auf 35 Prozent angestiegen. Christoh Beglinger wies noch einmal daraufhin, dass es insbesondere gelte, die älteren Patienten zu schützen, da bei ihnen das Risiko für gastrointestinale Ulzera und Ulkuskomplikationen am höchsten sei. Das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse unter NSAR und COX-2-Hemmer war Gegenstand der Metaanalyse von Keaney, die bereits publiziert wurde (BMJ 2006;
332(7553): 1302–1308). Wie der Vergleich
zu Plazebo zeigte, ist das Risiko für kar-
diovaskuläre Ereignisse, mit Ausnahme
von Schlaganfällen, unter der Einnahme
von COX-2-Hemmern erhöht. Das gleiche
Risiko gilt für die Therapie mit klassischen
NSAR, mit Ausnahme von Naproxen
(Proxen® und Generika).
Dass NSAR neben den erwähnten Kom-
plikationen im oberen Gastrointestinal-
trakt (GI-Trakt) auch zu unerwünschten
Wirkungen im unteren GI-Trakt führen
können, zeigte eine weitere systemati-
sche Analyse. Das genaue Risiko liess
sich anhand der verfügbaren Daten nicht
beurteilen, aber auch hier sind vor allem
ältere Menschen gefährdet. Chan und
Kollegen untersuchten die Vorteile einer
Kombination zwischen Celecoxib (Cele-
brex®) und dem Protonenpumpenhem-
mer Esomeprazol (Nexium®) bei Arthritis-
patienten, die bereits eine Ulkusblutung
in der Anamnese hatten. Dabei zeigte
sich, dass die Wahrscheinlichkeit einer
erneuten Ulkusblutung in der Gruppe
mit der Kombinationstherapie bei 0 Pro-
zent lag, dies im Gegensatz zu
8,9 Prozent in der Kontrollgruppe. Ein
Bonuspunkt dieser Studie: Sie wurde
vom Hongkong Medical Research Coun-
cil finanziert, nicht von einem pharma-
zeutischen Unternehmen.
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Regina Scharf
Satellitensymposium für Schweizer Rheumatologen, EULAR 2006, 22. Juni 2006, Amsterdam. Das Symposium fand mit Unterstützung der Firmen AstraZeneca und Wyeth statt.
Interessenlage: unabhängige Berichterstattung
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