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Schizophrenie: Wie sicher ist die Umstellung auf Depot-Risperidon?
Zwei offenen Studien zufolge soll bei stabilen Patienten ein direkter Wechsel auf Risperdal Consta® problemlos sein
UWE BEISE
Unter den heute bei medikamentöser Neueinstellung häufiger eingesetzten atypischen Neuroleptika gibt es mit Risperdal Consta® nur eines, das auch als Depotpräparat erhältlich ist. Manche Psychiater versprechen sich von der Risperidon-Depotinjektion verbesserte Therapieerfolge gerade bei Patienten, die ihre Medikamente nicht zuverlässig einnehmen. Zwei Studien sind der Frage nachgegangen, ob eine Umstellung auf DepotRisperidon ohne Gefährdung des Patienten möglich ist.
Zumindest auf Seiten der Psychiater hat sich seit längerem die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Behandlung einer Schizophrenie nicht ohne Medikamente auskommt. Auf lange Sicht sind es Neuroleptika, die im Verein mit den vielfältigen
sozialen und psychotherapeutischen Therapieansätzen in der Lage sind, Patienten vor weiteren schizophrenen Episoden einen gewissen Schutz zu geben. Die Erfahrungen zeigen, dass das Rückfallrisiko um das Fünffache steigt, wenn die Medikamente abgesetzt werden. In den letzten Jahren werden immer mehr Patienten neu auf ein atypisches Neuroleptikum eingestellt. Gegenüber den konventionellen Neuroleptika wie etwa Haloperidol (Haldol®) soll die Langzeitsymptomkontrolle mit Atypika besser gelingen, zudem werden mit diesen Substanzen auch kognitive Parameter des Öfteren günstig beeinflusst. Allein auch die atypischen Neuroleptika wie etwa Olanzapin (Zyprexa®) oder Risperidon (Risperdal®) haben nichts daran zu ändern vermocht, dass es bei den Patienten häufig an der gewünschten Therapietreue mangelt. Ein grosser Teil von ihnen nimmt die Medikamente nur teilweise oder überhaupt nicht ein. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, unter anderem das soziale Umfeld, aber auch die nicht immer geringen Nebenwirkungen der Neuroleptika. Um solche Compliance-Probleme zu verhindern, wurden bereits in den Sechzigerjahren Depotpräparate entwickelt, die injiziert werden und dann bis zu mehreren Wochen wirken. Für Depotpräparate spricht nicht allein die einfachere Anwendung; sie erleichtern zudem das Monitoring, da die Plasmaspiegel weitgehend konstant bleiben und dabei die applizierte Dosis unter dem Strich sogar geringer ausfällt. Schwankungen der Plasmakonzentrationen, wie sie bei oraler Medikation üblicherweise auftreten, unterbleiben hier grösstenteils, und ein abrupter Therapieabbruch mit seinen unangenehmen Folgen ist ausgeschlossen, sofern die Pa-
Merk-
sätze
q Viele Schizophreniekranke werden heute auf ein atypisches Neuroleptikum eingestellt.
q Depot-Neuroleptika werden vor allem erwogen, wenn es an der notwendigen Compliance mangelt.
q Das bislang einzig erhältliche atypische Depot-Neuroleptikum ist Risperdal Consta.
q Zwei Studien haben ergeben, dass Patienten direkt von einem oralen Neuroleptikum oder einem konventionellen Depotpräparat auf Risperdal Consta umgestellt werden können.
q Beide Untersuchungen sind aber durch eine kurze Behandlungsdauer (12 Wochen) und ihr offenes Studiendesign limitiert.
tienten den nächsten Arzttermin nicht verpassen. Auch lässt sich bei Gabe von Depot-Neuroleptika mangelnde Wirksamkeit leicht von Non-Compliance unterscheiden. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass die Rehospitalisierungsrate unter Depot-Neuroleptika etwas geringer ausfällt. Dennoch findet diese Therapieform keine ungeteilte Zustimmung, vielmehr bestehen nicht selten Vorbehalte gerade unter den Patienten. Während die einen dankbar entgegennehmen, dass sie über längere Zeit nicht an ihre Medikamente denken müssen, fühlen sich an-
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dere kontrolliert und argwöhnen, ihr Arzt misstraue ihnen. Hinzu kommt, dass die Injektion von manchem als invasiv wahrgenommen wird. Von einigen Psychiatern wird jedoch ein besonderer Vorteil darin vermutet, dass mit Risperdal Consta die Vorzüge eines Atypikums mit denen der Depotinjektion kombiniert werden können. Nach bisherigen Untersuchungen ist die Depotinjektion offenbar so wirksam wie die Einnahme in Tablettenform, ausserdem sollen Sicherheit und Verträglichkeit weitgehend identisch sein. Die Standarddosierung von Risperdal Consta beträgt 25 mg, die Höchstdosis 50 mg, wobei dann vermehrt mit extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen zu rechnen ist. Eine offene Ein-Jahres-Studie von Fleischhacker et al. (2003) kam zu dem Ergebnis, dass Patienten, die von oralen oder Depot-Neuroleptika auf Risperdal Consta umgestellt wurden, eine Verbesserung der Symptomkontrolle erzielten, gemessen am Gesamtscore der PANSS (Positive and Negative Syndrome Scale). An der Untersuchung nahmen über 700 klinisch stabile Patienten teil. Allerdings gibt es bis heute Langzeitdaten nur aus offenen Studien ohne Verblindung der Untersucher.
Umstellung von einem konventionellen Depot-Neuroleptikum
Ungeachtet dessen ist eine Arbeitsgruppe um Martin Turner aus Glasgow in einer kürzlich publizierten Studie der Frage nachgegangen, ob es möglich ist, von einem konventionellen Depot auf Risperdal Consta umzustellen, ohne eine Zwischenphase einzulegen, in der die Patienten zunächst auf orales Risperidon eingestellt werden. In der Studie ging es um die Sicherheit und Verträglichkeit der Umstellung, sekundär auch um die Wirksamkeit des Risperidon-Depots. Es handelte sich um eine 12-wöchige, offene Multizenterstudie. Die Patienten waren bis zum Eintritt in die Studie über mindestens 4 Monate mit einem Depotpräparat der Wirkstoffe Flupenthixol (Fluanxol®), Fluphenazin (Dapotum®), Haloperidol oder Zuclopenthixol (Clopixol®) eingestellt. Sie
wurden direkt auf 25 mg Risperdal Consta umgestellt und erhielten alle 2 Wochen eine Injektion. Frühestens nach 4 Wochen konnte die Dosis bei Bedarf um 12,5 mg bis auf maximal 50 mg erhöht werden. Insgesamt rekrutierte man 196 Patienten für die Studie, 152 absolvierten die komplette Studie. Die Auswertung zeigte, dass die Umstellung gut vertragen wurde. Die Mehrheit (62%) der Patienten verblieb bei der Anfangsdosis von 25 mg Risperdal Consta. Etwa jeder Vierte erhielt vorübergehend zusätzlich Risperidon oral. Extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen traten bei 3 Prozent nach der Umstellung auf. Insgesamt waren die motorischen Symptome bei den Patienten zu Beginn nur leicht und verblieben nach der Umstellung auf diesem Niveau oder liessen noch etwas nach. Nebenwirkungen traten im Übrigen bei 58 Prozent der Patienten auf, zumeist waren sie leichter Natur. 14 Patienten (8%) erlitten jedoch ernsthafte Nebenwirkungen, weswegen zwei Patienten die Therapie abbrechen mussten. Das Gewicht der Patienten nahm im Durchschnitt um 1 Kilogramm zu. Hinsichtlich der Wirksamkeit ist zu bedenken, dass die Patienten bei Eintritt in die Studie stabil waren, wenngleich nicht durchgehend symptomfrei. Vor allem bei der Negativsymptomatik zeigte sich im PANSS eine Verbesserung der Patienten unter Risperdal Consta, unabhängig davon, mit welchem Depot-Neuroleptikum sie zuvor behandelt worden waren. Die Positivsymptomatik, die schon zu Beginn kaum vorhanden war, liess sich mit Risperdal Consta nicht weiter verbessern. Insgesamt erlebten 48 Prozent der Patienten eine Symptomlinderung, die definiert wird als eine mindestens 20-prozentige Reduktion des PANSS-Sores. Auch die allgemeine Krankheitsschwere, dargestellt anhand der Clinical Global Impression (CGI)-Skala, reduzierte sich während der Behandlung signifikant. Die Autoren sehen die Ergebnisse als Hinweis darauf, dass Patienten sicher und effektiv von einem konventionellen DepotNeuroleptikum auf Risperdal Consta umgestellt werden können. Allerdings
weisen sie auch darauf hin, dass es sich um eine offene Studie handle und dass die Therapiedauer kurz war. Längerfristige Untersuchungen müssten die positiven Ergebnisse nun bestätigen. Unabhängig davon ist die Frage aber offen, ob Ärzte tatsächlich Patienten in stabilem Zustand um der Chance einer gewissen Verbesserung willen zu einer Umstellung raten werden.
Umstellung von oralem Neuroleptikum auf Risperidon-Depot
In einer weiteren offenen Multizenterstudie konnte eine Arbeitsgruppe um JeanPierre Lindenmayer aus Manhattan zeigen, dass es offenbar gut möglich ist, von einem oralen Neuroleptikum direkt auf Risperdal Consta zu wechseln, ohne dass eine Phase eingeschoben werden muss, in der Risperidon oral verabreicht wird. An der Untersuchung nahmen 142 Patienten teil, die sich ebenfalls in einem klinisch stabilen Zustand befanden und bislang auf Haloperidol, Quetiapin (Seroquel®) oder Olanzapin eingestellt waren. Dabei wurde die bisherige Medikation nach der ersten Injektion von Risperdal Consta über zwei Wochen konstant fortgeführt und in der dritten Woche (bis zum Wirkungseintritt des Depots) die Dosis allmählich reduziert. Die Patienten behielten alle Komedikationen bei. Von den ursprünglich 142 Patienten absolvierten 114 die gesamte Studie. Psychosen traten bei 6 Prozent der Patienten auf, was von den Autoren weniger auf das Medikament als auf die Erkrankung zurückgeführt wird. Extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen wurden bei 8 Prozent spontan erhoben, am häufigsten in der Gruppe, die zuvor Haloperidol erhalten hatte. Die Symptome waren aber leicht ausgeprägt und wurden mit der Zeit immer schwächer, was sich anhand der ESRS (Extrapyramidal Symptom Rating Scale) dokumentieren liess. Insgesamt nahmen die Patienten 0,4 Kilogramm zu, bei den zuvor mit Haloperidol Behandelten stieg das Gewicht um über 1 kg. Unter Einbezug aller Patienten verbesserte sich der PANSS-Score bei 50 Patienten (38%) signifikant. Die Krankheits-
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schwere wurde zu Beginn bei 43 Prozent nach der CGI-Sklala als sehr leicht bis leicht eingestuft, nach Therapieende fielen 63 Prozent in diese Kategorie. Die Autoren werten dies als Zeichen dafür, dass die Symptome mit Risperdal Consta noch weiter reduziert werden konnten. Als Limitierung ihrer Studie nennen sie das fehlende Vergleichspräparat und die Tatsache, dass andere psychotrope Begleitmedikationen in der Studie zugelassen waren, unter anderem auch orales Risperidon, das jeder dritte Patient zumindest vorübergehend einnahm. Auch der Um-
stand, dass die Untersucher nicht verblin-
det waren, könne zu gewissen Verzerrun-
gen geführt haben. Allerdings, so be-
tonen sie, sei das Hauptziel der Studie die
Beurteilung der Sicherheit der Umstellung
auf Risperdal Consta gewesen, und die sei
unter Beweis gestellt worden.
q
1. Jean-Pierre Lindenmayer et al.: Safety and efficacy of long-acting risperidone in schizophrenia: a 12-week multicenter, open-label study in stable patients switched from typical and atypical oral antipsychotics. J Clin Psychiatry 2004; 65: 1084–1089.
2. Martin Turner, Else Eerdekens et al.: Long-acting injectable risperidone: safety and efficacy in stable patients switched from conventional depot antipsychotics. International Clinical Psychopharmacology 2004; 19: 241–249.
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Interessenkonflikte: J.P. Lindenmayer deklariert unter anderem Beratertätigkeiten für Lilly, Pfizer und Janssen. E. Eerdekens ist Mitarbeiter bei Johnson & Johnson.
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