Transkript
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Melanom: Sonnenlicht ist nicht die einzige Ursache
Sonnenschutz wird dennoch weiter empfohlen
LANCET
Weltweit steigt die Melanominzidenz. Noch gravierender ist, dass auch immer mehr Menschen an dem Tumor sterben. Weltweit sind Kampagnen gestartet worden mit dem Ziel, dass sich Menschen von Kindesbeinen an vor übermässiger Sonnenbestrahlung schützen. Doch UVStrahlung ist offenbar nicht die allein verantwortliche Melanomursache, wie der kanadische Dermatologe Jason K. Rivers in einem Beitrag des «Lancet» aufzeigt.
Das weiss inzwischen fast jedes Kind: zu viel der Sonne ist schädlich, und wer sich häufig die Haut verbrennt, stösst damit womöglich einen Prozess an, in dem gutartige Nävi beginnen, sich in maligne umzuwandeln. Sonnenschutz ist deshalb weithin angesagt und wird heute auch mehr oder weniger beherzigt.
Doch verblendet wäre, wer davon ausginge, dass bei konsequenter Abwehr von UV-Strahlung das Melanom seiner sicheren Ausrottung entgegenginge. Die Situation ist nämlich, wie bei anderen Tumoren auch, komplizierter und komplexer. Eine ganze Zeit hat es gedauert, bis man erkannt hat, dass Menschen, die sich tagsüber zumeist in geschlossenen Räumen aufhalten, häufiger an einem Melanom erkranken als Menschen, die vorwiegend im Freien, der Sonne ausgesetzt, ihrer Tätigkeit nachgehen. Ein scheinbares Paradox, das zu der Vorstellung geführt hat, dass Sonnenlicht sogar bis zu einem gewissen Grad melanompräventiv sein dürfte. Zudem fällt auf, dass viele Melanome sich bei Männern auf dem Rücken und bei Frauen an den Beinen entwickeln – Körperareale, die kaum je permanent der Sonnenstrahlung im Übermass ausgesetzt sind. Auch weiss man, dass allein die Zahl der Nävi das Melanomrisiko erhöht, unabhängig von dem Ausmass der Sonneneinstrahlung.
Scheinbar paradoxe Befunde
Andererseits besteht bis heute kein fundamentaler Zweifel an der pathogenetischen Bedeutung der UV-Strahlung. Vor allem die Tatsache, dass Menschen, die einer erhöhten Strahlung ausgesetzt sind (also die Bevölkerung in Äquatornähe), insgesamt viel häufiger von diesem Tumor betroffen sind. Richtig ist jedoch, dass die Beziehung zwischen Licht und Melanom komplex ist und das Krebsrisiko sicher nicht ohne weiteres oder ausschliesslich anhand der Sonnenexposition bestimmt werden kann. Bei Australiern beispielsweise sind kleine Nävi an den Beinen am dichtesten gesät, hingegen die grossen am Rücken. An den beiden Prädilektions-
Merk-
sätze
q UV-Strahlung ist die wichtigste umweltbedingte Melanomursache. Häufige Sonnenbrände, besonders in der Kindheit, können wahrscheinlich die Transformation von benignen Melanozyten in maligne Zellen auslösen.
q Sonnenlicht ist aber nicht per se hautschädlich. Dafür spricht, dass Menschen, die im Freien arbeiten, ein geringeres Melanomrisiko haben als Menschen, die überwiegend in geschlossenen Räumen ihre Zeit zubringen.
q Obwohl einige Melanome sich aus einem Nävus entwickeln, entsteht die Mehrzahl wahrscheinlich de novo. Nimmt man hinzu, dass viele Melanome an nicht lichtexponierten Körperarealen entstehen, liegt der Schluss nahe, dass es weitere Ursachen der Melanomentstehung geben muss. Genetische Untersuchungen unterstützen diese Vermutung.
q Lichtschutz wird weiterhin als bewährte Massnahme zur Melanomprävention empfohlen. Sonnenstudios sind besonders für hellhäutige Menschen wahrscheinlich auf lange Sicht nicht gefahrlos.
stellen sind auch Tumoren am häufigsten; besonders dem Licht ausgesetzt sind diese Körperstellen aber nicht.
A R S M E D I C I 1 5 q 2 0 0 4 775
FORTBILDUNG q FORMATION CONTINUE
Melanom: Sonnenlicht ist nicht die einzige Ursache
Solarien – eine tickende Zeitbombe?
Insgesamt, macht der Autor klar, dürften überhaupt nur 20 bis 30 Prozent der Melanome tatsächlich aus einem benignen Nävus hervorgehen, sie entstehen also vorwiegend de novo – auch wenn Beobachtungsfehler nicht ganz auszuschliessen sind. Alles in allem jedoch, so der Autor, legen die vorhandenen Befunde nahe, dass es mindestens zwei Wege hin zum Melanom geben muss. Molekulare Forschungen scheinen dies zu bestätigen, wie etwa Untersuchungen zum Vorkommen bestimmter Tumoreigenschaften (TP-53). So zeigte sich, dass TP-53-positive Tumore vorwiegend an Kopf, Hals und Beinen auftreten. Zudem waren öfter Menschen betroffen, die bereits zuvor an einem Nicht-MelanomHautkrebs erkrankt waren. Hingegen werden TP-53-negative Tumore vorwiegend bei Menschen mit Sommersprossen und /oder einer hohen Nävusdichte angetroffen. Neben der Lichtexposition spielt also wahrscheinlich – ganz allgemein gesprochen – eine bestimmte Melanozyteninstabilität eine Rolle. Eine Arbeitsgruppe um Janet Maldonado hat Mutationen im BRAF-Gen untersucht, das häufig Veränderungen aufweist. Insgesamt standen ihnen 115 Hautproben von Melanompatienten zur Verfügung. Die Genuntersuchungen zeigten, dass
Mutationen bei jeder zweiten Hautprobe auftraten, die nicht lichtexponiert war, und nur in 8 Prozent der Melanome, die chronische Lichtschäden aufwiesen. Der Autor zieht daraus folgende Vorstellung: «Bei Menschen, die zu Nävusbildung neigen, können die Melanozyten durch Lichteinwirkung zum Wachstum angeregt werden und dann auch ohne starke Sonneneinwirkung maligne entarten. Menschen, die eine geringe Neigung zu Nävusbildung haben, müssen einer lang dauernden Sonneneinwirkung ausgesetzt sein, um ein Melanom zu entwickeln.» Welche Empfehlungen lassen sich aus alledem ableiten? Zunächst einmal, so der Autor, dürfe nicht daran gerüttelt werden: Sonnenschutz ist für alle Menschen angeraten. Auch wenn «outdoor-workers» ein geringeres Erkrankungsrisiko hätten, würden bei ihnen doch nicht selten auch Melanome an lichtexponierten Köperarealen wie Kopf und Hals entstehen.
Solarien – langfristig gefährlich?
Kritisch beurteilt der Autor das Sonnenbaden in Solarien: «Obwohl uns die Industrie die Sicherheit der Sonnenstudios glaubhaft machen will, steht ein ab-
schliessendes Urteil aus, insbesondere mit Blick auf hellhäutige Menschen.» Es gebe eine «zunehmende Evidenz» dafür, dass der Besuch von Sonnenstudios das Risiko für Nicht-Melanom-Hautkrebs erhöht. Womöglich sei es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Krebsinzidenz bei Solariumsbesuchern erhöhe. Rivers erinnert dabei an die Erfahrungen mit der PUVA-Therapie für Psoriatiker. PUVA wurde im Jahr 1974 eingeführt, und im Jahr 1990 wurde erstmals darüber berichtet, dass diese Patienten ein erhöhtes Risiko für ein Plattenepithelkarzinom tragen. Grundlage war eine Kohortenstudie mit 1380 Patienten. Noch ein paar Jahre später wurde offenkundig, dass auch das Melanomrisiko für PUVA-Patienten auf lange Sicht deutlich – um das Fünffache – ansteigt. Bei vielen entwickelte sich der Tumor mehr als 15 Jahre nach der ersten PUVA-Therapie. «Bei den Solarien könnte der Effekt noch gravierender sein», mahnt der Dermatologe. Rivers spricht sich in seinem Beitrag für die Anwendung von Sonnenschutzcremes mit hohem Lichtschutzfaktor aus. Damit würde das Verbrennungsrisiko gesenkt, und bestimmte Arbeiten zeigten, dass Melanome an Kopf und Hals tatsächlich seltener vorkommen. In einer eigenen Untersuchung hatte die Arbeitsgruppe um Rivers zeigen können, dass entsprechend geschützte Kinder weniger Nävi entwickeln. Auf lange Sicht könne deshalb mit einer wenn auch begrenzten Abnahme des Melanomrisikos gerechnet werden. Allerdings, beklagt Rivers, würden die Sonnencremes oft nicht richtig angewendet, auch darum seien sie immer nur als Teil einer allgemeinen Strategie (Vermeiden der Sonne in der Mittagszeit, Schatten aufsuchen, schützende Kleidung und Kopfbedeckung tragen) zu propagieren.
q
Jason K. Rivers: Is there more than one road to melanoma? Lancet 2004; 363: 728–730.
Uwe Beise
Interessenkonflikte: keine
776 A R S M E D I C I 1 5 q 2 0 0 4