Transkript
STUDIE REFERIERT
Welche Schlafdauer ist für welche Lebensphase angemessen?
Empfehlungen der US-amerikanischen National Sleep Foundation
Wie viel Schlaf brauchen wir wirklich? Diese Frage beschäftigt viele Menschen nicht nur im Hinblick auf ihre eigene Gesundheit, sondern auch als Eltern von Säuglingen, Klein- oder Schulkindern. Ein Expertengremium in den USA hat auf der Basis eines Literaturreviews nun Empfehlungen für eine altersangemessene Schlafdauer veröffentlicht.
Sleep Health
Ziel der National Sleep Foundation (NSF), einer US-amerikanischen NonProfit-Organisation, ist es, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Bevölkerung durch Schulung und Beratung zur Schlafhygiene zu verbessern. Millionen Menschen in den Vereinigten Staaten suchen jedes Jahr auf der Website der NSF nach Ratschlägen hinsichtlich einer ausreichenden Schlafdauer.
Expertenpanel und Methodik Die NSF hat nun ein 18-köpfiges multidisziplinäres Expertenpanel sowohl aus Schlafmedizinern als auch Vertretern anderer Disziplinen einberufen, welches einen systematischen Literaturreview durchgeführt und mittels der RAND/ UCLA Appropriateness Method
MERKSÄTZE
O Die altersangemessene Schlafdauer gesunder Individuen mit normalem Schlaf liegt gemäss den Empfehlungen der NSF für Neugeborene zwischen 14 und 17 Stunden, für Säuglinge zwischen 12 und 15 Stunden, für Kleinkinder zwischen 11 und 14 Stunden, für Vorschulkinder zwischen 10 und 13 Stunden und für Schulkinder zwischen 9 und 11 Stunden.
O Teenager sollten 8 bis 10, Erwachsene 7 bis 9 und Senioren 7 bis 8 Stunden lang schlafen.
(RAM) altersspezifische Empfehlungen zur Schlafdauer formuliert hat. In die Literaturrecherche einbezogen wurden zwischen 2004 und 2014 in Peer-reviewed-Journalen publizierte englischsprachige Arbeiten zu Studien an gesunden Probanden. Gegenstand der Analyse war die medizinisch-wissenschaftliche Forschung hinsichtlich der Schlafdauer, der Effekte von verkürzten oder verlängerten Schlafzeiten und der gesundheitlichen Auswirkungen von zu wenig oder zu viel Schlaf. In insgesamt 58 Suchläufen mit verschiedenen Schlagwörtern zu Schlaf, Altersgruppen oder klinischen Ergebnissen wurden 2412 Artikel herausgefiltert, von denen 575 im Volltext analysiert wurden. Wiederum 312 davon entsprachen den Einschlusskriterien für den systematischen Review. Um zu Empfehlungen für die Schlafdauer zu gelangen, wendete das Panel eine zweiphasige modifizierte DelphiRAM zur Synthese von wissenschaftlicher Evidenz und Expertenmeinungen an. Die Mitglieder des Panels ordneten jegliche mögliche Schlafdauer (0–24 h) hinsichtlich ihrer Eignung den folgenden drei Kategorien zu: O angemessen: der zu erwartende Nut-
zen überwiegt die zu erwartenden negativen Konsequenzen O unangemessen: die zu erwartenden negativen Konsequenzen überwiegen den zu erwartenden Nutzen O unsicher.
Die «Geeignetheitsskala» umfasste Werte von 1 (äusserst unangemessene Anzahl
an Schlafstunden) bis 9 (äusserst angemessene Anzahl an Schlafstunden). Dabei flossen sowohl allgemeine als auch kognitive, physische und emotionale Gesundheitskriterien in die Bewertung ein. Ausserdem berücksichtigten die Panelmitglieder, ob die Bewertung auf der Basis überzeugender oder eher schwacher wissenschaftlicher Evidenz erfolgte beziehungsweise ob sie auf Expertenmeinungen oder auf eigenen Erfahrungen abstützte. Das Expertenpanel trat innert neun Monaten insgesamt viermal zusammen und nahm an zwei Bewertungsrunden teil. In der ersten Runde erfolgte eine individuelle unabhängige Bewertung der in der ausgewählten Literatur angegebenen jeweiligen Schlafdauer für jede der vordefinierten Alterskategorien (siehe Tabelle). Das zweite Votum erfolgte während eines persönlichen Treffens. Hier erhielten die Mitglieder ein individualisiertes Dokument, welches neben den eigenen auch sämtliche Erstrundenbewertungen der anderen Teilnehmer inklusive deren Streuung enthielt. Die abschliessende zweite Bewertung erfolgte jeweils nach erfolgter Gruppendiskussion zu strittigen Punkten. Hierbei wurde zwar ein Konsens angestrebt, Meinungsverschiedenheiten wurden aber nicht unterdrückt.
Ergebnisse
Für die Auswertung der Voten wurde eine Schlafdauer mit einer durchschnittlichen Bewertung von 1 bis 3 als «unangemessen», eine mit einem Score von 4 bis 6 als «unsicher» und eine mit einer Punktzahl zwischen 7 und 9 bewertete Schlafdauer als «angemessen» klassifiziert. Als divergierende Meinungen der Panelmitglieder wurden Voten definiert, in denen mehr als 20 Prozent (3 von 18) mit ihrer Bewertung ausserhalb der jeweiligen, den Mittelwert umfassenden Drei-Punkte-Kategorie lagen. Als «unsicher» galten darüber hinaus unabhängig vom jeweiligen Mittelwert auch alle Ratings, in denen sich die Experten nicht zu einer Einigung durchringen konnten. Als Grundlage für die von der NSF herausgegebenen Empfehlungen (siehe Tabelle) wurde jede Schlafdauer altersbezogen einer der folgenden Kategorien zugeordnet: O angemessen: mittlerer Score 7–9 mit
Konsens
ARS MEDICI 11 I 2015
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STUDIE REFERIERT
Tabelle:
Vom Expertenpanel der National Sleep Foundation empfohlene altersangemessene Schlafdauer
Altersgruppe
Empfohlen (h)
Neugeborene (0–3 Monate)
Säuglinge (4–11 Monate)
Kleinkinder (1–2 Jahre)
Vorschulkinder (3–5 Jahre)
Schulkinder (6–13 Jahre)
Teenager (14–17 Jahre)
Junge Erwachsene (18–25 Jahre)
Erwachsene (26–64 Jahre)
Ältere Erwachsene (≥ 65 Jahre)
14–17 12–15 11–14 10–13 9–11 8–10 7–9 7–9 7–8
Möglicherweise angemessen (h)
11–13 18–19
10–11 16–18
9–10 15–16
8–9 14
7–8 12
7 11
6 10–11
6 10
5–6 9
Nicht empfohlen (h)
< 11 > 19
< 10 > 18
<9 > 16
<8 > 14
<7 > 12
<7 > 11
<6 > 11
<6 > 10
<5 >9
Die Relevanz der Schlafdauer
ist begrenzt
Die Autoren des Reviews räumen ein,
dass in der Literatur, hauptsächlich im
Fall von Publikationen zu Populations-
oder Kohortenstudien, häufig nicht
zwischen den im Bett verbrachten Zei-
ten und den eigentlichen Schlafzeiten
unterschieden wird, woraus sich ein
Datenbias in Richtung einer längeren
Schlafdauer ergibt. Interventionsstu-
dien, welche die in Schlaflabors gemes-
senen Schlafzeiten auswerten, ergeben
dagegen typischerweise niedrigere
Werte der Schlafdauer.
Darüber hinaus existieren neben den
reinen Schlaf- oder Bettzeiten noch an-
dere Parameter, die einen Einfluss auf
den Erholungswert des Schlafes aus-
üben, wie etwa die Schlafqualität, die
Schlafarchitektur oder auch die Schlaf-
zeiten während des Tages. Für eine Eva-
luation des Einflusses solcher Faktoren,
die sich anhand von im Rahmen von
Kohortenstudien von den Probanden
selbst berichteten Daten nur schwer er-
fassen lassen, ist weitere Forschung
notwendig.
O
Ralf Behrens
O möglicherweise angemessen für bestimmte Individuen: mittlerer Score ≥ 4 mit Dissens
O wahrscheinlich nicht angemessen: mittlerer Score ≤ 3.
Das Expertengremium unterstreicht, dass manche Menschen durchaus ohne negative Effekte mit einer längeren
oder kürzeren Schlafdauer als empfohlen zurechtkommen können. Gleichwohl sei allerdings in Erwägung zu ziehen, dass Individuen mit Schlafzeiten weit ausserhalb der Norm sich möglicherweise willentlich einer Schlafrestriktion unterziehen oder aber dass bei ihnen ernste gesundheitliche Probleme vorliegen.
Hirshkowitz M et al.: National Sleep Foundation's sleep time duration recommendations: methodology and results summary. Sleep Health 2015; http://dx.doi.org/ 10.1016/j.sleh.2014.12.010.
Interessenkonflikte: keine Angaben im Originalmanuskript.
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