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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
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COPD
... oder 1000 Schritte tun
Körperliche Passivität ist ein Hauptmerkmal der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und geht mit erhöhter Morbidität und Mortalität einher. Es bestehen Hinweise, dass die selbst in frühen Erkrankungsstadien ausgeprägte körperliche Inaktivität von COPD-Patienten unabhängig voneinander mit Dyspnoe, verminderter Lebensqualität, Verlust von Muskelkraft und -ausdauer sowie mit häufigeren akuten Exazerbationen assoziiert ist. Gemäss internationalen Guidelines sollten COPD-Patienten angehalten werden, täglich mindestens 30 Minuten spazieren zu gehen. Doch entsprechende Ratschläge allein sind oft nicht ausreichend, damit Betroffene ihren sitzlastigen Lebensstil ändern. Als ein einfach anzuwendendes Werkzeug, welches dem Patienten eine Rückmeldung über das Ausmass seiner täglichen Bewegung gibt, könnten Schrittzähler, die sich in dieser Hinsicht bei Gesunden bereits bewährt haben, möglicherweise geeignet sein, die körperliche Aktivität auch von COPD-Patienten zu steigern. Eine chilenische Forschergruppe hat eine randomisierte,
kontrollierte, verblindete Parallelgruppenstudie durchgeführt, in der die insgesamt 97 Teilnehmer (60,8% Männer, mittleres Alter: 68,7 ± 8,5 Jahre) eines dreimonatigen individualisierten Programms zur Steigerung der körperlichen Aktivität entweder lediglich eine standardmässige (n = 47) oder aber eine pedometerterbasierte Unterstützung (n = 50) für das Erreichen ihrer Ziele erhielten. Untersucht wurde, ob und inwieweit Parameter der körperlichen Leistungsfähigkeit, wie die über eine Woche ermittelte durchschnittliche tägliche Schrittzahl und die Sechs-Minuten-Gehstrecke (6MWD), sowie die Ergebnisse der modifizierten Medical-Research-Council-Skala, des St. George’s Respiratory Questionnaire (SGRQ) und des COPD-Assessment-Tests (CAT) sich in beiden Gruppen voneinander unterscheiden. Die Patienten beider Studiengruppen wiesen zu Beginn der Untersuchung Werte von FEV1 (forciertes exspiratorisches Volumen in 1 s = Einsekundenkapazität) und FEV1/FVC (Einsekundenkapazität in Beziehung zur forcierten
Vitalkapazität; Tiffeneau-Test)
von 66,1 ± 19,4 Prozent be-
ziehungsweise 55,2 ± 9,5
Prozent sowie weitere
vergleichbare Charak-
teristika auf. Bei denje-
nigen Patienten, deren
Aktivitätssteigerungs-
programm durch den Ein-
satz eines Schrittmachers
ergänzt worden war, verbesser-
ten sich gegenüber den standardmäs-
sig unterstützten Studienteilnehmern nach
Ablauf der Untersuchungsperiode nicht nur
die Messwerte der körperlichen Aktivität
(3080 ± 3254 vs. 138,3 ± 1950 Schritte/Tag;
p Ͻ 0,001) und des 6MWD (12,4 ± 34,6 vs. -0,7
± 24,4 m; p = 0,02), sondern auch die Ergeb-
nisse im SGRQ (-8,8 ± 12,2 vs. -3,8 ± 10,9;
p = 0,01) und im CAT (-3,5 ± 5,5 vs. -0,6 ± 6,6;
p = 0,001) signifikant deutlicher. Der Einsatz
von Pedometern im Rahmen von Mass-
nahmen zur Aktivitätssteigerung bei COPD
kann offensichtlich nicht nur der Motivation
zur körperlichen Betätigung, sondern auch
der Lebensqualität der Patienten einen ent-
scheidenden Schub verleihen.
RABEO
Mendoza L et al.: Pedometers to enhance physical activity in COPD: a randomised controlled trial. Eur Respir J 2015; 45(2): 347–354.
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Darmkrebsscreening
Sigmoidoskopie nur bei ausreichender Lebenserwartung sinnvoll
Studiendaten belegen, dass ein Screening mittels «kleiner Darmspiegelung» (Sigmoidoskopie) zwar die Mortalitätsrate kolorektaler Karzinome senken, allerdings auch negative Auswirkungen, darunter Schmerzen, Angst und Darmperforation sowie kardiale, renale oder kognitive Komplikationen, haben kann. Bei der Sigmoidoskopie werden im Gegensatz zur vollständigen Darmspiegelung (Koloskopie) lediglich der Mastdarm (Rektum) und die letzten 30 bis 40 cm des Dickdarms (Sigma) mit einem flexiblen Videoendoskop untersucht, was mit dem Vorteil einer zuvor weniger aufwendigen Darmvorbereitung verbunden ist. Während sich der Nutzen eines Screenings allerdings viele Jahre lang nicht zu erkennen gibt, zeigen sich die negativen Effekte sofort. Aus diesem Grund empfehlen aktuelle Guidelines auch, dass sich das Screening auf ältere Patienten im Alter zwischen 50 und 74
Jahren beschränken sollte, deren verbleibende Lebenserwartung die für einen Nutzen des Darmkrebsscreenings erforderliche Zeit überwiegt. Eine Forschergruppe von Medizinern und Geriatern aus San Francisco, USA, hat nun mittels eines systematischen Reviews versucht, den Zeitrahmen zu bestimmen, der erforderlich ist, damit ein Nutzen einer zum Zweck des Darmkrebsscreenings eingesetzten Sigmoidoskopie augenfällig wird. Dazu wurde eine Literaturrecherche auf Basis eines 2013 veröffentlichten CochraneReviews sowie der Cochrane- und MedlineDatenbanken durchgeführt. Es konnten vier randomisierte, kontrollierte, populationsbasierte Studien (insgesamt n = 459 814) identifiziert werden, die hinsichtlich der Darmkrebsmortalität ein Screening mittels Sigmoidoskopie mit keinerlei Screening verglichen hatten. Die Analyse ergab, dass es
durchschnittlich 4,3 Jahre (95%-Konfidenzintervall: 2,8–5,8 Jahre) dauert, bis eine Reduktion des absoluten Risikos um 0,0002 (je 5000 durchgeführte Sigmoidoskopiescreenings verhindern 1 mit kolorektalem Karzinom assoziierten Todesfall) zu beobachten ist. Und es vergehen 9,4 (7,6–11,3) Jahre, bis sich das absolute Risiko um 0,001 (je 1000 durchgeführte Sigmoidoskopiescreenings verhindern 1 mit kolorektalem Karzinom assoziierten Todesfall) reduziert. Aus diesen statistischen Daten leiten die Autoren des Reviews die Empfehlung ab, dass ein Darmkrebsscreening mittels Sigmoidoskopie am besten für ältere Erwachsene geeignet ist, die eine verbleibende Lebenserwartung von mehr als etwa 10 Jahren haben. RABEO
Tang V et al.: Time to benefit for colorectal cancer screening: survival meta-analysis of flexible sigmoidoscopy trials. BMJ 2015; 350: h1662.
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ARS MEDICI 10 I 2015
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Adipositas
Kommerzielle Abnehmprogramme könnten sich lohnen
Rund zwei Drittel der amerikanischen Bevölkerung sind übergewichtig oder sogar adipös und von daher einem erhöhten Risiko für Bluthochdruck und Diabetes Typ 2 ausgesetzt. Eine Gewichtsreduktion kann die Entwicklung dieser chronischen Störungen verhindern oder zumindest deren Beherrschung verbessern. Etwa 63 Prozent aller übergewichtigen Amerikaner haben irgendwann in ihrem Leben ernsthaft versucht, abzunehmen; 29 Prozent geben an, zurzeit daran zu arbeiten. Im Jahr 2014 betrug die insgesamt von der amerikanischen Bevölkerung für die angestrebte Gewichtsreduktion an entsprechende kommerzielle oder firmeneigene Dienstleister – darunter WeightWatchers (45% Marktanteil), Nutrisystem (14%) und Jenny Craig (13%) als populärste Unternehmen – bezahlte Gesamtsumme gemäss Schätzungen etwa 2,5 Milliarden US-Dollar. Die Erträge solcher Programme zur Gewichtsreduktion werden künftig wohl noch weiter steigen, denn die Anbieter erwarten im Zuge der von der US-Regierung 2010 verabschiedeten Gesetzesvorgabe zur Gesundheitsvorsorge (Patient Protection and Affordable Care Act, PPACA), welche auch die Implementierung eines Adipositasscreenings umfasst, eine weiter zunehmende Anzahl von Zuweisungen durch Ärzte. Die Wirksamkeit solcher Abnehmprogramme ist jedoch umstritten. Eine Arbeitsgruppe um Kimberly A. Gudzune von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore, Maryland, hat nun im Rahmen eines systematischen Literaturreviews untersucht, inwieweit sich kommerzielle oder firmeneigene Gewichtsreduktionsprogramme, eine ärztliche Gewichtskontrolle beziehungsweise Patientenunterweisung oder aber eine Verhaltenstherapie hinsichtlich des Abnehmerfolgs, der Therapietreue und der Nebenwirkungen unterscheiden. Dazu suchten die Wissenschaftler in Medline und der Cochrane Database of Systematic Reviews nach entsprechenden bis November 2014 gelisteten randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) beziehungsweise nach prospektiven Fallserien (nur Nebenwirkungen) von mindestens 12-wöchiger Dauer. Insgesamt gingen 45 Arbeiten, darunter 39 RCT, in die Metaanalyse ein. Nach 12 Monaten wiesen Teilnehmer des WeightWatchers-Programms einen um mindestens 2,6 Prozent höheren Gewichtsrückgang auf als diejenigen
Patienten, die sich lediglich einer ärztlichen Kontrolle/Unterweisung (keine Intervention, Abgabe ausschliesslich gedruckter Informationsmaterialien, Lehrplan zur Gesundheitserziehung oder Ͻ 3 Sitzungen mit einem medizinischen Dienstleister ) unterzogen hatten. Jenny-Craig-Teilnehmer erreichten nach 12 Monaten eine um 4,9 Prozent stärkere Gewichtsabnahme als Patienten unter Kontrolle/ Unterweisung oder unter Verhaltenstherapie (Ͼ 3 Konsultationen eines medizinischen Dienstleisters). Nutrisystem-Teilnehmer verzeichneten nach 3 Monaten eine um mindesten 3,8 Prozent stärkere Gewichtsabnahme als Patienten unter Kontrolle/Unterweisung oder unter Verhaltenstherapie. Auf stark kalorienreduzierenden Diäten basierende Programme (Health Management Resources, Medifast, OPTIFAST) erzielten einen um mindestens 4,0 Prozent stärkeren kurzzeitigen Gewichtsrückgang als eine Verhaltenstherapie; dieser Effekt schwächte sich jedoch jenseits eines Zeitraums von 6 Monaten wieder ab. Das Atkins-Programm konnte gegenüber einer Verhaltenstherapie nach 12 Monaten eine um 0,1 bis 2,9 Prozent höhere Gewichtsabnahme erzielen. Für SlimFast ergaben sich widersprüchliche Resultate. Für eine Einschätzung sämtlicher Programme hinsichtlich der Nebenwirkungen und der Therapietreue beziehungsweise für eine Aussage zum Gewichtseffekt anderer kommerzieller Abnehmprogramme war die Evidenzlage nicht ausreichend aussagekräftig. Einschränkend ist zu berücksichtigen, dass zahlreiche der analysierten Studien nur von kurzer Dauer (Ͻ 12 Monate) waren, unter einer hohen Abbrecherrate litten und eine Verblindung vermissen liessen. Dennoch empfehlen die Autoren der Metaanalyse auf der Basis der erhobenen Daten, übergewichtige oder adipöse Patienten zu einer Teilnahme an WeightWatchers- oder Jenny-Craig-Programmen zu motivieren. Auch andere populäre Abnehmprogramme zeigten vielversprechende Ergebnisse hinsichtlich ihres Effekts auf die Gewichtsreduktion, allerdings sind zur Beurteilung potenzieller langfristiger Behandlungserfolge weitere Studien erforderlich.
RABEO
Gudzune KA et al.: Efficacy of commercial weight-loss programs: an updated systematic review. Ann Intern Med 2015; 162(7): 501–512.
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
«Vitaminarzt» vor Gericht
In Südafrika muss sich der umstrittene deutsche Arzt Matthias Rath vor Gericht verantworten. Er propagiert Vitaminpillen gegen HIV und bezeichnet antiretrovirale Medikamente als Gift, durch das Aids erst entstehen würde. Wer diese Medikamente verwende und propagiere, sei nur ein Erfüllungsgehilfe der Pharmaindustrie, so seine Verschwörungstheorie. Auch Krebsmedikamente seien von Übel, so Rath. Im Jahr zuvor starb ein krebskrankes Kind, dessen Eltern sich anstelle der Schulmedizin auf Raths Vitamine verlassen hatten. In Deutschland wird Rath 2006 wegen Verstössen gegen das Arznei- und Heilmittelgesetz angeklagt.
Vor 50 Jahren
Influenza
Um mehr über die Übertragbarkeit tierischer Influenzaviren auf den Menschen zu erfahren, führt das NIH in den USA einen Versuch mit fünf Freiwilligen durch, die mit Pferdeinfluenza infiziert werden. Gleichzeitig wird die Wirksamkeit verschiedener Impfstoffe geprüft. Das Resultat: Das Pferdevirus verursacht auch beim Menschen Influenzasymptome, und die vorherige Impfung mit abgetöteten Viren schützt davor. Ausserdem ergeben weitere Experimente mit verschiedenen menschlichen Virusvarianten, dass der Influenzaimpfstoff möglichst genau auf die jeweilige Variante zugeschnitten sein sollte und darum für jede Grippesaison ein neuer gemacht werden muss.
Vor 100 Jahren
Giftgas
Im Ersten Weltkrieg setzt Deutschland Ende
April 1915 in Belgien erstmals Giftgas ein.
Dies galt bereits damals als Kriegsverbre-
chen, denn Gift oder vergiftete Waffen wurden
1907 in der Haager Konvention geächtet. Im
weiteren Verlauf des Ersten Weltkriegs ver-
wendeten auch die anderen Kriegsparteien
Giftgas, neben flüssigem Chlor vor allem
Phosgen und Senfgas. Zehntausende von
Soldaten sterben am Giftgas, rund eine Mil-
lion wird verätzt. Auch nach Ende des Kriegs
sterben ehemalige Soldaten an den Spätfol-
gen der Vergiftung.
RBOO
ARS MEDICI 10 I 2015