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STUDIE REFERIERT
Antihypertensiva senken Herz-KreislaufRisiken nahezu unabhängig von der Leibesfülle
Metaanalyse liefert nur wenige Hinweise auf eine Abhängigkeit des protektiven Effekts vom BMI
Nach wie vor wird diskutiert, ob der kardiovaskuläre Nutzen einer blutdrucksenkenden Therapie bei adipösen Patienten im Vergleich zu Normalgewichtigen von der Auswahl der Medikamente abhängt. Um diese Hypothese zu prüfen, haben Wissenschaftler der Blood Pressure Lowering Treatment Trialists’ Collaboration anhand umfangreicher Studiendaten die Effekte diverser antihypertensiver Behandlungsregime auf kardiovaskuläre Risikoparameter bei Patienten mit unterschiedlichen Body-Mass-Index(BMI-)Ausgangswerten miteinander verglichen. Dabei zeigte sich eine nur geringe Evidenz für die Annahme, dass einzelne Substanzen bei schlanken gegenüber übergewichtigen Patienten hinsichtlich der kardiovaskulären Risikoreduktion zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
Lancet
Seit Langem ist unstrittig, dass die therapeutische Reduzierung zu hoher Blutdruckwerte bei verschiedenen Patientengruppen das kardiovaskuläre Risiko substanziell vermindern kann. Die Frage, ob eine zusätzlich bestehende Adiposi-
MERKSÄTZE
O Die Metaanalyse auf der Basis randomisierter Studien aus der Blood Pressure Lowering Treatment Trialists’ Collaboration ergab kaum Hinweise auf eine Beeinflussung der antihypertensivavermittelten kardiovaskulären Risikoreduktion durch unterschiedliche BMI-Werte.
O Am ehesten scheinen ACE-Hemmer in ihrer Wirkung in Abhängigkeit vom BMI zu differieren. Der durch sie erzielte protektive kardiovaskuläre Effekt erwies sich bei Patienten mit höherem BMI als geringfügig grösser.
O In der Gesamtschau sind die Daten jedoch nicht hinreichend überzeugend, um ein verändertes klinisches Vorgehen im Sinne einer bestimmten Medikamentenauswahl bei adipösen Patienten zu begründen.
tas die Beziehung zwischen Hypertonie und kardiovaskulärem Risiko beeinflusst, ist jedoch noch nicht geklärt. Verstärkt wird die diesbezügliche Unsicherheit noch durch die Vermutung, dass sich die Pathogenese des Bluthochdrucks bei fettleibigen und schlanken Individuen unterscheidet. Bis anhin in dieser Richtung durchgeführte Post-hoc-Analysen waren in ihren Ergebnissen hinsichtlich des Effekts blutdrucksenkender Medikamente bei verschiedenen Baseline-Body-MassIndex-(BMI-)Werten heterogen. Im Jahr 2013 hatte eine Folgeanalyse der ACCOMPLISH-Studie ergeben, dass das Diuretikum Hydrochlorothiazid im Vergleich zu dem Kalziumkanalblocker Amlodipin bei normalgewichtigen Hypertoniepatienten weniger effektiv ist, jedoch bei adipösen Hypertonikern in Kombination mit einem ACE-(Angiotensin-converting enzyme-)Hemmer die gleiche Wirksamkeit aufweist. Aus diesen Resultaten wurde in der Folge zum einen die Empfehlung abgeleitet, dass die Körpermasse bei der Auswahl geeigneter blutdrucksenkender Medikamente als entscheidender Faktor ins Kalkül einbezogen werden sollte, während von anderen ein dringender Bedarf nach besserer Evidenz angemahnt wurde.
Umfangreiche Metaanalyse
Mitarbeiter der Blood Pressure Lowering Treatment Trialists’ Collaboration (BPLTTC) haben nun auf der Basis des aus zahlreichen Studien zum Effekt antihypertensiver Wirkstoffe auf die kardiovaskuläre Mortalität und Morbidität vorliegenden umfangreichen Datenmaterials verschiedene blutdrucksenkende Therapieregime bezüglich ihres Einflusses auf das kardiovaskuläre Risiko bei nach Ausgangs-BMIWerten kategorisierten Patientengruppen (normal: BMI < 25 kg/m2; übergewichtig: 25 bis < 30 kg/m2; adipös: > 30 kg/m2) miteinander verglichen. Zu diesem Zweck haben die Wissenschaftler aus der umfangreichen BPLTTC-Datenbank diejenigen Studien herausgefiltert, die bestimmte vorgegebene Kriterien erfüllten. So wurden etwa Untersuchungen in die Analyse eingeschlossen, die Patienten randomisiert einer Therapie mit einem blutdrucksenkenden Medikament beziehungsweise Plazebo, verschiedenen Wirkstoffkonzentrationen oder bestimmten, auf einzelnen Substanzklassen basierenden Regimen zugewiesen hatten. Ausserdem mussten die Studien jeweils ein geplantes Followup von mindestens 1000 Patientenjahren in jeder randomisierten Gruppe aufweisen. Von insgesamt 546 gescreenten Untersuchungen blieben letztlich 22 Studien übrig, die Eingang in die quantitative Synthese und Metaanalyse fanden. Als primäre Determinante des untersuchten Effekts wurde die Gesamtzahl wesentlicher kardiovaskulärer Ereignisse definiert, welche Schlaganfall (nicht tödlich oder tödlich), koronare Herzkrankheit (KHK, als Ursache für nicht tödlichen Myokardinfarkt oder Tod inkl. plötzlicher Herztod), Herzinsuffizienz (mit Todesfolge oder als Ursache für Hospitalisierung) sowie kardiovaskulären Tod anderer Ursache umfassten. Sekundäre Determinanten waren der ursachenspezifische Outcome hinsichtlich Schlaganfall, KHK, Herzinsuffizienz und kardiovaskulären Tods sowie die Gesamtsterblichkeit.
Datenauswertung
Bei der Analyse der Daten der 22 Studien mit insgesamt 135 715 Individuen und 14 353 kardiovaskulären Ereignissen wurden zunächst sechs verschiedene
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HR pro kg/m2 p-Wert Abbildung: Proportional
ACE-Hemmer vs. Plazebo Kalziumantagonist vs. Plazebo Intensivere vs. weniger intensive Therapie ACE-Hemmer vs. Betablocker oder Diuretika
0,99 (0,90–1,08) 0,86 (0,65–1,14) 1,06 (0,82–1,38) 0,94 (0,89–0,98)
0,790 0,296 0,661 0,002*
höheres relatives Risko des Auftretens wesentlicher kardiovaskulärer Ereignisse bei Anstieg des BMI um
ACE-Hemmer vs. Diuretika ACE-Hemmer vs. Betablocker Kalziumantagonist vs. Betablocker oder Diuretika Kalziumantagonist vs. Diuretika Kalziumantagonist vs. Betablocker Kalziumantagonist vs. Betablocker und Diuretika ACE-Hemmer vs. Kalziumantagonist
0,93 (0,89–0,98) 0,98 (0,83–1,15) 0,99 (0,95–1,02) 0,90 (0,53–1,51) 0,85 (0,42–1,73) 1,00 (0,89–1,12) 0,93 (0,89–0,98)
0,002* 0,780 0,403 0,686 0,653 0,933 0,004*
jeweils 5 kg/m2 für Patienten unter dem erstgenannten Therapieregime im Vergleich mit jenen, die die zweitgenannte Behandlung erhielten. (nach Ying A et al.)
0,5 1
2
Erstgenannte Therapie effektiver
Erstgenannte Therapie effektiver
bei höherem BMI
bei niedrigerem BMI
HR = Hazard-Ratio ACE = angiotensin-converting enzyme BMI = Body-Mass-Index *signifikante p-Werte
vordefinierte Behandlungsregime miteinander verglichen: O ACE-Hemmer-basierte Regime
vs. Plazebo; O kalziumantagonistenbasierte Regime
vs. Plazebo; O intensivere vs. weniger intensive
Regime; O ACE-Hemmer-basierte Regime
vs. diuretika- beziehungsweise betablockerbasierte Regime; O kalziumantagonistenbasierte Regime vs. diuretika- beziehungsweise betablockerbasierte Regime; O ACE-Hemmer-basierte Regime vs. kalziumantagonistenbasierte Regime.
Zusätzlich wurden die Effekte kalziumantagonisten- beziehungsweise ACEHemmer-basierter Behandlungsschemata jeweils denen allein betablockeroder diuretikabasierter Regime gegenübergestellt. Um potenzielle Interaktionen zwischen dem BMI und dem Ausmass der Reduktion des kardiovaskulären Risikos in jedem der primären sechs Vergleiche detektieren zu können, wurden drei Analysensets durchgeführt: O Metaanalysen zur Abschätzung der
proportionalen Risikoreduktion mit verschiedenen antihypertensiven Regimen in jeder der drei BMI-Subgruppen; O statistische Prüfung einer Interaktion zwischen Therapieregime und BMI als kontinuierliche Variable per Cox-Regression; O Random-Effects-Metaregressionsanalyse zur Untersuchung einer
Assoziation zwischen Blutdrucksenkung und dem relativen Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse in jeder der drei BMI-Subgruppen.
Keine überzeugenden Hinweise
für BMI-Einfluss
Hinsichtlich des zusammengesetzten Endpunkts der Gesamtheit kardiovaskulärer Events ergaben sich in keinem der sechs primären Therapievergleiche statistisch signifikante Hinweise auf eine Abhängigkeit des durch die antihypertensive Behandlung erzielten günstigen Effekts vom Ausgangs-BMIWert (p > 0,20 für alle Vergleiche). Bei der Untersuchung der sekundären Determinanten möglicher Therapieeffekte zeigte sich nur in 2 der insgesamt 30 durchgeführten Vergleichskalkulationen ein unterschiedlich ausgeprägter Therapienutzen in den drei BMI-Subgruppen: Zum einen war der Schutz vor KHK bei Gabe eines ACE-Hemmers gegenüber Plazebo bei Patienten mit niedrigerem BMI höher (p = 0,02), und zum anderen war die Mortalität jedweder Ursache unter Kalziumantagonisten versus Plazebo bei Patienten mit höherem BMI niedriger (p = 0,04). Auch bei der Analyse der Daten unter Vorgabe des BMI nicht als kategorialer, sondern kontinuierlicher Variable deutete sich weder beim Vergleich der Effekte von ACE-Hemmern oder Kalziumantagonisten gegenüber Plazebo noch beim Vergleich weniger intensiver mit intensiveren Regimen noch bei der Head-to-head-Gegenüberstellung von einerseits kalziumantagonistenbasier-
ten und andererseits kombinierten diuretika- und betablockerbasierten Regimen an, dass die Behandlungseffekte auf das kardiovaskuläre Outcome der Patienten von deren unterschiedlichen BMI-Werten beeinflusst werden (siehe Abbildung). Lediglich für den Vergleich von ACEHemmer-basierten mit kalziumantagonistenbasierten Regimen ergab sich ein leichter Trend in Richtung einer ausgeprägteren Protektion durch ACEHemmer bei Patienten mit höherem BMI (siehe Abbildung). In der Analyse der Studien, die ACEHemmer mit kombinierten Regimen aus Diuretika und Betablockern verglichen hatten, erwies sich die protektive Wirkung der ACE-Hemmer ebenfalls bei Patienten mit höherem BMI als stärker, wofür der auch bei Gegenüberstellung von ACE-Hemmern und Diuretika allein beobachtete gleiche Effekt verantwortlich zu sein scheint (siehe Abbildung). Die Metaregressionsanalysen dagegen ergaben wiederum keinerlei Hinweise darauf, dass das Ausmass der Assoziation zwischen systolischer Blutdrucksenkung und kardiovaskulärer Risikoreduktion für die drei BMI-Subgruppen unterschiedlich ist (p = 0,49). Gleiches gilt auch für sämtliche sekundären Endpunkte (p > 0,15 für alle). Zusammengefasst zeigte sich in der Analyse der Daten lediglich in zwei Situationen eine Interaktion zwischen BMI und der antihypertensiven Therapie, und zwar zum einen beim Vergleich zwischen ACE-Hemmern und Kalziumantagonisten und zum anderen bei
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STUDIE REFERIERT
der Gegenüberstellung von ACE-Hemmern und Diuretika.
Interpretation und Relevanz
der Ergebnisse
Obwohl die Autoren der hier referierten Metaanalyse die Vielzahl der vorgenommenen Datenauswertungen als Stärke ihrer Untersuchung ansehen, lässt sich anhand der Resultate nicht überzeugend nachweisen, dass bestimmte antihypertensive Substanzklassen bei Patienten mit unterschiedlichem BMI mehr oder weniger effektiv wären. Die beobachteten Unterschiede könnten gemäss den Autoren auch zufallsbedingt sein. Der in der ACCOMPLISHStudie erhobene Befund einer grösseren protektiven Wirkung von Kalziumantagonisten im Vergleich zu Diuretika bei Patienten mit niedrigerem BMI liess sich in der hier referierten Untersu-
chung auf Basis der BPLTTC-Daten nicht reproduzieren. Als Erklärung dieser Diskrepenz vermuten die Autoren, dass es weniger ihrer eigenen Auswertung daran mangelt, tatsächliche Effekte nachzuweisen, als dass die ACCOMPLISH-Studie mit ihrer gegenüber den entsprechenden BPLTTCDaten weitaus geringeren Anzahl an untersuchten Individuen (n = 11 482 vs. 24 691 in BPLTTC) und kardiovaskulären Ereignissen (652 vs. 4059) sowie einer fehlenden eindeutigen statistischen Untermauerung einer Interaktion zwischen BMI und Behandlungseffekt zu falschpositiven Befunden geführt haben könnte. Dennoch räumen die Autoren auch bei den eigenen Analysen gewisse Schwächen ein, denn trotz der Vielzahl an verfügbaren Daten streuten die geschätzten Effektgrössen mitunter rela-
tiv stark, und für bestimmte Substanzklassen wie etwa Angiotensinrezeptorblocker oder Aldosteronantagonisten lagen überhaupt keine Daten vor. Hier wird künftig der Zugriff auf individuellere Patientendaten aus dann abgeschlossenen Studien möglicherweise neue Erkenntnisse liefern können. O
Ralf Behrens
Ying A et al.: Blood Pressure Lowering Treatment Trialists' Collaboration: Effects of blood pressure lowering on cardiovascular risk according to baseline body-mass index: a meta-analysis of randomised trials. Lancet 2014; published online Nov 4.
Interessenkonflikte: Ein Teil der an der Metaanalyse beteiligten Autoren unterhält Beziehungen zu verschiedenen Pharmafirmen in Form von diversen, zum Teil finanziell honorierten Mitgliedschaften in Beratungsgremien und/oder erhält Vortragshonorare und/oder finanzielle Forschungsunterstützung von diesen und anderen Unternehmen.
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