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Sexualität während und nach der Schwangersch
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Mit einem «Baby an Bord» verändert sich das ganze Leben und oftmals auch die Sexualität. Denn wenn es um die Lust während der Schwangerschaft geht, gibt es so unterschiedliche Veränderungen, wie es verschiedene Partnerschaften gibt.
von Annegret Czernotta
W ährend der Schwangerschaft verändert sich der weibliche Körper enorm. Die Brüste wachsen und reagieren empfindlicher, der Bauch wächst und schränkt die körperliche Beweglichkeit ein. Die hormonellen Entwicklungen können zu Übelkeit, Müdigkeit und grösserer Emotionalität führen. Auch die Sexualität ändert sich. «Es gibt Frauen, die ihre Sexualität in dieser Zeit mehr geniessen können, weil die Angst vor einer Schwangerschaft entfällt», sagt PD Dr. Verena Geissbühler, Chefärztin des Ambulatoriums Gynäkologie und Geburtshilfe am Kantonsspital Winterthur. Die Veränderungen können aber auch bewirken, dass Frau keinen Sex mehr möchte. Denn so wie jede Frau anders ist und jede Schwangerschaft individuell verläuft, hat auch jede Frau ein anderes sexuelles Bedürfnis in dieser Zeit. Manchmal haben zukünftige Mütter
auch einfach Angst davor, das Kind durch Sex einem Risiko auszusetzen, oder der zukünftige Vater hat Angst davor, das Ungeborene zu stören oder sogar zu verletzen. «Man muss aber keine Angst haben, wenn keine medizinischen Bedenken bestehen», erklärt Verena Geissbühler. Denn durch den geschlossenen Gebärmuttermund und das Fruchtwasser ist das Kind geschützt. Auch spärliche bräunliche Blutungen sind harmlos. Sie werden durch den Druck des Penis’ auf den Gebärmutterhals ausgelöst, der während der Schwangerschaft gut durchblutet ist. Auf Sex verzichten muss das Paar hingegen bei medizinischen Komplikationen wie Blutungen oder Verlust von Fruchtwasser (siehe Kasten).
Lust verläuft in Phasen Allgemein lässt sich die weibliche Lust auf Sexualität während der Schwangerschaft in 3 Phasen aufteilen:
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SCHWANGERSCHAFT
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Fakten zur Sexualität während und nach der Schwangerschaft
• Das ungeborene Kind ist durch das Fruchtwasser und den geschlossenen Gebärmuttermund gut geschützt. • Nach dem Orgasmus kann der Bauch der Frau anschliessend über mehrere Stunden hart bleiben. Das liegt
daran, dass sich die Muskulatur der Gebärmutter zusammenzieht und es Stunden dauern kann, bis sie sich wieder entspannt. • Verboten ist der Geschlechtsverkehr hingegen bei vorzeitigen Wehen, Verlust von Fruchtwasser, Blutungen und wenn der Arzt feststellt, dass die Plazenta vor dem Gebärmutterhals liegt. • Üblicherweise wird eine Pause sexueller Intimität für rund 6 Wochen nach der Geburt vorgeschlagen. Dann ist der Gebärmutterhals wieder geschlossen, und der Damm ist weniger empfindlich. Aber wenn Paare möchten, können sie ohne gesundheitliche Bedenken auch früher sexuell aktiv werden.
• In den ersten 12 Wochen ist die Lust am Sex meist reduziert. Viele Frauen haben Angst vor einer Fehlgeburt (Abort). Die hormonellen und physiologischen Veränderungen führen zu Müdigkeit und Stimmungsschwankungen.
• Ab der 13. bis zur 28. Schwangerschaftswoche steigt die Lust bei vielen Frauen wieder an. Weil die Geschlechtsorgane durch die Schwangerschaft besser durchblutet sind, können Frauen sogar leichter einen Orgasmus bekommen.
• Im letzten Schwangerschaftsdrittel sind Frauen weniger an Sex interessiert, was oft mit den physischen Veränderungen zusammenhängt. Beispielsweise kann es sein, dass manche Stellungen aufgrund von Brust und Bauch weniger angenehm sind.
Ist das Eindringen des Penis’ schmerzhaft, kann man dann Stellungen den Vorzug geben, bei denen der Mann we-
niger tief eindringt, zum Beispiel die klassische Missionarsstellung. Wichtig ist, dass beide die Wünsche und Vorlieben ansprechen und diese respektieren. «In meiner Praxis sehe ich aber erfreulicherweise, dass viele Frauen sich bereits sehr gut über die Veränderungen während der Schwangerschaft und auch über die Sexualität während dieser Zeit informiert haben», sagt Verena Geissbühler.
Die Geburt ist ein anderes Kapitel Nach der Geburt beginnt wiederum ein ganz anderes Kapitel in der Partnerschaft. Die Frau muss sich von der Schwangerschaft und der Geburt erholen. Das Baby steht im Mittelpunkt, und der junge Vater kann sich ausgeschlossen fühlen. «Es gilt dann, den Alltag mit dem Kind neu zu gestalten», sagt Verena Geissbühler. Und das kann seine Zeit dauern. In Bezug auf die gemeinsame Sexualität beginnen einige Paare wenige
Wochen nach der Geburt wieder miteinander zu schlafen. Andere Paare brauchen wiederum ein ganzes Jahr, bis sich das sexuelle Gleichgewicht wieder einstellt. Manche Paare brauchen auch therapeutische Unterstützung. «Jeder Weg ist individuell», sagt die Gynäkologin. «Meine Aufgabe ist es, die Frau oder/und das Paar zu bestätigen und zu informieren.» Denn die Geburt eines Kindes ist anspruchsvoll und stressig. Sie kann der Beziehung aber auch eine ganz neue Qualität verleihen. Herausfordernd ist sie sowieso!
Weitere Informationen: www.babycenter.ch, www.swissmom.ch (mit einem Download-Link zur Broschüre: «Eltern- und Liebespaar: Eine spannende Herausforderung»)
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SCHWANGERSCHAFT
«Wöchnerinnen sollten sich nicht überlasten und unter Druck setzen»
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Welchen Einfluss Schwangerschaft und Geburt auf die Sexualität haben, erklärt PD Dr. Verena Geissbühler, Chefärztin des Ambulatoriums Gynäkologie und Geburtshilfe am Kantonsspital Winterthur.
hen. Die Geburt blättert nicht einfach so an Männern ab, und sie sind nach meiner Erfahrung gerne in den Prozess involviert.
Sprechstunde: Werden Sie in der Sprechstunde von schwangeren Frauen häufig auf das Thema Sexualität angesprochen? Dr. Verena Geissbühler: Normalerweise sprechen die Frauen das Thema nicht an, weil es kein Problem ist. Die Sexualität während der Schwangerschaft wird genauso ausgelebt wie vorher, und diese ist von Paar zu Paar verschieden. Teilweise höre ich, dass die Sexualität eher noch intensiver genossen wird, weil die Angst vor einer möglichen Schwangerschaft entfällt. Auch ist die Muskulatur im kleinen Becken besser durchblutet, weshalb Frauen die Sexualität oftmals intensiver geniessen können.
Sind alle Stellungen beim Sex während der Schwangerschaft erlaubt? Einschränkungen ergeben sich aufgrund der körperlichen Veränderungen, wenn der Bauch und die Brüste grösser werden oder die körperliche Beweglichkeit eingeschränkt ist. Da muss das Paar für sich herausfinden, was bequem ist und beiden gut tut.
Hat es denn gesundheitliche Gründe, weshalb ein Paar beim Sex vorsichtig sein sollte? Auf Geschlechtsverkehr verzichten muss das Paar, wenn vorzeitige Wehen einge-
setzt haben und der Muttermund geöffnet ist, bei Blutungen, wenn Fruchtwasser verloren geht und wenn die Plazenta (Mutterkuchen) vor dem Gebärmutterhals liegt. Bei Blutungen und Verlust von Fruchtwasser ist der Arzt zu verständigen. Das betrifft aber nur 10 bis 15 Prozent aller schwangeren Frauen.
Sie haben gesagt, dass die Sexualität während der Schwangerschaft häufiger intensiver gelebt wird. Was passiert nach der Schwangerschaft? Durch den Säugling verändert sich das Leben komplett. Es ist wichtig, Wöchnerinnen nicht zu überlasten und unter Druck zu setzen. Denn körperliche Veränderungen durch die Geburt können die Sexualität neben dem Stress ebenfalls beeinflussen. Dazu zählen schlecht verheilende Nähte bei einem Dammschnitt. Auch ist die Scheidenschleimhaut durch die hormonelle Umstellung häufig trockener, weshalb es zu Schmerzen beim Geschlechtsverkehr kommen kann. Aber jede Frau kann und muss ihren eigenen Weg gehen, der für sie stimmt. Sexualität lässt sich in den Alltag einbauen, wenn die Zeit vorhanden ist. Und jede Frau braucht unterschiedlich lange, um sich anzupassen. Wichtig ist es deshalb, den Mann von Anfang an mit einzubezie-
Man muss direkt nach der Geburt wieder verhüten? Bereits 3 Wochen nach der Entbindung kann es zum Eisprung kommen. Deshalb sollten Paare frühzeitig an die geeignete Verhütung denken. Das Interview führte Annegret Czernotta.
PD Dr. Verena Geissbühler ist Chefärztin des Ambulatoriums/Notfall DGG am Departement für Geburtshilfe und Gynäkologie am Kantonsspital Winterthur. Die Habilitation in Gynäkologie erfolgte an der Universität Basel, die ihr 2008 den Titel Privatdozentin (PD) verlieh.
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