Transkript
Schon ein Stolpern
Osteoporose oder Knochenschwund ist eine stille Epidemie, die sich bei älteren Menschen aus heiterem Himmel bemerkbar macht: Nach einem Sturz, häufig aber schon nach einem Stolpern, kommt es zu einem starken Schmerz, meist am Rücken. Ursache kann dann ein gebrochener Wirbel sein.
von PD Dr. med. Constantin Klöckner*
W ie unverhofft man sich einen Rückenwirbel brechen kann, erlebte Ursula Brunner**, die mit 83 Jahren noch sehr rüstig ist. Als sie eine Treppe hinunterlief, stolperte sie leicht, weil sie die letzte Stufe übersehen hatte. Sie war nicht gestürzt. Direkt danach hatte sie Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule. Da sie hoffte, die Schmerzen würden nachlassen, wartete sie ab. Als die Schmerzen auch nach vier Wochen noch anhielten, ging sie zum Arzt. Die Röntgenaufnahmen zeigten, dass der erste Lendenwirbelkörper gebrochen war. Es handelte sich um einen osteoporotischen Bruch, das bedeutet, der Bruch ist durch Osteoporose bedingt. Die verminderte Knochendichte bei der Osteoporose hat zur Folge, dass schon eine kleine Belastung zu einem Bruch führen kann (siehe Kästchen). Ältere Menschen, die plötzlich unter ungewöhnlich starken Rückenschmerzen leiden, sollten deshalb nicht lange zögern und sich vom Arzt untersuchen lassen. Denn diese Zeichen deuten häufig darauf hin, dass eine Wirbelfraktur vorliegt. Ausserdem zeigen bis zu einem Drittel der Frauen über 60 Jahre eine so starke Ausprägung der Osteoporose, dass Verformungen der Wirbelkörper auftreten können. Das grösste Risiko, an Osteoporose zu erkranken, haben Menschen, die älter als 50 sind. Frauen sind dabei weitaus häufiger betroffen als Männer. Neben dem Geschlecht gibt es weitere Risikofaktoren: frühere Knochenbrüche, Osteoporose in der Familie, Rauchen und Alko-
holkonsum, geringes Körpergewicht und das Versiegen der Östrogenproduktion bei den Frauen nach den Wechseljahren.
Gebrochene Wirbel
stabilisieren Typisch bei der Osteoporose sind eine verringerte Knochenmasse und eine poröse Knochenstruktur. Dadurch werden die Knochen schwächer, und sie brechen leichter. Meist besteht gleichzeitig ein fortgeschrittenes Stadium der Degeneration der Wirbelsäule. Die Schmerzen und die Fehlstellung der Wirbelsäule können dabei zu einer massiven Beeinträchtigung des alltäglichen Lebens führen. Die Beschwerden sind häufig quälend, und die Patienten haben bei jeder Bewegung Angst vor erneuten Schmerzen. Häufig macht sich dann eine Hilflosigkeit breit, und die Patienten können wegen der permanenten Beschwerden ihren Lebensmut verlieren. Bei einigen von ihnen kann eine Operation der Wirbelsäule die Schmerzen deutlich reduzieren und somit die Lebensqualität entscheidend verbessern. Frische Wirbelbrüche, die drohen, Fehlstellungen der Wirbelsäule zu verursachen, oder dies bereits getan haben, behandelt man mit dem minimalinvasiven Verfahren der Kyphoplastie. Seit mehreren Jahren gibt es die Möglichkeit dieses relativ kleinen Eingriffs, der Wirbelbrüche wieder festigt und teilweise aufrichtet (siehe Abbildung). Dabei schafft der Chirurg mit einem Ballon einen Hohlraum im eingebrochenen Wirbel und richtet diesen teilweise oder voll-
16SPRECHSTUNDE 1/12
FOTO: ISTOCKFOTO
genügt
WIRBELSÄULE
Was ist Osteoporose?
Im 4. Lebensjahrzehnt besitzt das menschliche Skelett die grösste Knochenmasse. Danach beginnt ein suk-
zessiver, altersabhängiger Knochenabbau, der bei Frauen stärker auftritt als bei Männern. Durch den Kno-
chenschwund kommt es zu einer verminderten Tragfähigkeit und Belastbarkeit der Knochen. Dies wie-
derum kann zu Brüchen der Knochen ohne eigentlichen Unfall oder Sturz führen. Neben zum Teil sehr
starken Schmerzen kommt es zu teilweise erheblichen Fehlstellungen, meist wegen der verminderten Trag-
fähigkeit des gebrochenen Knochens. Diese können im Bereich der Wirbelsäule zur Fehlstellung der
Rumpfwirbelsäule und zur Verkrümmung (Kyphose oder Skoliose) führen, vor allem wenn mehrere Wirbel-
körper betroffen sind. Im Volksmund werden solche Verkrümmungen oft wenig schmeichelhaft als «Wit-
wenbuckel» bezeichnet.
Damit solche Frakturen und Fehlstellungen gar nicht erst auftreten, empfiehlt sich bei dem Verdacht einer
Osteoporose die Durchführung einer sogenannten Knochendichtemessung (Osteodensitometrie). Wird
durch eine solche Untersuchung eine Osteoporose bestätigt, kann der weitere Krankheitsverlauf durch
Medikamente positiv beeinflusst werden. Dem Auftreten einer Osteoporose kann man durch gesunde
Ernährung (Kalzium- und Vitamin-D-reich) und Bewegung in der Natur bis zu einem bestimmten Grad
vorbeugen.
ck
Festigen und Aufrichten eines gebrochenen Wirbels: Durch die Stabilisierung wird der Schmerz beseitigt oder gelindert.
ständig wieder auf. Danach spritzt er eine Art Zement in den Hohlraum, der innerhalb von Minuten verhärtet. Diese Stabilisierung beseitigt den Schmerz oder lindert ihn zumindest deutlich, und zwar unmittelbar und kurz nach der Operation.
Operation nur bei frischen Frakturen Allerdings gibt es Einschränkungen bei diesem Eingriff. Die minimalinvasive Methode führt nur zum Erfolg, wenn die geeigneten Patienten nach strengen Kriterien ausgewählt werden. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass die Patienten möglichst schnell nach dem Wirbelkörperbruch operiert werden. Eine Kyphoplastie kann nur bei frischen, möglichst wenige Wochen alten Brüchen ins Auge gefasst werden.
Bei einigen Patienten mit einer Osteoporose und osteoporotischen Frakturen bestehen zusätzlich ältere Fehlstellungen, Bandscheibendegenerationen, Arthrose der kleinen Wirbelgelenke, Einengungen des Wirbelkanals mit Druck auf die Nerven. In solchen Situationen werden sogenannte Wirbelkörperverblockungen (Spondylodesen) durchgeführt. Um die Festigkeit zu garantieren, werden Schrauben in die Wirbelkörper eingesetzt, die über Stangen miteinander verbunden sind. Diese operativen Massnahmen führen zu einer deutlichen Schmerzreduktion, die Patienten erlangen ihre Selbständigkeit wieder und gewinnen dadurch erheblich an Lebensqualität. In den letzten Jahren zeigten sich grosse Fortschritte in der operativen Behandlung von Osteoporosepatienten, sei es bei der offenen Wirbelsäulenchirurgie
oder mit der Einführung der minimalinvasiven Kyphoplastie. Die modernen Therapien kann man Patienten jeden Alters anbieten. Da bei der 83-jährigen Ursula Brunner eine schwere Osteoporose vorlag wie auch eine deutliche Fehlstellung der Wirbelsäule, wurde bei ihr eine Kyphoplastie durchgeführt. Die Operation erfolgte im Spital, und 3 Tage später konnte die Patientin bereits nach Hause entlassen werden. Direkt nach der Operation hatte sie deutlich weniger Schmerzen, und 10 Tage später war sie vollständig beschwerdefrei.
*PD Dr. med. Constantin Klöckner ist Facharzt FMH für Orthopädische Chirurgie, Wirbelsäulenerkrankungen und Wirbelsäulenchirurgie und führt eine Praxis in Zürich und eine Sprechstunde in Zug. www.spine-in-balance.ch
** Name von der Redaktion geändert.
17 SPRECHSTUNDE 1/12