Transkript
FOTOS: ISTOCKPHOTO
Spitalkeime: Wenn kein
Die Zahl antibiotikaresistenter Keime nimmt ständig zu. Während die grossen Spitäler das Problem allmählich unter Kontrolle haben, wird das Risiko in vielen Kleinspitälern, Arztpraxen und bei der Spitex noch wenig ernst genommen, meint ein renommierter Spitalhygieniker.
von Pieter Poldervaart*
Nur jede zweite Person im Gesundheitswesen desinfiziert sich ihre Hände vorschriftsgemäss: Dieses Studienergebnis sorgte 2006 für Aufregung. Immerhin kletterte die Quote kurzfristig dank intensiven Schulungen auf fast 67 Prozent. Wie gut die Händehygiene momentan befolgt werde, sei hingegen schwer zu sagen, weil entsprechende Untersuchungen fehlten, meint Andreas Widmer, Leiter der Abteilung Spitalygiene am Universitätsspital Basel: «Der Aspekt der Handhygiene ist angesichts der hohen Personalfluktuation eine Daueraufgabe.» Doch die politische Unterstützung und damit das Geld für gross angelegte Sensibilisierungskampagnen auf nationaler Ebene fehlen bis heute. Auch die WHO hält sich mit entsprechenden Programmen zurück. Und dies, obwohl die globale Kampagne «Clean Care is safe Care» laut Widmer innert fünf Jahren mehr Leben gerettet hat als sämtliche WHO-Kampagnen zu Aids, Tuberkulose und Malaria zusammen.
80 Todesfälle pro Jahr Erfreulicherweise ist in grossen Häusern wie dem Unispital Basel das Wissen um die Problematik der infektiösen Komplikationen vorhanden, die Sensibilität ist gross. Die Wartezimmer sind so organi-
siert, dass infektiöse Patienten abgetrennt werden können. Statt pauschal Antibiotika abzugeben, werden die Keime aufwendig analysiert. Dadurch lassen sich spezifische Präparate verschreiben, was die Resistenzbildung einzudämmen hilft. Das ist auch nötig, denn die Spitalhygieniker registrieren besorgt, dass die Zahl jener Keime zunimmt, die gegen immer mehr oder sogar alle Antibiotika resistent sind. Wenn aber kein Mittel mehr wirkt, sind auch die Mediziner machtlos. «Dann müssen wir tatenlos zusehen, wie an sich einfach zu behandelnde Krankheitsbilder wie eine Lungenentzündung oder die Infektion an einer Extremität fortschreiten. Das kann bis zur Amputation des Glieds oder gar zum Tod des Patienten führen», erklärt Widmer. Jährlich 80 Todesfälle von Personen mit einer Immunschwäche werden heute in Schweizer Spitälern auf solche nicht mehr behandelbare Infektionen zurückgeführt; die Dunkelziffer dürfte beträchtlich höher liegen. Gesichert ist die Zahl von jährlich über 70 000 spitalinternen Infektionen in der Schweiz.
Tourismus als Einfallstor Dass immer häufiger ein Antibiotikum nicht mehr wirkt, hängt mit mehreren Faktoren zusammen. In den letzten 10
10SPRECHSTUNDE 4/11
VIREN & BAKTERIEN
Alkohol: billig, praktisch, wirksam
Im Volksmund gilt die Desinfektion mit Alkoholpräparaten noch immer als Gift für die
Hände. Doch Präventionsmediziner raten dazu, bei Fernreisen und allenfalls auch im All-
tag ein 100-Milliliter-Fläschchen davon dabeizuhaben. Als etwa am Unispital Basel kon-
sequent auf Alkohol statt Händewaschen mit Wasser umgestellt wurde, nahmen die
Hautprobleme an den Händen der Beschäftigten massiv ab – obwohl sie ihre Hände im
Durchschnitt 20- bis 30-mal täglich mit Alkohol desinfizierten. Denn die in Apotheken
und Drogerien für wenige Franken erhältlichen Wasser-Alkohol-Präparate enthalten auch
Glyzerin und Hautfett: Zwar löst der Alkohol bei einer Reinigung in einem ersten Schritt
das körpereigene Hautfett aus den Poren. Nachdem der Alkohol verdunstet ist, bleiben
aber Hautfett und Glyzerin auf der Handfläche zurück und verbessern so mit jeder An-
wendung den Hautfilm.
pld
Mittel mehr wirkt
bis 20 Jahren steig die Häufigkeit, mit der die Bevölkerung in den Industrieländern mit solchen Keimen in Kontakt kommt, rasant. Das hängt mit vermehrten Ferien- und Kongressreisen in die Länder Asiens und Afrikas zusammen, wo man sich schneller mit solchen resistenten Bakterien infiziert als im Westen. Die Keime sind in diesen Ländern zudem omnipräsent, weil vielerorts nicht einmal eine Basishygieneversorgung existiert. Kürzlich wurden beispielsweise in indischen Flüssen resistente Keime entdeckt – der Weg über damit zubereitete Lebensmittel in den Verdauungstrakt auch von Touristen ist kurz. Ein wichtiger Faktor ist auch der Tourismus in die entgegengesetzte Richtung: Reiche Inder, Asiaten und Afrikaner lassen sich in Schweizer Gesundheitszentren behandeln und sind dabei häufig Träger von resistenten Keimen wie etwa methicillinresistentem Staphylococcus aureus (MRSA). Werden betroffene Patienten nicht hermetisch abgetrennt, drohen diese Keime, sich in andere Zimmer und Abteilungen des Spitals auszubreiten.
Spitex und Praxen
einbeziehen Zumindest in den Universitätsspitälern sei man sich dieser Gefahren bewusst, so
Andreas Widmer. Eine andere Infektionsmöglichkeit an einem Ort, der für kranke Ferienrückkehrer häufig die erste Anlaufstelle ist, wurde bis anhin aber unterschätzt. In ambulanten Gesundheitseinrichtungen, also in Regionalspitälern und Arztpraxen, werde mit dem Problem deutlich larger umgegangen. Widmer: «Dabei müsste schon bei der ersten Konsultation eines Ferienrückkehrers abgeklärt werden, ob er allenfalls Träger von resistenten Keimen ist oder nicht.» Mit der Einführung der Fallpauschale nehmen Hausärzte in der Nachbetreuung von Patienten, die aus dem Spital entlassen werden, eine noch wichtigere Rolle ein. Auch die Spitex muss sich laut dem Basler Spitalhygieniker bewusst sein, dass die Anforderungen zur Vermeidung von infektiösen Komplikationen strenger werden. Entscheidend werde in Zukunft sein, dass die Informationen über die Art der Infektion bei der Spitalentlassung an die ganze Gesundheitskette und die Angehörigen weitergereicht würden.
Leere Pharma-Pipeline Weltweit auslöschen lassen sich resistente Keime nicht, denn sie sind nicht nur allgegenwärtig, sondern passen sich auch laufend an gängige Präparate an. Helfen könnten zwar neue Antibiotika –
doch hier sieht Widmer die zweite Schwachstelle im Kampf gegen resistente Keime: «Die Pipeline der Pharmaindustrie bezüglich neuer Antibiotika ist leer.» Denn während die Entwicklung eines neuen Arzneimittels Dutzende von Millionen Franken verschlinge, sei der Ertrag bei Antibiotika nicht gesichert – nicht zuletzt deshalb, weil im Gesundheitswesen der Druck zur Verschreibung von Generika immer grösser werde. Widmer: «Wenn eine intravenöse Dosis Antibiotika billiger ist als ein Starbucks-Kaffee, wird für die Pharmaindustrie der Bereich Antibiotika uninteressant.» Die Politik müsse ein klares Signal senden, dass es für wirksame Antibiotika auch faire Preise geben werde.
*Pieter Poldervaart ist freier Journalist im Pressebüro Kohlenberg in Basel.
INFO
Allgemeine Informationen zur Händehygiene: www.haendewaschen.ch
Infos von Ärzten zu nosokomialen Infektionen und Antibiotikaresistenzen: www.swissnoso.ch
11 SPRECHSTUNDE 4/11