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Nicht jeder Haarausfall
Neben erblich bedingtem Haarausfall gibt es weitere Gründe, wenn plötzlich mehr Haare in der Bürste sind. Auch Stress, Jahreszeit, hormonelle Schwankungen, Nährstoffmangel oder Nebenwirkungen von Medikamenten kommen infrage. Dann ist der Haarausfall meist nur eine vorübergehende Erscheinung.
von Karin Diodà
Damit die Zusammenhänge bei Haarausfall besser verständlich sind, ist es hilfreich, den Lebenszyklus der Haare zu kennen. Er ist in drei Stadien unterteilt (siehe Abbildung): In der Wachstumsphase (Anagenphase) bildet sich in der Haarwurzel ein neues Haar. Die meisten Haare auf dem Kopf, etwa 85 Prozent, befinden sich in diesem Stadium, das 3 bis 7 Jahre dauert. Darauf folgt ein kurzer Übergang (Katagenphase) von 2 bis 4 Wochen. Das Haar hört auf zu wachsen, wird von der Haarwurzel abgetrennt und der Haar-
follikel, in dem sich die Haarwurzel befindet, bildet sich zurück. Dieser Phase schliesst sich eine Ruhepause von 2 bis 4 Monaten an (Telogenphase), bevor das alte Haar ausfällt und ein neues nachwächst. Dass man täglich 80 bis 100 Haare verliert, ist völlig normal, sie werden beim gesun-
Erblich bedingter Haarausfall
Kreisrunder Haarausfall
Ursache ist eine vererbte Überempfindlichkeit der Haarfollikel gegenüber dem männlichen Geschlechtshormon Testosteron. Die Haarwurzeln werden geschädigt und die Wachstumsphase der Haare wird verkürzt. Das Haar wird dünner, es bilden sich kahle Stellen. Von der androgenetischen Alopezie können beide Geschlechter betroffen sein, Männer jedoch häufiger als Frauen. Um den Haarausfall zu stoppen, stehen Männern Präparate mit den Wirkstoffen Finasterid und Minoxidil zur Verfügung. Bei Frauen wird eine kombinierte Therapie angewendet, Minoxidil zusammen mit einem gestagen- und östrogenhaltigen Hormonpräparat (Anti-Baby-Pille).
Es handelt sich um lokal begrenzten Haarausfall mit
runden, kahlen Stellen. Die Ursachen der Alopezia
areata sind nicht vollständig geklärt. Man vermutet
eine fehlgeleitete Reaktion des körpereigenen Ab-
wehrsystems, bei der Immunzellen die Haarwurzeln
angreifen. In manchen Fällenl wachsen die Haare von
selbst wieder nach, doch ohne Behandlung schreitet
der Haarausfall häufig fort. Therapiemöglichkeiten
bei kreisrundem Haarausfall sind Kortisonpräparate
und andere entzündungshemmende Medikamente
sowie lokale Immuntherapie, Licht- oder Eximer-
Laser-Therapie.
kd
den Menschen fortlaufend ersetzt. Es gibt jedoch Umstände, die erhöhten Haarwechsel verursachen, aber meist nicht zu dauerhaftem Haarverlust führen.
Nach der Schwangerschaft Während sich die meisten Frauen in der Schwangerschaft über ihr besonders dichtes und glänzendes Haar freuen, stellen sie einige Wochen nach der Ge-
burt fest, dass plötzlich viele Haare ausfallen. Der Grund für dieses Phänomen ist, dass während der Schwangerschaft der Östrogenspiegel im
Körper der Frau stark ansteigt. Da das weibliche Sexualhormon Östrogen auch den Haarzyklus beeinflusst, befinden sich viel mehr Haare in der Wachstumsphase als üblich. Nach der Geburt sinkt der Östrogenspiegel wieder und die Haare, die üblicherweise bereits ausgefallen wären, kommen jetzt in die letzte Phase des Lebenszyklus. Deshalb scheint es, als würden vermehrt Haare ausfallen, tatsächlich normalisiert sich der Haarwechsel einfach. Der weibliche Hormonhaushalt wird auch durch Hormonpräparate wie die Anti-Baby-Pille beeinflusst. Deshalb kann es beim Absetzen oder einer Umstellung solcher Präparate ebenfalls zu verstärktem Haarwechsel kommen. Auch dies ist eine vorübergehende Erscheinung. Hält der Haarausfall allerdings über mehrere Monate an, sollte dies ärztlich abgeklärt werden.
Auch Menschen wechseln das «Fell» Wenn jemand den Eindruck hat, er oder sie verliere im Herbst mehr Haare als sonst, ist dies keine Einbildung. Forscher der Universität Zürich konnten 2009 in einer Studie bestätigen, dass es saisonale Schwankungen beim Haarwachstum gibt.
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ist dauerhaft
HAARE
Sie hatten während sechs Jahren mehr als 800 gesunde Frauen untersucht, die über Haarausfall klagten. Für die Abklärung erstellten die Forscher regelmässig Trichogramme. Für ein Trichogramm werden 50 bis 100 Haare ausgezupft, deren Wurzeln unter dem Mikroskop untersucht und einer der drei Haarphasen zugeordnet. In der Studie zeigte sich, dass im Sommer der Anteil Haare in der Ruhepause, also kurz vor dem Ausfallen, am grössten war. Auch im Frühling befanden sich Haare in diesem Stadium, wenn auch nicht ganz so viele wie im Sommer. Im Winter hingegen, so stellten die Forscher fest, waren deutlich weniger Haare in der Ruhepause. Der Grund für diesen harmlosen Haarausfall ist offenbar ein genetisches Programm aus grauer Vorzeit, das bei manchen Menschen noch aktiv ist. Es handelt sich um ein Überbleibsel des Fellwechsels, den unsere behaarten Vorfahren hatten. Aus Sicht der Evolution ist es durchaus sinnvoll, dass im Winter und Sommer weniger Haare ausfallen, denn Haare schützen vor Kälte wie auch vor starker Sonneneinstrahlung.
Stress verkürzt die
Wachstumsphase der
Haare Haarausfall kann auch eine Folge von Stress sein. Bei körperlichem Stress, ver-
Haarzyklus Hornschicht
Epidermis
Haarfollikel
Haarwurzel
Wachstumsphase
Übergangsphase
Ruhephase
ursacht durch schwere Krankheiten, ist dies medizinisch nachgewiesen. Aber auch emotionaler Stress, der über längere Zeit andauert oder besonders heftig ist, scheint die Haarwurzeln negativ zu beeinflussen. Untersucht haben dies Forscher der deutschen Universitätsklinik Lübeck. Bei permanentem Stress schüttet der Körper vermehrt den Neurotransmitter Noradrenalin und andere Botenstoffe aus. Dadurch wird die Wachstumsphase der Haare verkürzt und der Anteil von Haaren in der Ruhepause nimmt stark zu. Dies führt zu einem diffusen Haarausfall,über den ganzen Kopf verteilt. Wenn es gelingt, den Stress abzubauen, lässt sich auch der Haarausfall bremsen.
Um andere mögliche Ursachen für diffusen Haarausfall auszuschliessen, empfiehlt es sich, mit einem Arzt darüber zu sprechen. Besonders, wenn der oder die Betreffende über längere Zeit medizinische oder ernährungsbedingte Probleme hatte. Bestimmte Mangelerscheinungen, verursacht etwa durch radikale Diäten oder Eisenmangel bei Frauen, können ebenfalls zu Haarverlust führen, wie auch Störungen der Schilddrüsenfunktion und Stoffwechselerkrankungen. Bekannt ist zudem, dass Medikamente gegen hohe Blutfettwerte, hohen Blutdruck, Blutverdünner, Penicilin oder Narkosemittel Ursache für vorübergehenden Haarausfall sein können.
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