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Wenn der Teddybär bei der Diagnose hilft
Kreisrunder Haarausfall ist die häufigste Haarerkrankung bei Kindern. Rechtzeitig behandelt, stehen die Chancen gut, dass die Haare nachwachsen. Die Herausforderung für die Ärzte besteht darin, die genaue Ursache für den Haarausfall herauszufinden
und manchmal gibt auch ein Stofftier Hinweise auf die Diagnose.
Karin Diodà
A ls die Eltern bei ihrer zehnjährigen Tochter eine kahle Stelle auf dem Kopf entdeckten, waren sie sehr beunruhigt. Ihre grösste Sorge war, dass es sich um eine gefährliche Krankheit handelt und die Haare nicht mehr nachwachsen. Deshalb meldeten sie sich in der Spezialsprechstunde für Haarerkrankungen am Inselspital. Auf den ersten Blick deutete die kahle Stelle mit 5 cm Durchmesser auf kreisrunden Haarausfall hin. Doch wollten die Ärzte als Erstes herausfinden, ob der Haarausfall nicht in Zusammenhang mit einer anderen Krankheit wie Neurodermitis oder einer Schilddrüsenerkrankung steht. Sie untersuchten das Mädchen gründlich, nicht nur die Haare, sondern den ganzen Körper. Weiter wurde eine Entzündung des Haarbodens
abgeklärt: «Das ist sehr wichtig für die Prognose, um einen entzündlich-vernarbenden Prozess nicht zu verpassen», sagt Nedzmidin Pelivani, Oberarzt an der Universitätsklinik für Dermatologie am Inselspital. Zusätzlich prüften die Ärzte mit einer speziellen Lupe, ob die Haarkanäle in der Haut erhalten sind und wieder Haare nachwachsen werden.
Eine gutartige Krankheit Wird der kreisrunde Haarausfall rechtzeitig erkannt, bekommt die Hälfte der Kinder innerhalb eines Jahres wieder neue Haare und nach zwei Jahren sind es sogar 80 Prozent der Kinder, so der Dermatologe: «Man muss die Eltern darauf hinweisen, dass es sich um eine gutartige Krankheit handelt und sie beruhigen.» Wichtig ist, dass die Eltern ihre Besorg-
nis nicht zu stark zeigen, denn ihre Reaktion überträgt sich auf das Kind, das oft bereits stark verunsichert ist. Manche Kinder ziehen sich aus Scham zurück, isolieren sich oder versuchen, die kahle Stelle zu verstecken. Die genauen Ursachen des kreisrunden Haarausfalls (Alopezia areata) sind nicht geklärt. Bekannt ist, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt, bei der das Immunsystem die eigenen Haare angreift. «Man vermutet, dass auch Stress eine Rolle spielt. In 50 Prozent der Fälle kommt es innerhalb von zwei bis fünf Jahren zu einem Rückfall», erklärt Nedzmidin Pelivani. Tritt die Krankheit bereits bei kleinen Kindern auf, ist dies ein ungünstiges Zeichen für die Prognose, ebenso, wenn gleichzeitig Nagelveränderungen und Neurodermitis vorliegen. Je jünger das Kind beim ersten Auftreten von kreisrundem Haarausfall ist, desto höher ist das Risiko für einen Rückfall.
Zurückhaltende
Therapie Auch beim zehnjährigen Mädchen stellte sich heraus, dass Stress für den Haarausfall mitverantwortlich war. Im Gespräch mit dem Arzt erzählte es von seinen Schwierigkeiten in der Schule, dass es Mühe mit den Hausaufgaben hat.
FOTOS: ZVG
7-jähriger Knabe mit kreisrundem Haarausfall.
Kleines Mädchen mit Trichotillomanie.
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HAARE
Da der Haarboden nicht entzündet war und andere Ursachen für die Erkrankung ausgeschlossen werden konnten, wurde das Mädchen mit einer milden Cortisonsalbe lokal behandelt. Zusätzlich wurde eine Minoxidillösung angewendet, die das Haarwachstum stimuliert. Nach drei Monaten waren die Haare des Mädchens vollständig nachgewachsen. «Bei der Behandlung von Kindern mit kreisrundem Haarausfall sind wir sehr zurückhaltend», sagt Pelivani. «Die Therapien, die bei Erwachsenen eingesetzt werden, sind für Kinder nicht geeignet, sie sind zu aggressiv.» Zudem besteht eine Selbstheilungstendenz, das heisst, in manchen Fällen wachsen die Haare auch ohne Behandlung nach.
Vernarbung der Haarwurzeln Bei einer Entzündung des Haarbodens, meist verursacht durch eine Pilzinfektion, werden die Haarwurzeln angegriffen. Dauert die Entzündung über längere Zeit an, können die Haarwurzeln unwiderruflich zerstört werden. Das Ergebnis ist eine haarlose Narbe, die lebenslang bestehen bleibt. Deshalb ist es für das Kind entscheidend, dass rechtzeitig ein Arzt aufgesucht wird. So lässt sich der bereits entstandene Schaden begrenzen. Eltern, die bei ihrem Kind kahle Stellen oder Rötung und Schuppung auf der Kopfhaut feststellen, sollten nicht zuwarten, rät Pelivani: «Je früher die Behandlung beginnt, desto günstiger ist die Prognose und desto eher kann eine Vernarbung verhindert werden.»
Spannung abbauen durch Haare zupfen Eine besondere Form von Haarverlust, die ähnlich aussieht wie kreisrunder Haarausfall, ist die Trichotillomanie. Sie entsteht durch Drehen, Zupfen oder Ausreissen der Haare. Die betroffene Stelle ist dann nicht vollständig kahl wie beim kreisrunden Haarausfall, sondern ein Teil der Haare bleibt zurück und der Haarboden ist stoppelig. Trichotillomanie werde häufig als kreisrunder Haarausfall fehlgedeutet, weiss der Dermatologe. Kinder, die unter Spannung oder Druck stehen, verschaffen sich durch das Zupfen unbewusst Erleichterung: «Bei kleinen Kindern ist meist Eifersucht auf ein jüngeres Geschwister die Ursache, bei weiblichen Jugendlichen kann Trichotillomanie auf eine gestörte Mutter-TochterBeziehung hinweisen.» Deshalb braucht es hier eine psychologische Abklärung. Nicht immer ist jedoch auf Anhieb erkennbar, ob es sich um kreisrunden Haarausfall oder Trichotillomanie handelt. Es sei schon vorgekommen, dass ein Stofftier half, die richtige Diagnose zu finden, erzählt Pelivani: «Wir sahen kleine Patienten, da hatte der Teddybär den gleichen kreisrunden Haarausfall wie das Kind.»
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