Transkript
Durch den Santiago d
Fällt der 25. Juli als Gedenktag an den Apostel Jakobus auf einen Sonntag wie dieses Jahr, wird in Santiago de Compostela ein «Heiliges Jahr» eingeläutet. Eine gute Gelegenheit – ob besinnlich oder einfach aus Freude am Wandern – ein kleines Stück Jakobsweg unter die Füsse zu nehmen.
Rapperswil – Hurden – Pfäffikon Rapperswil liegt am oberen Zürichsee, gehört aber den St. Gallern. Der Wegweiser hinter dem Bahnhof verrät, dass wir bis Einsiedeln 4 Stunden und 45 Minuten unterwegs sein werden. Der Weiler Hurden ist über einen Holzsteg, der den flachen Seeteil überbrückt, bereits in 30 Minuten zu erreichen, Pfäffikon in 1 Stunde und 10 Minuten. Wir freuen uns, an diesem föhnigen Herbstmorgen endlich den See zu sehen, hatten wir doch vergebens gehofft, schon im Zug einen Blick aufs Wasser zu erhaschen. Nicht erwartet haben wir so mildes Prachtwetter. Boote liegen regungslos auf dem glatten See und hektische Jogger überholen uns, während wir uns in den Anblick von kahlen Bäumen und Föhnwolken vertiefen. In der Mitte des Stegs ruft uns die kleine Meinradskapelle in Erinnerung, dass wir gewöhnliche Wanderer nun auch Pilger auf dem Jakobsweg sind. Wer heute nicht über den vielbegangenen Holzsteg pilgert, verpasst unvergleichliche Lichtspiele am Himmel und auf dem Wasser. Fast unwirklich schön sind Wetter und Umgebung, und plötzlich könnte man sich vorstellen, immer weiter zu wandern bis nach Santiago de Compostela.
Pfäffikon – Frauenwinkel – Luegeten Gelbe Rauten führen den Wanderer, der sich Weite und Stille wünscht, auf dem kürzesten Weg durch Pfäffikon und unter den Zugschienen hindurch zum Naturschutzgebiet Frauenwinkel. Breite Lattenzäune halten den Betrachter auf Distanz, gewähren aber den neugierigen Blick auf Uferbewohner mit zwei, vier oder sechs Beinen. Sehen ohne gesehen zu werden lautet das Motto. Die Zwischenräume des hohen Lattenzauns und die darin eingelassenen Ferngläser wecken die Hoffnung auf Tierbeobachtungen. Allerdings zeigen sich die Tiere, wann sie es wollen.
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WANDERUNG
Herbst Richtung
e Compostela
Text und Fotos: Claudia Gürtler*
Zwischen den SBB-Schienen und dem Seeufer verleiten Infotafeln zum Verweilen. Lesen, lernen und staunen verlängern unsere Pilgerreise. Endlich gehts hinauf in die Hügel über Pfäffikon. Auf der Wiese hinter dem Restaurant Luegeten landet ein Polizeihelikopter. Eine Verabredung zum Mittagessen? Für unseren Geschmack ist es zum Essen zu früh, aber ein Znüni darfs schon sein. Da wir uns nicht abgesprochen haben, stecken mehr als genug Äpfel in unseren Rucksäcken. Ich habe auch für meine Tochter welche mitgenommen, und sie hat ebenso fürsorglich an mich gedacht. Bis Santiago wird der Vorrat allerdings nicht reichen. Bekommen Pilger eigentlich auch heute noch Almosen?
Schnäggenburg – Etzel
– Kulm An der Postautohaltestelle Luegeten vertiefen wir uns in die Angaben auf dem Wegweiser: Schnäggenburg 20 Min., St. Meinrad 1 Std. 10 Min., Einsiedeln 3 Std. 10 Min. Falls man sich entschliesst, den Umweg über Etzel-Kulm zu nehmen, müssen 1 Std. 35 Min. hinzugerechnet werden. Bevor wir in den Wald treten und die prächtige Herbststimmung aufs Foto zu bannen versuchen, werfen wir einen letzten Blick zurück auf den Holzsteg und die Insel Ufenau. Bei der Verzweigung Schnäggeburg werden wir Zeugen eines zu Herzen gehenden Abschieds: Ein im Transporter tobendes Pferd verlässt einen Hof. Ein Zurückbleibendes wiehert ihm verzweifelt nach. Zwei Freunde? Oder Mutter und Fohlen? Fast senkrecht zieht sich der rot-weissrot markierte Weg hinauf auf den Etzel. Gestärkt mit einem weiteren Apfel nehmen wir diese zusätzliche Mühe auf uns, denn das Restaurant Meinrad, welches auf einem auf gleicher Höhe verlaufenden Weg am Fusse des Etzels bequem erreichbar wäre, ist donnerstags ge-
schlossen. Etzel-Kulm ist offen und die Aussicht auf ein oder zwei Schnitzel verleiht meiner Tochter Flügel. In 45 Minuten bewältigt sie die Strecke, für die 1 Stunde und 15 Minuten vorgesehen wären. Etwas langsamer keuche ich hinterher. Schnitzel locken Vegetarier nicht. Endlich kommen Schweizerfahne und Restaurant in Sicht. Der Aufstieg hat sich doppelt gelohnt. Wir können unter dem Föhnhimmel mit seinen Wolkenspielen im Freien sitzen und geniessen die unvergleichliche Aussicht auf VrenelisGärtli beim Glärnisch und die Mythen.
Etzel – Sankt Meinrad Noch ist es unten grün, oben schon weiss, und hoch über uns föhnblau mit mächtigen Wolkengebilden. Der Herbsttag zeigt sich spätsommerlich, aber bald wird der Winter von den Bergen heruntersteigen. Nach kurzem Abstieg auf dem Strässchen erreichen wir St. Meinrad mit Gasthaus und Kapelle. Wir entdecken eine braune Raute mit dem Hinweis «Jakobsweg» mit dem Symbol der Muschel, welche Pilger aus Santiago mitbringen sollten – zum Beweis für ihre erfolgreich abgeschlossene Reise. Und wieder rechnen wir gründlich nach. Wir würden, setzten wir unsere Pilgerreise fort, bis Santiago etwa 2 Monate, unzählige Schnitzel, viel Taschengeld, Spürsinn beim Suchen von günstigen Unterkünften und jede Menge Äpfel brauchen.
Sankt Meinrad – Tüüfelsbrugg – Schwantenau – Einsiedeln Für unsere Schnappschüsse der Tüfelsbrugg müssen wir uns lange gedulden. Ein Lastwagen, der fast die ganze historische Brücke ausfüllt, quält sich hinüber. Zwei Buben überholen uns auf ihren Velos. Sie kürzen den Schulweg ab und fahren querfeldein und steil hinauf. «Und im Winter?», frage ich. – «Da nehmen
wir das Auto!» Ob die verschmitzten Schlingel selber fahren? Wir erreichen den Sihlsee und im kalten Licht des frühen Abends wird uns bewusst, dass der Winter nicht mehr lange auf sich warten lässt. Auch Christus friert über uns am Wegkreuz. Unser Tagesziel kommt in Sicht. Ein letzter Lichtschimmer liegt auf den Türmen des stolzen Klosters Einsiedeln. Dem Umweg über den Etzel ist es zu verdanken, dass wir später dran sind als geplant. Für die Schwarze Madonna, die Läden und das Städtchen reichts nicht mehr. Wir werden bald einmal wiederkommen, sei es auf den Weihnachtsmarkt, sei es, um unsere Pilgerreise von hier aus fortzusetzen.
*Claudia Gürtler ist Jugendbuchautorin und Bibliothekarin. Sie lebt in Allschwil (BL). Website mit ihren Büchern: www.graueinsel.ch
INFO
Jakobsweg Rapperswil – Einsiedeln
Karte: Landeskarte der Schweiz 1:25 000, Blatt 1132 Einsiedeln Anreise: mit den SBB über Zürich nach Rapperswil Verpflegung: aus dem Rucksack oder in den Restaurants Luegeten, Etzel-Kulm oder Sankt Meinrad Wanderzeit: 4 ½ bis 5 ½ Stunden Rückreise: mit den SBB ab Einsiedeln Ideale Wanderzeit: Herbst, ganzjährig möglich.
Lektüre: • Jolanda Blum: «Jakobswege durch die
Schweiz». Ott Verlag Spezialwanderführer, Bern 2007. • Kurt Derungs: «Magische Quellen, Heiliges Wasser». Die 22 Kultquellen der Schweiz. Amalia Verlag 2009.
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