Transkript
EIN THEMA – ZWEI MEINUNGEN
GESUNDHEITSPOLITIK • GESUNDHEITSPOLITIK • GESUNDHEITSPOLITIK • GESUNDHEITSPOLITIK
EINHEITSKRANKENKASSE
Eine einzige staatliche Krankenkasse statt wie bisher 90 verschiedene Kassen: Dadurch soll das System für die Versicherten fairer, besser organisiert und auch kostengünstiger werden. Doch würden ein staatliches Monopol in der Krankenver sicherung und der fehlende Wettbewerb tatsächlich die erhofften Vorteile bringen? Hier zwei Meinungen dazu.
Es braucht einschneidende Massnahmen
«Den aktuellen Wildwuchs im Dschungel der obligatorischen Krankenversicherung können wir uns schlicht nicht mehr leisten. Er ist so grotesk, dass nur noch einschneidende Massnahmen die Situation retten können.»
Haben Sie sich auch schon über diesen Wildwuchs geärgert? Mir jedenfalls ist die Entwicklung der letzten Jahre zunehmend unsympathisch. Seit Jahren bin ich, samt Familie,
Brief geschrieben, ich hätte das Problem bereits selber an die Hand genommen, ins Fitness-Center möchte ich im Moment nicht. Sie könnten mir stattdessen den nächsten Langlaufpass sponsern. Aber ich bekam eine Absage. Nicht schlecht gestaunt habe ich kürzlich im Zirkus. Kleine Wegweiser «meiner» Kasse führten zu einem VIP-Zelt. Ich war nicht eingeladen, offenbar falle ich zu wenig auf. Meine Familie und ich haben glücklicherweise bisher wenig Leistungen beansprucht und nur immer brav einbezahlt.
Dr. med. Ueli Nägeli führt eine Allgemeinpraxis in Bilten. Er war 14 Jahre Vorstandsmitglied der Glarner Ärztegesellschaft, davon 6 Jahre Präsident.
bei «meiner» Krankenkasse. Diese führt nun auch eine Billigkasse, und ich fühle mich etwas übers Ohr gehauen. Ich dachte immer, eine Versicherung sei eine solidarische Sache, von Fairness getragen. Ich hätte wohl mehr feilschen sollen und viel Zeit investieren müssen, um immer über das neueste Angebot informiert zu sein. Von Zeit zu Zeit verteilt «meine» Krankenkasse Geschenke. Leute, die zu dick sind, bekommen einen Gutschein fürs Fitness-Center. Ich habe einen netten
Demokratische
Mitbestimmung Als ich mich neulich wieder einmal über den grotesken Mittelverbrauch der Krankenversicherungen mit Werbung und gegenseitigem Abwerben von Mitgliedern ärgere, sehe ich die Schlagzeile «Einheitskrankenkasse!» Unser Glarner Gesundheitsdirektor schlägt als Alternative die seriöse Prüfung einer kantonalen oder regionalen Einheitskasse vor. Im ersten Moment bin ich verunsichert und reagiere mit einem Abwehrreflex. Aber der Gedanke lässt mich nicht mehr los. Warum eigentlich nicht? Viel schlimmer kann es nicht werden. Und je länger ich überlege, desto mehr überzeugt mich die Idee. Als ich meine Praxis im Glarnerland eröffnete, war unsere Krankenkasse genossenschaftlich organisiert, mit einer loka-
len Sektion, Hauptversammlung und Mitspracherecht. Das änderte sich rasch. Es wurde reorganisiert und zentralisiert, man hat uns die demokratische Mitbestimmung wie einen Teppich unter den Füssen weggezogen – und keiner hat es gemerkt oder wollte es merken. Heute werden grosse Krankenkassen von Seilschaften geführt, die nach ihren Regeln schalten und walten, eine Art Staat im Staat. Die Prämienzahler haben nichts mehr zu bestimmen, man sagt ihnen nur, was für sie gut sei. Eine staatlich geführte Kasse dagegen wäre den üblichen Kontrollen staatlicher Institutionen unterstellt. Diese sind für mich vertrauenswürdiger, da demokratisch geregelt.
Bestechende Idee Den aktuellen Wildwuchs im Dschungel der obligatorischen Krankenversicherung können wir uns schlicht nicht mehr leisten. Er ist so grotesk, dass nur noch einschneidende Massnahmen die Situation retten können: entweder ein kompletter Neuaufbau – oder eine staatliche Übernahme. Dies kann mit historischen Beispielen belegt werden. Vor gut hundert Jahren war bei den Bahnen ein ordnender staatlicher Eingriff notwendig. Das Ergebnis, die SBB, lässt sich bis heute sehen. Die Idee einer regionalen Einheitskasse ist bestechend. Gegen eine gesamtschweizerische Einheitskasse hätte ich trotz vorwiegend guter Erfahrungen wie etwa mit der Suva, wesentlich mehr Bedenken. Für eine solche Lösung könnte ich mich aufgrund eigener Erlebnisse nicht einsetzen. Ich finde es wichtig, regionale Besonderheiten und Traditionen zu berücksichtigen.
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Nein zum Eigengoal
«Qualität in der Medizin muss Priorität haben. Die Einheitskasse löst weder die Probleme des Gesundheitswesens, noch bringt sie irgendwelche Vorteile.»
Das primäre Ziel der Gesundheitsversorgung muss die Sicherstellung einer qualitativ hochstehenden Medizin sein, zu der alle Bevölkerungsschichten gleichen Zugang haben. Aber genau dies ist bei der Einführung einer Einheitskasse nicht mehr sicher. So kann sie in der Konsequenz sogar zu einer Zweiklassenmedizin führen. Was tut eine einzige, dominante Einheitskasse, wenn die öffentlichen Gelder knapp werden und der Kostendruck weiter steigt? Sie wird bei den Leistungen und sicher auch bei der Einführung neuer Methoden bremsen. Diejenigen, die es können, werden sich diese Leistungen auf dem privaten Gesundheitsmarkt beschaffen. Schliesslich führt eine Einheitskasse auch zu einer Einheitsprämie; vor allem in der deutschen Schweiz würden die Prämien ansteigen.
Wahlfreiheit als
oberstes Prinzip nicht
aufgeben Eine zentral geführte Einheitskrankenkasse widerspricht liberalem Denken, denn sie verunmöglicht Patientinnen und Patienten die Wahlfreiheit, vertritt ihre Interessen nicht mehr und liefert diese einem Monopolisten aus. Konkret können Versicherte weder ihre Krankenkasse selber auswählen, noch Prämien mittels Wahlfranchisen oder Hausarztmodell individuell gestalten. Ich bin grundsätzlich gegen das Vorhaben Einheitskrankenkasse, da es Patienten ein-
schränkt, ihnen Sparanreize nimmt, sie zu Antragsstellern degradiert und summa summarum eine Verschlechterung der medizinischen Dienstleistungen mit sich bringt. Die bisherige Vielfalt bei den obligatorischen Krankenversicherern ist eine Stärke des schweizerischen Gesundheitswesens, welches man nicht gefährden sollte. Dies setzt allerdings voraus, dass die Kassen in Zukunft das Gesundheitswesen wirklich mitgestalten und es nicht nur mitverwalten.
Gleiche Leistungen für alle Patienten Als Mediziner bin ich aber auch gegen eine Einheitskasse, weil dadurch viele Ärzte sich aus der Grundversicherung abmelden und nur noch mit Privatversicherungen und Privatspitälern zusammenarbeiten würden. Infolgedessen hätten nicht mehr alle Patienten Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung. Aber auch Innovationen und Anreize zur Schaffung von kostensparenden Leistungen im Gesundheitswesen würden dadurch abgeschafft. Mangelnde Anreize zur Eigenverantwortlichkeit der Versicherten würden die Kosten mit der sozialen Einheitskasse noch schneller in die Höhe treiben.
Innovationen fördern statt verhindern Die Ursache steigender Prämien liegt in den zunehmend konsumierten Leistun-
gen der Patienten, und diese fallen bei Ärzten, Spitälern oder für Medikamente an. Die Einheitskasse löst das Problem der steigenden Gesundheitskosten in keiner Art und Weise. Immer mehr Versicherte interessieren sich für alternative
Prof. Dr. med. Felix Gutzwiller ist Ständerat FDP und Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit. Versicherungsmodelle wie HMO oder Hausarztmodelle. Solche zukunftsträchtige und kostensparende Lösungen müssen gefördert und nicht verhindert werden.
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