Transkript
+++ JA ZUR HAUSARZTMEDIZIN +++ JA ZUR HAUSARZTMEDIZIN +++ JA ZUR HAUS
Haben Sie etwas gelernt, Herr Bundesrat? v o n To m H e u b e r g e r *
Der Bundesrat hat entschieden, die Tarife für das Praxislabor erneut zu senken. Damit ist es nicht mehr möglich, ein Praxislabor kostendeckend zu führen. Dies hat weitreichende Folgen: für die Arztpraxen, die Patienten und die Gesundheitsversorgung.
den sie nach einer Konsultation beim Hausarzt für die Blutentnahme in ein auswärtiges Labor gehen müssen und dann nochmals zum Hausarzt, um die Resultate zu besprechen. Das ist nicht nur umständlich, sondern verzögert auch den Beginn einer – möglicherweise entscheidenden – Behandlung um zwei bis drei Tage. Wo bleibt da der Spareffekt? Und wo die Sicherheit, wo die Qualität?
Die Praxen von Hausärzten sind Kleinunternehmen mit zentraler Bedeutung für die gesamte Gesundheitsversorgung. Heute bieten die Hausärzte ihre Dienstleistungen in einem zunehmend schwierigeren Umfeld an und müssen sich in einem massiv staatlich geregelten Abgeltungssystem wirtschaftlich behaupten. Verstärkt wird der Druck durch Sparmassnahmen im Gesundheitswesen, von denen die Hausärzte direkt betroffen sind.
Konsequenzen für Ärzte und Patienten Mit der willkürlichen Senkung der Labortarife entzieht der Staat den Hausarztpraxen eine wichtige betriebswirtschaftliche Grundlage. Nicht nur die Existenz des Praxislabors ist gefährdet, sondern auch die Qualität der Grundversorgung – und letztlich die Existenz der Praxen. Werden die Tarife unter ein wirtschaftlich vertretbares Limit gesenkt, müssen viele Praxislabors schliessen. Dies hat auch Auswirkungen für die Patienten: Künftig wer-
Weniger Arztpraxen Wenn nun aufgrund der fehlenden finanziellen Basis nicht nur Praxislabors, sondern auch einige oder gar viele Hausarztpraxen aufgeben müssen, fallen wichtige Knoten im feinmaschigen Netz der Gesundheitsversorgung weg. Wenn es künftig weniger Hausarztpraxen gibt, hat dies auch Folgen für die Notfallversorgung, den niederschwelligen Zugang zu Gesundheitsleistungen und die kostengünstige Grundversorgung. Und dies ausgerechnet in einer Zeit, in der die Bevölkerung vermehrt Anspruch auf eine lückenlose und rasche Verfügbarkeit medizinischer Unterstützung stellt.
Kein Nachfolger Als weitere Konsequenz werden die Hausärzte keine Nachfolger finden, wenn es nicht mehr möglich ist, eine Praxis wirtschaftlich zu führen. Wer will schon ein Geschäft übernehmen, das wegen staatlicher Vorschriften und Eingriffe kaum Chancen auf Erfolg hat? Ganz bestimmt nicht ein junger Arzt, der im Spital sichere
Arbeitsbedingungen und einen fixen Lohn mit Pensionskasse vorfindet.
Die Hausärzte werden aktiv Besonders stossend ist, dass diese dirigistischen Massnahmen von politischen Parteien gefördert werden, die sich die liberale Wirtschaft und die Förderung des Unternehmertums auf die Fahnen geschrieben haben. Beispielhaft zeigt sich dies in den hilflosen Massnahmen, die von Bundesrat Pascal Couchepin veranlasst wurden und mit grosser Hektik durchgezogen werden sollen. In der Bundesverwaltung und im Parlament herrscht Ratlosigkeit, die durch blinden Aktivismus vertuscht werden soll. Die Leidtragenden einer solchen Konzeptlosigkeit sind die Patientinnen und Patienten und die Hausärzte als politisch schwächste Glieder in der Kette. Vor drei Jahren senkte Bundesrat Couchepin die Labortarife zum ersten Mal und provozierte damit eine landesweite Protestaktion mit Demonstrationen – er hat nichts daraus gelernt. Deshalb haben die Hausärzte entschieden, das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Im kommenden Herbst starten sie eine Volksinitiative, um das Bewährte zu retten – vor dem Kollaps, vor den Politikern und vor den Verwaltern im Bundesamt für Gesundheit.
*Tom Heuberger ist Internist FMH mit einer Hausarztpraxis in Hilterfingen (BE).
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Die Volksinitiative
der Hausärzte
von Margot Enz Kuhn*
Am 9. Mai 2009 hat die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SGAM) die Lancierung der Volksinitiative «JA zur Hausarztmedizin» beschlossen.
A ngesichts des in bestimmten Regionen der Schweiz bereits vorherrschenden und sich rasch ausbreitenden Mangels an Hausärzten gilt es, mit hoher Dringlichkeit zu handeln. Dabei ist für die Lösung des Problems vor allem eine Frage wichtig: Weshalb will die junge Ärztegeneration nicht mehr in die Hausarztmedizin?
Zielgerichtete Verbesserungen Wir wissen aus Untersuchungen, dass es die unattraktiven Arbeitsbedingungen, die vergleichsweise tiefen Einkommen und die unregelmässigen, langen Arbeitszeiten sind, welche die Studierenden von der Hausarztmedizin abhalten. Die sozialen Strukturen und Lebensformen, aber auch Wertehaltungen und das berufliche Selbstverständnis der neuen Ärztegeneration haben sich geändert. Es braucht eine zielgerichtete Aus- und Weiterbildung, attraktivere Rahmenbedingungen sowie neue Arbeitszeitmodelle und neue Formen der Zusammenarbeit, wenn wir auch in Zukunft über eine qualitativ hervorragende Hausarztmedizin verfügen wollen.
Politische Strategie der SGAM Vor diesem Hintergrund verfolgen wir mit unserer politischen Strategie sowohl kurzwie auch langfristige Ziele:
Kundgebungen: Am 1. April 2009, dem Tag der Hausarztmedizin, demonstrierten die Hausärzte gegen die kontinuierliche Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen (Stichworte: administrative Überlastung, Einführung von Praxistaxen, unentgeltliche Präsenz im Notfalldienst) und gegen die willkürliche Demontage der Hausarztmedizin (Stichworte: Praxislabor, Röntgen, Medikamentenabgabe). Die medizinische Betreuung mit hervorragender Kosteneffizienz, die räumliche und zeitliche Verfügbarkeit sowie die hohe Qualität in der Beziehungsarbeit – das sind die Kernkompetenzen der Hausarztmedizin, die es zu verteidigen gilt.
Volksinitiative: Die Idee für die Volksinitiative basiert auf der Überzeugung, dass die Hausärztinnen und Hausärzte das gleiche Interesse an einer optimalen Hausarztmedizin haben wie ihre Patientinnen und Patienten. Die Volksinitiative ist unter anderem ein Mittel, die Diskussion über die Zukunft unseres nach wie vor sehr guten Gesundheitswesens, und dabei insbesondere der Hausarztmedizin, in die Öffentlichkeit zu tragen. Damit soll der Druck auf das Parlament und die Regierung erhöht
werden, die anstehenden Probleme anzupacken und die längst nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich die Hausarztmedizin in ihrem veränderten Umfeld behaupten und vor allem auch weiterentwickeln kann. Bedeutung der Patienten Wir engagieren uns für eine auch in Zukunft qualitativ hochstehende Hausarztmedizin, welche kosteneffizient ihre Leistungen für die gesamte Bevölkerung von der Geburt bis zum Lebensende erbringen will. Dabei zählen wir auf die Unterstützung der Patientinnen und Patienten, wenn wir diesen Herbst mit der Unterschriftensammlung für die Volksinitiative beginnen.
*Dr. med. Margot Enz Kuhn, Vizepräsidentin SGAM
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Warum den Hausärzte
Die Arbeitsbedingungen für Hausärzte haben sich massiv verschlechtert. Die Ärzte sehen sich am Gängelband einer Gesundheitspolitik, die ihr Ziel verfehlt, weil sie die Zukunft der Hausarztmedizin gefährdet.
von Karin Diodà
Die aktuelle Situation ist für die Hausärzte nicht mehr tragbar. Deutlich gemacht haben sie dies mit landesweiten Kundgebungen und Aktionen am 1. April dieses Jahres. Tausende von Hausärzten gingen auf die Strasse, unterstützt von Praxisassistentinnen, Patienten und weiteren Sympathisanten. Dabei fielen scharfe Worte, die sich an Bundesrat Pascal Couchepin richteten: «Totengräber der Hausarztmedizin» und «Couchepin, der Despot, bringt Hausärzte in Not», war auf Transparenten zu lesen.
Anti-Hausarzt-Politik Es war der Beschluss des Bundesrats, die Tarife für das Praxislabor erneut zu senken, der das Fass zum Überlaufen brachte (siehe Beitrag S. 6). Für die Hausärzte bedeutet dies einen Frontalangriff auf ihre Kernkompetenzen, mit wenigen, qualitativ hochstehenden Instrumenten ihren Patienten eine effiziente Diagnostik und Therapie anzubieten. Sie fordern den Bundesrat auf, diesen Entscheid rückgängig zu machen. Die Labortarifsenkungen sind nur eine von zahlreichen staatlichen Einschränkungen, welche die Hausarztmedizin ernsthaft in Bedrängnis bringen. Die Hausärzte werfen Bundesrat Couchepin vor, eine Anti-Hausarzt-Politik zu betreiben, die für viele Hausarztpraxen das Aus bedeuten werde.
Medikamentenabgabe Ein weiteres Beispiel ist die geplante Senkung der Margen bei der Medikamentenabgabe. Betroffen sind Hausärzte, die eine Praxisapotheke führen und ihren Patienten direkt Medikamente abgeben. Die Folgen wären finanzielle Einbussen in fünfstelliger Höhe. Die Neuberechnung dieser Margen beruhe auf falschen Grundlagen, sagen die Hausärzte, da der Betriebsaufwand zur Führung einer Praxisapotheke, inklusive Personalkosten und Steuerabgaben, nicht berücksichtigt wurde. Dabei sind die Hausärzte wohl zu einer Reform der Margenordnung bereit, Voraussetzung ist aber eine seriös erarbeitete Grundlage, die der betriebswirtschaftlichen Realität einer Hausarztpraxis entspricht.
Ungerechtes
Vergütungssystem Verheerende Auswirkungen hat die Gestaltung der sogenannten Taxpunktwerte, denn dadurch werden viele Allgemeinpraktiker an den Rand ihrer Existenz gedrängt. Jeder Leistung, die ein Arzt erbringt, ist eine bestimmte Anzahl Taxpunkte zugeordnet. Diese sind zwar einheitlich, doch werden sie mit einem Taxpunktwert multipliziert, der regional und kantonal unterschiedlich ist. Für die Hausärzte ist es stossend und nicht nachvollziehbar, weshalb beispielsweise ein Arzt in der Innerschweiz einen wesentlich tieferen Taxpunktwert hinnehmen
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en der Kragen platzt
muss als ein Arzt im ländlichen Gebiet des Kantons Zürich oder im Kanton Genf. Hinzu kommt, dass in den meisten Kantonen der Taxpunktwert für die Leistungen von Spezialärzten in Spitälern deutlich höher liegt als für die Leistungen der Ärzte in freier Praxis. Die Frage ist nun, wie dieses Vergütungssystem der Krankenkassen gerechter gestaltet werden kann. Mit einer Umverteilung der Löhne von den Spezialisten zu den Allgemeinpraktikern lasse sich das Problem aber nicht lösen, sagen die Hausärzte. Zur Diskussion steht eine Teilrevision des Arzttarifs Tarmed, die Verbesserungen für die Hausärzte bringen soll, indem die Praxiskosten neu berechnet und gewisse Spezialtarife für Hausärzte eingeführt werden. Bisher sind die Ärzte aber am Widerstand der Krankenkassen gescheitert.
Erhöhte
Arbeitsbelastung Solche Einschränkungen, Regelungen und Vorschriften erschweren es den Hausärzten zusehends, ihre verantwortungsvolle Aufgabe wahrzunehmen. Sie leisten qualitativ hochwertige Arbeit in der medizinischen Grundversorgung, und dies erst noch kostengünstig. Sie sind erste Anlaufstelle für Patienten und häufig auch eine Vertrauensperson. Verglichen mit anderen Ärzten haben sie deutlich längere und ungeregelte Arbeitszeiten, und sie leisten zusätzlich zu
ihrer Praxistätigkeit Notfalldienst. Diese hohen beruflichen Anforderungen sind belastend und können dazu führen, dass Hausärzte die Grenzen ihrer Kapazität erreichen. Dies kann zu gesundheitlichen Problemen führen bis hin zu Burn-out. Deshalb fordern sie verbesserte Arbeitsbedingungen, mehr Anerkennung für ihre Leistungen sowie insgesamt Rahmenbedingungen, die den Hausarztberuf wieder attraktiver machen, gerade auch für junge Ärzte.
Kontraproduktiver
Ärztestopp In der Schweiz droht ein Hausärztemangel, denn das Durchschnittsalter der heute praktizierenden Hausärzte liegt bei über 50 Jahren. Das bedeutet, dass in etwa acht Jahren rund die Hälfte der Hausärzte pensioniert sein wird. Gleichzeitig entscheiden sich immer weniger junge Ärzte für den Beruf des Hausarztes. Zusätzlich verschärft wird die prekäre Situation durch den im Jahr 2002 eingeführten Zulassungsstopp für freipraktizierende Ärzte, der bereits zweimal verlängert wurde. Die Neueröffnung einer Arztpraxis ist, wenn überhaupt, nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Durch diese Massnahme werden junge Hausärzte, die eine Praxis eröffnen möchten, stark verunsichert, denn sie sehen einer ungewissen Zukunft entgegen.
Der Ärztestopp, ursprünglich geplant, um eine Zuwanderung ausländischer Ärzte zu verhindern, erweist sich damit als untauglich und leistet der Hausarztmedizin einen Bärendienst. Die Hausärzte fordern deshalb von der ständerätlichen Gesundheitskommission, sich auf ein neues Modell zu einigen, das den Zulassungsstopp ablöst.
Neue Prioritäten setzen Der Mangel an Hausärzten wird immer offensichtlicher, besonders in ländlichen Gebieten. Dabei braucht es die Hausarztmedizin mehr denn je, um die hohe Qualität der medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung auch in Zukunft zu gewährleisten. Doch statt die Hausärzte zu unterstützen, konfrontiert sie das Bundesamt für Gesundheit mit Weisungen und Verordnungen, die nicht nachvollziehbar und für die Hausarztmedizin kontraproduktiv sind.
Angesichts der festgefahrenen Diskussionen und Verhandlungen in der Gesundheitspolitik steigen die Hausärzte nun in die politische Arena. Ziel ist, die gesundheitspolitischen Machtverhältnisse umzukehren und neue Prioritäten zu setzen für eine Hausarztmedizin mit gesicherter Zukunft. Zurzeit arbeiten die Hausärzte einen Verfassungsartikel aus, der regeln soll, wie die Hausarztmedizin in der Bundesverfassung verankert werden kann.
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