Transkript
«Guten ich bin
Freiwillige Helfer stehen im Dienst der Menschlichkeit, bereiten Freude, vermitteln Halt und Geborgenheit. Ihr Lohn sind Anerkennung und Dankbarkeit. Hugo Trost ist einer von ihnen.
von Sabine Schritt*
Hugo Trost: «Einfach nur da sein für die Patienten»
FOTOS: SABINE SCHRITT
E in Lächeln huscht über das Gesicht des alten Mannes. Herr Furrer** ist eine gepflegte Erscheinung, ein gebildeter Mann, der früher als Ingenieur gearbeitet hatte. Jetzt starren seine blauen Augen hilflos in eine Richtung, seine Beweglichkeit ist eingeschränkt, und sein Gedächtnis lässt ihn immer häufiger im Stich. Seine Frau, eine rüstige, elegante Dame, pflegt ihn grösstenteils zu Hause, doch muss sie ab und zu Luft holen und Kraft schöpfen. Dann bringt sie ihren Mann in die Obhut des Pflegeheims Magnolia in Zürich. Heute hat sie mit ihrem Mann dort zu Abend
gegessen. Jetzt verabschiedet sie sich und umarmt ihn, bedrückt und zuversichtlich zugleich.
Ein aufmunterndes Zuzwinkern Aus dem Aufenthaltsraum des Pflegeheims dringt Geschirrgeklapper und leises Gemurmel. Bisher unbemerkt, hat ein Mann das Geschehen ganz genau beobachtet. Er spricht den orientierungslosen Ehemann an, während dessen Frau leise das Zimmer verlässt. «Guten Abend, ich bin Hugo Trost, freiwilliger Helfer. Wollen wir einen kleinen Spa-
ziergang machen?» Der alte Mann versucht zu reagieren. Von den Pflegenden weiss Hugo Trost, dass er gerne draussen in der Natur ist. Am Abend zuvor war Herr Furrer sehr unruhig gewesen, konnte keinen Schlaf finden. Deshalb haben die Pflegenden einen der freiwilligen Mitarbeiter angefordert, die mehr Zeit haben, auf einem Patienten einzugehen. Trost ist ein agiler Mittsechziger. Er trägt Jeans und ein blau-grün gestreiftes T-Shirt, seine grauen, kurz geschnittenen Haare stehen keck vom Kopf ab. Jetzt zwinkert er Herrn Furrer aufmunternd zu, nimmt seinen Arm und führt
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Abend, Herr Trost»
ihn hinaus in den Flur. Unterstützt vom Rollator, einer Gehhilfe, bewegen sich die beiden, nachdem sie sich einige Minuten schweigend kennengelernt haben, Richtung Eingangstüre. Draussen taucht die Abendsonne den Park des Pflegeheims in warmes Licht.
Nicht wissen, was einen erwartet Mitten in der elektrischen Doppeltür bleibt Herr Furrer stehen. Der freiwillige Helfer ist unsicher. Will er nicht weitergehen, oder macht sein Körper nicht mit? Eine Weile verharren sie reglos. Die elektrische Tür brummt immer wieder, beginnt sich zu schliessen und öffnet sich wieder, weil die beiden Personen in der Lichtschranke stehen. «Dann kehren wir um», entscheidet Trost. Und er wiederholt: «Ich bin Hugo Trost, freiwilliger Helfer. Es ist Montagabend, neun Uhr.» Das helfe dem Patienten, sich zu orientieren, sagt Trost. Im Umgang mit dementen Patienten hat er Erfahrung. Er ist einer von 15 Freiwilligen auf Abruf, die für die Stiftung Diakoniewerk Neumünster – Schweizerische Pflegerinnenschule tätig sind. Zu seinen Einsätzen gehört die Krisen- und Demenzbegleitung. Wenn ihn die Leiterin der Freiwilligenarbeit der Stiftung anruft und für einen Einsatz anfragt, weiss er nie, was ihn erwartet. Zwar bekommt er von ihr genaue Informationen, worum es bei einem Einsatz geht. Doch er muss sich jedes Mal auf einen neuen Menschen und eine neue Situation einstellen. Dabei hat er vor allem eines zu bieten: Zeit.
Patienten ohne Orientierung Zuvor war Hugo Trost während 30 Jahren als Suchtberater bei der Zürcher Fachstelle für Alkoholkranke tätig. Nach
seiner Pensionierung im Jahr 2003 machte er ein Jahr Pause, dann verschrieb er sich der Freiwilligenarbeit des Diakoniewerks. «Gerade die Arbeit mit Demenzkranken braucht sehr viel Einfühlungsvermögen», sagt er. Ein dementer Patient sei ohne Orientierung, er könne nicht einordnen, nicht vergleichen und keine Reihenfolge einhalten. Wichtig sei deshalb, erst einmal festzustellen, wo der Patient im Moment in seinen Gedanken und Erinnerungen lebt, und dann darauf einzugehen. Nun versucht Hugo Trost vorsichtig, mit Herrn Furrer umzukehren, zurück ins Gebäude: «Drehen Sie Ihren linken Fuss ganz langsam», sagt er geduldig, versucht, sich einzufühlen in die Unbeholfenheit des alten Mannes. Immer wieder führt er Herrn Furrers Hand behutsam zum Griff der Gehhilfe. Es vergehen endlose Minuten, bis es dem Patienten gelingt, mit Trosts Hilfe die Richtung zu ändern. Hinter ihnen schliesst sich die automatische Türe mit einem leisen Brummen. Die beiden Männer bewegen sich nun langsam durch den langen Gang des Pflegeheims, hin und her, auf und ab. «Hier geht es zur Küche», erklärt Trost dem betagten Mann, der sich jetzt offenbar etwas sicherer fühlt. Ausser ihnen befindet sich niemand auf dem Gang. An den Wänden hängen Kunstdrucke von Claude Monet. Die Zimmertüren sind alle geschlossen. Damit sich die Heimbewohner besser orientieren können, ist jede Tür mit einem anderen Blumenmotiv aus Papier geschmückt.
Ein Lächeln ist der
schönste Lohn Jetzt wird es für Herrn Furrer langsam Zeit, schlafen zu gehen. Die Pflegenden bitten Trost, noch etwas zu bleiben. Sie hoffen, dass seine Anwesenheit dem Pa-
Behutsames Führen vermittelt Sicherheit
tienten Geborgenheit vermittelt und dazu beiträgt, dass er zur Ruhe kommt. Doch Herr Furrer versucht immer wieder aufzustehen. Eine schwierige Situation, denn ein Gespräch ist nur beschränkt möglich. Nachdem sich der betagte Mann etwas beruhigt hat, zieht sich Hugo Trost in eine Ecke des Zimmers zurück. Hier zeigt sich, worin der wichtigste Teil seiner Arbeit als freiwilliger Helfer besteht: «Einfach nur da sein», sagt Trost. Dafür wird er mit Anerkennung und Dankbarkeit belohnt, nicht nur von den Patienten, sondern auch vom Personal. «Doch der schönste Lohn ist ein Lächeln.»
Es sind Wünsche, nicht Aufträge Neben seinen Einsätzen auf Abruf leistet Hugo Trost auch jeden Freitagvormittag Dienst im Spital Zollikerberg, das wie das Pflegeheim Magnolia zur Stiftung Diakoniewerk gehört. Um sich einen Überblick zu verschaffen, schaut Trost auf die grosse Einsatztafel an der Wand im Stationszimmer. Hier sind Hinweise für die Patientenbetreuung zu finden. Dann druckt Trost den Belegungsplan aus und vergleicht ihn mit dem von letzter Woche. Hier im Spital steht er mit mehreren Patienten in näherem Kontakt. «Deshalb
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mache ich mir Notizen», erklärt der freiwillige Helfer. Während des Arbeitsfrühstücks bespricht das Pflegepersonal gemeinsam mit Trost den heutigen Tagesablauf und trägt seine Wünsche an ihn heran. Es seien Wünsche, betont Trost, keine Aufträge. Das empfindet er als angenehm, denn er kann ohne Druck das tun, was er am liebsten macht: Menschen helfen. «Die Dame in Zimmer 60 wird heute entlassen, sprich doch noch mal mit ihr» oder «Kümmere dich doch bitte um die Neuzugänge im Vierer». Auch wenn das Pflegepersonal die Anwesenheit von Freiwilligen grundsätzlich schätzt, kann es vorkommen, dass es die Freiwilligen als Konkurrenz empfindet. Doch habe er selbst noch nie erlebt, dass das Personal das Gefühl gehabt hätte, er nehme ihm die Arbeit weg, sagt Trost und fügt hinzu: «Klar, ein Betrieb muss auch ohne Freiwillige funktionieren, doch viele zusätzliche Betreuungsleistungen würden gar nicht mehr stattfinden, wenn sie die Freiwilligen nicht übernehmen würden.» Und das Personal hier freue sich jedes Mal, wenn er komme.
Praktisches und
begleitetes Lernen Das bestätigt auch Manuela Gasser, Leiterin der Freiwilligenarbeit: «Der Einsatz von Freiwilligen ist keine Sparmassnahme, sondern eine Bereicherung. Und die Freiwilligen wissen, dass sie bei uns einen hohen Status geniessen.» Die Freiwilligen, erklärt sie, trügen entscheidend zum Betriebsklima und zum Image von Spital- und Pflegeinstitutionen bei. Insgesamt sind rund 130 Freiwillige bei der Stiftung Diakoniewerk engagiert. Ihnen werden jährlich Fortbildungskurse angeboten, die auf sie selbst und ihre Arbeit zugeschnitten sind. Doch bevor Freiwillige ihre Arbeit aufnehmen, durchlaufen sie eine Grundausbildung und werden durch praktisches und begleitetes Lernen in ihre Tätigkeit eingeführt. Anschliessend überzeugt sich Manuela Gasser persönlich, ob sie es verantworten kann, eine
neue Mitarbeiterin oder einen neuen Mitarbeiter zu kranken oder sterbenden Menschen zu schicken. «Wir erwarten, dass sie ihre Aufgabe vertrauensvoll wahrnehmen», erklärt Gasser. Dazu gehöre auch, im richtigen Moment das Pflegepersonal einzuschalten.
Trösten und
Philosophieren
Nachdem das Arbeitsfrühstück
beendet ist, macht sich Hugo
Trost auf den Weg. Er trägt ei-
nen weissen Kittel, an dem ein
Namensschild befestigt ist, das
auch Auskunft über seine Funk-
tion gibt. Er soll einen PatienEinsatzplan für die Patientenbetreuung
ten, der in der vergangenen
Nacht als Notfall eingeliefert
wurde, zur Untersuchung ins Ärztehaus sind ein Schatz, ich freue mich, dass ich
bringen. Der Patient ist sehr schwach, Sie kennenlernen durfte. Doch nun habe
kann aber selbstständig gehen und folgt ich sie lange genug aufgehalten, gehen
Trost durch das Spitalgelände. Er sei am Sie mal weiter und trösten sie jemand
Vorabend ohnmächtig geworden, nun anderen.» Sie lächelt, als sich der freiwil-
müssten die Ursachen gefunden werden, lige Helfer noch einmal zu ihr umdreht.
erzählt er. Vorbei an der Lichtinsel, wie Trost die kleine Besucherecke im Gang nennt,
*Sabine Schritt arbeitet als freie Journalistin und lebt in Pfaffhausen (ZH).
weil hier durch das einzige Fenster das ** Name von der Redaktion geändert. Sonnenlicht direkt in den Stationsflur
fällt, geht es anschliessend zum nächsten Patientenbesuch. Es fällt Trost nicht
INFO
schwer, mit den Patienten ins Gespräch zu kommen. «Guten Tag, ich bin Hugo Trost, freiwilliger Mitarbeiter.» «Herr Trost?» – Die Patientin, bei der er jetzt vorbeischaut, reagiert sofort auf seinen Namen: «Dann kommt ja der Richtige», ruft sie. «Sie haben einen tollen Namen, wen trösten Sie denn?» «Die Tiere, die Blumen, die Menschen», Trost ist nie um
Freiwilligenarbeit
Stiftung Diakoniewerk Neumünster – Schweizerische Pflegerinnenschule: Tel. 044-397 31 17, E-Mail: manuela.gasser@diakoniewerk-neumuenster.ch, Internet: www.diakoniewerk-neumuenster.ch – Schwerpunkte – Freiwilligenarbeit
eine Antwort verlegen, kann sich schnell in die Gedanken der Frau einfühlen. Die 91-Jährige ist gestürzt und kann nicht mehr gehen. Sie klagt ihm ihr Leid und philosophiert mit ihm über das Leben im Allgemeinen und ihr Schicksal im Besonderen. Als sich Hugo Trost etwas später von ihr verabschiedet, sagt die
Benevol Schweiz, Verein Fach- und Vermittlungsstellen für Freiwilligenarbeit: Tel. 052 620 37 51, E-Mail: info@benevol.ch, Internet: www.benevol.ch
Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft: Tel. 044-366 50 30, E-Mail: herbertamann@ sgg-ssup.ch, Internet: www.sgg-ssup.ch
Patientin mit leuchtenden Augen: «Sie
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