Transkript
KONGRESS AKTUELL
Wann Biosimilars einsetzen?
«Es gibt keinen Grund, nicht umzustellen»
Biosimilars sind wie Generika, jedoch mit einem entscheidenden Unterschied: Weil Biologika aus Proteinen bestehen, können Biosimilars nicht identisch, sondern ihnen nur ähnlich sein. Trotzdem können sie als Ersatz für die Biologika bedenkenlos eingesetzt werden. Warum das so ist, erklärte der auf Biochemie und Molekularbiologie spezialisierte Pharmazeut und Verfasser zahlreicher Lehrbücher in Pharmazeutischer Biologie Prof. Theodor Dingermann, Frankfurt, an der Fortbildungsveranstaltung NeuroLive.
B iosimilars sind zugelassene Folgeprodukte von Biologika. Mittlerweile sind in Europa über 60 Biosimilars in den Fachbereichen Dermatologie, Rheumatologie, Gastroenterologie und Neurologie zugelassen. Sie werden unter genauer Kenntnis der molekularen und klinischen Eigenschaften von aus dem Patent gelaufenen Biologika (Originatorpräparat) entwickelt. Die jeweiligen Originatorpräparate werden deshalb auch als ReferenzArzneimittel bezeichnet. Biosimilars werden so entwickelt, dass sie mit dem Referenz-Arzneimittel hinsichtlich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit vergleichbar sind, wie Dingermann erläuterte.
Kurz & Bündig
● Biosimilars haben die identische Aminosäuresequenz wie ihre Referenzprodukte.
● Biosimilars und Biologika müssen dieselben Anforderungen bezüglich Variabilität erfüllen, um die Zulassung zu erhalten bzw. zu behalten.
● Klinische Endpunktstudien sind für Biosimilars für die Zulassung nicht vorgeschrieben, da das Molekül bereits bekannt ist.
● Eine Umstellung von einem Biologikum auf ein Biosimilar ist in der Regel unproblematisch.
Warum sie nicht Generika heissen Biosimilars unterscheiden sich deutlich von Generika. Denn Letztere sind identische Kopien des Originals, was Biosimilars aufgrund der Komplexität der biologischen Wirkstoffe und ihrer Herstellung nicht sein können. Deshalb sind die Qualitäts- und Zulassungsanforderungen an Biosimilars deutlich höher als für chemische Generika. Während ein chemisch synthetisierter Arzneistoff aus einem einzigen Molekül besteht, müssen beispielsweise ein humaner Wachstumsfaktor, bestehend aus 175 Aminosäuren, oder ein monoklonaler Antikörper (1330 Aminosäuren) biologisch, das heisst gentechnisch in Bakterien beziehungsweise Säugerzellen hergestellt werden, so Dingermann. Bei Proteinen sind Strukturvariationen biologisch «typisch» und unvermeidbar; dies nicht nur bei Biosimilars, sondern auch bei Originatorpräparaten von Charge zu Charge. Deshalb wird bei Biologika eine Spezifikation festgelegt, das heisst eine Unter- und Obergrenze dieser Variabilität hinsichtlich diverser Charakteristika. Abweichungen des Biosimilars vom Referenz-Arzneimittel dürfen nicht grösser sein als die Abweichung des ReferenzArzneimittels von einer Charge zur nächsten. Bewegen sich die Abweichungen ausserhalb dieser festgelegten Bandbreite, sind sie laut Dingermann «out of specification» und erhalten die Zulassung nicht bzw. dürfen nicht vermarktet werden. Deshalb dürfe man schon darauf vertrauen, dass zugelassene Biosimilars gleich wirkten wie ihre Referenzprodukte, so der Pharmazeut.
Keine klinischen Endpunktstudien mehr nötig Für die pharmazeutische Qualität von Biosimilars gelten dieselben hohen Standards wie für Biologika. Generell werden biosimilare Proteine so entwickelt, dass sie die gleiche Aminosäuresequenz, die gleiche Proteinfaltung (3D-Struktur) und die gleiche biologische Aktivität wie das Referenz-Arzneimittel aufweisen. Nachträgliche Modifikationen werden nur in dem auch für Referenz-Arzneimittel geltenden Umfang akzeptiert und dürfen weder die Immunogenität noch die Wirksamkeit beeinträchtigen. Für die Zulassung von Biosimilars werden kleine Pharmakokinetik- und Pharmakodynamikund Wirksamkeitsstudien mit Probanden durchgeführt. Klinische Endpunktstudien sind jedoch nicht mehr gefordert, da das Molekül und seine Wirkung vom Referenzprodukt her bekannt sind.
Switch unproblematisch
Obwohl einer Umstellung zunächst sehr viel
Misstrauen entgegengebracht wurde, konnte
bisher in keiner klinischen Studie, in der ein
Switch während einer laufenden biologischen
Therapie von einem Referenz-Arzneimittel auf
ein Biosimilar untersucht wurde, ein signifikan-
ter Unterschied hinsichtlich der Wirksamkeit
oder Verträglichkeit festgestellt werden, so
Dingermann. Das gelte auch für Therapien mit
monoklonalen Antikörpern. Es gebe daher kei-
nen Grund, nicht umzustellen.
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Valérie Herzog
Quelle: «Biosimilars», NeuroLive, 22.2.2023, virtuell.
3/2023
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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