Metainformationen


Titel
kurz&bündig
Untertitel
-
Lead
-
Datum
Autoren
-
Rubrik
Neurologie — Fortbildung
Schlagworte
-
Artikel-ID
61756
Kurzlink
https://www.rosenfluh.ch/61756
Download

Transkript


&K U R Z B Ü N D I G

Darmflora beeinflusst die Psyche

Aus früheren Studien weiss man, dass bei Patienten mit einer Depression Darm- und Verdauungsprobleme überdurchschnittlich häufig auftreten. Es besteht daher die Vermutung, dass die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft im Darm eine wichtige Rolle für die depressive Symptomatik spielt. In einer neuen randomisierten Studie haben Forscher um PD Dr. André Schmidt und Prof. Undine Lang, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel, systematisch untersucht, wie sich die Einnahme von Probiotika bei Patienten mit einer Depression auswirkt. Alle Teilnehmenden

waren stationär behandelt und erhielten zusätzlich zu Antidepressiva während 31 Tagen entweder ein Probiotikum (n = 21) oder ein Plazebo (n = 26). Primärer Endpunkt war die Punktzahl auf der Hamilton Depression Rating Scale, erhoben zu Studienbeginn, zu Studienende und 4 Wochen später. Es zeigte sich, dass zwar dank der Antidepressiva die depressiven Symptome bei allen Teilnehmenden abnahmen. In der Probiotikagruppe verbesserte sich der Zustand der Probanden jedoch deutlich stärker als in der Plazebogruppe.

Ein weiterer interessanter Effekt der Probiotikaeinnahme betraf die Hirnaktivität beim Betrachten neutraler und ängstlicher Gesichter, gemessen mit der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT). Nach der 4-wöchigen Probiotikaeinnahme normalisierte sich diese Hirnaktivität, in der Plazebogruppe dagegen nicht.
Quelle: Pressemitteilung Universitätsspital Basel/vh Referenz: Schaub AC, Schneider E, Vazquez-Castellanos JF, et al. Clinical, gut microbial and neural effects of a probiotic add-on therapy in depressed patients: a randomized controlled trial. Transl Psychiatry. 2022;12(1):227. doi:10.1038/ s41398-022-01977-z

Boxerhirne können sich erholen

Boxen und Vollkontakt-Kampfsportarten erhöhen durch ihre repetitiven Schläge auf den Kopf bekanntermassen das Langzeitrisiko für chronisch traumatische Enzephalopathie, kognitive und Verhaltensprobleme sowie Parkinsonismus. Eine Studie hat nun aber festgestellt, dass das Gehirn sich von diesen Traumata nach Beendigung der Sportart erholen kann. Für die Untersuchung der Hirnfunktion wurden 45 durchschnittlich 32-jährige, vor der «Pensionierung» stehende Berufskampfsportler (22 Boxer und 23 Vollkontaktkampfsportler) und 45 durchschnittlich 30-jährige, noch aktive Kämpfer (17 Boxer, 28 Vollkontaktkampfsportler) rekrutiert. Zu Studienbeginn hatten alle Teilnehmer innerhalb des ersten Jahres noch einen Kampf absolviert. Bei Studienende nach 3 Jah-

ren hatten die «pensionierten» Kampfsportler seit 2 Jahren keinen Kampf mehr bestritten, während die Aktiven weiterkämpften. Bei allen Teilnehmern wurden zu Studienbeginn und zu Studienende ein Hirnscan (MRI) sowie eine kognitive Testung durchgeführt. Von der Hälfte der Kämpfer wurde zusätzlich zu beiden Zeitpunkten im Blut Neurofilament-Leichtketten (NFL) bestimmt. Während noch aktive Kämpfer bei den kognitiven Tests einen Abfall und stabile NFL-Spiegel über den Zeitverlauf zeigten, konnten sich die «Pensionierten» im Vergleich zu Studienbeginn bei den kognitiven Tests sowie bezüglich NFL-Spiegel verbessern. Von den 68 im Scan untersuchten kortikalen Regionen, die für Emotionskontrolle, Gedächtnis und Exekutivfunktio-

nen verantwortlich sind, nahm die Dicke in

54 Regionen bei den noch Aktiven leicht ab,

während sie bei den «Pensionierten» stabil

blieb.

Trotz der Tatsache, dass die Anzahl Schläge auf

den Kopf nicht bekannt sei, weil die meisten

Schläge im Training passierten, bestehe mit

diesem Ergebnis Hoffnung auf Erholung der

kognitiven Hirnleistung nach Aufgabe dieser

Sportarten, so das Fazit der Autoren. Ob ein

Zeitfenster dafür bestehe und wann dieses am

besten sei, müssten weitere Untersuchungen

zeigen.

vh l

Quelle: Zhuang X et al.: Longitudinal changes in cognitive functioning and brain structure in professional boxers and mixed martial artists after they stop fighting. Neurology. 2022;10.1212/WNL.0000000000201158. doi:10.1212/ WNL.0000000000201158

Epilepsie-Forschungspreis nach Lausanne und Genf

Beim Forschungsförderungspreis der Epilepsie-Liga 2022 geht es 2-mal um bessere Diagnosen. Er ist mit insgesamt 25 000 Franken dotiert und wird in diesem Jahr aufgeteilt: Isabelle Beuchat vom Centre hospitalier univesitaire vaudois (CHUV) in Lausanne untersucht mit dem Projekt «Seizure biomarkers after non-epileptic events» gängige Bluttests, die als Indikatoren eines überstandenen epileptischen Anfalls gelten. Sie vermutet, dass die Laktat- und Kreatinkinasewerte auch nach einem nicht epileptischen, wie zum Beispiel psychogenen Krampfereignis ansteigen. Genaues Wissen über diese Biomarker soll zu besseren Diagnosen verhelfen. «Dieses inter-

disziplinäre Projekt kann Fehldiagnosen verringern und dazu beitragen, dass hilfreichere Biomarker identifiziert werden, die dann in der klinischen Routine eingesetzt werden können», sagt Prof. Barbara Tettenborn, Präsidentin der Epilepsie-Liga. Das zweite Preisträgerprojekt von Pia De Stefano vom Universitätsspital Genf (HUG) hat den Titel «Detection and outcome of early nonconvulsive status epilepticus following cardiac arrest». Im Koma nach einem überstandenen Herzstillstand kann ein Status epilepticus auftreten. Selbst auf der Intensivstation kann er nur mithilfe eines EEG sicher erkannt und schnell behandelt werden. Bis jetzt gehört die

Ableitung eines EEG in den ersten Stunden nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand nicht zum routinemässigen Standardvorgehen, solange die Patienten im Koma liegen und nicht sediert werden. «Ein Erfolg dieser Studie könnte die Aussichten von solch schwer kranken Patienten auf Erholung entscheidend verbessern», so Barbara Tettenborn. Die Preise wurden in Basel im Rahmen des Jahreskongresses der Swiss Federation of Clinical Neuro-Societies (SFCNS) verliehen. 
Quelle: Medienmitteilung Schweizerische Epilepsie-Liga/vh

5/2022

PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE

47

&K U R Z B Ü N D I G

Mediterrane Diät allein kann nicht alles

Von einer mediterranen Ernährung sind viele gesundheitlichen Vorteile bekannt. Auf dem Speiseplan bei dieser Art Ernährung stehen Gemüse, Früchte, Fisch und Olivenöl im Vordergrund sowie ein kleinerer Anteil Milchprodukte, Fleisch und gesättigte Fettsäuren. Inwiefern diese Ernährung vor einer Demenzentwicklung schützt, darüber gab es bislang kontroverse Ergebnisse. Eine neue Studie mit langer Nachbeobachtungszeit ging dieser Frage nun auf den Grund. Dazu wurden in Schweden 28 000 demenzfreie Personen rekrutiert, bei Studienbeginn im Durchschnitt 58 Jahre alt, und während

20 Jahren beobachtet. Während der Studie notierten die Teilnehmer jeden Tag Art und Menge der verzehrten Lebensmittel in einem Formular. Zu Studienende hatten 6,9% (n = 1943) eine Demenz entwickelt, entweder vom vaskulären oder vom Alzheimer-Typ. Die ausgefüllten Formulare wurden analysiert und die angegebene Ernährung in die Kategorien mediterran oder konventionell eingeteilt. Dabei zeigte sich, dass keine der beiden Ernährungsarten das Demenzrisiko reduziert. Prof. Nils Peters, Universitätsspital Basel, schrieb dazu in einem Editorial, dass die Ernährung al-

lein das Denken und das Gedächtnis wahrscheinlich nicht stark genug beeinflusse. Sie sei jedoch einer von weiteren Faktoren, die einen Einfluss auf die kognitive Entwicklung haben könne. Eine Ernährungsstrategie zusammen mit anderen Massnahmen sei zur Kontrolle der Risikofaktoren vermutlich immer noch sinnvoll.  vh l
Quelle: Glans I et al.: Association between dietary habits in midlife with dementia incidence over a 20-year period. Neurology. 2022;10.1212/WNL.0000000000201336. doi:10.1212/WNL.0000000000201336

MS durch Epstein-Barr-Viren: neue Belege

Erst im Januar erschien eine viel beachtete Studie, die Daten von 10 Millionen Angehörigen des US-Militärs retrospektiv auswertete (1). Dabei zeigte sich, dass eine Epstein-Barr-Virus(EBV-)Infektion das MS-Risiko um das 32-Fache erhöhte und dass das EBV nicht nur ein Risikofaktor, sondern ein Auslöser zu sein scheint. Eine aktuelle Studie der Universität Münster (2) suchte nun nach Veränderungen in der EBVspezifischen T-Zell-Immunität bei MS-Kranken im Vergleich zur zellulären EBV-Immunantwort Gesunder. Analysiert wurden 1395 MS-Patienten, 887 Kontrollpersonen und 35 monozygote Zwillingspaare, von denen jeweils ein Zwilling an MS erkrankt war. Im Blut der Teilnehmer wurden die auf der Oberfläche von T-Zellen befindlichen T-Zell-Rezeptoren sequenziert. Es zeigte sich, dass bei MS-Erkrankten mehr einzigartige EBV-spezifische T-Zell-Antigen-Re-

zeptor-(TCR-)beta-Sequenzen und damit T-Zellen nachweisbar waren als bei Gesunden. Auch die erkrankten Zwillinge wiesen einen breiteren EBV-spezifischen TCR-Bestand auf als ihre ebenfalls EBV-seropositiven, jedoch gesunden Zwillingsgeschwister. Während bei Gesunden in Blut und Liquor EBV-spezifische CD8-positive Gedächtnis-T-Zellen vom Effektortyp nachweisbar waren, wurden bei MS-Kranken zudem im Liquor EBV-spezifische «zentrale» Gedächtnis-T-Zellen als Hinweis auf ein anhaltendes immunologisches Priming bzw. auf eine fortbestehende aktive Immunreaktion gefunden. Diese Liquorbefunde sprechen dafür, dass bei MS-Kranken permanent neue EBV-spezifische T-Zellen entstehen, die vom Blut ins ZNS auswandern. Eine medikamentöse Hemmung der Zellmigration führte entsprechend zum Anstieg EBV-spezifischer T-Zellen im Blut.

MS sei also nicht nur mit einer höheren EBV-Antikörper-Seroprävalenz assoziiert, sondern auch mit einer breiteren und offensichtlich persistierenden EBV-spezifischen Immunantwort wie Prof. Heinz Wiendl, Münster, Direktor der Universitätsklinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie, zusammenfasste. Anscheinend habe man es bei MS-Betroffenen mit einer anhaltenden oder überschiessenden EBV-Infektion bzw. deren fehlerhaften immunologischen Kontrolle zu tun.
Quelle: Pressemitteilung DGN/vh
Referenzen: 1. Bjornevik K et al.: Longitudinal analysis reveals high
prevalence of Epstein-Barr virus associated with multiple sclerosis. Science. 13 Jan 2022. DOI: 10.1126/science. abj8222. 2. Schneider-Hohendorf T et al.: Broader Epstein-Barr virusspecific T cell receptor repertoire in patients with multiple sclerosis. J Exp Med 2022 Nov 7; 219 (11): e20220650. doi: 10.1084/jem.20220650.

Höheres Epilepsierisiko nach Bariatrie

Bariatrische Operationen werden zur Behandlung der Adipositas häufig vorgenommen. Möglicherweise erhöht dieser Eingriff jedoch das Langzeitrisiko für eine Epilepsie. Ob dem tatsächlich so ist, untersuchten amerikanische Forscher in einer bevölkerungsbasierten, retrospektiven Studie. Sie verglichen Daten von 16 958 adipösen Patienten, die sich einem bariatrischen Eingriff unterzogen hatten, mit Daten von 622 514 adipösen Patienten ohne Bariatrie. 6 Jahre nach dem Eingriff hatten 0,4%

der bariatrisch operierten Teilnehmer eine Epilepsie entwickelt, verglichen mit 0,2% aus der nicht operierten Gruppe. Nach Abgleichung auf etwaige Confounder betrug die Epilepsierate in der Bariatriegruppe 50/100 000 Personenjahre, ohne Bariatrie lag sie bei 34/100 000 Personenjahre. Das Risiko, Jahre später nach einer Bariatrie eine Epilepsie zu erleiden, ist mit 45% fast doppelt so hoch als ohne Bariatrie (Hazard Ratio [HR]: 1,45).

Bei Erwägung einer bariatrischen Operation als

Therapie der Adipositas sollten deshalb alle

Vor- und Nachteile, ebenso mögliche Langzeit-

komplikationen, mit dem Patienten bespro-

chen werden. Denn Epilepsie könnte ein

Langzeitrisiko einer bariatrischen Operation

sein, so das Fazit der Autoren.

vh l

Quelle: Antaya TC et al.: Epilepsy risk following bariatric

surgery for weight loss. Neurology. 2022;10.1212/

WNL.0000000000201100.

doi:10.1212/

WNL.0000000000201100.

48

PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE

5/2022