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E D I T O R I A L Die Zukunft der Neurologie
M indestens jeder dritte Schweizer leidet im Verlauf seines Lebens unter einer neurologischen Krankheit, und dieses hochrelevante Gesundheitsproblem wird in den kommenden Jahren wegen der Alterung der Gesellschaft weiter zunehmen (1). Schon heute stellen neurologische Krankheiten die häufigsten Ursachen einer Frühinvalidität und die zweithäufigste Todesursache weltweit dar (1). Die Gesundheitskosten neurologischer Krankheiten in der Schweiz wurden vor einigen Jahren auf mehr als 5 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt (2, 3).
Erfreulicherweise hat sich die Neurologie in den letzten 30 Jahren von einem primär diagnostischen zu einem therapeutischen Fach entwickelt (4). Immer mehr effiziente Therapien konnten die Lebenserwartung, aber auch die Lebensqualität von Patientinnen und Patienten mit Schlaganfall, Multipler Sklerose, Migräne, Parkinson, Epilepsie, Polyneuropathie, Muskelerkrankungen, Hirntumoren und Schlafstörungen verbessern (5, 6). Auch die Prävention und die Rehabilitation neurologischer Krankheiten wurden erfolgreich ausgebaut.
Die vorliegende Ausgabe bringt drei Beiträge zusammen, die sich mit dem Innovationspotenzial und somit mit der Zukunft der Neurologie befassen. Im ersten Artikel stellen Thomas Berger und Andrew Chan spannende Entwicklungen der sogenannten Präzisionsneurologie vor, die kausale Therapien für bis anhin unbehandelbare genetische Erkrankungen wie beispielsweise Muskeldystrophien (7), aber auch eine zunehmend individualisierte Prävention, Diagnose und Prognose neurologischer Erkrankungen ermöglicht.
Im zweiten Artikel besprechen Marcel Arnold et al. die Notwendigkeit von innovativen interdisziplinären und translationalen Forschungsansätzen in der Neurologie anhand von konkreten Beispielen. Die Wichtigkeit eines dafür geeigneten Forschungsumfelds, von Forschungsnetzwerken und von neuen Technologien wird hervorgehoben. Im dritten Artikel wird von Tobias Nef et al. die Bedeutung neuer Technologien und neuer Analysealgorithmen von grossen digitalisierten Daten für die Teleneurologie, welche die Diagnostik und die Therapie neurologischer Erkrankungen schon während der Coronapandemie verändert hat, illustriert.
Ich hoffe, dass die Lektüre dieser faszinierenden Bei-
träge bei Ihnen Anklang findet.
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Prof. Dr. med. Claudio L. A. Bassetti Direktor, Universitätsklinik für Neurologie,
Inselspital Bern Dekan, Medizinische Fakultät Bern Präsident, European Academy of Neurology (EAN)
E-Mail: claudio.bassetti@insel.ch
Referenzen: 1. Feigin A, Vos T, Nicholas E, et al. The global burden of neurological di-
sorders: translating evidence into policy. Lancet Neurol 2020;19:255265. 2. Gustavsson A, Svensson M, Jakobi F, et al. Cost of Disorders of the Brain in Europe 2010. Eur Neuropsychopharmacol 2011;21:718-779. 3. Maercker A, Perkonigg A, Preisig M, et al. The costs of disorders of the brain in Switzerland: An update from the European Brain Councl study for 2010. Swiss Med Wkly 2013;143. 4. Bassetti CLA, Du Pasquier R, Kappos L, Kleinschmidt A, Weller M. Neurologie: eine therapeutische Disziplin. Swiss Med Forum 2020;20:514. 5. Ropper AH. Two Centuries of Neurology and Psychiatry in the Journal. New Engl J Med 2012;367:58-65. 6. Fischer U, Humm A. Vom diagnostischen zum therapeutischen Fach. Swiss Medical Forum 2022;22 (0506):94-96. 7. Finkel RS, Mercuri E, Darras BT, et al. Nusinersen versus Sham Control in Infantile-Onset Spinal Muscular Atrophy. New Engl J Med 2017;377:1723-1732.
Foto: zVg
Claudio L. A. Bassetti
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
2/2022