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Das NeuroTec-Loft – eine instrumentierte Wohnung und Testumgebung für Teleneurologie am Sitem-Inselspital
Das NeuroTec-Loft ist eine mit Sensoren ausgerüstete Wohnung für klinische Studien in einer alltagsnahen Umgebung. In der komfortablen 3,5-Zimmer-Wohnung auf dem Areal des Inselspitals können Patienten und gesunde Probanden zu Studienzwecken mehrere Tage verbringen. Dank über 200 Sensoren können detaillierte Informationen über das Verhalten, die Motorik, die Stimmung sowie über physiologische Parameter der Probanden aufgezeichnet werden. Das NeuroTec-Loft ist Teil des NeuroTec-Centers, in dem unter anderem neue Technologien für neurologische Patienten entwickelt und evaluiert werden. In diesem Artikel diskutieren wir die installierte Sensortechnik und geben eine Übersicht über die ersten Studien mit neurologischen Patienten.
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Tobias Nef Stephan Gerber Kaspar Schindler
von Tobias Nef1, 2, 3, Stephan Gerber1, Kaspar Schindler2
Einleitung
D ie Teleneurologie bezeichnet den Einsatz von Methoden der Telekommunikation zur Diagnostik und Therapie neurologischer Erkrankungen. Erste Anwendungen aus der Jahrtausendwende untersuchten die Möglichkeit der Videokonsultation von Patienten mit neurologischen Problemen, die in ein Spital ohne neurologischen Dienst eingewiesen wurden (1). In der Notfallbehandlung nach Schlaganfall ermöglichen es Videokonferenzen, moderne Schlaganfalltherapie, inklusive Thrombolyse, auch in Kliniken ohne Stroke-Unit/ Stroke-Center anzubieten (2). Die Coronapandemie hat das Interesse an der Teleneurologie nochmals verstärkt (3). Das Einsatzspektrum und der potenzielle klinische Nutzen der Teleneurologie, insbesondere auch bei sich langsam verändernden neurologischen Erkrankungen, lassen sich durch die zusätzliche Verwendung von Sensortechnologie noch weiter steigern, beispielsweise für Langzeitbeobachtungen zu Hause oder in Institutionen. Sensoren für die Messung von gesundheitsrelevanten Daten können in 3 Kategorien unterteilt werden (Abbildung 1). Tragbare Sensoren (Wearables, Abbildung 1a) werden vom Patienten am Körper getragen, wie zum Beispiel in Uhren (Smartwatches) integrierte Sensoren. Diese Smartwatches sind auch bei gesunden Personen populär. Mit optischen Verfahren werden die Pulswelle
1 Gerontechnologie und Rehabilitation Forschungsgruppe, Universität Bern 2 ARTORG Center for Biomedical Engineering Research, Universität Bern 3 Klinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern
und dadurch abgeleitet die Herzrate und die Herzratenvariabilität sowie mit dreidimensionalem integriertem Akzelerometer verschiedene Bewegungs- und Aktivitätsmuster erfasst. Neuere Modelle ermöglichen zudem kontinuierlich die Blutdruckapproximation (4), die Winkelgeschwindigkeit (Gyroskop) und die Atemfrequenz. Der Einsatz dieser Sensoren ist relativ unkompliziert, da keine Installation notwendig ist. Es erfordert jedoch eine aktive Mitarbeit des Patienten zum Einhalten der Tragdauer und beim Aufladen der Batterie (5). Das Handling (Anziehen, Ladegerät anschliessen) kann für Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen eine Herausforderung darstellen. Dieses Problem kann jedoch mit objektgebundenen Sensoren gelöst werden. Dazu gehören Bettmattensensoren zur Messung von Bewegung, Herzschlag und Atmung im Bett (Abbildung 1b). Weitere objektgebundene Sensoren sind in die Medikamentenbox integrierte Sensoren, in Schuhe integrierte Bewegungssensoren, Software zur Messung der kognitiven Fähigkeiten bei der Interaktion mit Smartphone, Tablet oder Computer (6) sowie an anderen Objekten des täglichen Gebrauchs befestigte Sensoren (7). Eine weitere Kategorie sind Umgebungssensoren (Abbildung 1c), sie messen ohne direkten Kontakt die Körpersignatur des Patienten im Raum. Während der Einsatz von Kameras im häuslichen Umfeld nur selten oder gar nie toleriert wird, wurde die Anwendung von einem Netzwerk mit passiven Infrarotsensoren von den Patienten sehr gut akzeptiert (8). Ein Grund könnte sein, dass viele Patienten mit diesen Sensoren vertraut sind, da sie bei Hausinstallationen zum automatischen Einschalten des Lichts verwendet werden. In Kombination mit geeigneten Klassifikationsalgorithmen lassen sich verschiedene Alltagsaktivitäten erkennen und im Verlauf darstellen. Abbildung 2 zeigt die erkannten Aktivi-
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Abbildung 1: a) am Körper getragener Sensor; b) objektgebundener Sensor unter der Bettmatte zur Messung von Bewegung, Herzschlag und Atmung im Bett; c) Umgebungssensoren zur Messung der Aktivität von Patienten in verschiedenen Räumen. (Abbildung: ©Universität Bern)
Abbildung 2: Ablauf der Alltagsaktivitäten über 20 Tage von einer gesunden Testperson (links) und einer Alzheimer-Patientin (rechts). Die Daten wurden mit 8 in der Wohnung verteilten passiven Infrarotsensoren erhoben. (Bild modifiziert von Urwyler et al. 2017, mit freundlicher Genehmigung)
tätsmuster für eine gesunde Person sowie für eine Alzheimer-Patientin. Gut erkennbar ist die nicht mehr vorhandene Regelmässigkeit in der Tagesstruktur der Alzheimer-Patientin. Die passiven Infrarotsensoren sind sehr kostengünstig und einfach zu verwenden, haben jedoch nur eine geringe Informationsdichte (binär, Bewegung im Raum vorhanden oder nicht). Deshalb werden für diese Verhaltensmessungen immer häufiger Radar- oder Lidarsensoren (9) eingesetzt, die eine zwei- oder dreidimensionale Punktwolke des Patienten generieren können. Mit künstlicher Intelligenz können detaillierte Verhaltensmuster erkennt werden. Je nach Radarfrequenz können auch physiologische Parameter (Herzschlag, Atmung) erfasst werden. Diese Arbeiten sind noch experimentell, könnten jedoch in Zukunft an Bedeutung gewinnen (10). Durch den Einsatz von Sensoren zur Symptomerkennung kann die Informationsdichte bei Teleneurologieanwendungen erhöht werden, und die Fachperson erhält objektive Informationen über den zeitlichen Verlauf von Symptomen und deren Einfluss auf die Alltagssituation. Das hat den Vorteil, dass nicht «nur» eine Momentaufnahme wie in der Klinik erfasst wird. Die Sensoren aller 3 Kategorien können sowohl im Spital als auch zu Hause eingesetzt werden. Bei Messungen im häuslichen Umfeld des Patienten besteht der Vorteil,
dass maximal alltagsnah gemessen werden kann. Allerdings sind die technologischen Möglichkeiten beschränkt, und die zu verwendenden Sensoren müssen aus praktischen Gründen preisgünstig, einfach zu installieren, zu warten und zu bedienen sein. Bei Messungen im Spital oder im Labor bestehen diese Einschränkungen nicht, allerdings ist das Patientenverhalten im Spital oder im Labor nicht alltagsgetreu. Deshalb wurde am NeuroTec-Center der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital Bern eine instrumentierte Wohnung, genannt NeuroTec-Loft, realisiert. In dieser Wohnung kann das Verhalten von gesunden Testpersonen und Patienten in einer alltäglichen Umgebung mit aufwendiger Sensorik hochaufgelöst gemessen werden.
Das NeuroTec-Loft Aufbau und Funktionsweise Das NeuroTec-Loft ist Teil des NeuroTec-Centers mit Schlaflaboren, High-Density-EEG- und Epilepsielabor (11). Es liegt im Gebäude des Swiss Institute for Translational and Entrepreneurial Medicine (Sitem-Insel) auf dem Inselareal und besteht aus 3,5 Zimmern mit Küche, Bad, Schlafzimmer und Wohnzimmer. Die Wohnung ist vollständig ausgerüstet, und gesunde Testpersonen sowie Patienten können während mehrerer Tage darin wohnen. Da das NeuroTec-Loft zum Inselspital gehört, kann bei Bedarf medizinisches Personal vor Ort sein und
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Abbildung 3: Funktionsweise des NeuroTec-Lofts mit Sensoren beim Patienten (am Körper getragen, objektbasiert und in der Umgebungssensoren); Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen zur Auswertung der Daten und zur Extraktion von Korrelaten zu Verhalten, Motorik, Stimmung sowie physiologischen Parametern. Bei unterschiedlichen Sensorinstallationen ist die grundsätzliche Funktionsweise im Spital, in der instrumentierten Wohnung sowie beim Patienten zu Hause identisch. (Abbildung: ©Universität Bern)
die Patienten betreuen. Die Einrichtung mit TV, Büchern, vollständig ausgestatteter Küche, gemütlicher Sofaecke und Schlafzimmer mit Doppelbett wurde so gewählt, dass sich die Patienten wohlfühlen und sich so normal wie möglich, also wie zu Hause, verhalten. Wie in Abbildung 3 dargestellt, wird eine Kombination von am Körper getragenen, objektgebundenen und Umgebungssensoren verwendet. Die Kombination kann für jedes Experiment und jede Fragestellung spezifisch angepasst werden. Derzeit sind die folgenden Sensoren im Einsatz: l am Körper: Körperleitfähigkeit, Elektrokardiogramm,
Accelerometer, Gyroskop, mobile Polysommnografie (Herzrate, Atmungsrate, Blutdruck, Sauerstoffsättigung) l objektgebunden: Bettmattensensor (Herzrate, Atmungsrate, Bewegung im Bett), Türsensoren, Sensoren an allen Schubladen, elektrischen Küchengeräten und Lichtschaltern, Durchflussmesser an Wasserhahn und Toilettenspülung l Umgebungssensoren: Luminanzsensor, Feuchtigkeitssensor, Temperatursensor, gerichtetes Sprachmikrofon, Umgebungsmikrofon, passive Infrarotsensoren, Lidarsensoren (zweidimensionale Laserscanner), Radarsensoren für physiologische Messwerte (Herzrate, Atmung) und Bewegung (dreidimensionale Punktwolke), markerfreie videobasierte Bewegungsanalyse. Die Daten werden im Anschluss mittels künstlicher Intelligenz (KI) analysiert, und klinisch relevante Informationen werden extrahiert. Die KI wird folgendermassen realisiert: Entscheidungsbäume basieren auf Expertenwissen, dabei werden logische Regeln formuliert und auf die Daten angewendet. Beispielsweise: Wenn der Wasserhahn in der Küche läuft und der Proband seit mehr als 5 Minuten auf dem Bett liegt, hat er vergessen, den Wasserhahn auszuschalten. Oder wenn der Proband den Kühlschrank öffnet, den Herd einschaltet und die Schublade mit den Pfannen öffnet, dann ist er am Kochen. Durch maschinelles Lernen (ML) können ähnliche Regeln automatisiert und verfeinert erstellt werden. Mit maschinellen Klassifikations- und Regressions-
verfahren können ML-Algorithmen trainiert werden, bestimmte Muster einer Aktion zuzuordnen. Der Random-Forest-Algorithmus beispielsweise gehört zu den überwachten Lernverfahren (supervised learning) und nutzt die Ergebnisse einer Vielzahl zufällig erstellter Entscheidungsbäume, um bestmögliche Entscheidungen zu treffen. Dieser Algorithmus ist relativ einfach und erzielt in kurzen Trainingszeiten gute Lernergebnisse. Ebenfalls eingesetzt werden künstliche neuronale Netze, die aus einer Eingabeschicht, mehreren «hidden layers» und einer Ausgabeschicht bestehen und zur Analyse von bestimmten Daten trainiert werden können. Der Vorteil von künstlichen neuronalen Netzen ist die sehr tiefgehende Abstraktion von Zusammenhängen zwischen Eingabe- und Ausgabedaten. Mit diesem sogenannten Deep Learning können sehr spezielle Probleme gelöst werden, wie zum Beispiel die Emotionserkennung aus der aufgezeichneten Sprache. Je nach Fragestellung verbringen die Probanden einige wenige Stunden bis einige Tage/Nächte im Loft. Bei Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen ist es häufig sinnvoll, die Daten aus dem Loft mit einer langfristigen Messung zu Hause zu kombinieren. Durch das Zusammenführen der hochaufgelösten, aber nur über einen kurzen Zeitraum reichenden Loft-Messungen mit der weniger granulären, dafür über einen sehr langen Zeitraum dauernden Messung beim Patienten zu Hause (Messungen über 12 Monate und länger sind gut möglich) können verschiedene Aspekte quantifiziert werden. Auf Verhaltensebene werden zum Beispiel Alltagsaktivitäten, Schlafmuster und soziale Interaktionen (in der Wohnung des Patienten) analysiert. Bei der Motorik können im Loft verschiedene Gangparameter (z. B. Schrittlänge, Gangsymmetrie, Ganggeschwindigkeit) unter variierenden Bedingungen (mit/ohne zusätzliche Aufgabe) analysiert werden (9). Die mit der Stimmungslage assoziierten Aspekte wie Emotion, Agitation, Apathie und Fatigue setzen die multimodale Analyse von verschiedenen Sensormodalitäten voraus und erfordern noch weitere Entwicklungs- und Validierungsschritte. Derzeit wird evaluiert, inwieweit emotionale Aspekte über die Sprache (Mikrofon) erfasst werden können und
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Abbildung 4: Ausbau und Einrichtung des NeuroTec-Loft. 1) Videokamera für die markenfreie Bewegungsanalyse, 2) Radarsensoren zur Erstellung der dreidimensionalen Punktwolke, 3) passiver Infrarotsensor (Umgebungssensor), 4) Lidarsensor erstellt eine zweidimensionale Punktwolke zur Erfassung von Gangparametern, 5) jede Küchenschranktür ist mit einem Sensor ausgestattet, 6) Videokamera für die Bewegungsanalyse, 7) bei der Bewegungsanalyse wird ein aus 52 Punkten bestehendes Skelettmodell über den Probanden gelegt, 8) Wasser- und Stromverbrauch werden in der Küche gemessen, 10) Kameras für die Bewegungsanalyse, 11) Lidarsensor für die Erfassung von Gangparametern. (Abbildung: ©Universität Bern)
wie Verhaltensmuster aus dem Alltag mit Apathie und Fatigue korrelieren. Abbildung 4 zeigt eine gesunde Testperson im NeuroTecLoft mit einer Auswahl der Sensoren. Das markenfreie Bewegungsanalysesystem analysiert die Videobilder von 13 an der Decke montierten Kameras und berechnet ein Skelettmodel aus 54 Punkten, das, wie im Bild gezeigt, über den Probanden gelegt wird. Mit dem System können Bewegungsanalysen während Alltagsaktivitäten durchgeführt werden. Im Bild nicht sichtbar sind die ins Bett integrierten Sensoren, bestehend aus einer Druckmatte zur Bewegungsanalyse während der Nacht, einem piezzoelektrischen Sensor unter der Matratze (Herzschlag, Atmung), einer Infrarotthermokamera und einem Radarsensor (Herzschlag). Ebenfalls nicht im Bild ist ein Kontrollraum, welcher an das Neurotec-Loft grenzt.
Geplante Studien im NeuroTec-Loft Aktuelle technische Fragestellungen Das Setting des NeuroTec-Lofts ist ideal, um neue Sensortechnologie zu entwickeln und zu evaluieren. Dazu wird jeweils eine sehr gut evaluierte und etablierte Messmethode als Goldstandard genommen und ein neuer Sensortyp gegenüber dem Goldstandard validiert. So wurde beispielsweise ein auf einem Lidarsensor
basierender Gangsensor entwickelt und im NeuroTec-Loft mit einem etablierten Gangteppich (GaitRite Sensor, CIR Systems Inc., USA) verglichen. Das ist relevant, denn Lidarsensoren sind sehr klein (10 × 10 × 10 cm) und preiswert und können in der Wohnung von Patienten oder im Gang einer Klinik positioniert werden (9). Bei Patienten mit Schlafstörungen korrelieren wir im Schlaflabor die Messdaten von Bettsensoren (z. B. Sensormatten) mit klassischer Polysomnografie, damit wir besser verstehen, wie die Sensordaten interpretiert werden können. Ähnliche Arbeiten sind geplant für smartphonebasierte Messungen für Sprache (emotionale Aspekte) und Bewegung.
Aktuelle klinische Fragestellungen Bei einer Gruppe von Parkinson-Patienten mit implantiertem Tiefenhirnstimulator untersuchen wir den Einfluss der Stimulationsparameter auf motorische und nicht motorische Symptome. Wissenschaftlich interessant ist insbesondere, wie mit der Sensortechnik im Alltag die verschiedenen Symptome quantifiziert und für die patientenspezifische Adaptation der Stimulationsparameter verwendet werden können. In einer klinischen Studie mit Personen mit MS analysieren wir, wie klinische Scores mit der tatsächlich gemessenen Alltagsfunktion korrelieren. Dazu führen die Probanden
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verschiedene Alltagsaufgaben (Kochen, Putzen, Aufräumen, usw.) im NeuroTec-Loft durch, und wir analysieren die aufgabenrelevante Performance. Ebenfalls geplant sind langfristige Untersuchungen zur Fatigue bei MS. Bei alterspsychiatrischen Patienten untersuchen wir, welche Sensorkombination im Patientenzimmer auf alterspsychiatrischen Stationen geeignet ist, um Agitation und Delir zu erkennen und vorauszusagen. Ziel ist die Entwicklung eines «digitalen Pflegeassistenten» für die Alterspsychiatrie. Das NeuroTec-Loft und die neu entwickelten Methoden sind ebenfalls für klinische Studien geeignet, um Alltagsfunktionen in der instrumentierten Wohnung oder zu Hause als primären oder sekundären Endpunkt zu verwenden.
Diskussion und Ausblick Die Sensortechnologie zur Messung von Verhalten, Motorik, Stimmung und physiologischen Parametern wird in der Teleneurologie immer wichtiger werden. Erst durch den Einsatz von Sensoren zur Quantifizierung von Symptomen erhalten Neurologen und andere medizinische Fachpersonen einen objektiven Überblick über den zeitlichen Verlauf der Erkrankung und deren Konsequenz im Alltag und können so für den individuellen Patienten angepasste Entscheidungen treffen. Das in diesem Artikel beschriebene NeuroTec-Loft ermöglicht die Durchführung von klinischen Studien, die den Patienten in einem möglichst alltagsnahen Setting untersuchen möchten. Insbesondere die Untersuchung komplexer Verhaltensmuster wird so möglich. Allerdings gibt es mehrere Herausforderungen zu bewältigen: Das Studiendesign von Untersuchungen in der instrumentierten Wohnung ist anspruchsvoll, auch weil noch wenig Erfahrungswerte und Vergleichsstudien bestehen. Zudem ist die Entwicklung der Algorithmen für das maschinelle Lernen anspruchsvoll, da sehr viele Messpunkte anfallen, diese aber nur von relativ wenigen Probanden stammen. Es versteht sich von
Merkpunkte:
● Messung von Verhalten, Motorik, Stimmung und physiologischen Daten
● Entwicklung und Validierung von neuen Technologien für neurologische Patienten
● Alltagsnahe Testung
selbst, dass diese Herausforderungen eine interdiszipli-
näre Herangehensweise erfordern. Die Autoren sind
deshalb der Meinung, dass Settings wie das Neuro-
Tec-Center für die Bearbeitung dieser Fragestellungen
gut geeignet sind.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Neuro-
Tec-Center durch die Kombination von Schlaflabor,
High-Density-EEG- und Epilepsielabor und instrumen-
tierter Wohnung für Patienten hoch relevante Frage-
stellungen untersucht werden können, und zwar so-
wohl für die neurologische als auch für andere klinische
Fachrichtungen.
l
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Tobias Nef
ARTORG Center for Biomedical Engineering Research Klinik für Neurologie
Universitätsspital Bern, Inselspital Murtenstrasse 50 Zimmer C204 3008 Bern
E-Mail: tobias.nef@unibe.ch
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