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KONGRESS AKTUELL
ADHS
Pandemie und Komorbiditäten erschweren die Situation
ADHS ist eine Erkrankung, die auch im Erwachsenenalter fortbestehen kann. Viele Patienten leben erst lang mit anderen Diagnosen, bis schliesslich die ADHS-Diagnose gestellt wird und sie eine Therapie erhalten, die ihnen hilft. Worauf es bei dieser Erkrankung ankommt und dass ADHS ein Risikofaktor für COVID-19 ist, darüber berichtete Dr. med. Ann-Kristin Hörsting, PsychCentral, Zürich, und Ärztliche Direktorin, Klinik Friedenweiler (D), am FOMF Psychologie & Psychiatrie Update Refresher in Zürich.
Die Pandemie setzte den Patienten mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung) besonders zu. Abstandsvorschriften und geschlossene Sportstätten bereiteten ihnen Schwierigkeiten, denn sie konnten ihre Hyperaktivität beim Sport nicht mehr kanalisieren, so Hörsting. ADHS ist aber auch ein Risikofaktor für COVID19. Im Vergleich zur Normalbevölkerung und zu behandelten ADHS-Patienten sei die Infektionsrate bei unbehandelten ADHS-Patienten höher (1), was daher rühre, dass diese Patienten mehr Mühe hätten, Abstand zu halten. Diese Erkrankung, die im Kindesalter beginnt und sich bis ins Erwachsenenalter erstreckt, steht auch mit mehr Verkehrsunfällen, Schulabbrüchen, Substanzmissbrauch, Risikosport, familiären Problemen und weiteren, den Lebensweg erschwerenden Ereignissen in Zusammenhang. Von ADHS betroffen sind 3 bis 4 Prozent der Erwachsenen, etwa die Hälfte der Eltern von Kindern mit ADHS leidet selbst an dieser Erkrankung. Die 3 Hauptkriterien für ADHS nach ICD-10 und DSM-5 sind Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität und Impulsivität, wobei Letztere nach den Wender-Utah-Kriterien (2) eine breitere, den Alltag störende Palette umfassen: Affektlabilität, desorganisiertes Verhalten, mangelhafte Affektkontrolle, emotionale Überreaktionen (2). Während die Aufmerksamkeitsstörung im Krankheitsverlauf stabil bleibt, nehmen die Hyperaktivität und die Impulsivität mit Erreichen des Erwachsenenalters ab, dafür beginnen sich Komorbiditäten wie beispielsweise Suchtmittelkonsum, affektive Störungen, Zwangsgedanken und Schlafprobleme zu entwickeln (3).
Therapie bei Leidensdruck Allein aus der Diagnose leite sich aber keine Behandlungsnotwendigkeit ab, so Hörsting. Eine Therapie sollte erfolgen, wenn in mindestens einem Lebensbereich eine starke Beeinträchtigung vorhanden ist oder wenn in mindestens zwei Lebensbereichen eine leichte Beeinträchtigung besteht und die Beeinträchtigungen durch ADHS verursacht sind. Empfohlen ist gemäss den S3-Therapie-Leitlinien der DGPPN (4) eine multimodale Therapie. Eine solche besteht aus Sitzungen beim Psychiater für die Medikation, aus Psychotherapie, Ergotherapie und dem Besuch einer Selbsthilfegruppe und ist mit 4 wöchentlichen Terminen aber sehr zeitaufwendig. Pharmakotherapien sollten nicht als Monotherapie verordnet werden, sondern von nicht medikamentöser Therapie wie Psycho-, Ergo- und Gruppentherapie und Sport begleitet sein. Denn die Adhärenz sei wie bei allen psychiatrischen Erkrankungen nicht sehr gut. Bis zu 60 Prozent der Patienten stoppten die Medikation innerhalb von einem Jahr, so Hörsting. Stimulanzien wie beispielsweise Methylphenidat sind eine Option. Dieses hemmt die Wiederaufnahme des Neurotransmitters Dopamin in das präsynaptische Neuron, wodurch sich die Wirkdauer von Dopamin verlängert. Die zentralstimulierende Wirkung äussert sich unter anderem in einer Steigerung der Konzentrationsfähigkeit, der Leistungs- und Entscheidungsbereitschaft sowie in einer Unterdrückung von Müdigkeit und körperlicher Abgeschlagenheit. Komorbide Störungen sind aber die Regel und müssen mitberücksichtigt werden. Leidet der Patient beispielsweise gleichzeitig an einer
Depression, muss abgewogen werden, welche Erkrankung im Vordergrund steht, und diese dann zuerst behandelt werden. Steht die Depression im Vordergrund, können dual wirkende Substanzen mit hohem noradrenergen Anteil ausgewählt werden, steht die ADHS im Vordergrund, kann beispielsweise Atomoxetin gewählt werden, von dem man weiss, dass es sich auf die Depression positiv auswirken kann. Auch Kombinationen von ADHS-Medikamenten mit Antidepressiva seien möglich, das natürlich immer unter Abwägung der Nebenwirkungen, so Hörsting abschliessend. l
Valérie Herzog
Quelle: FOMF Psychiatrie & Psychologie Update Refresher, 1. bis 4. Dezember 2021, Zürich
Referenzen: 1. Merzon E et al.: ADHD as a risk factor for infection with
covid-19. J Atten Disord. 2021;25(13):1783-1790. doi:10.1177/1087054720943271 2. Wender PH: Attention-deficit hyperactivity disorder in adults. 1995. New York: Oxford University Press 3. Wilens TE et al.: A clinical perspective of attention-deficit/ hyperactivity disorder into adulthood. J Clin Psychiatry. 2004;65(10):1301-1313. doi:10.4088/jcp.v65n1003 4. S3-Leitlinie ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen 2017-2022. https://www.awmf.org/ uploads/tx_szleitlinien/028-045k_S3_ADHS_2018-06. pdf. Letzter Abruf: 21.12.21
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
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