Transkript
PORTRAIT
Wir stellen vor:
Prof. Dr. med. Christoph Nissen
Chefarzt und Vizedirektor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Bern
Der Schlaf hat es ihm angetan. Um ihn zu verbessern, kam er in die Schweiz, weil er hier ideale Bedingungen vorfand. Bald wird er das von der Romandie aus tun.
P+N: Sie leiten neben Ihrer klinischen Tätigkeit die psychiatrische Schlafforschung im interdisziplinären Schlaf-Wach-Epilepsie-Zentrum am Inselspital. Wohin geht die «Schlafreise»? Was sind die aktuellen Schwerpunkte? Prof. Dr. med. Christoph Nissen: Wir versuchen, den Schlaf zu beeinflussen, um die psychische Gesundheit zu verbessern. Die Beeinflussung von Schlaf schliesst verschiedene Ansätze ein. Zum einen psychotherapeutisch, zum Beispiel mit der kognitiven Verhaltenstherapie für Insomnie, auch für Patienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen. Wir haben Studien dazu. Zum anderen führen wir auch die neurophysiologische Modulation von Schlaf durch, aktuell mit der sogenannten «auditory closed-loop stimulation». Dabei senden wir Töne in den Schlaf und können so die Aktivität von Gehirnwellen beeinflussen und damit den Schlaf verändern, zum Beispiel den Tiefschlaf erhöhen oder verringern. Mit der auditorischen Stimulation versuchen wir zudem, neue Behandlungsansätze für Schlafstörungen und damit verknüpfte psychiatrische Störungen zu entwickeln.
Sie haben sich als Psychiater auf die Schlafforschung spezialisiert. Wie ist es dazu gekommen? Was fasziniert Sie am Schlaf? Schlaf nimmt einen grossen Teil unseres Lebens ein. Wir wissen jedoch nach wie vor nur in Ansätzen, warum wir schlafen. Schlaf ist sicher wichtig für Gehirnfunktionen, zum Beispiel für die Verknüpfung von Nervenzellen, möglicherweise ebenfalls für Reinigungsfunktionen des Gehirns. Ich denke, dass wir ein grosses Potenzial haben, grundlegende Funktionen besser zu verstehen, aber auch zur Verbesserung der Gesundheit beitragen.
Wo sind Sie aufgewachsen, und was hat Sie in die Schweiz geführt? Ich bin Deutschland aufgewachsen und habe in Freiburg im Breisgau, in Paris und Berlin Medizin studiert. Anschliessend habe ich an der Uni-
versitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Freiburg gearbeitet. Bereits damals lag ein Forschungsschwerpunkt von mir im Bereich Schlaf. Nach Bern kam ich im Rahmen dieses Forschungsschwerpunkts und aufgrund der Kontakte zu Prof. Claudio Bassetti, Direktor der Klinik für Neurologie am Inselspital, und Prof. Werner Strik, Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bern. Wir haben eine interfakultäre Forschungskooperation zum Thema Schlaf mit Beteiligung der Psychologie, aber auch der Grundlagenwissenschaften. Die Schweiz und insbesondere Bern haben ein hervorragendes Umfeld für Schlafforschung und Schlafmedizin. Dann hatte ich zusätzlich die Möglichkeit, eine Chefarztstelle an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bern zu besetzen.
Womit können Sie am besten entspannen, was tun Sie für Ihren Ausgleich? Es gelingt mir eigentlich ganz gut, auch nach vollgepackten Kliniktagen abzuschalten und mich zu entspannen – zu Hause mit meiner Familie, mit Kollegen oder beim Sport. Zurzeit gehe ich joggen und fahre Rennrad, da das spontan möglich ist. Im Winter fahre ich gern Ski. Früher habe ich Fussball und Tennis gespielt, doch sind Sportarten mit zeitlichen Verpflichtungen organisatorisch einfach schwierig für mich zu realisieren.
Was waren Ihre grössten persönlichen und beruflichen Highlights?
Ein grosses berufliches Highlight ist natürlich die aktuelle Berufung
nach Genf. Ich werde im Januar 2022 in Genf anfangen, mit Universi-
tätsprofessur und Klinikleitung an der Universitätsklinik für Psychiatrie
und Psychotherapie. Es ist geplant, dass meine Familie mit nach Genf
umzieht, wenn auch nicht von Anfang an. Als grösstes persönliches
Highlight möchte ich die Geburt meines Sohnes bezeichnen.
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Das Interview führte Valérie Herzog.
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PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
5/2021